Diverses:Veritas et Scientia: Unterschied zwischen den Versionen

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Wie dieser Niederlage schmerzt. Wie dieses fehlende Verständnis ein Loch in meine Seele frisst. Selbst meine geliebte Therapeutin versteht mich nicht. Niemand versteht mich. Niemand will mich verstehen. In ihrer Narretei begreifen die Menschen nicht, dass ich die Wahrheit vertrete. Sie verleugnen mich. Sie lehnen mich ab und in meiner Bonhomie will ich trotzdem mit ihnen kommunizieren. Ich opfere mich auf und die Croissants stoßen mich weg, versuchen mich zu belehren. Quo usque tandem abutere, Munde, patientia mea. Ich habe mich losgerissen. Ich habe die Ketten gesprengt. Ich habe die Höhle verlassen und ins Licht geblickt. Jetzt komme ich zurück und sie wollen meine Worte nicht hören. Sie verkennen mich, schelten mich einen Narren, versuchen mich zum Schweigen zu bringen. Quid est libertas? Potestas vivendi, ut velis. Doch ich bin nicht frei. Die Menschen, die behaupten mich zu lieben, wollen mich nicht zur Wahrheit stehen lassen. Verblendet ist diese Bagage und aufmüpfig noch dazu. Es schneit und missmutig humple ich durch das Zentrum Zell am Sees. Die verdammten Pflastersteine sind rutschig wie der Boden einer überfluteten Seifenfabrik. Mein Gehstock hat soviel Halt wie die somalische Regierung. Mehr als einmal wäre ich fast gestürzt. Ich bin umgeben von fröhlichen Menschen, die ihren Weihnachtsscharren umtauschen wollen. In der Kirchengasse bleibe ich stehen und denke kurz darüber nach, ob ich zum See hinabgehen soll. Der Schnee sammelt sich auf meiner Hutkrempe. Die Kälte dringt in meine Handschuhe. Nach einiger Zeit, als sich meine Gedanken schon wieder irgendwo befinden und sich nicht mehr mit der eigentlichen Ausgangsproblematik beschäftigen, fällt mir eine Bar in mein Blickfeld. Da mir meine Gedanken schon auf die Nerven gehen, mir kalt wird und ich bei diesem Wetter kaum weiterkomme, mache ich kurzen Prozess und betrete das Lokal einfach. Es ist leer. Musik ist keine zu hören. Langsam humple ich zum Tresen und setze mich auf einen Barhocker. Eine Kellnerin betritt den Barraum und sagt zu mir: „ Wir haben entschlossen.“ Ich entgegne: „Multae sunt causae bibendi“ „Was?“ „Es gibt viele Gründe zu trinken,“ erkläre ich und lege einen 100-Euroschein auf den Tresen. Die Kellnerin nickt, nimmt den Schein und fragt: „ Was darf's sein?“ „Ein Mojito,“ antworte ich. Da sitze ich nun, ich armer Tor, und bin so froh, als wie zuvor. Draußen wird das Wetter das schlechter, der Schneefall stärker. Man bringt mir meinen Mojito. Ich nippe daran. Irgendwie hat sich nichts gebessert. Ich sitze alleine in einer Bar in Zell am See. Draußen schneit es. Mein Psychologin hält mich für ein Wrack, meine Freundin für ein Arschloch und wenn es nach den Zeugen Jehovas ginge, würde ich den Rest meines Daseins im Fegefeuer verbringen. Und alles nur weil ich ehrlich bin. Es ist ja nicht meine Schuld, wenn die Menschen mit der Wahrheit umgehen können. Ich schaffe es und man sieht ja welch positiven Effekt es hat. Ich trinke nicht – zumindest nicht im Übermaß – oder isoliere – ich sitze ja nicht jeden Tag alleine in einer Bar – mich nicht. Ich nippe wieder an meinem Mojito, blicke aus dem Fenster. Immer noch schneit. Ich seufze. Ich seufze wieder und ich seufze nochmals. Etwas anderes bleibt mir auch nicht übrig, denn der Tisch sieht nicht so aus als wüsste er viel und um ehrlich zu sein, ist mir der Barhocker zu meiner linken nicht wirklich sympathisch. Letztendlich warte ich darauf, dass sich die Kellnerin blicken lässt. Ich versuche ein Gespräch aufzubauen, indem ich frage: „Wie geht’s?“ „Vergiss es, Hinkebein. 100 Euro sind zu wenig,“ erhalte ich als Antwort und mir kommt in den Sinn, dass ich vielleicht etwas verzweifelter aussehe, als ich mich fühle. Immerhin sitze ich alleine in einer Bar und trinke einen Mojito, wobei der Grund dafür nicht in meiner nicht existenten Trunkensucht noch in meiner nicht vorhandenen Traurigkeit, sondern einfach im Wetter liegt. Vielleicht ist es auch nicht mein Gesichtsausdruck, sondern einfach nur die Tatsache, dass ich für einen Mojito 100 Euro bezahlt habe, die mich wie einen Trinker erscheinen lässt. Das einzige Geräusch, das mich beim Trinken begleitet, ist das Rauschen des Geschirrspülers. Wenigstens leugnet dieses technische Hilfsmittel nicht die Wahrheit. Es ist vielleicht laut, sperrig, schmutzig und die Heimat einiger Silberfische, aber wenigstens steht es zu sich selbst. Ich nippe an meinem Mojito. Verdammt noch mal, jetzt beginne ich schon Geschirrspüler zu glorifizieren. Ich muss aber auch zugeben, dass sie verdammt toll sind. Immerhin waschen sie Geschirr. Ich zum Beispiel wasche kein Geschirr. Meine Gedanken werden langsam bedrohlich konfus. Die Einsamkeit gepaart mit dem rauschen Geschirrspüler scheint mir nicht zu bekommen.  Da ich Musik zur Ablenkung brauche, sage ich: „Ich lege nocheinmal 100 Euro drauf, wenn Sie Musik aufdrehen.“ „Einverstanden Hinkebein,“ erhalte ich als Antwort. Kurze Zeit später ertönt das Lied „I kissed a girl“ von Katy Perry. Nicht gerade, dass was ich mir vorstellte, weshalb ich beginne zu reklamieren. Natürlich greife ich tief in rhetorische Trickkiste, um mein Ziel zu erreich: „Ich will etwas anderes hören.“ „Reg dich ab. Wir sind hier nicht bei Wünsch-dir-was“ „Ich habe 100 Euro gezahlt. Mir geht es am Arsch vorbei, was sie darüber denken. Ich will andere Musik hören.“ „Mir ist das ziemlich wurscht, aber wenn Sie einen Fufziger drauf legen, könnten wir ins Geschäft kommen.“ „Das ist Erpressung.“ „Nein, das ist Kapitalismus“ „Halsabschneider,“ presse ich zwischen den Zähnen hervor. Nur Verbrecherpack gibt es auf der Welt. Da möchte man etwas Entgegenkommen haben und wird ausgenommen wie eine Weihnachtsganz. Quo vadis, munde? Es stellt sich mir auch die Frage, ob ich jetzt in der Machtposition bin, weil ich es durch Geld schaffe, dass die Bedienung Dinge macht, die sie nicht machen will, oder es umgekehrt ist, weil ich zahlen muss, damit geschieht, was ich will. Ich sollte darüber einmal eine Abhandlung schreiben. Die Kellnerin reißt mich aus meinen Gedanken, indem sie fragt: „Wollen Sie nun oder nicht?“ „Was?“ rutscht es mir raus und verschlechtert mein sowieso schlechtes Bild, das die Kellnerin von mir hat. Sie klärt mich auf: „Zahlst du nun, oder bist du zu knausrig, um einen fünfziger springen zu lassen.“ „Ich bin nicht geizig, sonst hätte ich wohl kaum 100 Euro für einen Mojito gezahlt.“ „Du glaubst gar nicht wie viele Leute in die Bar kommen und diese Nummer abziehen, nur um mich flachzulegen.“ „Wenn ich mich dazu zähle, würde ich spontan sagen, niemand hatte bis jetzt diese schwachsinnige Idee.“ „Wenn du glaubst, dass du mich verarschen kannst, dann liegst du falsch.