StasiVZ
StasiVZ war das erste sog. Asocial Network, ein Netzwerk, dessen Inhalte von den Benutzern selbst zusammengetragen wurde (User Generated Content). Gegründet wurde StasiVZ am 8. Februar 1950 von einem unverbesserlichen Menschenfreund, Weltverbesserer und Visionär: Erich Mielke.
Da StasiVZ noch nicht auf elektronische Medien wie das Internet, zurückgreifen konnte, waren die Betreiber auf die Eigeninitiative zahlloser hauptamtlicher sowie freiwilliger Helfer (das sog. Turnschuh-Netzwerk) angewiesen, welche in mühevoller Kleinarbeit unzählige Daten zusammentrugen und hauptsächlich in Schriftform (Akten) speicherten. Im Unterschied zu heutigen Netzwerken musste sich der User von StasiVZ nicht selbst um die Erfassung und Pflege seiner Daten kümmern, sondern konnte sich völlig auf den Service von StasiVZ verlassen.
Inhaltsverzeichnis
Typische Funktionen
- Persönliche Profile der freiwilligen und unfreiwilligen Mitglieder (Fotos, gern auch peinlich, Schriftproben, Aussagen Dritter, Intimitäten etc.)
- Kontaktlisten, Adressbücher, Verweise auf Verwandte, Freunde, Bekannte, Kollegen usw.
- Gesprächs- und Beobachtungsprotokolle
- Telefonmitschnitte
- Überwachung des Postverkehrs
Alle Funktionen konnten ggf. auch ohne Wissen des betreffenden Users genutzt werden.
Viele der Funktionen von StasiVZ finden sich in abgewandelter Form auch in heutigen Netzwerken.
Die Datenerhebung
Zur Datenerhebung wurden durch die hauptamtlichen Mitarbeiter von StasiVZ freiwillige inoffizielle Mitarbeiter (IMs) angeworben und angeleitet. Diese, nach dem Schneeballsystem funktionierende Methode, hatte zu Folge, dass gegen Ende der DDR fast alle Einwohner selbiger als inoffizielle Mitarbeiter von StasiVZ registriert waren. Jeder IM sammelte Daten über andere IMs aus seinem näheren Umfeld und gab sie nach oben an seinen sog. Führungsoffizier weiter, der die Informationen wiederum nach oben weitergab, bis Erich Mielke über alle Menschen, die er liebte – und das waren alle Menschen in der ganzen DDR – Bescheid wusste.
Die Datenspeicherung
Die exponentiell anwachsenden Aktenmengen lagerte StasiVZ in einem eigens errichteten Hochsicherheitsgebäude in der Berliner Normannenstraße sowie in diversen Außenstellen.
Inoffizielle Mitarbeiter
Die inoffziellen Mitglieder / Mitarbeiter von StasiVZ bekamen einen sog. Decknamen zugeteilt – ein weiterer Unterschied von StasiVZ zu heutigen Netzwerken wie DeppenVZ oder Fakebook, wo der User sich seinen Nickname selbst aussucht. Dem Decknamen wurde die Abkürzung IM vorangestellt.
Als IM wurden alle Personen angeworben, die entweder keine Westverwandtschaft hatten, oder von denen anzunehmen war, dass sie sehr gern von den Vorteilen eines Netzwerks wie StasiVZ profitieren würden, z.B. Abitur für die Kinder, Studienplätze, spannende Auslandsreisen nach Polen oder in den Ural, eine leitende Funktion in VEB oder LPG, eine Karriere im kulturellen oder künstlerischen Bereich oder andere Begehrlichkeiten, desweitern alle Personen, die sich nicht immer staatskonform verhalten hatten, z.B. Falschparker, Schwarzfahrer, Fremdgänger, Arbeitsbummelanten oder Besitzer eines in der DDR illegalen Otto-Kataloges – also quasi alle Erwachsenen mit Ausnahme einiger Geistlicher und Unbelehrbarer.
Hauptamtliche Mitarbeiter
Die hauptamtlichen Mitarbeiter von StasiVZ hatten vielfältigste Aufgaben, vom einfachen Außendienst bis hin zu Abhören. Dazu musste man bei StasiVZ nicht mal Arzt sein. Hauptamtliche Mitarbeiter genossen diverse Privilegien je nach ihrer Qualifikation. Einige bekamen schicke oliv-graue Arbeitskleidung gestellt, die ihnen in der Öffentlichkeit Respekt verschaffte, wenige konnten sich über lange schwarze Ledermäntel freuen, wie man sie nicht mal im Exquisit oder Intershop hätte kaufen können. Mitarbeiter, die vorwiegend im Außendienst tätig waren, bekamen immerhin braune oder schwarze Schnürschuhe und praktische Beutel aus DEDERON gestellt, um den Anschein zu erwecken, sie würden – wie in der DDR üblich – im Dienst einkaufen. Damit sich die Außendienstler nicht langweilten, liefen sie doch oft den ganzen Tag immer wieder die gleiche Straße hoch und runter, waren sie immer zu zweit unterwegs. Das führte zeitweise zu der irrigen Annahme, in der DDR gäbe es überdurchschnittlich viele homosexuelle Männer, die paarweise einkaufen und spazieren gehen.
