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Diverses:Mein Abenteuer mit der Deutschen Bahn

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Und ich dachte immer, solche Bilder seien Scherze.

Noch ist es ein Morgen wie jeder andere. Es ist Dienstag, der 03. Januar 2012. Das neue Jahr hat gerade erst begonnen - und recht vielversprechend, wenn ich ehrlich sein dürfte, denn ich durfte Silvester nicht irgendwo feiern, nein, ich durfte es in Berlin feiern. Für einen Kleinstadtbewohner wie mich, der aus der ostfriesischen Provinz kommt, sicherlich ein Erlebnis, welches seinesgleichen sucht.
Doch schlagartig wird sich das ändern.

Auf zum Hauptbahnhof

Man höre und staune: Ausgefallen!

Berlin, 11:19 Uhr
Ich verlasse die Wohnung meiner Freundin, um mich zum Bus aufzumachen. Der Plan: Mit der S2 zur Friedrichstraße fahren und von da aus zum Berliner Hauptbahnhof.

Berlin, 11:26 Uhr
Kurz, bevor ich mit meiner Freundin, die mich bis zum Hauptbahnhof begleiten möchte, bei der Bushaltestelle ankomme, sehen wir den Bus vor unserer Nase wegfahren. Eigentlich hätte er erst um 11:27 Uhr losfahren dürfen, wir wären rechtzeitig gekommen - sind wir aber irgendwie trotzdem nicht. Es beginnt eine Hatz zur nächsten möglichen Bushaltestelle.

Berlin, 11:36 Uhr
Wir erreichen die bestimmte Notfallbushaltestelle rechtzeitig. Mit dem Zug fahren wir zur Buckower Chaussee, wo wir gebannt auf die S2 warten, die um 11:48 ankommen soll.

Berlin, 11:48 Uhr
Wir warten.

Berlin, 11:50 Uhr
Wir erfahren, dass die S-Bahn "kaputt" ist. Ob sie einen Unfall hatte, eine Lichtanlage defekt ist oder das Wort "kaputt" eventuell doch eine Art Code für "von Ufos entführt" ist, werde ich nie erfahren. Fakt ist jedoch: Hätten wir den Bus um 11:27 Uhr erwischt, säßen wir vermutlich in der "kaputten" S-Bahn drin und wären die Leidtragenden gewesen - also: Glück im Unglück. Gott sei Dank. Der nächste Zug soll um 11:58 Uhr kommen.

Berlin, 11:58 Uhr
Die S-Bahn kommt. Aufgrund der Tatsache, dass ich hier von einem Abenteuer über die Deutsche Bahn berichte, kann ich mühelos sagen, ohne irgendetwas zu spoilern, dass dies der einzige Zug sein wird, der pünktlich fährt. Mit Ausnahme der S7, in die wir umsteigen, um die zwei Stationen von der Friedrichstraße zum Berliner Hauptbahnhof zu fahren. Die zählt aber nicht wirklich, denn zum Hauptbahnhof hätten wir auch fast jede andere S-Bahn nehmen können.

"Der IC 144 ist verspätet"

Signalstörung. Welch ein Wunder.

Berlin, 12:27 Uhr
Wir kommen am Hauptbahnhof an und laufen zum Gleis 13. Eigentlich hätte mich diese Zahl schon stutzig machen sollen, steht sie doch für das, was ich in den nächsten Stunden erleben werde: Pech.

Berlin, 12:29 Uhr
Wir kommen an Gleis 13 an und werden mit folgender Durchsage begrüßt:
"Der IC 144 nach Flughafen Schiphol verspätet sich aufgrund einer Signalstörung um knapp zehn Minuten."
Kein Grund, nervös zu werden. Meine Fahrt führt mit dem IC 144 um genau 12:37 Uhr (mit Verspätung 12:47 Uhr) über Hannover nach Rheine, wo ich in einen Regionalexpress zu meinem Zielbahnhof Leer umsteigen soll. Ich habe einen Zeitpuffer von knapp 15 Minuten. Das sollte genügen. Sonst warten Regionalzüge auch mal auf Züge, die eine kleine Verspätung haben. Erfahrungssache.