“ Ich lasse diesen überaus genialen Konter einfach so im Raum stehen und lege hundert Euro auf den Tisch. Ich bin das Gespräch Leid. Die Bardame nickt und fragt mich, was ich den hören möchte. Es folgt eine längere Diskussion, in der sie meinen – laut ihrer Meinung – etwas veralteten Musikstil kritisiert, während ich ihr fehlende Allgemeinbildung attestiere , da sie Jazzgrößen wie Billie Holiday oder Julie London nicht kennt. Nach einer Viertelstunde ist dieser Punkt hinreichend geklärt. Julie London singt im Hintergrund und ich habe meinen zweiten Mojito. Auf die Zigarre muss ich leider verzichten, denn es herrscht striktes Rauchverbot. Irgendwie kaufe ich ihr das nicht ganz ab, aber mir fehlt das entscheidende Argument, um wirkliches effektiv etwas entgegensetzen zu können. So sitze ich da, ohne Zigarre. Plötzlich betritt Penélope Cruz das Lokal. Ihr dunkelbraunes Haar trägt sie offen. Ein Mantel bedeckt ihren Körper. Zu meinem Erstaunen sehe ich trotz der kalten Temperaturen keine Hose, nicht einmal Schuhe erblicke. Das erstaunt mich etwas, doch das ist noch steigerungsfähig. Meine Kinnlade klappt nach unten, meine Augen treten fasst aus ihren Höhlen, mein Denkapparat stellt kurz seinen Dienst ein, als sich die spanische Schauspielerin ihre Mantels entledigt und darunter vollkommen nackt ist. Zugegeben, die letzten Zeilen haben nie stattgefunden. Penélope Cruz hat dieses Lokal nie betreten. Vielmehr waren das meine Gedanken, als eine andere Dame die Bar betrat. Es handelt sich nicht um Monica Bellucci, Salma Hayek oder Scarlett Johansson. Die Dame, die eintritt, ist mir vollkommen unbekannt, was aber nichts daran ändert, dass ich sie attraktiv finde.[[Datei:Frau mit Hut.jpg|thumb|500px|I like turtles]] Die Kellnerin zeigt sich nicht so beeindruckt, denn sie sagt vollkommen ungerührt: „Wir haben geschlossen.“ „Ignorieren Sie diese Worte. Setzten Sie sich doch,“ erkläre ich rasch. Diese zwei Sätze bringen mich etwas in Bedrängnis Ersten bin ich der Bedienung auf die Füße gestiegen, indem ich ihre Worte als unbedeutend deklariert habe und zweitenshabe ich durch meine unbedarfte Äußerung mein Interesse an der unbekannten Besucherin bekundet. Die Kellnerin sieht mich scharf an. Sie zischt mir etwas zu, aber ich beachte diese Worte nicht und lasse einen Hundert-Euroschein über den Tresen wandern. Zum Glück habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, größere Mengen Bargeld bei mir zu tragen. Die unbekannte Dame zieht ihren Mantel aus. Darunter ist sie nicht wie erhofft nackt, sondern trägt eine weiße, kragenlose Bluse. Ich bestelle noch einen Mojito. Die Kellnerin nickt du verzichtet zumindest diesmal darauf mir horrende Summen für den Cocktail abzuknüpfen.  Während sie ihre Wut über mein arrogantes Gehabe an der Minze auslässt, setzt sich der neue Gast an den Tresen. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, wird ein Gin Tonic bestellt. Ich erhalte meinen Mojito, doch die erwartete Konversation kommt nicht in die Gänge. Als hätte der Dialog bei ihrem Eintreten nicht stattgefunden und als wäre ich nicht da, trinkt die Dame ihren Gin Tonic. Nach einer Viertelstunde des Schweigens bin ich mit meiner Geduld am Ende und frage ich von Neugier getrieben: „Wollen Sie nicht wissen, weshalb wir hier sitzen, obwohl die Bar geschlossen ist?“ „Ich muss Sie enttäuschen, aber ich weiß die Antwort schon. Sie haben ein Problem, welches ist mir vollkommen egal, und sitzen deshalb einsam und verlassen in einer Bar. Ihren Kummer versuchen Sie zwar nicht mit Alkohol zu trinken, wollen aber eine Aura des Selbstmitleid und der gebrochenen Persönlichkeit erschaffen. Als ich die Bar betreten habe, glaubten Sie, in mir einen potentiellen Mitleidspender erkannt zu haben. Ihr Einwand so wie Ihre Großzügigkeit sollten den Eindruck erwecken, dass Sie mehr sind als bloß ein arrogantes Arschloch und suggerieren, dass Sie mich für mehr halten, als bloß für einen Mitleidspender mit Brüsten und einer Scheide. Letztendlich muss man sagen, Ihr Plan ist gescheitert.“ Ich schlucke und spiele mit dem Gedanken mich über diesen Angriff gegen meine Persönlichkeit zu echauffieren. Ich komme aber nicht umhin zu erkennen, dass ihre Analyse beeindruckend zutreffend ist. Ich sitze zwar hier, weil der Rest der Menschheit meine Liebe zur Wahrheit verkennt. Auch bin ich nicht auf Mitleid aus. Aber der Rest der Analyse ist erstaunlich passend. Einerseits durch diesen Umstand beeindruckt, andererseits angetan von der Offenheit meines Gegenüber, lasse ich mich auf das Gespräch, das sicherlich nicht einfach werden würde: „Ich gratuliere zu Ihrer treffenden Analyse. Darf ich fragen, wie Ihr Name lautet?“ „Ich heiße Insipientia Scentiae“ „Mein Name ist Felix; erfreut Sie kennen zu lernen.“ „Es ist doch angenehm, wenn soziale Verhaltensregeln und persönliche Meinung dermaßen gut zusammenpassen.“ „Wie wahr, Insipientia.“ „Ihnen ist aber klar, dass ich nicht mit Ihnen schlafen werde, obwohl wir mit einander reden.“ „Ich habe eine Freundin.“ „Ihnen ist der Begriff Fremdgehen aber geläufig“ „Sie kennen aber sicherlich auch den Terminus Moralische Integrität“ „Sie wollen bemitleidet werden. Irgendwo her muss dieser Drang kommen. Da lag es nahe, dass Sie sich dafür hassen, dass Sie Ihre Freundin betrogen haben. Haben Sie vielleicht jemanden ermordet?“ „Ich werde sterben“ „Das werden wir alle.“ „Ich werde früher sterben.“ „Das ist eine glaubwürdige Ursache ihres Wunsches nach Mitleid." „Können wir verdammt noch mal aufhören, über meinen vermeintlichen Mitleidsdrang zu sprechen.“ „Was ist an diesem Thema nicht angenehm?“ „Ich habe Chorea Huntington und mache daher eine schwere Zeit im Leben durch.“ „Das interessiert mich nicht. Außerdem ist das ein äußerst plumper Versuch Mitleid zu erregen.“ „Ich will verfickt noch mal nicht darüber reden.“ „Verdrängung ist ein Leid, an dem die Menschheit zur Genüge leidet. Doch anstatt es zu bekämpfen, gibt es sich ihm hin und frönt mit unglaublicher Lust dem Leugnen,“ erklärt Insipientia. Langsam beginnt das Gespräch wunderliche Formen anzunehmen. Was eigenartig begonnen hat, wird jetzt langsam zu einem surrealen Gespräch, das in dieser Form vermutlich nicht einmal in Träumen – würde ich Träumen wäre meine Gesprächspartnerin nackt – stattfindet. Da jede meiner Aussagen über meine Erkrankung auf mein Mitleidwunsch zurückgeführt, versuche ich es mit einem anderen Thema: „Insipientia, woher stammen Sie eigentlich?“ „Ich bin mal hier, mal da. Ich durchstreife diese Welt,“ erhalte ich als Antwort. Das ist nicht sonderlich informativ. Schweigen senkt sich. Längst ist es dunkel draußen. Ich denke darüber nach wieder ein Gespräch anzufangen, aber ich lege keinen Wert darauf. Insipientias Worte geben mir zu denken. Ich leere meinen Mojito und stehe auf. Ich nehme meinen Mantel vom Haken und verabschiede mich: „Leben Sie wohl Insipientia.“ „Leben Sie wohl, Felix. Mich werden Sie vielleicht nie mehr wieder sehn, aber meine Freundin Veritas wird sich Ihnen bald zeigen“  Ich verlasse die Bar und trete hinaus in die Nacht.   
 
