Diverses:VOX – Die Auswanderer (von Babelsberg nach Springfield, USA): Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 24. September 2014, 19:27 Uhr

Von Babelsberg nach Springfield

Acht Wochen ist es nun her, dass der ehemalige angestellte Seriendarsteller Herr Sandmann das beschauliche Babelsberg bei Potsdam verließ um sich in Springfield/ USA eine neue Existenz aufzubauen. Arbeitskollegen, denen er bei Dreharbeiten begegnete, hatten ihm von der Stadt erzählt und ihn neugierig gemacht. Nach einem längeren Prozess des Grübelns hat der überzeugte Single sich schließlich ein Herz gefasst und schließlich seine sieben Sachen gepackt. Dann hat er dem RBB nach langjähriger Zusammenarbeit die Kündigung unter der Studiotür durchgeschoben und sich in eins seiner Flugzeuge, nämlich einen alten viersitzigen IL 62-Nachbau aus Hobbyplast und Schreibblockkarton gesetzt. Kurz nach Beginn des Fluges fiel ihm auf, dass niemand daran gedacht hatte, ihm eine Stewardess mitzugeben. Wie auch? Er hatte schließlich niemanden aus seinem alten Team in seine Pläne eingeweiht, das Flugzeug genau genommen entführt.

Bis er den amerikanischen Luftraum erreichte, vergingen Stunden, und der bärtige Ostdeutsche war kurz vor dem Verdursten.

O-Ton: Herr Sandmann

Naja, ich hätte mir ja denken können, dass das etwas weiter weg ist, als die ganzen nachgebauten Plastikländer, Papplandschaften und anderen Potemkinschen Dörfer, in die man mich bisher hat reisen lassen. Aber für den Zuschauer wird das ja sowieso dramaturgisch eingekürzt. Damit kenne ich mich als alter Fernsehhase schon aus. Dass ich mir aber nicht mal eine Thermoskanne Kamillentee mitgenommen habe, darüber könnte ich mich schwarz wie Pittiplatsch ärgern. Schließlich hat die Maschine ja einen Autopiloten, da hätte ich mir ja in aller Ruhe mal ein Tässchen eingießen können.


Schon immer hatte der Tausendsassa alle möglichen technischen Fortbewegungsmittel selbst gesteuert. Das war für ihn so normal wie Kaugummi kauen, oder sagen wir mal: wie Sand streuen. Leider war ihm nicht bewusst, dass man in der internationalen Fliegerei aktiv am Funkverkehr teilnehmen sollte. Nun verfügte das liebevoll bemalte Pappflugzeug überhaupt nicht über ein Funkgerät. Außerdem war ihm das NATO-Alphabet sowie die Gepflogenheiten der flugtechnischen Kommunikation leider völlig unbekannt. Auf die zahlreichen eindringlichen Kontaktversuche der Flugsicherung reagierte der wortkarge Weltenbummler also nicht, weil sie technisch bedingt nicht einmal sein Ohr erreichten. Und so wurde er bald von mehreren Kampfflugzeugen begleitet und zur unsanften Landung auf einem Militärflugplatz gezwungen.

O-Ton: Herr Sandmann

Das war wie im Krimi. Die haben mich behandelt wie einen Terroristen. Unzählige Soldaten in Kampfmontur und mit Maschinenpistolen bewaffnet kamen auf mich zugestürmt und haben mich festgenommen. Ich wurde stundenlang verhört und bekam weder Wasser noch Kamillentee, von Essen ganz zu schweigen! Das war eigentlich nicht die Gastfreundschaft, die ich von meinen vorherigen Reisen gewohnt war. Und das war auch nicht gerade die Freiheit, die ich mir in Amerika erhofft hatte. Naja, ich hätte mir ja denken können, dass man sich da vorher irgendwie anmelden muss. Aber schließlich weiß doch jedes Kind, dass ich komme, sobald dieses nervige Lied ertönt. Aber dann fiel mir ein, dass es sich ja nicht mehr um meine Serie handelte und beschloss, mir hier sehr bald eine neue, eigene Erkennungsmelodie zu besorgen.

Herr Sandmann blieb vorerst wegen unerlaubtem Eindringens in den amerikanischen Luftraum in Untersuchungshaft. Da er den Terrorismusverdacht nicht entkräften konnte, erwägten die Ermittlungsbehörden eine Verlegung nach Guantanamo Bay. Immerhin fanden sie in seinem Besitz einen Sack vor, in dem sich eine nicht unerhebliche Menge eines militärischen Kampfstoffes befand. Major General Broomstick, der von der Air Force zunächst eingesetzte Chefermittler, hatte schon damals im Kalten Krieg, als er in Berlin am Checkpoint Charlie Wache stand, von diesem körnigen Pulver gehört. Seinen damaligen Vorgesetzten zufolge hatten es die Ostdeutschen Mitte der 50er Jahre entwickelt, um im Falle eines erneuten Volksaufstandes große Teile der Bevölkerung urplötzlich in einen tiefen Schlaf versetzen zu können. Alle waren also in höchster Alarmbereitschaft.

O-Ton: Broomstick

Als ich damals noch als kleiner Soldat in Ostberlin am Checkpoint Charly Wache stand, haben uns unsere Vorgesetzten immer gewarnt vor diesem Teufelszeug. Die Ostdeutschen haben diesen Giftstaub mit dem Russen zusammen entwickelt. Da ist ein Nervengift drin, das sofort wirkt. Die besondere Gefährlichkeit besteht in seiner telepathischen Wirkungsweise. Man muss die Substanz nämlich noch nicht einmal einatmen, damit sie ihre verheerende Wirkung entfaltet. Allein zu sehen, wie der Sand freigesetzt wird, löst sofortige Müdigkeit aus und kann so über das Fernsehen viele Menschen auf einmal, auch große Teile der Weltbevölkerung, plötzlich für etwa acht bis zehn Stunden kampfunfähig machen.