Berlin, 12:37 Uhr
Nun wäre nach Fahrplan der Zug angekommen. Wir erwarten ihn aber nicht, die Verspätung muss einfach hingenommen werden. Nun aber:

"Der IC 144 nach Flughafen Schiphol verspätet sich aufgrund einer Signalstörung um knapp fünfzehn Minuten."
Langsam werde ich nervös. Ich vermute eine Salamitaktik: Nach und nach immer mehr Minuten hinzufügen, sodass es kaum einer merkt. Ich weiß aber nicht, was mich mehr beunruhigt: Die Tatsache, dass mein Puffer für den Bahnhof in Rheine langsam dahinschwindet oder, dass die Bahn es noch nicht einmal planmäßig vom Berliner Ostbahnhof zum Berliner Hauptbahnhof schafft, ohne eine Verspätung von fünfzehn Minuten zu bekommen. Ich hoffe, dass Verspätungen, die ein Verpassen des Anschlusszuges zur Folge haben, nicht auf meinen Geldbeutel drücken.

Berlin, 12:54 Uhr
Ich würde schon fast sagen, dass Hunderte in den Zug strömen. Das Gleis war komplett voll mit Personen, die in die Waggons stürmen. Ich verabschiede mich von meiner Freundin und hoffe, dass sich nun alles in Wohlgefallen auflöst und die Verspätung nur ein kleineres Übel bleibt.
Ein weiteres kleines Übel ist, dass ich keinen Sitzplatz finde. Das wird sich den Rest der Fahrt auch nicht weiter ändern - ich platziere mich dezent zwischen dem Gepäck und versuche, so wenig wie möglich aufzufallen, indem ich wie ein Gepäckstück aussehe. Ich lege die Tarnung aber ab, als ein Schaffner versucht, mich auf die Handgepäckablage zu heben.

Wolfsburg, 14:05 Uhr
Nun fängt das Abenteuer richtig an: Hier merke ich, dass die Verspätung nun insgesamt zwanzig Minuten beträgt. Ich werde langsam nervös. Aufgrund der geografischen Lage von Leer ist es leider ziemlich offensichtlich, dass ich nicht einfach einen Ersatzzug nehmen kann - es ist noch nicht mal klar, ob überhaupt noch andere Züge Leer anfahren. Das ist ein Popelbahnhof, der seinesgleichen sucht. Eine Zuganfahrt kommt schon fast einem Jahrhundertereignis gleich.

Mit unterirdischen Stromleitungen wäre das nicht passiert

Oberleitungsschaden: Jemand hält sich für einen Raben und hockt auf den Kabeln.

Zwischen Wolfsburg und Hannover, 14:31 Uhr
Plötzlich kommt der Zug auf offener Strecke zum Stehen. Verwunderung macht sich unter den Passagieren breit. Dann eine schnell gehaspelte Durchsage:
"Sehr geehrte Fahrgäste, wir haben leider einen Oberleitungsschaden und stehen daher außerplanmäßig auf offener Strecke."
Ach nee.
"Die zusätzliche Verspätung beträgt nun etwa zehn weitere Minuten."
Ich sehe bereits die ersten Passagiere in einer Art Schockstarre fallen, ältere Personen japsen bereits nach Luft. Macht insgesamt dreißig Minuten. Die meisten Anschlusszüge dürften verloren sein.

Kurz hinter Wolfsburg, 14:40 Uhr
Planmäßig sollten wir nun in Hannover angekommen sein. Wir stehen aber immer noch.

