Stupidedia:Adventskalender 2015/20

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Als Peter Ulfkotten den vierten Advent in eine Sporttasche steckte und damit nach Bad Wildungen zur Kur verreiste

Praktisch verschwunden: der 20. Dezember
Heute ist Freitag der 13. Naja, also heute ist Sonntag der 20., der vierte Advent, doch diesen Tag gibt es leider nicht mehr und das kam so. Die Geschichte beginnt bei Peter Ulfkotten, einem berühmten Kalendologen aus Halle. Für ein Forschungsprojekt mit drei Weisen aus dem Morgenland, bei dem es um die Untersuchung eines sternförmigen Kometen ging, der von 40 v. Chr. bis 33. n. Chr. quasi unverändert in der Erdumlaufbahn hing, beschloss er, Tag für Tag des antiken Kalenders zu untersuchen, um herauszufinden, ob die Zeit damals wirklich langsamer verging und nicht etwa doch zwischen Perioden des Stillstands und der Schnelllebigkeit hin- und herwechselte, zumal Historiker bereits festgestellt hatten, dass die Todesfälle durch Herzrasen in der Mitte des ersten Jahrhunderts zunahmen.
„Elfriede...?“

Damit wollte er vor allem die Forscher widerlegen, die der Antike eine Statik unterstellten und eine stringente Neufassung der Multidimensionalität bei Festtagsquanten entwickeln, die sich durch das viele Gänsebratenessen schwerfälliger als sonst bewegen. Die Negativstudie von Karsten Ramadan und die Experimente Michael Schrödingers dienten hier als Vorbild. Schrödinger hatte die Zeitverlangsamung an Festtagen mit Verwandtenbesuch in Verbindung gebracht. In einem Experiment löste er endlose Diskussionen mit Familienmitgliedern aus, als er eine tote Katze unter den Weihnachtsbaum legte. Zuvor lief Schrödingers Weihnachten relativ gleichförmig ab. Nach dem Lichterkettensezieren, bei dem Michael hackestramm aus der Wohnstube schrie „Elfriede, hat der Kater wieder an die Tanne geseicht?“ kamen die Kinder mit dem entnervten Onkel von der Beschäftigungstherapie und lernten noch schnell den Leoncavallo auswendig, den sie beim Krippenspiel pianissimo in ihre autoreifenähnlichen Daunenjacken murmelten.

Ulfkotten hatte sich vorgenommen, niemals derartig Privates in seine Forschung einfließen zu lassen und doch geschah es. Er hatte sich den originalen 20. Dezember, der zufällig auf den vierten Advent gefallen war, aus dem Zeitraum seines Instituts bringen lassen und Stunde um Stunde zerlegt. Als er ihn gerade geöffnet und alle vier Kerzen herausgenommen hatte, klingelte sein eiförmiger Scharadewecker, mit einem markdurchdringenden Schrillen: 18.00 Uhr, Feierabend. Ulfkotten hätte gern noch Überstunden gemacht, aber er durfte nicht mehr als drei Tage am Stück arbeiten und hatte Angst vor dem vorwurfsvollen Blick des beleibten Pförtners, der unter dem Lochkartenkasten auf seinem Melkschemel Busenhefte studierte und dabei ab und an misslaunig über deren Rand die Leute ausspähte.

Was? Nein, So sollte das alles gar nicht sein!

Natürlich saß Ulfkotten ständig die Zeit im Nacken. Er rechnete. Es war der 18. Dezember und nun kam ein Wochenende. Wenn er den 20. Dezember nicht wieder rechtzeitig zusammensetzte, wären seine Forschungen spätestens am darauffolgenden Montag nicht mehr zeitgemäß und dann wäre ja auch schon am Donnerstag Weihnachten. Bei einem Blick auf seinen Terminkalender hatte er gar nicht bemerkt, wie ihm die Zeit davonlief. Der unmögliche erste April war schon wieder von der Werkbank gesprungen, hatte ein Tintenfass umgestoßen und jetzt war das ganze Institut voller Zeitstempel. Doch davon abgesehen, hatte ihm sein Chef für die nächsten sechs Wochen Erholungsurlaub eingetragen.