Um den fleißigen hauptamtlichen Mitarbeitern einen gewissen Komfort zu gewährleisten, ließ der Erich Mielke rund um die Sammelstelle Normannenstraße schicke graue Wohnblocks errichten, in denen die Mitarbeiter von StasiVZ untergebracht waren. Dort kamen alle Mitarbeiter von StasiVZ in den Genuss eines überwachten Telefonanschlusses.
Das bittere Ende von StasiVZ
Im Herbst 1989 ging es mit StasiVZ bergab. Es gab kaum noch DDR-Bürger, die man für StasiVZ hätte anwerben können. Was zum Einen daran lag, dass die meisten, die für StasiVZ in Frage kamen, eh schon dabei waren. Zum Anderen waren sehr viele DDR-Bürger auf Urlaub in Ungarn, und auf Grund von Schwierigkeiten mit dem Rückreiseverkehr saßen die DDR-Urlauber in der Botschaft der BRD in Budapest fest und waren für StasiVZ nicht verfügbar.
Den in der DDR Zurückgebliebenen wurde ziemlich schnell klar, dass die vielen paarweise herumstreunenden Männer mit ihren DEDERON-Einkaufsbeuteln und die Mitarbeiter in der Normannenstraße besser etwas Sinnvolleres tun könnten, als Informationen sammeln, die sich der Erich Mielke eh nicht alle merken konnte. Denn der war 1989 bereits 82 Jahre alt und hätte längst in Pension gehört. Das fiel unter Anderem dadurch auf, dass der Erich Mielke immer wieder das Gleiche sagte: »Alles zum Wohle des Volkes.« Weil er sich aber diesen einfachen Satz nicht mehr merken und auch nicht mehr besonders gut sehen konnte, ließ er ihn überall in riesigen Buchstaben an die Häuser hängen. Da dachten sich die restlichen DDR-Bürger verwundert: »Was soll denn das? Wir sind doch das Volk!« Sie überlegten sich lustige Losungen, malten Plakate und stellten sich damit am 4. November 1989 auf den Alexanderplatz in Berlin. Das war ein sehr denkwürdiger Tag, denn zuvor hatten die DDR-Bürger ihre Losungen noch nie selbst erfunden, das machte ja immer die Partei für sie, geschweige denn Plakate selbst gemalt. Besonders erstaunlich war allerdings der Umstand, dass sich die ganzen DDR-Bürger ganz freiwillig zu einer Demonstration zusammen fanden. Auch das war bis dato nur auf Initiative der Partei vorgekommen und die Meisten versuchten, sich irgendwie um diese lästigen Winkveranstaltungen zu drücken.
Da es nun bei StasiVZ vorerst niemanden anzuwerben gab, beschlossen die Mitarbeiter in der Normannenstraße, in der frei gewordenen Arbeitszeit den Datenbestand einmal gründlich durchzusehen und veraltete Daten auszusortieren, denn man weiß ja nie. Die unwichtigen Unterlagen zerkleinerten sie sorgfältig und verpackten sie in Säcke, welche dem Recycling-System der DDR (SERO) zugeführt werden sollten, um daraus Toilettenpapier zu machen. Aber dazu kam es dann nicht mehr, denn im Zuge des ganzen Plakatemalens und »Stasi auflösen!«-Rufens hatten am 15. Januar 1990 einige DDR-Bürger beschlossen, mal persönlich in der Normannenstraße vorbeizuschauen und den Mitarbeitern beim Datensortieren über die Schulter zu schauen und notfalls ein wenig zur Hand zu gehen. Und weil sie bei der Gelegenheit auch gleich in die Tagesschau wollten, nahmen sie ein Kamera-Team der ARD und einen Ü-Wagen mit. Leider hatten die DDR-Bürger aber keine Ahnung von den Daten und wie man sie sortiert. Daher wurden viele, viele Daten zerstört und die Mitarbeiter von StasiVZ waren stocksauer.
Nach StasiVZ – Gauck / Birthler / Stasi 2.0
Nun, wo die meisten Daten schon durcheinander oder in den Abfall geraten waren, und in der ganzen DDR die Betriebe (VEB) abgewickelt wurden, beschloss man, auch StasiVZ abzuwickeln. Dazu wurde der ganze Papierkram an die Gauck-Behörde übergeben. Die Daten wurden erneut von Leuten gesichtet, die nicht wussten, was nun wichtig und was unwichtig war. Die zerkleinerten Papiere aus den Recycling-Säcken wurden in kleine Häufchen aufgeteilt und von vielen fleißigen Händen zusammen gepuzzelt. Den ehemaligen Usern von StasiVZ wurde ermöglicht, ihre eigenen Daten auf Antrag und nach einer Wartezeit von mind. 5 Jahren einzusehen. Die wichtigsten Fakten in den Akten hatten andere fleißige Helfer allerdings schwarz übermalt. Man wollte ja keinen Unfrieden heraufbeschwören, und dann gabs ja auch damals schon den Datenschutz.
Heutzutage ist aus der Gauck- die Bithler-Behörde geworden und die moderne Technik hat Einzug gehalten: Die Myriaden von Papierschnipseln werden nun mittels Scannern digitalisiert und mit spezieller Software zusammengesetzt. Vermutlich wird das Ganze im Jahre 2135 abgeschlossen sein. Dann müssen die Namen noch schwarz übermalt werden und die ehemaligen User können auch diese Akten auf Antrag einsehen.
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