Stupidedia:Adventskalender 2012/20

Aus Stupidedia, der sinnfreien Enzyklopädie!
Wechseln zu: Navigation, Suche
Unser Taxifahrer

Wie feiert eigentlich eine typische süddeutsche Familie Weihnachten?

Um diese Frage zu klären, haben wir vom Stupidedia-Adventskalender uns diesmal in den undeutlich sprechenden unteren Teil unseres schönen Landes begeben von dem wir der Meinung sind, dass traditionell-christliche Werte noch eher hoch gehalten werden als anderswo. In einer mittelgroßen Stadt südlich von Stuttgart, wo die Menschen, wie wir vermuten, sehr wahrscheinlich am Sonntag noch in die Kirche gehen, betreten wir den zweckmäßig gestalteten Verkaufsraum der Landmetzgerei Metzger und fragen hier gleich nach dem Ausklingen der Türglocke nach den traditionellen Weihnachtsbräuchen in der Schlachterfamilie. Freimütig erzählt man uns von Salamisternen, Gutsleberwurst-Glöckchen, Teewurstkugeln und Mortadella-Engeln am Baum, der außerdem noch mit einer Pfefferbeißerkette und kleinen Speckringwürsten geschmückt wird. Als Spitze dient ein kleiner Nußschinken. Zum Fest gibt es Hackbraten, nachmittags einen Fleischkuchen mit Aspik und abends Schnitzelpizza, belegt mit Paprika- und Champignonpastete, mit Bauchspeck überbacken und dazu etwas Bockwurstgemüse in Schweineschmalz. Wir fragen nach, ob der heilige Abend für den Kirchenbesuch genutzt wird und bekommen Ausreden in Richtung: „...zu viel Arbeit, keine Zeit, schaffe schaffe...“ und ähnliches zu hören. Uns beschleicht der Gedanke, dass diese Familie nicht sonderlich exemplarisch für die Region ist. Falls wir alles richtig verstanden haben, leiden diese armen Menschen unter einer ziemlich abwechslungsreichen und reichhaltigen Mangelernährung, geben sich allerdings viel Mühe bei der Baumdekoration. Wir verabschieden uns höflich bei den massiven Tierveredlern, lassen uns ein Fleischkäsweckle (oder so ähnlich) geben und verlassen kauend das Geschäft.

Ein paar Häuser weiter, in der Bäckerei Müller, sieht es sehr weihnachtlich aus. Hier ist der ganze Laden mit dem üblichen Dekoschrott zugemüllt: Weihnachtsmannattrappen aus mit Stoffresten überzogenen Styroporelementen, angestaubter Grünschnitt mit vertrockneten Obstscheiben, alten Nüssen und Rindenmulch im Fenster, dazwischen überall verschiedenfarbige Paraffinstäbe verteilt, deren nicht mehr ganz so weiße Dochte beschämt zu Boden schauen. in paar Strohsterne runden das feierliche Ambiente ab. Dazu gibt es lauter saisonale Köstlichkeiten, wie z.B. Weihnachtseier, die sonst (außer zu Ostern) als Partyeier angeboten werden. Außerdem liegen überdimensionale Lebkuchenengel und Rentierplätzchen in der Auslage. Wir fragen die Dame hinter dem Verkaufstresen, welche Unterschiede und Reize die Weihnachtszeit ihr im Job im Gegensatz zur übrigen Zeit des Jahres bietet. Sie sagt sinngemäß so etwas, wie: „Ich muss den Laden öfter wischen, wegen dem ganzen Matsch.“ Und zum Angebot: „Die bringen das Zeug gefroren her. Was es ist kann man erst erkennen, wenn man die Verpackung aufgerissen hat. Was die Leute nicht kaufen, holt abends der Chef mit den Einnahmen zusammen ab.“ Wir fragen sie, ob sie an Heiligabend in die Kirche geht. Sie schaut uns kurz verwundert an und erklärt uns dann, dass ihr Mann damit sicher nicht einverstanden wäre, weil er Moslem ist. Jetzt sind wir es, die verwundert schauen. Mit einer Tüte Krapfen (Nein, nicht Karpfen - Krapfen, also so etwas ähnliches wie Quarkbällchen!), die zu fünft schon für 1,99 € mit uns mit dürfen, treten wir wieder auf die mit Leuchtelementen geschmückte Einkaufspassage. Es dämmert langsam.

Wir beschließen in der Kirche nachzufragen. Schließlich muss ja der Pfarrer seine Schäfchen kennen. Dank der trotz miserabler Mobilfunkabdeckung heruntergeladenen Kirchenfinder APP und eines überaus hilfsbereiten Taxifahrers betreten wir keine eineinhalb Stunden später das Gotteshaus. Unerwarteter Weise ist es hier brechend voll. Wir sind offenbar direkt in eine Abendandacht geraten. Als wir noch überlegen, ob wir bis zum Schluss warten sollen, um den Mann Gottes (Das ist jetzt nicht so homomäßig gemeint, wie es klingt. Gott kann schließlich auch eine Frau sein.) zu interviewen, merken wir, dass wir kein einziges Wort verstehen. Ist das Latein? Oder Italienisch? Oder Portugiesisch mit russisch gemischt? Nein. Es ist dieselbe Sprache, die unser Taxifahrer gerade während der Fahrt am Telefon gesprochen hatte. Es ist Rumänisch.

Wir sind verwirrt. Wir haben einer einfachen Frage auf den Grund gehen wollen. Doch jetzt ist unser Fahrgeld aufgebraucht, der Tag neigt sich dem Ende zu und wir sind der Beantwortung kaum näher gekommen.
Versuchen wir dennoch eine Art Fazit!
In Baden-Württemberg sind die Kirchen noch voll. Das Klischee, dass das Hochdeutsche dort eine Seltenheit ist, kann bestätigt werden. Der Süden ist schlecht vernetzt, und zwar verkehrs- sowie auch mobilfunktechnisch. Trotzdem kommt man mit Geduld ans Ziel. Traditionen werden nicht hinterfragt, sondern gelebt, so grotesk sie einem auch vorkommen mögen. Die typische süddeutsche Familie bleibt ein Mythos.

Wir wünschen allen, die vor, während und nach allen möglichen Feiertagen dafür sorgen, dass andere ihren Traditionen folgen können, eine tolle Zeit. Und dem Taxifahrer, der nicht auf uns gewartet hat, wünschen wir, dass er demnächst mal im stürmischen Eisregen einen Reifen wechseln muss. Oder auch zwei!


Linktipps: Faditiva und 3DPresso