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Goodbye Deutschland! Die Auswanderer

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Bei "Goodbye Deutschland! Die Auswanderer" des ehemaligen Nachrichtensenders und jetzigen 0815-Fernsehladens VOX, der sonst von anderen Anstalten bereits rauf- und runtergespielte Formate abzutragen hat, handelt es sich nicht um eine reine Dokumentation. Sicher buhlt man mit deren Authentizität und Seriosität wie ein kleines Kind mit charmanten Zahnlücken um ein Eis, doch geht man auf Nummer Sicher und belebt vor allem das bisher dort unterbesetzte Sitcom-Genre: Meist sieht man herumsitzende, ratlose Menschen, die unfreiwillig komisch wirken.

Konzeption

So wie bereits in vergangenen Jahrhunderten Reiseliteratur bei der Bevölkerung extrem beliebt war, befasst man sich heute gern mit den Themen "Auswanderung und Fernweh" und kann sich des Zuschauerzuspruchs sicher sein. Dabei macht man sich zunutze, dass sich die zu- und abgehenden Menschenströme in Mitteleuropa neu dimensionieren. Noch nie war Auswandern als alternative Freizeitbeschäftigung attraktiver! Früher stellte man Wirtschaftsflüchtlinge vor allem in der Einreisstatistik fest. Heute gibt es aber immer mehr Landsleute, die im Ausland ihr Glück versuchen und dafür sogar ihren statistisch gesicherten Job aufgeben. Die Helden heutiger Dokumentationen eint, dass sie alltäglicher, aber eben auch mutiger als frühere Vorbilder geworden sind. Es sind nicht mehr millionenschwere Steuerflüchtlinge, die mit schwarzen Koffern zwischen den Beinen auf der hinteren Sitzbank einer Cessna durch den Busch geflogen werden. Die braungebrannten, todesmutigen Kerle, die sich selbst ihre Wunden zunähen und am Abgrund hängend mit dem anderen Arm noch eine Jungfrau retten, sind ausgestorben. Mit diesen Resten an verträumter Vorstellung über die Auswanderung und ihren Umständen räumt die Sendung gnadenlos auf. Heute aber kommen die Ausreisenden nur mit einem ersparten Handgeld ohne Schutzimpfung aus einem kaum klimatisierten Billigflieger, mit schlechtem Englisch und noch schlechteren Zukunftsaussichten!

Nebenbei bleibt verwunderlich, dass die Begleiteten dann regelmäßig überraschter als jeder Zuschauer sind, dass es nach drei Wochen Ausland doch nicht mit dem Aufbau einer neuen Existenz geklappt hat. So manifestiert sich das heutige Trash-TV: es wird einfach nichts mehr weggeworfen.

Psychologische Tiefe

Was "Goodbye Deutschland" von so vielen schwach (intellektuell) budgetierten Sendungen unterscheidet, diese aber auch für den anfangs unmotivertesten Fernbedienungs-Jongleur so beudeutsam macht, ist ihre psychologische Tiefe. Es wird nämlich immer dann bewegend, mitreißend, unterhaltsam und deswegen bei Nachahmungsversuchen auch so gefährlich, wenn Träume wahr werden. Wer wünscht sich nicht, aus seinen sprichwörtlichen vier Wänden auszubrechen, der täglichen Frohnarbeit zu entsagen und endlich "etwas" zu erreichen, wo man doch das Potenzial "dazu" in sich schon lange schlummern, klagen oder gar bellen hörte? Gern möchte man in den propagierten Chorus einstimmen: Endlich raus aus Hartz IV - wir hauen ab!

Neidisch erblickt man ausgesuchte Dummies, die vor atemberaubende Kulissen gesetzt werden, während unmenschlicher Anstrengungen, am vermeintlichen Traumort Fuß zu fassen. Daneben gibt es noch nervige Teenies, blökende Babies und verblödete Sechstklässler, die schon mit der deutschen Sprache kaum zurande gekommen waren. Beziehungskonflikte brechen auf wie die offenen Beine der 70jährigen Oma. Sie erhält von dem fernen Land Postkarten, die zunächst von Glück und Seinfindung strotzen - "Liebe Omi, alles ganz ganz toll - wir müssen uns nur noch zurechtfinden." Damit wird unbewusst der allergrößte Teil des neuen Daseins verniedlicht, fast unterschlagen, als handelte es sich beim "Zurechtfinden" um einen Zahnarztbesuch, der unweigerlich kommen wird.

