Sub:Hauptbahnhof Darmstadt - Der Dichtband

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Piep, piep! Satellit!
Der nachstehende Text erweitert den Zusammenhang des Hauptartikels Darmstadt Hauptbahnhof.
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Rainer Maria Rilke - Der Sprinter

Sein Blick ist vom Vorüberziehn der Landschaft
so müd geworden, dass er fast schon fällt.
Ihm ist, als ob es tausend Felder gäbe
und hinter tausend Fenstern keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Räder,
der sich stetig über die Schienen schiebt,
ist wie eine Fahrt nach Berlin-Mitte,
die jeder Kund’ der deutschen Bahn so liebt.

Und manchmal fährt der König der Zugfahrten
lautlos vorbei–. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Lungen angespanntes Atmen–
doch fährt er nie in Darmstadt ein.

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Friedrich Schiller - Das Lied von dem Zuge

Fest gefahren auf der Schiene
Steht der Zug aus Stahl gemacht
Heute mal im Fahrplan bleiben
Wäre dies nicht eine Pracht?
Von der Stirne heiß
Rinnen muss der Schweiß
Wird’s im Fahrplan auch mal knapp
Macht manchmal auch die Lüftung schlapp

Im Bahnhof, den sie stets befahren
Knarzt aus den Lautsprechern das Wort
Gelingt’s nicht deren Sinn zu wahren
Fährt mancher Zug alleine fort
So lasst uns jetzt mit Fleiß betrachten,
Was durch Grubes Geist entspringt;
Den schlechten Mann muss man verachten,
Der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ist's ja, was den Bahnchef zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Dass er im Herzen spüret,
Was er verbockt mit seiner Hand.

Nehmet Stahl der ersten Güte
Doch recht feste lasst ihn sein
Lasst die allerkleinste Blüte
Ohne Chance im Gleisbett sein
Baut die Gleise ohne Pause
Arbeitet mit viel Gesause
Auf das sie fahren wie im Fest
Von Nord nach Süd, von Ost nach West.

Was in des Dammes Schotterpiste
Die hand mit Baggers Hilfe baut
Quer durch den Flur der Republik
Durch die er fährt mit hellem Laut
Meist dauern tut es, oftmals Tage
Summieren sich zu Fahrgast’s Wut
Die sich anschließend laut beklagen
Den Bahnchef stört’s nicht, nein, wie gut.
Was unten auf dem Steig der Gäste
Dem Pendler das Verhängnis bringt,
schert wenig seinem großen Cheffe,
Solang’s in dessen Beutel klingt.

Weißen Rauch den seh’ ich steigen
Wohl der Motor ist im Sacke
Dies will er damit sicher zeigen
So oder so ist’s ganz schön kacke
Dank der Technik fein
Wird’s nun ein Ausfall sein
Das aus dem Rauch der Schwermetalle
Der Klageruf des Fahrgasts schalle

Doch mit des Zuges Pfeifenklage
Begrüßt der Darmstadts Hauptbahnhof
Und setzt sich rasch wieder in Gange
Nur viel zu spät, dass ist schon doof
In ihm ruhen noch die Pendler
Schwarzfahrer und Bahnhofpenner
Der Schaffner ist bereits in Sorgen
Schmeisst sie raus den ganzen Morgen
Die Landschaft fliegt dahin geschwind
Doch irgendwann fliegt auch ein Rade
Es springt aus seiner Schiene aus
Landet im Wald auf einem Pfade
Der Rest des Zuges hinterher
Ist nun ein Opfer schlechter Wartung
Die Presse stürzt sich dankbar drauf
Und übt sich in des Falls Entartung
Man sieht das Wrack nun vor sich stehen
Sich einsam nach der Werkstatt sehnend
Dort steht der Arbeiter allein
Die Hände weiß, die Augen tränend
Und zeigt mit zittern in den Fingern
Das Leere seinen Plan beglückt
Und das dank chronisch leerer Kassen
Der Zug nie seine Werkstatt schmückt
Nun kommt die Sehnsucht, kommt das Hoffen,
Auf Reaktion, auf Mut und Fleiß,
Der Bahnchef lässt sich dies erst offen,
und erhöht als Reaktion den Preis;
Ansonsten bleibt sie wie sie ist
Die schöne Welt der teuren Züge!

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Heinrich Heine - Die hessischen Lokführer

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen im Führerstand und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir befahren dein Schienennetz,
Werden von Bahnhof zu Bahnhof gehetzt –

Wir streiken, wir streiken!

Ein Fluch dem Fahrgast, der die Bahn betreten
Bei Winterkälte und Hitzenöten,
Wir haben’s vergebens verlangt und geharrt:
Eine Klimatisierung, die bleibt ihm erspart -

Wir streiken, wir streiken!

Ein Fluch dem Bahnchef, Herr über die Weichen,
Lässt uns gerne mal von der Lohnliste streichen,
Der den letzten Cent in der Tasche behält,
Und uns bezahlt zu wenig Geld

Wir streiken, wir streiken!

