Diverses:Rigolettos letzter Auftritt

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An einem schwülen Maiabend, der das Joch des nahenden Sommers erahnen ließ, lag der Clown Rigoletto in der Elisabeth-Suite des Wiener Hotels "Imperial" und starrte an die Decke. Er tat dies aus reiner Langeweile, denn eigentlich hätte er schon vor Stunden sterben sollen, weshalb er davon abgesehen hatte, Pläne für diesen Abend zu schmieden. Rückblickend musste er sich eingestehen, dass es naiv war, dem Liefertermin des Packdienstes Glauben zu schenken, aber wer konnte es ihm verdenken, dass er sich wenige Stunden vor seinem Tod – immerhin hatte er im Sinn gehabt und hatte es immer noch im Sinn diesen Abend mit einem Suizid abzuschließen – der Illusion hingab, seinen Mitmenschen vertrauen zu können. Darüber hinaus hegte Rigoletto in dieser Causa keinen Groll, wenngleich sein Herz aus anderen, tragischeren Gründen dermaßen von Gram zerfressen war, dass sein Gehirn es kein Blut mehr pumpen lassen wollte, aber zumindest grämte er sich nicht wegen des ausgebliebenen Pakets, sondern hatte überdies sogar Verständnis für die nicht erfolgte Zustellung, denn wer, wenn nicht ein suizidaler Clown, dessen sprühender Witz ein Raub von Fortunas Grausamkeit geworden war, konnte verstehen, dass man seinem Leben ein Ende setzte, auch wenn man als Fahrer eines Zustelldienste Pakete auszuliefern hatte.

Sofort umschloss ihn die schwüle Mailuft, drang durch den dünnen Leinenstoff seines Anzugs, schmiegte sich wie eine aufdringliche, aber gänzlich reizlose Verführerin, ja fast schon dirnenhaft an seine Haut und evozierte dabei unmbarmherzig Erinnerungen an überfüllte Züge und verschwitzte Bettlaken. Während diese feuchtwarme Bewunderin ihre bleierne Hand in seinen Nacken steckte und mit ihren schmutzigen Fingern den ganzen Körper zu greifen suchte, stellte sich Rigoletto die Frage, ob sein Tod in den Armen der Donau, die wohl noch fester