Selbstverwirklichung

Unvermittelt wird auch der hartgesottene und -gebliebene Nichtwiederheimkehrer, der seit drei Jahren unter Brücken schläft, nichts anderes behaupten. Schließlich ist man ja gerade erst angekommen. Schließlich ist es ja eine Ferieninsel, auf der man nicht urlaubt. Und diese exotische Wärme kann man nun endlich anders als früher professionell konsumieren! Man ist immer noch in dieser Aufbruch-Physiognomie wie ein schockgefrorener Fisch gefangen. Als dankbares Opfer der Gezeiten des Lebens ist man eben keine gestrandete Existenz, sondern der Hauptdarsteller eines Perpetuum Mobiles aus generierter Selbstreferenzialität psychiatrischer Tiefe. Man redet kaum noch über die Erfolglosigkeit, aber nicht, weil die Argumente fehlen oder Erfolge umdefiniert wurden, sondern weil sie für sich betrachtet nicht wichtig scheint. Egal, ob man sich nur mangelhaft vorbereitet hat, den Hintern nicht vor zwölf aus dem Bett bekommt, die Sprache nicht beherrscht oder die Ideen scheiße sind. Die Niederlage wird zum notwendigen Übel, denn ohne sie könnte man doch niemals erfolgreich werden! Es ist kein Husarenritt zum Glück nötig. Man muss nur konsequent und mutig warten, denn andere hätten ja schon längst aufgegeben!!

  • "Morgen, morgen ...
    • "...krieg ich einen Job"
    • "...kommt meine Chance (ich bin ja schon da!)"
    • "...kommt das Blitzgiro"

Alles kein Problem, es läuft schon" nickt man sich zu. Man muss sich eben nur noch zurechtfinden. Auch wenn man die Abläufe der städtischen Abfallentsorgungsorganisation besser kennenlernt, als einem zunächst lieb ist. Man wäscht sich das Hemd am nahen Strand und hat das Herz voller Ideen. Hier kann man viel bililger leben, das macht das Warten leichter. Mit anderen Worten dreht es sich also um Geschichten, die das Leben, stoische Sturheit bis zur Geistesschwäche und geflissentlich ignorierte Geldknappheit mit einem Überfluß des Faktors Zeit für Postkarten schreibt - wenn vielleicht doch noch etwas Kleingeld für das Porto vom freundlichen Restaurantbesitzer gestiftet wird.

Liederlichkeit des Seins

Sprachverwirrung

Am Anfang ist immer die Überraschung: man kann es nicht fassen: Ja, man hat es tatsächlich geschafft, den Job gekündigt. Man hat den Weg zum Flughafen gefunden, man hat sich ein Ticket gekauft und sitzt in einem Flieger Richtung Marokko. Ein Irrsinn! Und auf dem Flughafen ist man bereits Einheimischer geworden, wenn man es nicht schon vorher war. Schließlich hatte man sich als langjähriger Urlauber, zumindest aber durch das Fernsehen und/oder das Internet eingehend mit der fremden Kultur auseinandergesetzt, über Google Earth die Topographie erkundet und einen regen Mailverkehr mit einigen Ex-Touristen unterhalten.

Das Einzige, was erschwerend hinzukommt und durchaus des öfteren zu konsterniertem Kopfschütteln führt, ist die leise Immigrantenfeindlichkeit, von der sich auch Urlaubsnationen nicht freisprechen können. Sie kristallisiert sich beeindruckend durch die fremdartige Sprache heraus. Abseits der scharf begrenzten beurlaubten Regionen scheinen die Einheimischen tatsächlich nicht in der Lage zu sein, wenigstens fließend englisch, geschweige denn deutsch zu sprechen. Es wird als unverhohlene Unverschämtheit empfunden, dass die Regierung des Traumlandes offensichtlich noch keine einzige Münze in Sprachkurse der Inländer für die Kommunikation mit Immigranten investiert hat.