Kurz hinter Wolfsburg, 14:46 Uhr
Wir setzen uns wieder in Bewegung. Es folgt eine Durchsage des Zugchefs :
"Sehr geehrte Fahrgäste, wir haben nun eine Verspätung von knapp dreißig Minuten, wir werden ca. um 15:10 Uhr den Hauptbahnhof Hannover erreichen. Dort haben Sie dann folgende Anschlussmöglichkeiten:..."
Es folgt eine halbe Rede, die an Gegensätzen kaum zu überbieten ist: Zuerst kommen alle Züge, die warten beziehungsweise die noch erreicht werden können; es sind hauptsächlich Regionalzüge. Freude macht sich im Waggon breit, auch ich hoffe, dass mein Regionalexpress nach Leer in Rheine so sozial ist und am Bahnhof wartet.
Nun folgt ein Todesstoß:
"Folgende Züge konnten auf unsere Verspätung leider keine Rücksicht nehmen und können nicht mehr erreicht werden:..."
Es werden so ziemlich alle Fernverkehrszüge aufgelistet, die zwischen 14:40 Uhr und 15:10 Uhr abgefahren sind beziehungsweise abfahren. Ein lautes Raunen macht sich durch das Abteil breit. Es folgen interessante Reaktionen:
Die erste Reaktion ist, dass einige Leute nach vorne fallen und ihren Kopf gegen den Sitz des Vordermanns knallen. Und das nicht einmal, nein, sie wiederholen es mehrere Male. Hirnschaden ist vorprogrammiert.
Einzelne Geschäftsmänner brechen in Tränen aus und zerreißen irgendwelche Papiere. Keine Ahnung, was da bei dem Einzelnen los ist, aber ich denke mal, denen ist damit was großes durch die Lappen gegangen.
Ältere Menschen fassen sich ans Herz. Ich habe Angst, dass einige kollabieren. Ich habe sämtliche Anweisungen des Erste-Hilfe-Kurses für meinen Führerschein nach ziemlich genau zwei Jahren vergessen und möchte ungern wegen unterlassener Hilfeleistung angezeigt werden. Ich bete, dass sich keiner von ihnen für eine spontane Kim-Jong-Il-Parodie entschließt und im Zug abkratzt.
Unabhängig des Alters der Passagiere folgt nun durchgehend ein und dieselbe Reaktion: Jeder nimmt sein Handy raus, simst, geht ins Internet oder - und das ist das Schlimmste - telefoniert. Aus dem Abteil wird innerhalb von fünfzehn Sekunden eine Art mobiles Callcenter und jeder brüllt in sein Gerät, damit der Gesprächspartner ihn versteht.

Hannover, 15:11 Uhr
Ankunft an Deutschlands wichtigstem Umsteigepunkt, dem "Drehkreuz". Ich fühle mich mittlerweile auch gedreht, weil ich immer wieder den Leuten Platz machen muss, die durch die Tür am Gepäck vorbei wollen, um auszusteigen. Fast die Hälfte des Zuges steigt aus - Klasse!
Fast dieselbe Anzahl steigt wieder in den Zug ein - Scheiße. Ein Sitzplatz ist weiterhin in weiter Ferne, weil ich so blöd war und keinen Sitz reservierte. Das rächt sich nun.

Bäume auf den Gleisen sind im Fahrplan nicht einkalkuliert

"So sah die Stupidedia-Zeichnerin den Unfall". Stilecht mit Explosion, S-Bahnlok und allem. Es wurde anschließend nur vergessen, den Baum auch noch hinzuzeichnen.

Wunstorf, 15:21 Uhr
Außerplanmäßiger Halt kurz hinter Hannover. Wer jetzt glaubt, "ach, dreißig Minuten sind doch noch ertragbar", gut, dem hätte ich eventuell sogar noch zugestimmt. Unter gewissen Bedingungen. Doch das war nur die berühmte Spitze des Eisberges: Es kommt nun eine Durchsage, die genauso gut aus einem Actionfilm hätte kommen können:
"Sehr geehrte Damen und Herren, ein Baum ist vor uns auf die Gleise gefallen."
Aha...?
"Eine S-Bahn fuhr dagegen und blockiert nun den Streckenabschnitt."
Schockiertes Geflüster im Abteil.
"Wir werden schauen, was wir machen können."
Die Reaktionen der Fahrgäste kann sich nun jeder hoffentlich vorstellen.
Ich selbst mache mir Gedanken, was "eine S-Bahn fuhr gegen einen Baum" in dem Sprachcode der Bahn heißen könnte, wenn "kaputt" bereits "von Ufos entführt" bedeutet. Ich fürchte eine nukleare Explosion und verstecke mich hinter fetten Gepäckstücken, in der Hoffnung, irgendwer hat Blei eingepackt, was die Strahlung von mir fernhalten kann.