Wie dieser Niederlage schmerzt. Wie dieses fehlende Verständnis ein Loch in meine Seele frisst. Selbst meine geliebte Therapeutin versteht mich nicht. Niemand versteht mich. Niemand will mich verstehen. In ihrer Narretei begreifen die Menschen nicht, dass ich die Wahrheit vertrete. Sie verleugnen mich. Sie lehnen mich ab und in meiner Bonhomie will ich trotzdem mit ihnen kommunizieren. Ich opfere mich auf und die Croissants stoßen mich weg, versuchen mich zu belehren. Quo usque tandem abutere, Munde, patientia mea. Ich habe mich losgerissen. Ich habe die Ketten gesprengt. Ich habe die Höhle verlassen und ins Licht geblickt. Jetzt komme ich zurück und sie wollen meine Worte nicht hören. Sie verkennen mich, schelten mich einen Narren, versuchen mich zum Schweigen zu bringen. Quid est libertas? Potestas vivendi, ut velis. Doch ich bin nicht frei. Die Menschen, die behaupten mich zu lieben, wollen mich nicht zur Wahrheit stehen lassen. Verblendet ist diese Bagage und aufmüpfig noch dazu. Es schneit und missmutig humple ich durch das Zentrum Zell am Sees. Die verdammten Pflastersteine sind rutschig wie der Boden einer überfluteten Seifenfabrik. Mein Gehstock hat soviel Halt wie die somalische Regierung. Mehr als einmal wäre ich fast gestürzt. Ich bin umgeben von fröhlichen Menschen, die ihren Weihnachtsscharren umtauschen wollen. In der Kirchengasse bleibe ich stehen und denke kurz darüber nach, ob ich zum See hinabgehen soll. Der Schnee sammelt sich auf meiner Hutkrempe. Die Kälte dringt in meine Handschuhe. Nach einiger Zeit, als sich meine Gedanken schon wieder irgendwo befinden und sich nicht mehr mit der eigentlichen Ausgangsproblematik beschäftigen, fällt mir eine Bar in mein Blickfeld. Da mir meine Gedanken schon auf die Nerven gehen, mir kalt wird und ich bei diesem Wetter kaum weiterkomme, mache ich kurzen Prozess und betrete das Lokal einfach. Es ist leer. Musik ist keine zu hören. Langsam humple ich zum Tresen und setze mich auf einen Barhocker. Eine Kellnerin betritt den Barraum und sagt zu mir: „ Wir haben entschlossen.“ Ich entgegne: „Multae sunt causae bibendi“ „Was?“ „Es gibt viele Gründe zu trinken,“ erkläre ich und lege einen 100-Euroschein auf den Tresen. Die Kellnerin nickt, nimmt den Schein und fragt: „ Was darf's sein?“ „Ein Mojito,“ antworte ich. Da sitze ich nun, ich armer Tor, und bin so froh, als wie zuvor. Draußen wird das Wetter das schlechter, der Schneefall stärker. Man bringt mir meinen Mojito. Ich nippe daran. Irgendwie hat sich nichts gebessert. Ich sitze alleine in einer Bar in Zell am See. Draußen schneit es. Mein Psychologin hält mich für ein Wrack, meine Freundin für ein Arschloch und wenn es nach den Zeugen Jehovas ginge, würde ich den Rest meines Daseins im Fegefeuer verbringen. Und alles nur weil ich ehrlich bin. Es ist ja nicht meine Schuld, wenn die Menschen mit der Wahrheit umgehen können. Ich schaffe es und man sieht ja welch positiven Effekt es hat. Ich trinke nicht – zumindest nicht im Übermaß – oder isoliere – ich sitze ja nicht jeden Tag alleine in einer Bar – mich nicht. Ich nippe wieder an meinem Mojito, blicke aus dem Fenster. Immer noch schneit. Ich seufze. Ich seufze wieder und ich seufze nochmals. Etwas anderes bleibt mir auch nicht übrig, denn der Tisch sieht nicht so aus als wüsste er viel und um ehrlich zu sein, ist mir der Barhocker zu meiner linken nicht wirklich sympathisch. Letztendlich warte ich darauf, dass sich die Kellnerin blicken lässt. Ich versuche ein Gespräch aufzubauen, indem ich frage: „Wie geht’s?“ „Vergiss es, Hinkebein. 100 Euro sind zu wenig,“ erhalte ich als Antwort und mir kommt in den Sinn, dass ich vielleicht etwas verzweifelter aussehe, als ich mich fühle. Immerhin sitze ich alleine in einer Bar und trinke einen Mojito, wobei der Grund dafür nicht in meiner nicht existenten Trunkensucht noch in meiner nicht vorhandenen Traurigkeit, sondern einfach im Wetter liegt. Vielleicht ist es auch nicht mein Gesichtsausdruck, sondern einfach nur die Tatsache, dass ich für einen Mojito 100 Euro bezahlt habe, die mich wie einen Trinker erscheinen lässt. Das einzige Geräusch, das mich beim Trinken begleitet, ist das Rauschen des Geschirrspülers. Wenigstens leugnet dieses technische Hilfsmittel nicht die Wahrheit. Es ist vielleicht laut, sperrig, schmutzig und die Heimat einiger Silberfische, aber wenigstens steht es zu sich selbst. Ich nippe an meinem Mojito. Verdammt noch mal, jetzt beginne ich schon Geschirrspüler zu glorifizieren. Ich muss aber auch zugeben, dass sie verdammt toll sind. Immerhin waschen sie Geschirr. Ich zum Beispiel wasche kein Geschirr. Meine Gedanken werden langsam bedrohlich konfus. Die Einsamkeit gepaart mit dem rauschen Geschirrspüler scheint mir nicht zu bekommen.  Da ich Musik zur Ablenkung brauche, sage ich: „Ich lege nocheinmal 100 Euro drauf, wenn Sie Musik aufdrehen.“ „Einverstanden Hinkebein,“ erhalte ich als Antwort. Kurze Zeit später ertönt das Lied „I kissed a girl“ von Katy Perry. Nicht gerade, dass was ich mir vorstellte, weshalb ich beginne zu reklamieren. Natürlich greife ich tief in rhetorische Trickkiste, um mein Ziel zu erreich: „Ich will etwas anderes hören.“ „Reg dich ab. Wir sind hier nicht bei Wünsch-dir-was“ „Ich habe 100 Euro gezahlt. Mir geht es am Arsch vorbei, was sie darüber denken. Ich will andere Musik hören.“ „Mir ist das ziemlich wurscht, aber wenn Sie einen Fufziger drauf legen, könnten wir ins Geschäft kommen.“ „Das ist Erpressung.“ „Nein, das ist Kapitalismus“ „Halsabschneider,“ presse ich zwischen den Zähnen hervor. Nur Verbrecherpack gibt es auf der Welt. Da möchte man etwas Entgegenkommen haben und wird ausgenommen wie eine Weihnachtsganz. Quo vadis, munde? Es stellt sich mir auch die Frage, ob ich jetzt in der Machtposition bin, weil ich es durch Geld schaffe, dass die Bedienung Dinge macht, die sie nicht machen will, oder es umgekehrt ist, weil ich zahlen muss, damit geschieht, was ich will. Ich sollte darüber einmal eine Abhandlung schreiben. Die Kellnerin reißt mich aus meinen Gedanken, indem sie fragt: „Wollen Sie nun oder nicht?“ „Was?“ rutscht es mir raus und verschlechtert mein sowieso schlechtes Bild, das die Kellnerin von mir hat. Sie klärt mich auf: „Zahlst du nun, oder bist du zu knausrig, um einen fünfziger springen zu lassen.“ „Ich bin nicht geizig, sonst hätte ich wohl kaum 100 Euro für einen Mojito gezahlt.“ „Du glaubst gar nicht wie viele Leute in die Bar kommen und diese Nummer abziehen, nur um mich flachzulegen.“ „Wenn ich mich dazu zähle, würde ich spontan sagen, niemand hatte bis jetzt diese schwachsinnige Idee.“ „Wenn du glaubst, dass du mich verarschen kannst, dann liegst du falsch.“ Ich lasse diesen überaus genialen Konter einfach so im Raum stehen und lege hundert Euro auf den Tisch. Ich bin das Gespräch Leid. Die Bardame nickt und fragt mich, was ich den hören möchte. Es folgt eine längere Diskussion, in der sie meinen – laut ihrer Meinung – etwas veralteten Musikstil kritisiert, während ich ihr fehlende Allgemeinbildung attestiere , da sie Jazzgrößen wie Billie Holiday oder Julie London nicht kennt. Nach einer Viertelstunde ist dieser Punkt hinreichend geklärt. Julie London singt im Hintergrund und ich habe meinen zweiten Mojito. Auf die Zigarre muss ich leider verzichten, denn es herrscht striktes Rauchverbot. Irgendwie kaufe ich ihr das nicht ganz ab, aber mir fehlt das entscheidende Argument, um wirkliches effektiv etwas entgegensetzen zu können. So sitze ich da, ohne Zigarre. Plötzlich betritt Penélope Cruz das Lokal. Ihr dunkelbraunes Haar trägt sie offen. Ein Mantel bedeckt ihren Körper. Zu meinem Erstaunen sehe ich trotz der kalten Temperaturen keine Hose, nicht einmal Schuhe erblicke. Das erstaunt mich etwas, doch das ist noch steigerungsfähig. Meine Kinnlade klappt nach unten, meine Augen treten fasst aus ihren Höhlen, mein Denkapparat stellt kurz seinen Dienst ein, als sich die spanische Schauspielerin ihre Mantels entledigt und darunter vollkommen nackt ist. Zugegeben, die letzten Zeilen haben nie stattgefunden. Penélope Cruz hat dieses Lokal nie betreten. Vielmehr waren das meine Gedanken, als eine andere Dame die Bar betrat. Es handelt sich nicht um Monica Bellucci, Salma Hayek oder Scarlett Johansson. Die Dame, die eintritt, ist mir vollkommen unbekannt, was aber nichts daran ändert, dass ich sie attraktiv finde.[[Datei:Frau mit Hut.jpg|thumb|500px|I like turtles]] Die Kellnerin zeigt sich nicht so beeindruckt, denn sie sagt vollkommen ungerührt: „Wir haben geschlossen.“ „Ignorieren Sie diese Worte. Setzten Sie sich doch,“ erkläre ich rasch. Diese zwei Sätze bringen mich etwas in Bedrängnis Ersten bin ich der Bedienung auf die Füße gestiegen, indem ich ihre Worte als unbedeutend deklariert habe und zweitenshabe ich durch meine unbedarfte Äußerung mein Interesse an der unbekannten Besucherin bekundet. Die Kellnerin sieht mich scharf an. Sie zischt mir etwas zu, aber ich beachte diese Worte nicht und lasse einen Hundert-Euroschein über den Tresen wandern. Zum Glück habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, größere Mengen Bargeld bei mir zu tragen. Die unbekannte Dame zieht ihren Mantel aus. Darunter ist sie nicht wie erhofft nackt, sondern trägt eine weiße, kragenlose Bluse. Ich bestelle noch einen Mojito. Die Kellnerin nickt du verzichtet zumindest diesmal darauf mir horrende Summen für den Cocktail abzuknüpfen.  Während sie ihre Wut über mein arrogantes Gehabe an der Minze auslässt, setzt sich der neue Gast an den Tresen. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, wird ein Gin Tonic bestellt. Ich erhalte meinen Mojito, doch die erwartete Konversation kommt nicht in die Gänge. Als hätte der Dialog bei ihrem Eintreten nicht stattgefunden und als wäre ich nicht da, trinkt die Dame ihren Gin Tonic. Nach einer Viertelstunde des Schweigens bin ich mit meiner Geduld am Ende und frage ich von Neugier getrieben: „Wollen Sie nicht wissen, weshalb wir hier sitzen, obwohl die Bar geschlossen ist?“ „Ich muss Sie enttäuschen, aber ich weiß die Antwort schon. Sie haben ein Problem, welches ist mir vollkommen egal, und sitzen deshalb einsam und verlassen in einer Bar. Ihren Kummer versuchen Sie zwar nicht mit Alkohol zu trinken, wollen aber eine Aura des Selbstmitleid und der gebrochenen Persönlichkeit erschaffen. Als ich die Bar betreten habe, glaubten Sie, in mir einen potentiellen Mitleidspender erkannt zu haben. Ihr Einwand so wie Ihre Großzügigkeit sollten den Eindruck erwecken, dass Sie mehr sind als bloß ein arrogantes Arschloch und suggerieren, dass Sie mich für mehr halten, als bloß für einen Mitleidspender mit Brüsten und einer Scheide. Letztendlich muss man sagen, Ihr Plan ist gescheitert.“ Ich schlucke und spiele mit dem Gedanken mich über diesen Angriff gegen meine Persönlichkeit zu echauffieren. Ich komme aber nicht umhin zu erkennen, dass ihre Analyse beeindruckend zutreffend ist. Ich sitze zwar hier, weil der Rest der Menschheit meine Liebe zur Wahrheit verkennt. Auch bin ich nicht auf Mitleid aus. Aber der Rest der Analyse ist erstaunlich passend. Einerseits durch diesen Umstand beeindruckt, andererseits angetan von der Offenheit meines Gegenüber, lasse ich mich auf das Gespräch, das sicherlich nicht einfach werden würde: „Ich gratuliere zu Ihrer treffenden Analyse. Darf ich fragen, wie Ihr Name lautet?“ „Ich heiße Insipientia Scentiae“ „Mein Name ist Felix; erfreut Sie kennen zu lernen.“ „Es ist doch angenehm, wenn soziale Verhaltensregeln und persönliche Meinung dermaßen gut zusammenpassen.“ „Wie wahr, Insipientia.“ „Ihnen ist aber klar, dass ich nicht mit Ihnen schlafen werde, obwohl wir mit einander reden.“ „Ich habe eine Freundin.“ „Ihnen ist der Begriff Fremdgehen aber geläufig“ „Sie kennen aber sicherlich auch den Terminus Moralische Integrität“ „Sie wollen bemitleidet werden. Irgendwo her muss dieser Drang kommen. Da lag es nahe, dass Sie sich dafür hassen, dass Sie Ihre Freundin betrogen haben. Haben Sie vielleicht jemanden ermordet?“ „Ich werde sterben“ „Das werden wir alle.“ „Ich werde früher sterben.“ „Das ist eine glaubwürdige Ursache ihres Wunsches nach Mitleid." „Können wir verdammt noch mal aufhören, über meinen vermeintlichen Mitleidsdrang zu sprechen.“ „Was ist an diesem Thema nicht angenehm?“ „Ich habe Chorea Huntington und mache daher eine schwere Zeit im Leben durch.“ „Das interessiert mich nicht. Außerdem ist das ein äußerst plumper Versuch Mitleid zu erregen.“ „Ich will verfickt noch mal nicht darüber reden.“ „Verdrängung ist ein Leid, an dem die Menschheit zur Genüge leidet. Doch anstatt es zu bekämpfen, gibt es sich ihm hin und frönt mit unglaublicher Lust dem Leugnen,“ erklärt Insipientia. Langsam beginnt das Gespräch wunderliche Formen anzunehmen. Was eigenartig begonnen hat, wird jetzt langsam zu einem surrealen Gespräch, das in dieser Form vermutlich nicht einmal in Träumen – würde ich Träumen wäre meine Gesprächspartnerin nackt – stattfindet. Da jede meiner Aussagen über meine Erkrankung auf mein Mitleidwunsch zurückgeführt, versuche ich es mit einem anderen Thema: „Insipientia, woher stammen Sie eigentlich?“ „Ich bin mal hier, mal da. Ich durchstreife diese Welt,“ erhalte ich als Antwort. Das ist nicht sonderlich informativ. Schweigen senkt sich. Längst ist es dunkel draußen. Ich denke darüber nach wieder ein Gespräch anzufangen, aber ich lege keinen Wert darauf. Insipientias Worte geben mir zu denken. Ich leere meinen Mojito und stehe auf. Ich nehme meinen Mantel vom Haken und verabschiede mich: „Leben Sie wohl Insipientia.“ „Leben Sie wohl, Felix. Mich werden Sie vielleicht nie mehr wieder sehn, aber meine Freundin Veritas wird sich Ihnen bald zeigen“  Ich verlasse die Bar und trete hinaus in die Nacht.   
 