Als Beispiel die alarmierenden Zahlen der britischen Insel.
Leider haben auch die Franzosen noch kräftigen Nachholbedarf, was linguistische Vergangenheitsbewältigung angeht
Und hier die Zahlen aus Marokko, die geradezu konträr zum Anspruch eines Einreiselandes stehen

Abgesehen von den besonders dreisten Fällen von Inländertum. Man kennt das von Restaurants im Hinterland der Côte d’Azur, von kretischen Tavernas oder auch Pubs auf den britischen Inseln, dass die Kellner aus bloßem Nationalismus, ja Elitarismus zwar alle perfekt deutsch zu sprechen in der Lage sind, es aber einfach nicht tun.

Entweder sind die Zahlen aus der Touristikbranche geschönt oder mindestens 70% der Marokkaner sprechen trotz deutscher Sprachkenntnisse nur arabisch

Der Traum von der Selbständigkeit

Man ist realistisch genug, zu erkennen, dass das Leben nicht nur aus Arbeit bestehen muss. "Es ist Zeit für ein neues Leben" hört man ein gebetartiges Murmeln, das aus jeder Pore wabert. Zunächst wird der Inhalt des geplünderten Gehaltskontos zur neuen Existenzgründung benötigt: Kitesurfen im Mittelmeer, Shoppen im Basar, Sightseeing in der Kasbah und Teeschlürfen in der Altstadt. Man hat zwar noch keine Arbeitsstelle, aber die kommt schon. Und wenn man nicht schon jetzt einen todsicheren Generalplan in der Hinterhand hat, kommuniziert man strahlend in radebrechendem Englisch mit Inländern. Denn man hat ja schon gehört, das wo wer gebraucht wird. Und die Augen haben die Farbe des Meeres angenommen, wenn man zum Teppichhändler eskortiert wird: Die Kommunikation funktioniert - grundsätzlich! Außerdem: "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?" Wenn der Job nicht an die Tür des gutbürgerlichen Hotels klopft, macht man sich einfach selbständig. Man drechselt sich egozentrische Phrasen: "Das hat in Deutschland nicht geklappt, aber nur, weil ichs nicht probiert hatte...warum soll es denn hier auch nicht klappen?", wirft lachend die letzte Kugel in das letzte freie Fach der Revolvertrommel und schickt damit auch letzte Reste des in der alten Heimat gepflegten perfiden Sicherheitsdenkens auf die letzte Reise. Man findet sich so toll, plötzlich fernab von Notgroschen und Kommunalobligationen, von schleimischen Emails an den Chef, als ein Neo-Hippie, als Freiheitsstatue in eigener Sache, nur noch überstrahlt von der Sonne und der Angst vor Tropenkrankheiten.

Der andere Teil dieser Spezies, die den leise gefühlten Parasitenstatus am Anfang der neuen Karriere überwunden hat, geht mit viel mehr Methode ans Werk in der neuen Heimat. Man hat bereits einen Dolmetscher für nur wenig Geld organisiert, der einen gern begleiten wird. Zufällig ist er auch Taxifahrer und kennt die Stellen, die man kennen muss, um als Einheimischer eine Gewerbelizenz zu bekommen. Er hat Bekannte, die die Formulare ausfüllen können und sicher objektive Tipps für den besten Standort haben: in den Randbezirken, weit weg von ruinöser Konkurrenz. Die müssen es ja wissen, stellt man für sich begeistert fest.

Es ist dieser schnöde Bruch, der so brutal in die Wirklichkeit schneidet und Schein und Sein, Realismus und Träumerei so scharf voneinander trennt. Mathematische Gesetze gelten über Landesgrenzen hinweg und rücken in das Sonnenlicht. Man gewahrt, dass die Division der Restsumme durch die verbliebenen Lebenstage auch hier das gleiche Ergebnis bringt. Bis zum ersten Auftrag muss man sich vielleicht etwas einschränken, aber auch diesen Preis zahlt man gern.

Vom Immigranten zum Migranten

Der Taxifahrer stellt im Zeitablauf viele Freunde vor, die schließlich auch preiswerte Restaurants zu finden wissen oder Orte, wo man die Wäsche für wenig Geld waschen lassen kann. Man baut eben eine kleine Industrie für sich und seinen Willen auf, sich zurechtzufinden. Unvorstellbar sei es, nun vermeintlich unabhängig von ehemals heimatlichen Gefilden das Fließband gegen das Fließband auszutauschen! Mit den Alditüten vom letzten Einkauf auf dem Rücksitz kümmert man sich nun wie ein Hausierer auf vier Rädern für die eigene Sache in höherer Frequenz um die Zukunft. Die finanzielle Relevanz des Daseins wird leise gegen ideelle Werte ausgetauscht. Stunden, in denen man sich um die Existenz aktiv gekümmert hat, Tipps, Hinweise zum Geldverdienen jedweder Art, auch schon Tage, an denen man bereits vor acht aufgestanden war, werden aufaddiert und auf die Gegenseite der Erfolgsbilanz gebucht.