Ulfkotten wurde nervös, 18:05 Uhr, mit Schweiß auf der Stirn beobachtete er den Wecker. Schließlich sah er keinen anderen Ausweg mehr. Unter hastigem Umsehen packte er die Einzelteile des 20. Dezembers in eine Sporttasche. Er wollte ihn zu Hause abschließen und dann am Samstagabend unbemerkt ins Institut zurückbringen, denn am Pförtner konnte er den 20. wohl kaum vorbeigehen lassen. Am Ausgang verhielt er sich schrecklich unbeholfen, begegnete den schweinischen Witzen des Lochkartenaufsehers mit einem kopfschüttelnden, falschen Lachen und ging dann unnötig geheimniskrämerisch zu seinem Wagen. Dem Pförtner war indes gar nichts weiter aufgefallen, als dass Ulfkotten eine recht lange Sporttasche dabei hatte.

Eine geräumige Sporttasche wurde der Vorweihnachtszeit zum Verhängnis.

Wie das immer so ist mit den guten Vorsätzen für das neue Jahr, sie geraten schnell in Vergessenheit. Bei Ulfkottens herrschte zum Schluss des Jahres immer eine gewisse Endzeitstimmung. Rechnungen mussten bezahlt, Versicherungen, die zu Verunsicherungen geworden waren gekündigt und die Lohnsteuer gemacht werden. Dann musste Peter noch zum Friseur, zum Bäcker und in den Supermarkt, um sich für die kommenden Festtage vorzubereiten wie auf einen nahen Atomkrieg. Schließlich klemmte auch noch das Türchen an seinem Häuschen, sodass der Schlüsselchendienst kommen musste und ehe sichs Ulfkotten versah, war der Samstag auch schon wieder herum. Er hatte derweil völlig die Zeit vergessen und als er merkte, dass schon wieder Montag war, warf er schnell einige Unterhosen und Bademäntel für einen mehrwöchigen Aufenthalt in seiner Kurklinik zusammen und verreiste.

Den vierten Advent hatte Ulfkotten zwischen all den vielen Behandlungen nun völlig vergessen. Erst auf der Heimfahrt im Zug, wo ein altes Ehepaar gerade seine nächste Türkeireise plante und die Frau sagte „Hinflug nicht um 16:00 Uhr, da fehlt uns ein ganzer Tag“, fiel es ihm wieder ein und als er ihm am 28. Januar im Doppelboden seiner Pak Multibag wiederfand, war der vierte Advent ganz zerknüllt und voller Haarrisse im Raum-Zeit-Kontinuum. „Jetzt wollte den keiner mehr haben“, so Ulfkotten, „der war ja schon sechs Wochen alt.“ Dennoch probierte er zum Ende des Folgejahres eine Schadensbegrenzung und versuchte, den 20. Dezember wieder in den Kalender einzubauen. Allein, er konnte den vierten Advent nicht an einem bestimmten Datum festmachen, sodass sich der 20. Dezember schließlich losriss und eine wilde 13 durch den Park jagte. Mit bemitleidenswertem Blick und einem schweren Seufzer macht sich Ulfkotten auf die Suche nach dem Datum, doch als er den 20. Dezember wiederfand, hatte dieser mehrere Stunden verloren und zitterte fiebrig unter einem Busch. „Du bist ja viel zu warm für diese Jahreszeit“ soll Ulfkotten nach schockiertem Handauflegen gesagt und den 20. Dezember anschließend anonym in der Notaufnahme für Kalendertage abgegeben haben. Dort erkannten die Doktoren, wie wenig Zeit ihnen bleibt und begannen sofort Notmaßnahmen für trübe Tage einzuleiten, mussten jedoch am 01. Februar um 15:20 Uhr nachmittags feststellen, dass sie ihn verloren hatten.

Soweit liegen die Aussagen der Pflichtverteidiger Ulfkottens vor. Ab diesem Punkt lässt sich die Geschichte nur noch aus dem Protokoll des Justizvollzugsbeamten Max Bahr rekonstruieren, eines echten Bauriesen.