== Nägel mit Köpfen ==
 
== Nägel mit Köpfen ==
Ich sitze in meinem Sessel. Der ehemals prächtige Weihnachtsbaum hat seinen Schmuck verloren. Die Nadeln sind braun. Das kräftige Grün des Lebens hat diesen Baum schon lange verlassen. Auf meinem Schoss liegt eine Schüssel mit panierten Shrimps. Am Tisch zu meiner linken findet sich eine Flasche Bier. Auf den ersten Blick ist es ein Morgen wie jeder andere. Aber nur auf den ersten Blick. Insipientias Worte haben mich die ganze Nacht beschäftigt. Strebe ich nur nach Mitleid? Ein Klingeln reißt mich aus meinen Gedanken. „Meine Liebste, porta aperiri vult!“ rutscht es raus, aber sofort fällt mir ein, dass Sophie ausgegangen ist, um eine Freundin zu besuchen. Ernüchtert stellte ich die Schüssel mit den Shrimps auf den Tisch werfe meinen Hausmantel über und humple zur Tür. Meine Ernüchterung wächst als ich sehe, wer vor der Tür steht. Meine Mutter stürmt auf mich zu und schlingt ihre Hände um meinen Hals. Unwillkürlich weiche ich einen Schritt zurück. Während ich – vollkommen perplex durch die Situation – vor der Tür stehe, erklärt mir meine Mutter im vorwurfsvollen Ton: „Du hast mich seit Ewigkeiten nicht mehr angerufen.“ Ich schaue verdattert. Die Ewigkeit, von der meine Mutter spricht, beträgt gerade einmal sechs Tage. Sechs Tage, in denen ich größere Probleme hatte, als sie anzurufen, aber ich erwarte von meiner narzistischen Mutter nicht, dass sie das versteht. Stattdessen sage ich: „Tempus potentius quam ego est“ „Du weißt, dass ich kein Latein verstehe.“ „Es ist nicht an mir diese Lücke zu schließen,“ erkläre ich mit Nachdruck und wende mich ab. Es mag zwar herzlos klingen, aber momentan stehen mir die Shrimps näher als mein weiblicher Elternteil. Ohne viel zu erklären, setze ich mich einfach wieder und ergreife die Schüssel mit den Shrimps. Einige Sekunden steht meine Mutter irritiert im Türrahmen, dann
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Ich sitze in meinem Sessel. Der ehemals prächtige Weihnachtsbaum hat seinen Schmuck verloren. Die Nadeln sind braun. Das kräftige Grün des Lebens hat diesen Baum schon lange verlassen. Auf meinem Schoss liegt eine Schüssel mit panierten Shrimps. Am Tisch zu meiner linken findet sich eine Flasche Bier. Auf den ersten Blick ist es ein Morgen wie jeder andere. Aber nur auf den ersten Blick. Insipientias Worte haben mich die ganze Nacht beschäftigt. Strebe ich nur nach Mitleid? Ein Klingeln reißt mich aus meinen Gedanken. „Meine Liebste, porta aperiri vult!“ rutscht es raus, aber sofort fällt mir ein, dass Sophie ausgegangen ist, um eine Freundin zu besuchen. Ernüchtert stellte ich die Schüssel mit den Shrimps auf den Tisch werfe meinen Hausmantel über und humple zur Tür. Meine Ernüchterung wächst als ich sehe, wer vor der Tür steht. Meine Mutter stürmt auf mich zu und schlingt ihre Hände um meinen Hals. Unwillkürlich weiche ich einen Schritt zurück. Während ich – vollkommen perplex durch die Situation – vor der Tür stehe, erklärt mir meine Mutter im vorwurfsvollen Ton: „Du hast mich seit Ewigkeiten nicht mehr angerufen.“ Ich schaue verdattert. Die Ewigkeit, von der meine Mutter spricht, beträgt gerade einmal sechs Tage. Sechs Tage, in denen ich größere Probleme hatte, als sie anzurufen, aber ich erwarte von meiner narzistischen Mutter nicht, dass sie das versteht. Stattdessen sage ich: „Tempus potentius quam ego est“ „Du weißt, dass ich kein Latein verstehe.“ „Es ist nicht an mir diese Lücke zu schließen,“ erkläre ich mit Nachdruck und wende mich ab. Es mag zwar herzlos klingen, aber momentan stehen mir die Shrimps näher als mein weiblicher Elternteil. Ohne viel zu erklären, setze ich mich einfach wieder und ergreife die Schüssel mit den Shrimps. Einige Sekunden steht meine Mutter irritiert im Türrahmen, dann tritt sie ein und zieht ihre Schuhe aus. Ich verleibe mir wieder etwas Eiweiß in Form von Garnelen ein. Ich höre Schritte, die nähe kommen, dann spüre ich eine Hand auf meine Schulter, gefolgt von etwas, das sich so anfühlt, als würde mein Sessel versuchen, mich zu umarmen. Meine Versuche dies zu ignorieren sind leider nicht von Erfolg gekrönt, denn meine Mutter sagt, nach einiger Zeit und noch einigen Umarmungsversuchen mehr, in weinerlichem Ton: „Willst du mich nicht umarmen. Hast du mich gar nich mehr lieb?“ „Mama, ich esse gerade,“ antworte ich gelassen. Schon vor langer Zeit habe ich mich an die abstrusen Gedankengänge meiner Mutter gewohnt. Daher bin ich auch nicht erstaunt, dass sie mir plötzliches Absterben der Muttersohnbeziehung vorwirft. Dieses panischen Übertreibungen haben mich seit Kindertagen begleitet. Hatte ich Durchfall, so litt ich – laut Meinung meiner Mutter – an einer Choleraerkrankung. Musste ich niesen, stand eine Lungenentzündung ins Haus. Kam ich einmal schlecht gelaunt von der Schule nachhause, war meine Mutter sofort der Meinung ich würde gemobbt werden. Ich habe gelernt damit umzugehen. Übrigens wirklich eines der wenigen Dinge, mit denen ich  wirklich gelernt habe, um zu gehen.
 
== Veritas et Scentia ==
 
== Veritas et Scentia ==
  

Version vom 17. August 2011, 20:47 Uhr

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Besuch von oben (21.12.)

„That’s Life“. Mit diesen Worten besang schon Frank Sinatra das Auf und Ab des Lebens. Mal hat man ein Tief und kurze Zeit später genießt man ein Hoch. Auch wenn der Text des Liedes keinen Meilenstein des abendländischen Philosophie darstellt, so kann man dieser Erkenntnis eine gewisse Richtigkeit nicht verwehren. Ich bin der lebende Beweis. Ein Frohlocken in meinem Herzen. Ein Lächeln in meinem Gesicht. Eine Zigarre zwischen den Lippen und ein Stück meisterhaften Prosatextes in der Schreibmaschine eingespannt. Ich habe wahrlich ein hoch. Mir gegenüber sitzt Sophie. Ihr Gesicht ist in einem Buch versunken. Neben der Schreibmaschine befindet sich ein Papierstapel, mein Roman. Ein Meisterwerk, wie ich zweifellos überzeugt bin. Ich will mich wieder über Penelope, wie ich meine Schreibmaschine nenne – Sie ist so treu und liebevoll wie Odysseus’ Ehefrau – beugen will, klopft jemand an der Tür. Ich ziehe an der Zigarre, lege sie in den Aschenbecher und stehe auf. „Venio!Vorlage:Ref“ schreie ich und mache mich humpelnd auf zur Tür, welche ich auch flugs öffne, um zu bemerken, dass es sich bei den Klopfenden um Zeugen Jehovas handelt. Ich lächle heuchlerisch und verkünde mit froher Stimme: „Pecus et proditor! Gauda est videre vos.Vorlage:Ref“ Der Missionierungstrupp, bestehend aus einer jungen Frau im roten Mantel und mit kastanienbraunem Haar und einem älteren Mann im Anzug und mit zersauster Frisur, starrt mich ratlos an und fragt zögernd: „Sprechen Sie deutsch?“ „Selbstverständlich, was kann ich für Sie tun?“ „Wir sind von den Zeugen Jehovas,“ erklärt die Frau, tritt einen Schritt nach vorne, räuspert sich und fährt fort: „Glauben Sie, dass uns jemand zu hört, wenn wir beten?“ Ich zucke mit den Schultern und sage: „Kommt drauf an, wo man und wie laut man betet. In der Kirche gibt es sicherlich jemanden der zuhört. Letztens habe ich von einem Typen gelesen, der sich in eine Webcam hackte, also immer vorher die Internetverbindung kappen, bevor man Gott erzählt, wem man knallt.“ Ich grinse lüstern und zwinkere der Frau zu. Was tut man nicht alles um diese göttlichen Postboten für immer loszuwerden. Die sind unglaublich Begriffresistent, wenn man ihnen versucht klar zu machen, dass man kein Interesse an einem Abonnement von Jehovas langweiligsten Prosatexten will. Der junge Frau sagt: „Das meinten wir nicht. Wir wollen Ihnen die frohe Botschaft verkünden.“ „Das ist nicht nötig. Die hat mir meine Freundin gestern Nacht ins Ohr gestöhnt,“ erkläre ich. Betretenes Schweigen. Irgendwie fühle ich mich schmutzig. Der Mann stellt sich schützend vor seine Kollegin, anscheinend vertrauen sie doch nicht auf Gottes Fähigkeiten als Bodyguard, und ergreift das Wort: „Nein, wir meinen die Worte die Jesus uns mitgeteilt hatte“ „Ihr wollt mit mir über die Worte eines spanischen Fußballspielers reden. Gibt es keine Parkuhr, der ihr diesen Blödsinn erzählen könnt? Außerdem hat Jesus Navas eine schlechte Saison gespielt.“ „Sie missverstehen. Wir wollen über Jesus Christus und die Bibel reden.“ „Ist vor meiner Tür ein Schild auf dem “Kirche“ steht“ „Nein, es ist nur-“ „Warum wollt ihr dann mit mir verdammt noch mal über Gott reden?“ „Weil wir Ihnen die frohe Botschaft überbringen wollen.“ „Ich dachte, ihr wollt über Gott reden.“ „Genau, wir wollen Ihnen die frohe Botschaft überbringen“ „Ich glaube wir drehen uns im Kreis und weil mir schnell schwindlig wird, mache ich es kurz. Gott gibt es nicht. Jesus war ein Wanderprediger. Hasta LuegoVorlage:Ref. Ite cum deo, sed ite.Vorlage:Ref“ „Aber-“ „Kein aber. Ihr wolltet die frohe Botschaft überbringen und die lautet nun mal: Wir verschwinden und kommen nie mehr wieder,“ erkläre ich und schlage die Tür zu. Während ich mich abwende, fluche ich : „Cacati dementes!Vorlage:Ref“ Es ist nicht so, dass ich ein Problem damit habe, dass religiöse Spinner an Türen klopfen und Leute belästigen. Es stört mich nur, wenn religiöse Spinner an meine Tür klopfen und mich belästigen. Nicht, dass ich ein Problem mit dem ewigen Leben habe. Ich habe nur ein Problem damit ein langweiliges Leben nach dem Tod zu verbringen. Man stelle sich einen Himmel mit diesen lammarschigen, konservativen Christen vor. Kein Alkohol, kein Glückspiel, keine Zigarren und keine Stripperinnen. Darauf kann ich verzichten. Langsam humple ich zurück und setze mich an meine Schreibmaschine. Sophie hat das Buch aus der Hand gelegt und starrt mich an. Ich ignoriere sie und beginne zu tippen. Von Zeit zu Zeit ziehe ich an meiner Zigarre. Nach einigen Minuten sagt Sophie: „Du weißt, dass ich die anstarre.“ „Ich weiß auch, dass die Welt keine Scheibe ist. Worauf willst du hinaus? Soll ich zurückstarren?“ „Sei nicht albern. Du weißt, was ich meine!“ Ich habe eine dumpfe Vermutung, eine leise Ahnung, was es sein könnte. Vielleicht hängt es mit den Zeugen Jehovas zusammen. Ich erkläre: „Wenn du etwas willst, sage es mir oder lasse es bleiben. Ein Roman schreibt sich nicht von selbst.“ „Es stört mich wie du mit den Zeugen Jehovas umgegangen bist,“ erwidert meine Freundin mit belehrender Stimme. Ich seufze, blicke von meiner Schreibmaschine auf und atme langsam ein. Es ist zwar toll, dass mich diese christlichen Missionierungstruppen bekehren und mir ewiges Glück schenken wollten, doch sie brachten nur Wut und mit aller Wahrscheinlichkeit Ärger, der mir durch meine Freundin blüht. Wenn ich an eine höhere Macht glauben würde, würde ich von einer Strafe Gottes für meine blasphemischen reden, doch vielmehr hatte ich das Pech, dass diese wandelnden Bibellexika zur falschen Zeit an die falsche Tür klopften. Noch bevor ich mich ausreichend über mein Pech ärgern konnte, durfte ich Sophies Zorn spüren: „Du warst gemein zu ihnen. Das was du gesagt hast, war verletzend.“ „Genauso verletzend wie deine fehlende Eloquenz. Du warst gemein. Solche Worte schmerzen nicht mein Gewissen, sondern reizen höchstens meine Lachmuskeln.“ „Siehst du, das meine ich. Du bist ohne Grund verletzend.“ „Ich bin nicht verletzend. Ich sage nur die Wahrheit.“ „Du verkündest sie, das stimmt, aber ohne Rücksicht auf andere Dinge.“ „Wer die Wahrheit akzeptiert wird zu Glück finden.“ „Merkt man. Obwohl dich vor über vier Monaten der Wahrheit verschrieben hast, hinkst du immer noch.“ „Der Gehstock ist auch vielmehr ein Symbol.“ „Ein Symbol?“ „Ich bin Schriftsteller und als solcher liebe ich halt Symbole und Metaphern.“ „Für mich ist die Sache eher mehr ein Oxymoron“ „Wie meinen?“ „Ein gesunder Gehbehinderter. Eindeutig ein Oxymoron und selbst verständlich auch eine Alliteration, die zeigt aber nicht wirklich das Problem auf“ „Sehr subtil wie du vorgehst, um mir zu sagen, dass ich in Wahrheit eine gescheiterte Existenz bin. Ich werde mit einer weiteren Alliteration antworten. Ich bin ein großartiger, genialer, gewissenhafter Gehstockbesitzer.“ „Was aber nichts an der der Tatsache ändert, dass du den Gehstock nicht brauchst.“ „Er ist eine Synekdoche“ „Vorher war er noch ein Symbol.“ „Ist doch Jacke wie Hose. Er ist eine Synekdoche.“ „Da hast du Recht,“ sagt Sophie grinsend und nimmt wieder ihr Buch in die Hand. Gelegentlich habe ich das Gefühl, das meine Argumente nicht ad absurdum, sondern ad Gehstockem, oder was immer Gehstock auf Latein sein mag, geführt werden. In mir keimt die Vermutung, dass meine Freundin mich ausgetrickst und meine Worte gegen mich verwendet hat. Selbstverständlich bin ich mir der Tatsache bewusst, dass ich nicht perfekt bin, es fehlt zwar nicht viel, aber noch bin ich es nicht. Ich kann zum Beispiel kein Essen zu bereiten. Letzte Woche steckte ich den Toaster in Brand, als ich etwas Brot bräunen wollte. Nur die Sprache ist meine Stärke und somit auch das Gebiet, in dem ich meine Siege einfahre, wobei ich das Gespräch mit Sophie als Unentschieden betrachte, denn wenn man ehrlich ist, war ihre Argumentation bei weitem nicht so überzeugend, wie es gewirkt hatte. Moralische Werte sind relativ.