Wunstorf, 15:23 Uhr
"Sehr geehrte Fahrgäste, wir werden diesen Zug nun nach Nienburg umleiten, da die Strecke vor uns nicht befahrbar ist. Dort werden wir die Fahrtrichtung wechseln; dafür muss die Trieblok an das andere Ende des Zuges gefahren werden. Dies wird insgesamt 45 Minuten dauern, danach geht es auf der normalen Strecke weiter nach Minden."
Sämtliche Personen verfallen nun in eine Art Gleichgültigkeit. Ihnen scheint es mittlerweile scheißegal zu sein, ob sie eine Stunde oder einen ganzen Tag zu spät kommen.
Mir nicht. Ich mache mir Gedanken, wo zum Teufel Nienburg überhaupt liegt und erliege kurz danach der Verwechslung, Nienburg sei Nürnberg. Ich bereite mich auf eine Odyssee vor.

Nienburg, 15:43 Uhr
Der Zug trifft in Nienburg ein. Nein halt, das ist so nicht ganz richtig - man neigt nun eventuell zu glauben, ich befinde mich am Nienburger Hauptbahnhof. Dem ist nicht so. Ich zitiere die Durchsage mit dem sarkastischen Unterton des Zugchef: "Herzlich Willkommen auf dem Güterbahnhof Nienburg."
Nun ist das Geheimnis gelüftet, wie die Bahn ihre Fahrgäste behandelt. Wie Güter. Ich vermisse den mangelnden Respekt vor meinem Zustand als Passagier seitens der Bahn und denke bereits an Rücktritt.

Katastrophenmanagement à là Bahn

Das Krisenmanagement der Bahn stößt allseits auf Zustimung.

Kurz nach Nienburg, 16:14 Uhr
"Wir werden in Minden um ungefähr 16:40 Uhr eintreffen. [...] Die Verspätung beträgt dann rund neunzig Minuten."
Ich mache mir mittlerweile keinerlei Hoffnungen mehr, meinen Anschlusszug in Rheine zu erreichen. Ich mache mir bereits ernste Gedanken, wie ich eventuell eine Nacht bei Kollegen verbringen kann, die irgendwo in der Nähe von Rheine wohnen...wohnen dort zufällig irgendwelche Stupidediaautoren, die einen Kollegen für eine Nacht beherbergen wollen?

Irgendwo in der Pampa, 16:19 Uhr
Eine weitere Durchsage: Fahrpreiserstattungen wird es nicht geben - warum auch immer, der Zugchef hat genuschelt. Später werde ich herausfinden, dass dies an dem umgestürzten Baum liegt und die Bahn das nicht hat beeinflussen können. Gottgewollt, wenn man so will. Da gibt's dann kein Geld zurück. Des weiteren ist das BordBistro geschlossen worden - auch hier gilt "warum auch immer, der Zugchef hat genuschelt" :
"Wir haben aber in Waggon 11 die Behindertentoilette aufgeschlossen und werden dort kaltes Wasser für Sie abfüllen."
Lustloses Gelächter breitet sich in meinem Abteil aus - ich bin in Waggon 7, die Gänge sind voll mit Koffern. Bevor jemand von hier aus zum elften Waggon kommt, hat er sich entweder beide Beine gebrochen oder er ist verdurstet.

Kurz vor Minden, 16:35 Uhr
Es werden nun alle möglichen Verbindungen aufgezählt. Auf gut Deutsch: Alle, die die Fahrgäste nie vorher eingeplant haben und unter normalen Umständen auch nie einplanen werden, wenn sie mit dem IC 144 reisen. Wäre vielleicht gut gewesen, das zu machen. Das nächste Mal, wenn ich nach Berlin fahre, fahre ich entweder nur mit einem einzigen Zug oder ich wähle die Verbindungen so, dass ich immer einen Zeitpuffer von mindestens fünf Stunden habe, wenn ich umsteigen muss. Dann bin ich garantiert auf der richtigen Seite.