Ein Fluch dem abgeschafften Bahnmonopol
Der private Konkurrenten ins Land geholt,
Wo jeder Lohn zahlt wie er mag,
Wir fordern den Branchentarifvertrag

Wir streiken, wir streiken!

Der Bahnhof voll, das Wetter heiß,
Der Zug steht still auf seinem Gleis.
Bahndeutschland, wir befahren Dein Schienennetz,
Werden von Bahnhof zu Bahnhof gehetzt

Wir streiken, wir streiken!


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Theodor Fontane - John Mehdorn

John Mehdorn!
"Wer ist John Mehdorn?"
"John Mehdorn war unser Führersmann,
aushielt er, bis er Land gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron',
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Mehdorn."

Der Regio fliegt über den Schienenstrang,
Staub tobt um die Lok, die Strecke entlang;
von Köln rast sie nach Darmesstadt -
die Herzen aber sind dröge und platt,
und die Passagiere mit Kindern und Fraun
im Dämmerlicht dösend, den Bahnhof nicht schaun,
und plaudernd tritt an John Mehdorn heran,
der Schaffner: "Wie weit noch, Führersmann?"
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
"Noch dreißig Minuten ... oder Stund."

Alle Menschen dösen, alle Menschen penn' ein -
da klingt's aus dem Kloraum her wie Schrei,
"Klopapier!" war es, was da klang,
ein Gestank in Kajüt und Luke drang,
ein Knall, dann Flammen flackern matt,
und noch zwanzig Minuten bis Darmesstadt.

Und die Passagiere, leicht versengt,
am Einstieg stehn sie zusammengedrängt,
am Einstieg vorn ist noch Luft und Licht,
am Steuer aber da müffelts sich´s dicht,
und ein Jammern wird laut: "Wann endet dat?" "Wat?"
Und noch fünfzehn Minuten bis Darmesstadt. -

Der Zugwind wächst, doch die Dunstwolke steht,
der Schaffner nach dem Steuer späht,
er sieht nicht mehr seinen Führersmann,
aber durchs Mikro fragt er an:
"Noch da, John Mehdorn?"
"Ja,Ja,ich bin, nur mein Geruch,
der ist nun hin!"

"Auf den Bahnhof! In die Halle!"
"Ich fahr ja schon hin."
Und das Bahnvolk jubelt: "Halt aus! Wir sehen die Stadt!"
Und noch zehn Minuten bis Darmesstadt - -

"Noch da, John Mehdorn?" Und Antwort schallt's
mit ersterbender Stimme: "Ja, Herr, ich halt's!"
Und in den Bahnhof, aus Mörtel, aus Stein,
jagt er den Regio mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so ist sie sehr platt,
Die Lüftung im Bahnhof von Darmesstadt!

Der Zug geborsten. Der Geruch verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!

Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell'n
himmelan aus Kirchen und Kapell'n,
ein Klingen und Läuten, sonst schweigt Darmesstadt,
ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
und kein Aug' im Tross, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
mit Blumen schließen sie das Grab,
und mit goldner Schrift in den Marmorstein
schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

"Hier ruht John Mehdorn! In Furz und Stank
hielt er das Steuer und wurd krank,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Mehdorn."

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Johann Wolfgang von Goethe - Bahnsteigspaziergang

Von Grünzeug befreit sind Bahnsteig und Gleise
Durch des Giftes starken, tötenden Tau,
Im Gleisbett strahlt das Schottergrau;
Die penetrante Natur, mit all ihrer Aufdringlichkeit,
wurde mal wieder ausgerottet.
Hier und da, vereinzelt, und stumm
Liegen noch tote Reste
Von Unkraut zwischen den Schwellen herum.
Aber die Sonne findet nichts grünes,
Überall vertrocknen Stengel und Blätter,
Alles soll zu grauem Staub zerfallen;
Doch an Böen fehlt´s zwischen den Weichen,
So nimmt der Fahrtwind hinfort die Leichen.
Kehre dich um, vom Bahnsteig
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finster´n Tor
Lugt sauberer Stein und Beton hervor.
Jeder reinigt heute so gern.
Unkraut in Pflasterfugen ist uns so fern,
Das woll´n wir alle nicht mehr haben:
Moos auf niedriger Häuser Dächern,
Löwenzahn in Asphaltspalten,
Birken in tropfenden Regenrinnen,
An den Leitplanken Büsche und Sträucher,
Verkehrsinseln mit meterhohem Gras
Viele Arbeiter bekämpfen all das.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Wege und Dämme zerschlägt,
Wie das Ufer in Breit und Länge
Der kreischenden Motorsense erliegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich der letzte Bauhof-LKW.
Selbst auf der freien Strecke langen Gleisen
Geht der Grünschnitt zügig voran.
Lange noch höre ich der Mäher Gesumme,
Hier ist des Volkes wahre Wonne,
Zufrieden jauchzet ob behaart oder kahl:
Hier bin ich! Und die scheiß Natur kann mich mal!


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