...und plötzlich musste es schnell gehen
  • 20.12.2004, Montag 11:00 Uhr Am Morgen des vierten Advents gehen viele Panikanrufe besorgter Ehefrauen in örtlichen Polizeistationen ein. Schlaftrunkene Familienväter wurden von wütenden Anrufen ihrer Chefs geweckt, weil sie nicht pünktlich zur Arbeit erschienen waren. Mütter laufen panisch mit Adventskränzen im Haus umher, Kinder weinen vor Wut. In mehreren deutschen Vorstädten brennen die Adventskalender.
  • 22.12.2004 Dienstag 09:00 Uhr Die Bundespost nimmt den Lieferbetrieb nur sporadisch wieder auf, noch sind 386.005 Klagen wegen ausgebliebener Paketlieferungen am Montagmorgen offen. Zwei Postboten aus Gütersloh werden nach stehengebliebenen Organtransporten im Eilverfahren dazu verklagt, zwei menschliche Lebern und ein Herz aufzutreiben.
  • 22.12.2004 Dienstag 13:00 Uhr Massenentlassungen bei der Bahn, viele Lokführer waren mit Blick auf den Wochenendfahrplan zu Hause geblieben, 20 deutsche Autobahnen mussten gesperrt werden, weil die Sonntagsfahrer darauf angefangen hatten, orientierungslos im Kreis zu fahren.
  • 23.12.2004 Mittwoch 06:00 Uhr GDL-Streik wegen Massenentlassungen bei der Bahn. Die meisten Sonntagsfahrer wurden inzwischen aus ihren Cabrios evakuiert und sind mit dem ICE auf den Weg in die Notaufnahme.
  • 23.12.2004 Mittwoch 18:17 Uhr Zwei Postboten aus Gütersloh wegen versuchten Mordes festgenommen.
  • 24.12.2004 Donnerstag 07:04 Uhr In einem Zuchtbetrieb in Bad Oyenhausen nutzen Aktivisten die allgemeine Verwirrung, um Schlachtgänse freizulassen. Als Kopf der Aktivistenbande identifizierte das Wachpersonal den flüchtigen Schweden N. Holgersson.
  • 24.12.2004 Donnerstag 09:15 Uhr Mehrere Rentiere aus dem Duisburger Zoo verschwinden.
  • 24.12.2004 Donnerstag 15:37 Uhr Großes Rentierfestessen in Bad Oyenhausen.
    Was hätte daraus alles werden können? Mit großer Sicherheit gar nichts
  • 24.12.2004 Donnerstag 17:28 Uhr Razzia in Hannover. Zwei Sechsjährige haben den niedersächsischen Weihnachtsmann gewaltsam entführt und unter Keks- und Milchboarding zur Preisgabe von Details über den verschwundenen Adventstag gezwungen. Einer davon soll der Vorschüler Luca aus Neustadt am Rübenberge sein, der nach eigenen Angaben ein schönes Bild für seine Mutter nicht rechtzeitig fertig malen konnte. Die Polizei hat das Bild beschlagnahmt, es sind darauf ein Einfamilienhaus, eine halbmondförmige Sonne und ein lachender Fisch zu sehen, der durch die Luft fliegt. Kunstkritiker bewerteten das Bild als:
    nicht schön.
  • 25.12.2004 Freitag 12:58 Uhr Überfüllte Restaurants nach der Gänseteuerung . Ein Berliner Chinaimbiss verspricht den deutschen Markt in kürzester Zeit mit „Enten“ zu beliefern.
  • 26.12.2004 Samstag 01.00 Uhr erste katholische Pfarrer brechen nach 24stündiger Mitternachtsmesse erschöpft zusammen. Niemand hatte die automatischen Turmglocken umgestellt.
  • 26.12.2004 Samstag 11.09 Uhr Seuchenschutzamt Berlin warnt: „Enten“ waren keine Enten.
  • 26.10.2005 Mittwoch 09:00 Uhr Eine Untersuchungskommission im Fall Ulfkotten nimmt seine Arbeit auf. Kalendologen lösen das entstandene Zeitproblem dadurch, dass sie dem Februar einen Tag gutschreiben, was künftig alle vier Jahre wiederholt werden soll, damit die Adventszeit ungestört fortgesetzt werden kann. Der Bundesgerichtshof verurteilt Ulfkotten zeitnah zu einer Zahlung von 12 wertvollen Kindheitserinnerungen, abzuleisten in 12 Lebenslaufreferenzen zu 140 Sozialstunden. Ulfkotten und seine Pflichtverteidiger Dascher, Danzer und Wichsen legen Berufung ein.
  • 03.12.2015 Donnerstag 12:00 Uhr Der kleine Björn aus der Erfurter Krabbelgruppe Dreckspatzen hustet seiner Erzieherin, der drallen Astrid, zwei Duplobausteine in den Schoß. Einer trägt die Aufschrift 2, der andere 0. Ein kurioser Zufall? Vermutlich.
  • 13.12. 2015 Freitag (Sonntag) 14:00 Uhr Kai Uwe Weihnachtsmann von der Weihnachtsmanngewerkschaft Köln wird in einem schmutzigen Hinterzimmer der Kripo verhört. Er soll schon vor dem 24.12.2004 einen Hinweis auf den fehlenden Adventstag erhalten und aus Tarifzwängen keine frühzeitigen Maßnahmen zur Geschenkvergabe eingeleitet haben.
    Tja, da kann man wohl nichts machen
    Ein gewisser Josef, frustrierter Ehemann und Tischler aus Israel mit untergeschobenem Sohn, soll der Informant gewesen sein.

