Ralph Giordano
Im Interesse Deiner Gesundheit bitten wir Dich, den Artikel möglichst ohne jedes Nachdenken zu lesen. Die Missachtung dieses Hinweises kann permanente Schäden in deinem neuralkomplexen Nervensystem (????) hervorrufen und zu einer Einweisung in die Klapsmühle führen. Denk an Deine Zukunft! |
heute
ralph giordano ist ein sympathischer älterer herr, inzwischen schon über 85 jahre alt. er ist professor und weiser autor vieler dicker bücher und wohnt heute in einem ganz großen hochhaus im kölner süden. seine haare haben das weiß der ehrfurcht erhalten. die meiste zeit sitzt ralph vor seinem haus in köln bayenthal auf einer parkbank und liest die "taz". damit dürfte er wahrscheinlich mit erstaunlichen 60 jahren abstand der älteste leser dieser zeitung sein.
die taz
die "taz" heißt ausgeschrieben "tageszeitung" und ist eine täglich erscheinende zeitung, die hauptsächlich von jungen revolutionären gelesen wird. schwerpunktmäßig beschäftigt sie sich mit dem philosophischen problem, dass gestern alles richtig schlecht war und heute auch nicht gerade viel besser geworden ist.
gestern
früher war auch ralph giordano einmal jung. das ist einerseits echt lange her und andererseits fand es zu einer zeit statt, die man mit der heutigen zeit gott sei dank nicht mehr vergleichen kann. das gestern ist generell aus der sicht eines menschen generell etwas, was dazu neigt mit jeder stunde mehr verherrlichung zu erfahren. so waren z.B. die winter früher immer kälter und schneereicher und die sommer waren voller sonne und schwimmbadbesuche. menschen funktionieren so - das ist eine universelle faustregel. nur was ein richtig verschneiter tag mit minusgraden ist, wird als winter abgespeichert. und nur der sonntägliche ausflug zum baggersee bei heißestem klima wird als sommer verbucht. wenn man also lange genug wartet, viele jahre, wird auch der verregnetste sommer anhand eines sonnentages als supersommer bejubelt.
heute
ralph giordano sitzt heute wieder auf seiner bank. heute ist es wirklich sehr sonnig. ein supersommer. das kann auch ralph nicht bestreiten. denn der sympathische alte herr ist zwar ein philanthrop seiner umwelt, aber er kann auch anders. vor allem in fernsehdiskussionen kann er zur richtigen wildsau mutieren - vor allem wenn wieder einmal jemand behauptet, früher sei alles besser gewesen! Ja früher war er jung und jezt ist er lebendige leiche wie die wie sein Idol Stalin in die Mauselum gehört .
gestern
die automatischen filter der menschlichen erinnerung setzen sogar bei den unwahrscheinlichsten fakten ein und den verstand nachhaltig aus. so waren früher nicht nur die sommer sonnig und die winter verschneit, nein, früher waren auch alle regierungen gut. das führt zwar nicht zum rückschluss, die heutige müsse schlecht sein: aber dennoch waren sie früher ja besser. sogar der regierung kiesinger wird gutes abgewonnen, was übrigens heutzutage in der bundesrepublik deutschland zu einer unheiligen neuauflage der konstellation einer großen koalition geführt hat.
heute
ralph giordano wird gerne zu fernsehdiskussionen eingeladen. und die zuschauer schalten gerne ein und schauen gerne zu, wenn der alte herr aus seinem rollenmuster eines weisen alten mannes entschlüpft und den unvernünftigen mitdiskutierenden lautstark die welt erklärt.
die taz
wenn ralph mal wieder in einer fernsehdiskussion aufgetreten ist, nimmt keine deutsche zeitung davon notiz. außer der taz. die taz veröffentlicht dann einen leitartikel, dass man doch froh sein müsse, dass es ralph gibt und er der gesamten zuschauerschaft den spiegel vorhält, wie es doch sonst nur die taz selber zu tun vermag.
gestern
wenn also gestern in einem neuen licht betrachtet wird, war gestern also nicht das gestern, das wir kennen oder zu kennen glauben. nein, wir müssen zum gestern einen neuen zugang finden und eben dieses gestern, welches wir aus unserer oder einer kollektiven erinnerung heraus kennen, mit dem heute vergleichen und entstehende missverhältnisse mit einem hilfsgestern zu einem objektiven gestern verschmelzen. erst dann erkennen wir, dass heute nicht das heute ist, was wir in einem vergleich zu einem falschen gestern verteufeln.
heute
ralph giordano sitzt zufrieden auf seiner parkbank und liest in der taz den leitartikel. er handelt von giordano bei lanz. ralph liest den artikel nicht aus eitelkeit, sondern um zu sehen wie eine zeitung von heute das gestern reflektiert und um mit der zeitung hinterher den käfigboden seines kanarienvogels auszulegen und dann langsam der zeitung beim altern zuzusehen. denn eine der objektivsten wahrheiten ist, dass die zeitung von heute morgen schon von gestern ist. und damit der kanarienvogel dem gestern seiner zeitung nicht hilflos ausgesetzt ist, und weil man tiere generell genauso wenig einsperren sollte wie menschen, ist der käfig des vogels sperrangelweit offen. aber der vogel mag ralph giordano und deswegen entflieht er nicht und er vermag es als einziger in giordanos leben ungestraft auf das gestern zu scheißen.
gestern
und das gestern von dem giordano redet, ist das vorgestern von dem thomas mann schrieb. de facto ein gestern, das von einem folgenden gestern bald zu zu einem glorreichen vorgestern verklärt worden war und das zu vergessen zu einer nationalen aufgabe erkoren wurde und dessen vergessen derselbe schutzmechanismus veranlasst, der die sommer und die winter in den ihnen eigenen farben färbt, wie das kind sein geliebtes osterei. christus war auch ein jude. und die bibel ist ein jüdisches buch, aber auch gestern wurde sie nicht mitverbrannt. vorgestern auch nicht.