Beide Aussteigergruppen werden die innere Sonnenbrille auch aus Trotz nicht mehr ablegen:

  • - Die geklauten Hotelhandtücher noch im Koffer - wird man durch die gerade bezogene üble Absteige ja nur noch willensstärker
  • die angemietete Betriebsstätte zum Verkauf/zur Vermietung von <<Beliebiges bitte einsetzen>> - eine spontane/schon seit langem verfolgte Idee! - wird man Zug um Zug selbst renovieren und
  • innerhalb dreißig Tagen so viel Arabisch sprechen, dass man wie ein Ziegenhirt auf dem Markt über Preise verhandeln können wird, ohne auf den Taxifahrer angewiesen zu sein! Die Athener sollen ihre Eulen behalten!

Angstfrühstück

Die Selbständigen unter den Auswanderern müssen nun feststellen, dass es keine wahre Selbständigkeit gibt: als Unternehmer ist man tatsächlich von einer viel größeren Gruppe von Menschen abhängig, den Kunden. Und die wollen trotz des unwiderstehlichen Plans nicht in Scharen kommen. Tauchgänge für Urlauber/Exotische Gewürze in der Altstadt/Schlankheitspillen für Unterernährte anbieten, damit das Hungergefühl unterdrückt wird, wer kommt schon darauf? Richtig, noch nicht einmal ein Idiot! Dabei war alles so großzügig geplant. Als Zeitfenster hatte man schließlich großzügig einen Zeitraum von einigen Monaten veranschlagt, ab der der Laden läuft und man sich keine Sorgen mehr für die Zukunft machen muss. Schleichend gelangt man zu der Situation, wo der Typus des Hurrablöden schon angelangt ist:

Die letzten kleinen Strandcafebesuche werden gestrichen. Endlich hat man einen Aushilfsjob in einer Ferienanlage gefunden, um den großen Traum, der für die finanzielle Sorglosigkeit sorgen soll, zu finanzieren, um banale Alltagssorgen los zu werden. Es sieht auf den ersten Blick so aus, dass es sprichwörtlich eher zum Sterben, als zum Leben reicht. Die Ehefrau ist aber ja auch noch da und jetzt wird alles zusammengeschmissen! Sie scheint jetzt unterfordert, weil die Kinder mit dem Finden neuer Freunde, dem Erlernen der Sprache und der Suche nach der Schulklasse beschäftigt sind. Damit erübrigt sich auch ein schlechtes Gewissen im Hinblick auf die Erziehung, um sich nun ganz der Existenzerhaltung widmen zu können. Widerwillig halbverschleiert muss sie in Vorstellungsgesprächen feststellen, dass die Nation mit der Emanzipation der Frau noch in den Kinderschuhen steckt. Niemals hätte sie in Deutschland für solch einen Hungerlohn in der Küche gearbeitet! Aber Hartnäckigkeit stellt sich ein. Vor 12-Stunden-Tagen sieht man sich im Grunde nur noch zum Frühstück, während dem man von den kleinen Erfolgen des Tages berichtet: wieder ein paar Vokabeln gelernt, wieder was von der großen möglichen Chance gehört und wieder sitzt man zum Schluss schweigend in altbackene Brote beißend beisammen und zählt die letzten Minuten vor dem Dienst und ein paar Münzen für den geplanten Einkauf zusammen. Nachts liegt man halbtot in den Betten und hat endlich wieder Zeit zu träumen.

Als unbedarfte Beteiligte einer linearen Progression wird man mit der Fortdauer der neuen Existenz immer fleißiger, sensitiver und - ärmer.

Eulen nach Athen, Rückflug inklusive!