Nachdem der Fall Ulfkotten einige Zeit in den Medien herumgeisterte, entschloss sich der Kalendologe im Einspruchverfahren schließlich zu den nachweisbaren Anklagepunkten Entharmonisierung der Adventszeit und Verfremdung abendländischer Kulturdynamiken Stellung zu nehmen. Er wollte damit einem Antrag des Staatsanwalts zuvorkommen, der ihn beim Schlussplädoyer mundlos machen sollte. An einem denkwürdigen Datum, den ehemaligen 20. Dezember, heute 21. Dezember gab Ulfkotten zu Protokoll, dass er über die hinter ihm liegende Zeit nichts weiter sagen konnte, als dass er nicht er der eigentlich Schuldige am Verlust des 20. Dezember war, sondern das ganze eben einfach so passiert sei. Wenn man überhaupt jemandem die Schuld geben könnte, dann Timo Glimm, einem befreundeten Vogelzüchter und Pfaumann aus Rudolstadt, der die Selbstbeteiligung für seine Kur in Bad Wildungen bezahlt hat. Doch der war mittlerweile untergetaucht, damit musste das Gericht wohl leben.

Noch am gleichen Tag fiel das Urteil im Fall Ulfkotten. Er wurde in allen genannten Punkten zu einer Haftstrafe von 9125 zwanzigsten Dezembern verurteilt. Der Staatsanwalt verlas ein vernichtendes Plädoyer: ein Millionenschaden für die Wirtschaft, zwölf Tote durch falsche Festtagsbraten oder „Enten“ wie die Journalisten sagen, mehrere verschwundene Rentiere und ein nicht zu Ende gemaltes Wachsmalfarbenpanorama eines mittlerweile traumatisierten Niedersachsen standen im Raum, nicht zu vergessen der hohe ideelle Schaden, den Ulfkotten durch sein viel zu wörtlich genommenes „Carpe diem“ dem ganzen Jahr zugefügt hat. Leute, die damals noch Kinder waren, sind heute schon junge Erwachsene. Nichts kann ihnen diese verlorene Zeit wiederbringen. Ulfkotten senkte beschämt sein Haupt. Bei ihm wird es diese Weihnachten bestimmt keine Geschenke geben. Und für alle, die davon arg zu enttäuscht sind: Morgen ist ja auch noch ein Tag.


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