Weihnachtlicher Zynismus (24.12)

Aus der tönt Musik. Frank Sinatra singt „Santa Claus is comming to town“. Der Weihnachtbaum ist über und über behängt mit billigen chinesischen Lichterketten und hat vermutlich den Stromverbrauch eine kenianischen Kleinstadt, was mich nicht weiter stört. Viel beunruhigender finde ich die Tatsache, dass diese Unmengen an Strom durch Lichterketten fließen, die älter sind als ein deutscher Atomreaktor und noch dazu aus chinesischer Fabrikation kommen. Ich wollte zwar neue Lichterketten kaufen, aber meine Freundin bestand darauf die chinesischen Zündkabel zu behalten, da sie noch funktionieren würden und so toll leuchten was auch stimmt. Den Christbaum sieht man bestimmt noch aus dem Weltall. Die Lampen strahlen so viel Hitze ab, dass ich im Advent nicht heizen muss. Ich habe schon darüber nachgedacht meine Zigarren an den Lichterketten anzuzünden, aber ich wollte erstens keinen Weihnachtbaumbrand verursachen und zweitens hatte ich sorge, dass meine Augen die Helligkeit nicht vertragen würden. Ich hänge nämlich sehr an meinen Augen. Im Gegensatz zu meiner Freundin. Wie kann ich großkotziger Egozentriker aber auch erwarten, dass man sich um meine Augen schert oder um die armen chinesischen Kinder, die Tag und Nacht unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten. Hauptsache die Weihnachtsdekoration passt. Möge die Welt untergehen. Soll sie es doch, solange sie festlich geschmückt und dies dank chinesischer Lichterketten aus dem Weltall erkennbar ist. Diesen Eindruck habe ich zumindest, wenn ich mit Sophie diskutiere und sie meine Argumente schlicht weg ignoriert, oder mir erklärt, dass ich mich nicht um unwichtige Kinder, sondern um die armen Delphine, die in Japan abgeschlachtet werden, kümmern soll, da diese Meeressäuger einfach süß seien. Um der Wahrheit gerecht zu werden, muss ich hinzufügen, dass es mir bei den Streitgesprächen mit meiner geliebten Freundin nie wirklich um das Wohl der armen chinesischen Kinder ging, die meine samtige Seidenunterwäsche färben, sondern nur um mein eigenes Glück. Wieder starre ich den Baum an und frage mich, welchen Schrott ich dieses Jahr wieder geschenkt bekommen werde. Ich bin es Leid Unterwäsche, Gutscheine oder sonstigen Schamott zu bekommen. Letztes Weihnachtsfest stammte das einzige Geschenk, das von Herzen kam, von meinem Neffen. Es handelte sich um ein expressionistisches Meisterwerk, das die Beziehung eines Winzlings zu seinem Baum in beeindruckender Weise darstellt. Während ich so da liege, eine Zigarre zwischen den Lippen, ein Mojito in der Hand, höre ich meinen Magen knurren und frage mich wie lange es braucht eine Gans mit Füllung in den Ofen zu schieben und wieder herauszunehmen. Ich hätte einfach den Bunsenbrenner genommen, was vermutlich einer der Gründe ist, weshalb man mich nicht in die Küche lässt. Aber wenigstens warte ich nicht allein. Mein Neffe sitzt neben mir auf dem Boden und starrt seit einer Viertelstunde gebannt auf den Baum, der über und über mit Schokolade behangen ist. Gewissermaßen sind mein Neffe und ich Brüder im Leid. Wir beide dürfen nicht vom Baum der ErkenntnisWeihnacht naschen. Ich darf nicht, weil meine Freundin mir erklärt hatte, dass die Unmengen an Schokolade nur für meinen Neffen reserviert seinen, und mein Neffe muss warten, bis die Lichterketten abgeschaltet werden, da ich Sorge habe, dass er sonst Feuer fangen könnte. Also sitzen wir da und starren den Baum an. Ich tue es, weil ich nichts besseres zu tun habe und zu faul bin meinen Kopf zu bewegen und mein Neffe tut es, weil er in einem Alter ist, in dem man bunte leuchtende Dinge faszinierend findet und violette Kühe für reale Wesen hält. Nicht, dass ich an der Existenz der Milkakuh zweifeln würde, es ist nur so, dass ich nicht in Trübsal verfalle, nur da es nirgendwo im Pinzgau auch eine nur ansatzweise violette Kuh gibt. Doch mein Neffe ist in guter Gesellschaft. Fast schon bitter ist das Wissen über die Gruppe von Erwachsenen, die glaubt, dass Archäologen ein Haufen unrasierter, Hut tragender Spinner sind, und in ständiger Angst vor einer Invasion Darth Vaders lebt. Ich ziehe wieder an meiner Zigarre. Frank Sinatra singt immer noch. Einzig das Lied hat sich geändert. Ich trommle mit meinen Fingern auf der Sessellehne und gähne. Der Baum leuchtet vor sich hin und hat vermutlich den Kohlenstoffdioxidausstoß eines Passagierflugzeuges. Ich stehe auf, ziehe meinen Mantel über und humple auf den Balkon. Gierig inhaliere ich die kalte Luft und blicke über die verschneite Stadt. Ein Stockwerk unter mir streitet sich wieder ein Ehepaar. Er hat die Weihnachtskekse in Brand gesteckt. Während ich den Geruch von verbranntem Backwerk in der Nase spüre, lasse ich meinen Zorn über Weihnachten freien lauf und schlage mit meinem Gehstock auf den Holzweihnachtsmann ein, der am Balkongeländer befestigt ist. Es ist mir zuwider, Weihnachten. Ich hasse die gestellte Freude und den peinlichen Zwang etwas schenken zu müssen. Jedem Freund des Schönen schmerzt der kommerzielle Kitsch, der in der Weihnachtsdekoration seinen Höhepunkt findet, im Herzen. Die rotgekleideten, vollbärtigen Fettsäcke, die einem in der Fußgängerzone belästigen, machen die Sache auch nicht besser. Alles in allem ist das Weihnachtfest eine gigantische Orgie der Heuchelei, bei der man sich dem Wunsch der heilen Welt hingibt. Eine Tetanusimpfung für ein afrikanisches Kind oder eine fair gehandelte Tafel Schokolade kosten weniger als eine Weihnachtmannfigur. Ich stoße die Weihnachtsmannfigur vom Balkon. Während ich auf das Rentier einschlage und meinen Frust an Rudolfs Kopf ablasse, stellt sich mein Vater neben mich. Ohne in meiner Tätigkeit inne zu halten, frage ich: „Was willst du?“ „Mit dir reden.“ „Ich habe momentan keine Zeit,“ erkläre ich und schlage einem kleinen Engel den Kopf ab, der im hohen Bogen vom Balkon fliegt und auf der anderen Straßenseiten neben einem Wagen aufschlägt. Während ich weiter auf die Figur einschlage, verlagert mein Vater sein Gewicht vom einen Fuß auf den anderen und sagt: „Es ist wichtig.“ „Ist es so wichtig, dass das Fortbestehen der Welt davon abhängt?“ „Warum sollte das Fortbestehen der Welt davon abhängen?“ „Weil du mich von der Seite anquatscht, obwohl ich beschäftigt bin.“ „Du zerstörst nur die Weihnachtsdekoration.“ „Immerhin etwas,“ erwidere ich und schlage wieder auf Rudolf ein. Während ich das Kunststoffrentier mit meinen Gehstock verforme, gestaltet sich in meinen Kopf eine neue Filmidee: Ganz Österreich ist im Weihnachtsfieber. Ganz Österreich? Nein, ein einsamer Mann leistet unerbittlichen Widerstand. Mein Vater reist mich aus den Gedanken. Er sagt: „Felix, mein Sohn, ich muss dir etwas sagen.“ „Bist du schwul?“ „Nein. Wie kommst du darauf?“ „War nur ein Scherz. Ich weiß, dass es um die Scheidung geht,“ gestehe ich, lasse von Rudolf, oder was von ihm übrig geblieben ist ab und betrachtete meinen Vater, der mich mit offenen Mund anstarrt und nach den geeigneten Worten sucht. Von drinnen dringt Frank Sinatras Stimme an mein Ohr. Nach einigen Sekunden hat mein Vater sich erfangen und fragt: „Woher weißt du das?“ „Es ist auffällig, wenn du das halbe Jahr in Südostasien verbringst. Meine Mutter lebt in einer Scheinwelt, aber mir war klar, dass irgendwo eine Masseuse knallst. Hoffentlich warst du nicht an der falschen Seite knauserig und hoffentlich hast du dich gut benommen. Du glaubst gar nicht viele europäische Männer vergessen, dass die Kolonialzeit vorbei ist.“ „Wie redest du mit mir! Ich bin dein Vater und dulde diese Respektlosigkeit nicht!“ „Vater am Arsch. Qui commodum habet etiam incommodum ferre debet. Culpa tua miseriam tuam feretVorlage:Ref. Es ist nicht an mir dich zu verurteilen. Ich hoffe nur, du hast vernünftig gehandelt und dich nicht von deinem Penis leiten lassen.“