Beziehungsflucht

Einen Sonderstatus nehmen die sogenannten Beziehungsflüchtigen ein. Der Begriff ist etwas irreführend, weil man nicht etwa vor der Beziehung flüchtet, sondern vor den Umständen, die man für die Qualität der Beziehung verantwortlich macht. Oder anders ausgedrückt flüchtet man gemeinsam vor der gemeinsamen Beziehung, so dass man im Ergebnis doch nicht allein bleibt: es ist der Job, es sind die Schwiegereltern, es sind die langweiligen Freunde. Man hat in seiner verzweifelten Bequemlichkeit nicht den Mut zu einer Trennung gefunden, ignoriert Schwangerschaftsstreifen, Falten, Übergewicht, herausgewachsene Blondierungen und auseinandergewachsene Interessen. Ja, in einem Rundumschlag brutalsten Euphemismus - aus Rücksicht vor dem Partner - macht man das gesamte Volk, die politischen Rahmenbedingungen und auch das launische Klima dafür verantwortlich, dass man sich nur noch streitet und nichts mehr zusammenzupassen scheint. Man will voneinander wegrennen und bleibt doch zusammen, sucht beidseitig egoistisch in der jetzigen zwanghaft empfundenen Zweisamkeit Motivation in Vergangenem und wird in schwelgenden Erinnerungen fündig, als man vor 25 Jahren frisch verliebt im Tretboot den Lago Maggiore herauf- und herunterpaddelte, wenn man sich nicht gerade befummelte.

Jetzt will man alles besser machen, als damals gleich so jung Eltern zu werden, mit abgebrochenem Studium und schlecht bezahltem Job und auf Pump in ein hässliches Reihenhaus einzuziehen. Das konnte doch auch nicht gut gehen! Das in dieser Sendung gezeigte Schicksal und der dagegen aufbegehrende Anspruch, alles zur Rettung der Beziehung zu tun, kann sich nicht des Vorwurfs erwehren, diametral dazu von besonderer Emotionslosigkeit beseelt zu sein. Man schmiedet mit kühlem Kopf und kaltem Herzen akribisch Pläne, um unter prangender Sonne sicher sein zu können, sich im Ergebnis bald wieder lieben zu können. Aus diesem Grunde mögen solche Versuche auch besonders nach dem äußeren Anschein erfolgreich sein, weil man inständig alles bis ins letzte Detail geplant zu haben scheint.

Das Geheimnis, das man enthusiastisch entdeckt, ist, nicht vorhandene Liebe mit dem Arbeitsdruck für eine gemeinsame Eventualität ersetzen zu können und nicht mehr leiden zu müssen. Die Befristung erkennt man nicht und die Alibifunktion erst recht nicht. Man lernt die Sprache im Fernstudium mit Abschluss, bereist in regelmäßigen Abständen im Rahmen von Abenteuerurlauben das fremde Land, um zu erfahren, wie die Lebenumstände dort wirklich sind. Man besucht die Müllhalden vor der Stadt, unterhält sich mit Straßenkindern, schließt Freundschaften mit Menschen am Rande der Wüste, die bisher kaum Weiße gesehen haben und spendiert großzügig Gelder in den Neubau von Behausungen nach Naturkatastrophen. Als Sachkundige findet man schließlich - nachdem bereits lukrative Arbeitsverträge unterschrieben wurden, respektive ein Geschäft erfolgreich von der Heimat aus geleitet wurde, ein todschickes Haus zum günstigen Preis und lädt verheißungsvoll den verhassten Verwandten- und alten Bekanntenkreis, der alles nur noch schlimmer gemacht hatte, verlogen zum Abschiedsfest ins bereits verkaufte Haus - gleich vor dem Morgen der Abreise und sitzt im Smalltalk auf gepackten Koffern.

Nach einigen herausgequetschten Tränen winkt man dem harten Kern von der Gangway aus zu, als winkte man den Problemen zu, die man verlassen will. Doch die reisen mit. Der Arbeitsdruck ist wie alter Lack abgefallen und schon im Flieger nimmt die unheilvolle Mechanik von fehlendem Verständnis, von Verbrauchtheit und Verblühtheit in all ihrer Routine ihren Lauf. Man streitet sich, ob man an alles gedacht hat, streitet sich, ob die Möbel rechtzeitig kommen werden, streitet sich, bis man viel schneller als erwartet den Flughafen erreicht hat, streitet sich, ob man nun die günstigste Bank für das neue Konto erwählt hatte. Aber natürlich sind die Möbel schon da! Man nimmt schnell den Alltag auf sich. Man arbeitet wieder bis die Schwarte kracht, sorgfältig macht man seine getrennten Betten und geht separat aus. Vielleicht muss die neue Umgebung noch wirken. Vielleicht muss man sich noch zurechtfinden. Doch im Streit um Nichts stellt man verblüfft wie ein Kind während eines Taschenspielertricks fest, dass man sich selbst betrogen hat. Gemeinsam überlegen sie sich schließlich, wo sie sich scheiden lassen sollen, konsequenterweise ja auch im neuen Land. Man kann ja Freunde bleiben, spätestens dann, wenn man dreitausend Kilometer voneinander getrennt ist. "Wir bleiben in Kontakt", schwört man sich zu, bevor der eine wieder in Richtung Deutschland fliegt.