Unser Team hat die Genehmigung erhalten an einer der Befragungen teilzunehmen. Im Verhörraum auf dem Air-Force-Gelände besteht eine Wand aus einem riesigen Spiegel, durch den man von außen das Innere des Raumes sehen kann. Von innen blickt man aber nur auf das Spiegelbild. Über eine Lautsprecheranlage kann man die Gespräche vom Verhörraum aus verfolgen. Herr Sandmann wird an Händen und Füßen gefesselt von zwei Uniformierten hereingebracht. Er muss sich auf einen Stuhl setzen. Die Handfesseln werden ihm abgenommen. General Major Broomstick kommt herein, die beiden Wärter verlassen den Raum.

Broomstick setzt sich auf den Stuhl gegenüber, legt ein paar Unterlagen auf den Tisch, in denen er flüchtig etwas zu lesen scheint. Dann schaut er auf.

Broomstick: Was zur Hölle haben sie sich bei dieser Aktion gedacht? Dass sie hier hereinspazieren und uns alle einschläfern?

Sandmann: Ich wollte auswandern, ein neues Leben anfangen, in Freiheit und ohne Gängelei.

Broomstick: Das ist ja lächerlich, warum kommen sie dann nicht mit dem öffentlichen Verkehr? OK. Lassen wir das Geplänkel! Was wollten sie hier und wer hat sie geschickt? Die Russen waren es garantiert nicht, solch dilettantische Versuche sehen dem FSB gar nicht ähnlich.

Sandmann: Ich bin ein Flüchtling. Man hat mich seit Ende der Fünfziger Jahre in einer Lagerhalle in Berlin Mahlsdorf eingesperrt und mich zum Arbeiten gezwungen. Ich wurde ständig herumgeschubst und auch für propagandistische Zwecke missbraucht. Nach der Wiedervereinigung hat sich für mich kaum etwas geändert. Sie hatten mich nach Potsdam Babelsberg verlegt, wo mich wieder Zwangsarbeit erwartete. Immernoch keine Bezahlung, immernoch fremdbestimmt. Ich hatte es einfach satt, mich permanent verbiegen zu lassen. Darum bin ich geflohen. Da ich keinen Pass habe, aber das Flugzeug fliegen kann, hat diese Möglichkeit für mich einfach nahe gelegen.

Broomstick: Nette Geschichte, wir werden das natürlich nachprüfen. Aber es ist selbstverständlich jetzt schon klar, dass sie völligen Bullshit erzählen. Nun zu etwas anderem: Was wollten sie mit dem Sack voller Gift?!

Sandmann: Gift? Das ist Schlafsand. Den habe ich immer dabei.

Broomstick: Was hatten sie damit vor?

Sandmann: Eigentlich brauche ich den Sack ja nicht mehr. Ich habe vor, hier ein neues Leben anzufangen mit einem neuen Job. Bisher habe ich mit dem Sand den Kindern dabei geholfen, einzuschlafen und schön zu träumen.

Broomstick: Das ist ja interessant, sie geben also zu, diesen halluzinogenen, psychoaktiven Kampfstoff bereits seit Jahren regelmäßig eingesetzt zu haben? Bei wie vielen Menschen?

Sandmann: Im Grunde gehen die Zahlen in die Millionen. Aber der Sand ist völlig harmlos. Es handelt sich nur um ein leichtes psychosomatisches Schlafmittel, sozusagen eine Art visuelles Placebo, das wie eine Art assoziative Konditionierung wirkt.

Rückblende

Sandmännchen bei der Arbeit. Seine Gliedmaßen werden zurecht gebogen, er muss in einer Knetlandschaft mit Häusern aus Pappmachè und Bäumen aus Verbundstoffabfällen zwischen Spielzeugen und Puppen posieren. Er wird ununterbrochen fotografiert, quasi auf Schritt und Tritt. Er muss der mit Abstand meist fotografierte Deutsche sein. Nebenan wird eine Filmsequenz vertont. Kein einziges Wort wird dem Sandmann zugebilligt. Die Hauptrolle ist - Jahrzehnte nach Erfindung des Tonfilms - keine Sprechrolle. Man kann die Frustration, die den bärtigen Zwangspotsdamer zunehmend beherrscht, förmlich riechen. An seinem Gesichtsausdruck kann man sie jedenfalls nicht ablesen, so sehr man sich auch bemüht. Es ist ihm schlicht nicht erlaubt und dazu noch technisch unmöglich gemacht worden, sein Gesicht zu bewegen. Lebenslange Folter! Und das weit über 20 Jahre nach der Wiedervereinigung, die doch allen Deutschen die gleiche Freiheit beschert haben soll! Ein himmelschreiender Skandal! Doch der kleine Schüttgutträger muss mundtot bleiben. Außerdem ist er trotz Schulpflicht Analphabet und hat nicht einen einzigen wahren Freund auf dieser Welt, weil ihm Freigänge untersagt sind. Er hat in seinem Leben auch noch nie richtig telefoniert und besitzt nicht mal ein Handy! Selbst ein Wachkomapatient ist in Deutschland freier als er.


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