Patientenrevolte (29.12)

„Felix, wie geht es Ihnen?“ „Könnten Sie endlich die verdammte Handpuppe weggeben. Ich bin kein Kind mehr.“ „Verziehen Sie, gelegentlich geht der Spieltrieb mit mir durch.“ „Ich bin in einem Alter, da können wir anderen Spiele spielen. Spiele für Erwachsene,“ erkläre ich mit tiefer Stimme, lache lüstern und lehne mich zurück. Ich sitze im Behandlungszimmer meiner Psychotherapeutin oder Psychologin oder Psychiaterin oder Microsoft-Power-Point-Spezialistin. Ganz ist mir das nicht klar, denn die Wand hinter mir ist über und über mit mehr oder minder sinnvollen Diplomen und Auszeichnungen bedeckt. Meine Therapeutin beugt sich vor und erwidert: „Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie nicht versuchen sollten, mich durch Ihre sexuell motivierten Aussagen zu erniedrigen, nur um Ihr angeknackstes Ego zu stärken.“ „Es war keine Erniedrigung. Ich finde Sie wirklich attraktiv.“ „Danke, möchten Sie vielleicht über Ihre Angst vor Eseln reden?“ „Ich habe keine Angst, sondern nur gesunden Respekt. Diese Tiere können eine Schulterhöhe von bis zu hundertsechzig Centimetern erreichen. Da ist Vorsicht angebracht.“ „Und was ist mir Ihrer Angst vor Asseln?“ „Ich habe keine Angst vor Asseln,“ erkläre ich und beuge mich nach vor. Ich greife in mein Sakko, als mir einfällt, dass Rauchen verboten ist, lasse ich die Zigarre los und lege meine Hand auf den Tisch. Eine Weile betrachte ich meine Therapeutin, die eine gewisse Ähnlichkeit zu Monica Bellucci aufweist, als sie plötzlich eine Assel aus ihrer Lade hervorholt. Verständlicher Weise zucke ich zurück. Mit meinen linken Bein stoße ich mich unwillkürlich und schütze mit meinen Armen das Gesicht. Eine Weile verharre ich in dieser Position, doch dann spüre ich, wie der Sessel langsam nach hinten kippt. Ich versuche durch eine rasche Vorwertsbewegung des Oberkörpers das Schlimmste zu verhindern, doch meine rasche Reaktion kommt zu spät. Der Sessel kippt und ich kippe mit ihm. Unsanft werde ich vom Boden begrüßt. Langsam rapple ich mich hoch. Ich atme tief ein und betrachte meine Therapeutin, die mit einem breiten Grinsen am Tisch sitzt. Ich koche vor Wut über diese Blamage. Nur mit Mühe kann ich eine scharfzüngige Antwort unterdrücken. Wer weiß welche krude Erklärung ich mir anhören muss, wenn ich ihr meine Geige. Vermutlich gibt sie einem inneren Konflikt die Schuld und nicht meiner Kollision mit dem harten Holzboden. Die spinnen die Seelenklempner. Ich richte den Sessel auf, setzte mich hin, warte auf den Spott und versuche nicht die Plastikassel zu betrachten die am Tisch liegt. Die Therapeutin sagt: „Quod erat demonstrandumVorlage:Ref“ „Quo errat demonstratorVorlage:Ref. Ich habe keine Angst vor Asseln. Ich dachte, es wäre eine Schabe und welcher normale Mensch hat keine Schaben?“ „Ich habe keine Angst vor Schaben.“ „Ich sagte, welcher normale Mensch hat keine Angst vor Schaben.“ „Kommt jetzt ein Psychotherapeutenwitz?“ „Sie sind außergewöhnlich schön.“ „Felix, ich mache mir Sorgen. Was ist los mit Ihnen? Sie weigern sich mit mir zu reden. Wie soll ich Ihnen helfen, wenn Sie nicht reden? Sie wehren jeden Gesprächsansatz ab; reden nur über mein Aussehen; machen mir Angebote, obwohl Sie eine Freundin haben. Wo liegt Ihr Problem?“ „Miseria mea magne estVorlage:Ref. Veram causam miseriae magnae meae vis audireVorlage:Ref? Meine Eltern lassen sich scheiden,” erkläre ich und lehne mich wieder zurück. Diese Gespräche sind lästig und mühsam. Ich könnte jetzt zuhause sitzen und fernsehen oder Comics lesen. Stattdessen sitze ich hier und rede über meine Probleme. Was für eine Zeitverschwendung. Ich kenne meine Probleme und versuche sie zu lösen und die meisten Probleme löst man nicht, in dem man sie tot diskutiert. Kant hatte einen kategorischen Imperativ, der sich vor allem auf ethische Belange bezieht. Ich habe so etwas ähnliches. Es ist kein Imperativ, sondern ein Gesetz. Homo studet Felicitati. Der Mensch strebt nach Glück. Und da ich ein Mensch bin, habe ich selbst den Antrieb meine Probleme zu lösen oder es zumindest zu versuchen. Und da ich ein Mensch bin, liegt es mir auch fern meine Probleme einer Person anzuvertrauen, die dadurch eine Machtposition über mich erlangt. Die Tatsache, dass ich trotzdem hier sitze, ist ein weiterer Beweis dafür, dass der Mensch nach Glück strebt und um dieses Ziel zu erreichen den einfachsten Weg wählt. Denn wenn ich nicht Psychiater ginge, müsste ich mir von meiner Freundin und von meiner Mutter anhören, dass ich versuche meine Probleme zu verdrängen. Außerdem kann ich bei diesen Gelegenheiten meiner Therapeutin in den Ausschnitt linsen und das ist vermutlich vermutlich die beste Therapie gegen meine latente Misanthropie. Gegen meine latente Mysogynie scheint nicht wirklich helfen, aber wenn interessiert es. Ich bin ein Mann. Meine Therapeutin neigt den Kopf, blickt mich betrübt an und erklärt: „Es tut mir Leid, dass sich Ihre Eltern getrennt haben.“ „Das ist nicht weiter schlimm. Die sind schon seit Jahren zerstritten Mein Vater hatte die kranke Idee seinem Penis kulturelle Bereicherung zu schenken und nagelt Prostituierte auf der ganzen Welt, während meine Mutter es liebte sich in Selbstmitleid zu suhlen und ihre Unterwürfigkeit bis hin zur Perfektion auszuleben. Sie sehen, die Situation ist nicht neu. Was mich wirklich ärgert, ist dass ich meine Apocalypse-Now-DVD nicht mehr finde.“ „Es stimmt mich traurig und nachdenklich, wenn ich sehe wie Sie über Ihre Eltern reden.“ Ich grinse lüstern und erkläre mit einem Augenzwinkern: „Ich könnte Sie trösten.“ „Es betrübt mich wirklich, wenn ich mit Ihnen rede. Sie sind ehrlich, sehr ehrlich sogar. Aber Ihre Aussagen, Ihre vermeintliche Liebe zur Wahrheit, sind nichts weiter als zynische Statements. Sie akzeptieren die Wahrheit, aber sie verändern sie nicht. Wer Verbitterung seht, wird Verbitterung ernten. Ihr Verhalten ist keine Ehrerbietung an die Wahrheit, sondern vielmehr ein Vergraulen ihrer Liebsten. Sie waren schon immer ein schräger Kauz, aber sie waren ein liebenswürdiger Spinner. Nun sind Sie am Weg ein ungeliebtes Arschloch zu werden. Abyssus abyssum invocat.“ „Autem non abyssus sum. Sum vir, qui agit in animo veritatis.“ „Quid animus veritatis estne? Veritas est et non habet animus. Hat Ihnen schon jemand gesagt, dass Sie einen grauenhaften Akzent haben?“ „Sie sprechen sogar Latein, dass macht Sie noch schöner, obwohl dies genaugenommen nicht möglich ist.“ „Ich finde es rührend, dass Sie versuchen so der Antwort zu entkommen, aber es funktioniert nicht. Als Sie vor Monaten zu mir gekommen sind und meine Hilfe in Anspruch nahmen, waren Sie verunsichert durch Ihre Krankheit, durch Ihre fehlende Ausbildung und dann kam noch der Tod Ihres Großvaters. Sie waren und sind immer noch mit viel Leid konfrontiert und um damit fertig zu werden, relativieren Sie dieses Leid und glauben im Sinne der Wahrheit zu handeln. Autem dic mihi. Quid est animus veritatis?“ „Nescio. Aber ich sehe den Dingen ins Auge. Ich verstecke mich nicht hinter Illusionen und Träumen. Ich stelle mich den Tatsachen.“ „Der Mensch ist nicht dafür geschaffen um mit der Wahrheit zu kokettieren und Sie bilden keine Ausnahme. Es wird Sie noch zu Grunde richten.“ Obwohl die Thematik der Unterhaltung nicht nur ein hohes Maß an Komplexität gewonnen hat, sondern auch noch mein Innerstes betrifft, starre ich in das Dekolletee meine Therapeutin. Aus unerfindlichen Gründen interessiert mich dies mehr, als mein Seelenheil. Vermutlich weil ich mein Seelenheil schon habe und eigentlich nur hier her komme um zuhause meine Ruhe zu haben und mit meiner Therapeutin flirten zu können. Trotzdem kann ich es nicht dulden, dass jemand meine Ansicht in Misskredit bringt: „Es richtet mich nicht zu Grunde. Es verhilft mir zu Glück. Es macht mich zu einem besseren Menschen.“ „Es wird Sie zu Grunde richten. Sie haben Potenzial. Durch den Pathos in Ihren Reden bemerkt man es. Aber auch Ihre Probleme sind unübersichtlich.“ „Ich habe keine Probleme,“ erkläre ich und stehe. Mit einem Auge betrachte ich die Gummiassel, während ich die Zigarre, die zwischen meinen Lippen klemmt anzünde. Ich nehme meinen Gehstock in die Hand und mache Anstalten das Behandlungszimmer zu verlassen, als meiner Therapeutin zu mir sagt: „Nemo ducit veritatem in matrimonio, quod veritas te ducit in triste.“