Hervorragende Beispiele

Die Legende Konny Reimann

Wie Legenden entstehen

Der Hamburger Spargeltarzan Konny Reimann (um seinen realen Vornamen wird ein großes Geheimnis gemacht – eine Geschlechtsumwandlung wird aber ausgeschlossen), von dem man nie genau weiß, ob er gerade Hamburger Slang oder schon englisch spricht, ist in jeder Hinsicht ein Auswanderer-Phänomen und einer der wenigen Glücksfälle der Sendung. Auch wenn man ihn schlecht verstehen sollte, fällt dies nicht negativ ins Gewicht, da er vor allem ein Mann der Tat ist: ständig sieht man ihn in seinem Domizil am Moss Lake in Texas werkeln. Er macht Dinge, die sonst keiner tut: Türme aus Holz in der Tornado-Alley bauen, ohne Helm einen Stier reiten und mit über 50 eine neue Existenz aufbauen, wo doch die alte gesichert schien.

Wo aber sonst entweder eine bevorstehende Fremd-Schwangerschaft oder eine ebenfalls in die Hose gegangene Geschichte mit einem Haftbefehl als Fluchtgrund eruiert werden müsste, hat auch der reine, norddeutsch- blauäugige Schwachsinn keine Lebensberechtigung als Erklärungsgrund: Konny wars einfach leid, Klimaanlagen zu reparieren! Das versteht man gleich, viele andere, ja Zehntausende wären es auch leid, allein bei dem Gedanken, so etwas reparieren zu müssen. Irgendwann hat man die Schnauze voll! Und das Waldgrundstück war zu klein! Und so kehrte er mit seinen possierlichen Famiienmitgliedern inkl. treudoofem Weibchen der Hansestadt den Rücken zu. Und die Kamera war immer dabei.

Wie Legenden weiterleben

Die Doku zeigt, dass es vor allem ein Lebenselexier für Legenden gibt: Sturheit! Man muss einfach bereit sein, alles, wirklich alles zu machen und über sich ergehen zu lassen! Sogar bereit sein, sich für eine schwülstig-sülzige Doku zu prostituieren, die wie keine andere ungeschickter auf den Klaviaturen Fernweh, Bewunderung, Neid und schließlich Schadenfreude zu spielen versteht. Doch der Selbstzweck allein rettet den Normalblöden nur für eine Staffel. Das Geheimrezept des Kochs für den zähen Wunderbrei: Ausdauer! Und dann kommt alles Weitere in Form eines wunderbaren Automatismus und sich gegenseitig befruchtender Vorgänge:

  • der Darsteller baut sich ein Häuschen oder zwei (egal aus welchem Baustoff, sie müssen nur wenige Wochen für die Außenaufnahmen halten)
  • die Zuschauer wundern sich, dass man nach drei Monaten immer noch finanziell besteht
  • die folgende Staffel wird gedreht
  • die "ich habs sowieso gewusst"-Miene in die Kamera halten
  • Vortragsreisen zu Themen, wie "wie bau ich mir mein Klo aus Balsaholz" halten und echte Rodeonarben zeigen
  • die übrig gebliebenen Häuser vermietet man im Zuge des zunehmenden Bekanntheitsgrades immer teurer
  • und schließlich ist man so unwiderstehlich erfolgreich geworden, dass man sich sogar öde Landschaft, schlechtes Wetter, ja sogar

Beleidigungen mit einer krönenden "Müller Milchreis"-Werbung vergolden lassen kann.