„Sie hat geschossen. Mich hat’s getroffen. Es ist vorbei, für mich und für den Anzug. Das Blut kann man noch auswaschen, aber die Löcher sind das Todesurteil. Ein komisches Gefühl zu sterben,“ konstatierte Rigoletto trocken, nahm seine Hand von der Brust und betrachtete ungläubig sein eigenes Blut. Staunend, mit vor Überraschung weitgeöffneten Mund blickte er in die Gesichter derer, die einen Kreis um ihn gebildet hatten. Sie schwiegen, starrten stumm und dumm einer Herde Esel gleich, nur ein älterer Herr mit schütterem grauen Haar und fleckigem Sakko nuschelte, dass jemand doch endlich die Polizei rufen solle, doch Rigoletto wollte das nicht, er wollte sterben, wollte nicht mehr ohne Charlotte leben müssen und war schon im Begriff seinen Kopf zu drehen, diesen Mann, der an der Bar saß und seinen riesigen Bauch zwischen Tresen und Hocker zwängte, anzuschauen und ihm zu sagen, dass ihm die Polizei auch nicht mehr helfen könne, doch dann entschied er sich anders, niemand würde den Worten eines Sterbenden Beachtung schenken. Rigoletto fiel auf die Knie und hoffte auf den Tod, harrte dem Ende dieser Farce. Paare dumpfer Augen schauten ihm dabei zu, warteten, dass etwas passierte. Leere Blicke bestürmten ihn, für die Gaffenden zu handeln, drängten ihn dazu, die Vorstellung fortzuführen, die mit den Schüssen ihre Klimax erhalten hatte, und so begann er zu erzählen: „Liegt ein toter Clown in der Wüste und wird von zwei Geiern gefressen; sagt der eine zum anderen-“. Sie stand am Fenster, blickte hinab in die Annagasse, beobachtete das stille Treiben in der schmalen Seitenstraße, als gäbe es im Spielsaal nichts, das ihrer Aufmerksamkeit Wert wäre. Die filigranen Finger stemmten sich kraftvoll gegen die Fensterbank, ließen durch diesen Akt der Anstrengung die dürren Sehen hervortreten, wodurch die Narbe, als wollte man sie dafür bestrafen, dass sie den Rücken linken Hand entstellte, in eine groteske Form gezwungen wurde. Die jadegrünen Augen, deren Ränder von zarten, rosa Äderchen durchzogen waren, schimmerten schwach im Widerschein der matten Casinobeleuchtung. Das dunklblonde Haar trug sie offen, sodass die Locken wie ein Vorhang aus Bernstein über die zierlichen Schultern fielen, zwischen dem eine große Nase mit geradem Rücken und breiten Flügeln wie ein Stück Elfenbein hervorragte. Ein weißes Kleid, welches von bestimmter Schlichtheit war, bedeckte den dürren Körper, verhüllte die dünne Brust. „Was hat jetzt der eine Geier zum anderen gesagt oder war das einer dieser bescheuerten Antiwitze?“ schrie einer der Gaffer aus der Menge und riss Rigoletto aus seiner Starre, der seine offene Hand gen die blonde Frau richtete, die er irritiert beäugte, um wenige Augenblicke später mit vor Leid gebrochener Stimme hervorzustoßen: „Charlotte! Gott! Meine geliebte Charlotte! Nein, es ist unmöglich; es muss ein Wahnbild sein. Sie ist es! Charlotte, meine Liebste, antworte mir. Teurer Engel, sieh mich an. Hab Erbarmen, meine Taube. Du darfst mich nicht verlassen, nicht noch einmal. Furchtbarer Gott, warum nimmst du mir das Leben, schenkt mir aber den Lebenswillen? Nein, alles Lüge. Alles Trug. Nur die Phantasien eines Sterbenden. Charlotte, du bist tot. Du bist tot! Welch ein Fluch, sie ist tot, meine Charlotte.“ Der Clown wandte seinen Kopf, blickte ungläubig in die kalten Augen seiner Mörderin, starrte sie einige Augenblicke fassungslos an, dann kippte er nach vorne und ging mit blutroter Brust zu Boden, vom herannahenden Tod in den Staub gestoßen. Unter Bindung seiner letzter Kräfte versuchte er sich aufzurichten, wollte noch einmal das Trugbild sehen, das falsche Lächeln blicken, das ihn wie das Lockmittel transzendenter Mächte schien, doch seine Reserven waren erschöpft, er schaffte es nicht, blieb liegen im Staub, zu dem er bald werden würde, stöhnte seine Anstrengung und sein Leid in den grünen Teppichboden des Casinos, dessen sanfte Farbe sich mit dem Blut des Clowns biss. Eine Mauer aus Beinen in Hosen und Strümpfen verwehrte ihm den Blick zum Fenster, versperrte ihm den Pfad ins geborgte Glück, hielt die letzte Illusion, die schönste aller Lügen zurück. Ein Schuss, fiel, dann ein zweiter. Menschen plärrten. Beine bewegten sich. Die Mauer fiel. Der Platz am Fenster war leer. Rigoletto schloss die Augen, verschloss sie vor der Wahrheit und als er sie in der Hoffnung öffnete, dass er sich geirrt hatte, dass doch jemand am Fenster stand, blickte er in das Gesicht einer Blondine. Die azurblauen Augen waren starr, die Pupillen geweitet, die kleine rosa Schleife verrutscht und der Teppich aus goldblondem Haar, der sich über ihre roten Lippen gelegt hatte, trug lieblichen Zierrat aus kleinen Blutstropfen. Die Mörderin war ermordet worden. Der Gerechtigkeit hatte man vielleicht sogar genüge getan, eine Frage die Philosophen zu beantworten hätten, doch es spielte für Rigoletto keine Rolle mehr. Die Dame hatte ihr Leben ausgehaucht und der Clown pfiff auch nur noch aus dem letzten Loch, sodass er die Leiche weder als Mahnmal des herannahenden Todes noch als Zeichen für Fortunas Launenhaftigkeit sah, sondern einfach nur als Hindernis, das ihm den Blick zum Fenster verstellte. Unfähig sich zu bewegen, den Köpf zu heben, um das Trugbild zu suchen, um zu schauen, ob es sich gar hinter ihm barg und um ihn weinte, unfähig, ihn seinen falschen Armen Geborgenheit zu finden, stöhnte er mit letzter Kraft „Charlotte“ und hauchte mit diesem leisen Ruf nach seiner Liebsten sein Leben aus, sodass er nicht mehr Zeuge wurde, wie die Menge in Panik und Schock zerstob. Nur eine kleine Gruppe älterer Damen hatte unter einem Roulettetisch Schutz gesucht, da das Laufen in diesem Alter nicht mehr so einfach von der Hand ging, betrachtete von diesem Ausguck den Körper im beigen Leinenanzug mit den roten Flecken, der einem Clown gehört hatte, der nun nach Frau und Freude auch sein Leben an Fortunas Furor verloren hatte und erzählte sich wie schrecklich das Erlebte gewesen sei, auch wenn man nicht wie der Clown leblos, am grünen Casinoboden lag. Nichtsdestotrotz wurde der hilflose, da tote Rigoletto im Mitleid begraben, ohne dass man sich auch nur ansatzweise interessierte, wer der Leiche Vorgänger überhaupt war. Dafür ließ es sich die auflagenstärkste, österreichische Tageszeitung am nächsten Morgen nicht nehmen, zu titeln: „Sch(l)uss mit lustig. Starclown Rigoletto ermordet“ und ergänzte darunter in kleinen, roten Lettern: „Karotte war sein letztes Wort, dann trugen ihn die Englein fort.“


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