O tempora! O mores! (Der Tragödie erster Teil)

Wie dieser Niederlage schmerzt. Wie dieses fehlende Verständnis ein Loch in meine Seele frisst. Selbst meine geliebte Therapeutin versteht mich nicht. Niemand versteht mich. Niemand will mich verstehen. In ihrer Narretei begreifen die Menschen nicht, dass ich die Wahrheit vertrete. Sie verleugnen mich. Sie lehnen mich ab und in meiner Bonhomie will ich trotzdem mit ihnen kommunizieren. Ich opfere mich auf und die Croissants stoßen mich weg, versuchen mich zu belehren. Quo usque tandem abutere, Munde, patientia mea. Ich habe mich losgerissen. Ich habe die Ketten gesprengt. Ich habe die Höhle verlassen und ins Licht geblickt. Jetzt komme ich zurück und sie wollen meine Worte nicht hören. Sie verkennen mich, schelten mich einen Narren, versuchen mich zum Schweigen zu bringen. Quid est libertas? Potestas vivendi, ut velis. Doch ich bin nicht frei. Die Menschen, die behaupten mich zu lieben, wollen mich nicht zur Wahrheit stehen lassen. Verblendet ist diese Bagage und aufmüpfig noch dazu. Es schneit und missmutig humple ich durch das Zentrum Zell am Sees. Die verdammten Pflastersteine sind rutschig wie der Boden einer überfluteten Seifenfabrik. Mein Gehstock hat soviel Halt wie die somalische Regierung. Mehr als einmal wäre ich fast gestürzt. Ich bin umgeben von fröhlichen Menschen, die ihren Weihnachtsscharren umtauschen wollen. In der Kirchengasse bleibe ich stehen und denke kurz darüber nach, ob ich zum See hinabgehen soll. Der Schnee sammelt sich auf meiner Hutkrempe. Die Kälte dringt in meine Handschuhe. Nach einiger Zeit, als sich meine Gedanken schon wieder irgendwo befinden und sich nicht mehr mit der eigentlichen Ausgangsproblematik beschäftigen, fällt mir eine Bar in mein Blickfeld. Da mir meine Gedanken schon auf die Nerven gehen, mir kalt wird und ich bei diesem Wetter kaum weiterkomme, mache ich kurzen Prozess und betrete das Lokal einfach. Es ist leer. Musik ist keine zu hören. Langsam humple ich zum Tresen und setze mich auf einen Barhocker. Eine Kellnerin betritt den Barraum und sagt zu mir: „ Wir haben entschlossen.“ Ich entgegne: „Multae sunt causae bibendi“ „Was?“ „Es gibt viele Gründe zu trinken,“ erkläre ich und lege einen 100-Euroschein auf den Tresen. Die Kellnerin nickt, nimmt den Schein und fragt: „ Was darf's sein?“ „Ein Mojito,“ antworte ich. Da sitze ich nun, ich armer Tor, und bin so froh, als wie zuvor. Draußen wird das Wetter das schlechter, der Schneefall stärker. Man bringt mir meinen Mojito. Ich nippe daran. Irgendwie hat sich nichts gebessert. Ich sitze alleine in einer Bar in Zell am See. Draußen schneit es. Mein Psychologin hält mich für ein Wrack, meine Freundin für ein Arschloch und wenn es nach den Zeugen Jehovas ginge, würde ich den Rest meines Daseins im Fegefeuer verbringen. Und alles nur weil ich ehrlich bin. Es ist ja nicht meine Schuld, wenn die Menschen mit der Wahrheit umgehen können. Ich schaffe es und man sieht ja welch positiven Effekt es hat. Ich trinke nicht – zumindest nicht im Übermaß – oder isoliere – ich sitze ja nicht jeden Tag alleine in einer Bar – mich nicht. Ich nippe wieder an meinem Mojito, blicke aus dem Fenster. Immer noch schneit. Ich seufze. Ich seufze wieder und ich seufze nochmals. Etwas anderes bleibt mir auch nicht übrig, denn der Tisch sieht nicht so aus als wüsste er viel und um ehrlich zu sein, ist mir der Barhocker zu meiner linken nicht wirklich sympathisch. Letztendlich warte ich darauf, dass sich die Kellnerin blicken lässt. Ich versuche ein Gespräch aufzubauen, indem ich frage: „Wie geht’s?“ „Vergiss es, Hinkebein. 100 Euro sind zu wenig,“ erhalte ich als Antwort und mir kommt in den Sinn, dass ich vielleicht etwas verzweifelter aussehe, als ich mich fühle. Immerhin sitze ich alleine in einer Bar und trinke einen Mojito, wobei der Grund dafür nicht in meiner nicht existenten Trunkensucht noch in meiner nicht vorhandenen Traurigkeit, sondern einfach im Wetter liegt. Vielleicht ist es auch nicht mein Gesichtsausdruck, sondern einfach nur die Tatsache, dass ich für einen Mojito 100 Euro bezahlt habe, die mich wie einen Trinker erscheinen lässt. Das einzige Geräusch, das mich beim Trinken begleitet, ist das Rauschen des Geschirrspülers. Wenigstens leugnet dieses technische Hilfsmittel nicht die Wahrheit. Es ist vielleicht laut, sperrig, schmutzig und die Heimat einiger Silberfische, aber wenigstens steht es zu sich selbst. Ich nippe an meinem Mojito. Verdammt noch mal, jetzt beginne ich schon Geschirrspüler zu glorifizieren. Ich muss aber auch zugeben, dass sie verdammt toll sind. Immerhin waschen sie Geschirr. Ich zum Beispiel wasche kein Geschirr. Meine Gedanken werden langsam bedrohlich konfus. Die Einsamkeit gepaart mit dem rauschen Geschirrspüler scheint mir nicht zu bekommen. Da ich Musik zur Ablenkung brauche, sage ich: „Ich lege nocheinmal 100 Euro drauf, wenn Sie Musik aufdrehen.“ „Einverstanden Hinkebein,“ erhalte ich als Antwort. Kurze Zeit später ertönt das Lied „I kissed a girl“ von Katy Perry. Nicht gerade, dass was ich mir vorstellte, weshalb ich beginne zu reklamieren. Natürlich greife ich tief in rhetorische Trickkiste, um mein Ziel zu erreich: „Ich will etwas anderes hören.“ „Reg dich ab. Wir sind hier nicht bei Wünsch-dir-was“ „Ich habe 100 Euro gezahlt. Mir geht es am Arsch vorbei, was sie darüber denken. Ich will andere Musik hören.“ „Mir ist das ziemlich wurscht, aber wenn Sie einen Fufziger drauf legen, könnten wir ins Geschäft kommen.“ „Das ist Erpressung.“ „Nein, das ist Kapitalismus“ „Halsabschneider,“ presse ich zwischen den Zähnen hervor. Nur Verbrecherpack gibt es auf der Welt. Da möchte man etwas Entgegenkommen haben und wird ausgenommen wie eine Weihnachtsganz. Quo vadis, munde? Es stellt sich mir auch die Frage, ob ich jetzt in der Machtposition bin, weil ich es durch Geld schaffe, dass die Bedienung Dinge macht, die sie nicht machen will, oder es umgekehrt ist, weil ich zahlen muss, damit geschieht, was ich will. Ich sollte darüber einmal eine Abhandlung schreiben. Die Kellnerin reißt mich aus meinen Gedanken, indem sie fragt: „Wollen Sie nun oder nicht?“ „Was?“ rutscht es mir raus und verschlechtert mein sowieso schlechtes Bild, das die Kellnerin von mir hat. Sie klärt mich auf: „Zahlst du nun, oder bist du zu knausrig, um einen fünfziger springen zu lassen.“ „Ich bin nicht geizig, sonst hätte ich wohl kaum 100 Euro für einen Mojito gezahlt.“ „Du glaubst gar nicht wie viele Leute in die Bar kommen und diese Nummer abziehen, nur um mich flachzulegen.“ „Wenn ich mich dazu zähle, würde ich spontan sagen, niemand hatte bis jetzt diese schwachsinnige Idee.“ „Wenn du glaubst, dass du mich verarschen kannst, dann liegst du falsch.“ Ich lasse diesen überaus genialen Konter einfach so im Raum stehen und lege hundert Euro auf den Tisch. Ich bin das Gespräch Leid. Die Bardame nickt und fragt mich, was ich den hören möchte. Es folgt eine längere Diskussion, in der sie meinen – laut ihrer Meinung – etwas veralteten Musikstil kritisiert, während ich ihr fehlende Allgemeinbildung attestiere , da sie Jazzgrößen wie Billie Holiday oder Julie London nicht kennt. Nach einer Viertelstunde ist dieser Punkt hinreichend geklärt. Julie London singt im Hintergrund und ich habe meinen zweiten Mojito. Auf die Zigarre muss ich leider verzichten, denn es herrscht striktes Rauchverbot. Irgendwie kaufe ich ihr das nicht ganz ab, aber mir fehlt das entscheidende Argument, um wirkliches effektiv etwas entgegensetzen zu können. So sitze ich da, ohne Zigarre. Plötzlich betritt Penélope Cruz das Lokal. Ihr dunkelbraunes Haar trägt sie offen. Ein Mantel bedeckt ihren Körper. Zu meinem Erstaunen sehe ich trotz der kalten Temperaturen keine Hose, nicht einmal Schuhe erblicke. Das erstaunt mich etwas, doch das ist noch steigerungsfähig. Meine Kinnlade klappt nach unten, meine Augen treten fasst aus ihren Höhlen, mein Denkapparat stellt kurz seinen Dienst ein, als sich die spanische Schauspielerin ihre Mantels entledigt und darunter vollkommen nackt ist. Zugegeben, die letzten Zeilen haben nie stattgefunden. Penélope Cruz hat dieses Lokal nie betreten. Vielmehr waren das meine Gedanken, als eine andere Dame die Bar betrat. Es handelt sich nicht um Monica Bellucci, Salma Hayek oder Scarlett Johansson. Die Dame, die eintritt, ist mir vollkommen unbekannt, was aber nichts daran ändert, dass ich sie attraktiv finde.
I like turtles
Die Kellnerin zeigt sich nicht so beeindruckt, denn sie sagt vollkommen ungerührt: „Wir haben geschlossen.“ „Ignorieren Sie diese Worte. Setzten Sie sich doch,“ erkläre ich rasch. Diese zwei Sätze bringen mich etwas in Bedrängnis Ersten bin ich der Bedienung auf die Füße gestiegen, indem ich ihre Worte als unbedeutend deklariert habe und zweitenshabe ich durch meine unbedarfte Äußerung mein Interesse an der unbekannten Besucherin bekundet. Die Kellnerin sieht mich scharf an. Sie zischt mir etwas zu, aber ich beachte diese Worte nicht und lasse einen Hundert-Euroschein über den Tresen wandern. Zum Glück habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, größere Mengen Bargeld bei mir zu tragen. Die unbekannte Dame zieht ihren Mantel aus. Darunter ist sie nicht wie erhofft nackt, sondern trägt eine weiße, kragenlose Bluse. Ich bestelle noch einen Mojito. Die Kellnerin nickt du verzichtet zumindest diesmal darauf mir horrende Summen für den Cocktail abzuknüpfen. Während sie ihre Wut über mein arrogantes Gehabe an der Minze auslässt, setzt sich der neue Gast an den Tresen. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, wird ein Gin Tonic bestellt. Ich erhalte meinen Mojito, doch die erwartete Konversation kommt nicht in die Gänge. Als hätte der Dialog bei ihrem Eintreten nicht stattgefunden und als wäre ich nicht da, trinkt die Dame ihren Gin Tonic. Nach einer Viertelstunde des Schweigens bin ich mit meiner Geduld am Ende und frage ich von Neugier getrieben: „Wollen Sie nicht wissen, weshalb wir hier sitzen, obwohl die Bar geschlossen ist?“ „Ich muss Sie enttäuschen, aber ich weiß die Antwort schon. Sie haben ein Problem, welches ist mir vollkommen egal, und sitzen deshalb einsam und verlassen in einer Bar. Ihren Kummer versuchen Sie zwar nicht mit Alkohol zu trinken, wollen aber eine Aura des Selbstmitleid und der gebrochenen Persönlichkeit erschaffen. Als ich die Bar betreten habe, glaubten Sie, in mir einen potentiellen Mitleidspender erkannt zu haben. Ihr Einwand so wie Ihre Großzügigkeit sollten den Eindruck erwecken, dass Sie mehr sind als bloß ein arrogantes Arschloch und suggerieren, dass Sie mich für mehr halten, als bloß für einen Mitleidspender mit Brüsten und einer Scheide. Letztendlich muss man sagen, Ihr Plan ist gescheitert.“ Ich schlucke und spiele mit dem Gedanken mich über diesen Angriff gegen meine Persönlichkeit zu echauffieren. Ich komme aber nicht umhin zu erkennen, dass ihre Analyse beeindruckend zutreffend ist. Ich sitze zwar hier, weil der Rest der Menschheit meine Liebe zur Wahrheit verkennt. Auch bin ich nicht auf Mitleid aus. Aber der Rest der Analyse ist erstaunlich passend. Einerseits durch diesen Umstand beeindruckt, andererseits angetan von der Offenheit meines Gegenüber, lasse ich mich auf das Gespräch, das sicherlich nicht einfach werden würde: „Ich gratuliere zu Ihrer treffenden Analyse. Darf ich fragen, wie Ihr Name lautet?“ „Ich heiße Insipientia Scentiae“ „Mein Name ist Felix; erfreut Sie kennen zu lernen.“ „Es ist doch angenehm, wenn soziale Verhaltensregeln und persönliche Meinung dermaßen gut zusammenpassen.“ „Wie wahr, Insipientia.“ „Ihnen ist aber klar, dass ich nicht mit Ihnen schlafen werde, obwohl wir mit einander reden.“ „Ich habe eine Freundin.“ „Ihnen ist der Begriff Fremdgehen aber geläufig“ „Sie kennen aber sicherlich auch den Terminus Moralische Integrität“ „Sie wollen bemitleidet werden. Irgendwo her muss dieser Drang kommen. Da lag es nahe, dass Sie sich dafür hassen, dass Sie Ihre Freundin betrogen haben. Haben Sie vielleicht jemanden ermordet?“ „Ich werde sterben“ „Das werden wir alle.“ „Ich werde früher sterben.“ „Das ist eine glaubwürdige Ursache ihres Wunsches nach Mitleid." „Können wir verdammt noch mal aufhören, über meinen vermeintlichen Mitleidsdrang zu sprechen.“ „Was ist an diesem Thema nicht angenehm?“ „Ich habe Chorea Huntington und mache daher eine schwere Zeit im Leben durch.“ „Das interessiert mich nicht. Außerdem ist das ein äußerst plumper Versuch Mitleid zu erregen.“ „Ich will verfickt noch mal nicht darüber reden.“ „Verdrängung ist ein Leid, an dem die Menschheit zur Genüge leidet. Doch anstatt es zu bekämpfen, gibt es sich ihm hin und frönt mit unglaublicher Lust dem Leugnen,“ erklärt Insipientia. Langsam beginnt das Gespräch wunderliche Formen anzunehmen. Was eigenartig begonnen hat, wird jetzt langsam zu einem surrealen Gespräch, das in dieser Form vermutlich nicht einmal in Träumen – würde ich Träumen wäre meine Gesprächspartnerin nackt – stattfindet. Da jede meiner Aussagen über meine Erkrankung auf mein Mitleidwunsch zurückgeführt, versuche ich es mit einem anderen Thema: „Insipientia, woher stammen Sie eigentlich?“ „Ich bin mal hier, mal da. Ich durchstreife diese Welt,“ erhalte ich als Antwort. Das ist nicht sonderlich informativ. Schweigen senkt sich. Längst ist es dunkel draußen. Ich denke darüber nach wieder ein Gespräch anzufangen, aber ich lege keinen Wert darauf. Insipientias Worte geben mir zu denken. Ich leere meinen Mojito und stehe auf. Ich nehme meinen Mantel vom Haken und verabschiede mich: „Leben Sie wohl Insipientia.“ „Leben Sie wohl, Felix. Mich werden Sie vielleicht nie mehr wieder sehn, aber meine Freundin Veritas wird sich Ihnen bald zeigen“ Ich verlasse die Bar und trete hinaus in die Nacht.