Was sich zunächst nach einer gekonnten Anleitung anhört, der privaten Insolvenz zu entgehen, entpuppt sich als Selbstläufer in der texanischen Wildnis. Die Nachfrage nach Helden in der Realität ist so groß geworden, dass man im gesamten deutschsprachigen Raum seinen Worten lauscht. Vom dynamischen Duktus der Sendung verführt, möchte man mit feuchten Augen herauspoltern, dass er nun nie mehr arbeiten müsse. Das hat er natürlich nicht mehr nötig. Konny ist diesem Stadium längst entsprungen und zimmert nur noch im Rahmen einer selbst auferlegten Beschäftigungstherapie grinsend um die eigene Mitte herum oder scheucht ängstliche Touristen über das Grundstück des onomatopoetischen Meisterwerks „Konny Island“. Alles macht er in seiner Freizeit, 24 Stunden pro Tag: Hausherr, Vermieter, Gastwirt, Komiker, Koch, Entertainer und last but not least Klimaanlagenbauer. Er hats geschafft: kaum hat er mit verkniffenem Gesicht die Bühne betreten, so hat er gewonnen: Moin, moin ihr Spacken! Se World is mei Kassel!

Katzenbergers kalter Kaffee

Aber nicht nur hamburgische Sturheit zahlt sich im täglichen Kampf ums Überleben aus. Auch das tumbe Reizen ohnehin schon stark strapazierter Bereiche und das Ausnutzen längst bekannter Taktiken, wie die "Feldbusch-Variante" ist für die Quote verheißungsvoll. Es gibt Stellen, auf denen sich weder Wundschorf noch Hornhaut bilden kann; und bei Reizüberflutung ist Angriff die beste Verteidigung gegen die zahlreiche Konkurrenz. Beharrliches Schwimmen mit dem Strom ist das Mittel der Wahl, bis das schwanzdefibrilierte Opfer/der Täter endlich die Fernbedienung weglegt.

Auch die Katzenberger hat mal klein angefangen, von Körbchengröße 80 b bis mittlerweile Doppel-D, um immer unübersehbarer zu werden. Aber ihr Erfolg lässt sich nicht nur auf die einfache Formel "Titten statt Talent" bringen. Auch das Konterfei, dessen Wiedererkennungswert jedem Hetero-Mann greifbar nahe ist, der sich mit der anderen Hand durchs Internet klickt, ist noch nicht entscheidend. Entscheidend für ihren Erfolg ist der Kontrast dieser auf primitive Gelüste ausgelegten Künstlichkeit zu ihrem unverhohlenen Inneren, aus dem tiefster pfälzischer Dialekt herausplärrt. Das ist das Letzte, womit man gerechnet hätte und versetzt den Betrachter in einen Schockzustand heimeliger Rührseligkeit, in dem Dekollete und Knackarsch erst richtig wirken können. Schnell wird das Landei zum Kuckucksei, das sich rasend schnell im Gehirn auch des Kritischsten entwickelt und nach dem Schlüpfen alles, was irgendwie mit Stil und Qualität zu tun hat, über Bord wirft.

Die Schläuche sind zwar neu, aber der Wein ist alt, momentan 24 Jahre und wahrscheinlich hätte man ein Dixiklo auf Mallorca noch erfolgreich eröffnet bekommen. Die Frau, für die schlimmsten geistigen Grobmotoriker mit der Muschi im Namen, hatte es sich gefallen gelassen, auf der Trauminsel notgeiler Feriensäufer, als Ausgeburt der Innovativität ein Cafe zu eröffnen. Nach den Erfahrungen vieler Gescheiterter greift die Hand zum Kopf, aber letztlich nur um ihn zu stützen, wenn man bei einem Konzept zuschaut, das nicht schief gehen kann.

Literatur

Hätte man es nur vorher gelesen:

  • „Zum amerikanischen Schnellrestaurant-Marktführer in drei Jahren“ – Traumfabrik-Verlag, Berlin-Paris-New York-Tokio
  • „Erfolgreiches Krisenmanagement im unteren Mittelstand“ - Traumfabrik-Verlag, Hamburg-Köln- München
  • „Mit dem Grillfahrrad durch die USA“ - Traumfabrik-Verlag, Aachen-Essen-Hinterwiesendingen
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Gelungen

Der Artikel Goodbye Deutschland! Die Auswanderer ist nach einer erfolgreichen Abstimmung mit dem Prädikat Gelungen ausgezeichnet worden und wird zusammen mit anderen gelungenen Artikeln in unserer Hall of Fame geehrt.

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