Nägel mit Köpfen

Ich sitze in meinem Sessel. Der ehemals prächtige Weihnachtsbaum hat seinen Schmuck verloren. Die Nadeln sind braun. Das kräftige Grün des Lebens hat diesen Baum schon lange verlassen. Auf meinem Schoss liegt eine Schüssel mit panierten Shrimps. Am Tisch zu meiner linken findet sich eine Flasche Bier. Auf den ersten Blick ist es ein Morgen wie jeder andere. Aber nur auf den ersten Blick. Insipientias Worte haben mich die ganze Nacht beschäftigt. Strebe ich nur nach Mitleid? Ein Klingeln reißt mich aus meinen Gedanken. „Meine Liebste, porta aperiri vult!“ rutscht es raus, aber sofort fällt mir ein, dass Sophie ausgegangen ist, um eine Freundin zu besuchen. Ernüchtert stellte ich die Schüssel mit den Shrimps auf den Tisch werfe meinen Hausmantel über und humple zur Tür. Meine Ernüchterung wächst als ich sehe, wer vor der Tür steht. Meine Mutter stürmt auf mich zu und schlingt ihre Hände um meinen Hals. Unwillkürlich weiche ich einen Schritt zurück. Während ich – vollkommen perplex durch die Situation – vor der Tür stehe, erklärt mir meine Mutter im vorwurfsvollen Ton: „Du hast mich seit Ewigkeiten nicht mehr angerufen.“ Ich schaue verdattert. Die Ewigkeit, von der meine Mutter spricht, beträgt gerade einmal sechs Tage. Sechs Tage, in denen ich größere Probleme hatte, als sie anzurufen, aber ich erwarte von meiner narzistischen Mutter nicht, dass sie das versteht. Stattdessen sage ich: „Tempus potentius quam ego est“ „Du weißt, dass ich kein Latein verstehe.“ „Es ist nicht an mir diese Lücke zu schließen,“ erkläre ich mit Nachdruck und wende mich ab. Es mag zwar herzlos klingen, aber momentan stehen mir die Shrimps näher als mein weiblicher Elternteil. Ohne viel zu erklären, setze ich mich einfach wieder und ergreife die Schüssel mit den Shrimps. Einige Sekunden steht meine Mutter irritiert im Türrahmen, dann tritt sie ein und zieht ihre Schuhe aus. Ich verleibe mir wieder etwas Eiweiß in Form von Garnelen ein. Ich höre Schritte, die nähe kommen, dann spüre ich eine Hand auf meine Schulter, gefolgt von etwas, das sich so anfühlt, als würde mein Sessel versuchen, mich zu umarmen. Meine Versuche dies zu ignorieren sind leider nicht von Erfolg gekrönt, denn meine Mutter sagt, nach einiger Zeit und noch einigen Umarmungsversuchen mehr, in weinerlichem Ton: „Willst du mich nicht umarmen. Hast du mich gar nich mehr lieb?“ „Mama, ich esse gerade,“ antworte ich gelassen. Schon vor langer Zeit habe ich mich an die abstrusen Gedankengänge meiner Mutter gewohnt. Daher bin ich auch nicht erstaunt, dass sie mir plötzliches Absterben der Muttersohnbeziehung vorwirft. Dieses panischen Übertreibungen haben mich seit Kindertagen begleitet. Hatte ich Durchfall, so litt ich – laut Meinung meiner Mutter – an einer Choleraerkrankung. Musste ich niesen, stand eine Lungenentzündung ins Haus. Kam ich einmal schlecht gelaunt von der Schule nachhause, war meine Mutter sofort der Meinung ich würde gemobbt werden. Ich habe gelernt damit umzugehen. Übrigens wirklich eines der wenigen Dinge, mit denen ich wirklich gelernt habe, um zu gehen.

Veritas et Scentia

O tempora! O mores! (Der Tragödie zweiter Teil)

  1. Vorlage:NoteIch komme
  2. Vorlage:NoteSchafskopf und Betrüger! Es ist eine Freude euch zu sehen.
  3. Vorlage:NoteAuf Wiedersehen
  4. Vorlage:NoteGeht mit Gott, aber geht
  5. Vorlage:Notescheiß Spinner
  6. Vorlage:NoteWer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen. Deine Schuld wird dein Leid bringen.
  7. Vorlage:NoteWas zu beweisen war
  8. Vorlage:NoteWorin der Beweisende irrt
  9. Vorlage:NoteMein Leid ist groß
  10. Vorlage:NoteWollen Sie den wahren Grund meines Leids hören

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