Löhne, 17:04 Uhr
Dass ich gerade weiß, wo ich bin, verdanke ich nur der Tatsache, dass wir gerade einen Bahnhof durchfahren haben, wo "Löhne" draufstand. Ansonsten hätte ich nie die leiseste Ahnung gehabt. Eine Ankunft am Bahnhof Osnabrück wird für 17:28 Uhr vorhergesagt; das macht eine Verspätung von genau 95 Minuten aus.
Es folgt - oh, welch ein Wunder! - eine Stunde ohne weitere Unterbrechungen und/oder weitere Gründe für Verspätungen. Mental bereite ich mich bereits auf Rheine vor - ich werde dort stranden, so viel steht fest. Die Frage ist nur, wie und wann ich da wieder wegkomme. Nein, die Frage ist: Ob.

Irgendwo, 17:28 Uhr
Mittlerweile habe ich eine Frau gefunden, die das Schicksal exakt mit mir teilt - ebenfalls von der Verspätung geplagt möchte sie nach Meppen und sollte ursprünglich in demselben Zug mit mir fahren. Wir beschließen, uns zusammen am Bahnhof zu informieren.

Unzuverlässigkeit kann nützlich sein

Das Bild lasse ich jetzt mal unkommentiert.

Rheine, 17:59 Uhr
Mit exakt 100 Minuten Verspätung treffen wir in Rheine ein. Die Frau passt auf meinen Koffer auf und ich eile zur Information. Nach einer kurzen Erklärung ("eine S-Bahn ist kaputt bzw. wurde von einem Ufo entführt und ein Baum stürzte auf die Gleise kurz hinter Hannover bzw. es gab eine nukleare Explosion") und einem verwirrten Blick des Mannes hinter der Information wird mein Ticket aufgewertet und ich darf mit dem nächsten Zug, egal, welchem, meine Heimreise nach Leer fortsetzen. Vielleicht wollte er auch einfach nur, dass ich möglichst schnell wieder verschwinde.
Und dann: Welch ein Glück, dass die Bahn so unzuverlässig ist! Auf Gleis 3 trifft um 17:56 Uhr ein IC nach Emden ein, mit Halt in Leer. Unter normalen Bedingungen hätte ich den Zug nie bekommen, es sei denn, ich wäre drei Minuten in die Vergangenheit gereist, aber was heißt bei der Bahn schon normal? Der IC hat glatte zehn Minuten Verspätung! Ich sprinte zu der Dame zurück, die auf mich wartet und sich mittlerweile eine Zigarette angesteckt hat und informiere sie über die Tatsache, dass ich ohne Aufpreis in den IC steigen könne - sie im Übrigen auch. Als Antwort kommt ein "Ich renne aber doch jetzt nicht zur Information, um mein Ticket aufwerten zu lassen! Von ICs habe ich jetzt erst einmal genug, aber danke für die Bemühungen."

Das wäre ihre Rettung gewesen.

Mutterseelenallein lasse ich sie in der Kälte und im Regen zurück. Doch sie bleibt nicht sehr lange allein, denn als sich die Türen des ICs schließen, taucht plötzlich aus heiterem Himmel ein Schaffner auf, um die Frau auf das Rauchverbot am Bahnhof hinzuweisen. Und der Schaffner sieht nicht gerade sehr freundlich aus.

Kurz vor Lingen, 18:18 Uhr
Apropos Schaffner: Mein Mann an der Information hat mir einen Stempel auf das Ticket gedrückt. Nun steht da drauf, der Zug mit der Nummer 4850 habe dreißig Minuten Verspätung gehabt. Ich habe aber weder dreißig Minuten gehabt (sondern die bereits erwähnten einhundert) noch war ich jemals in einem Zug mit der Nummer 4850. Ist das wieder so ein Geheimcode der deutschen Bahn? Können die nicht vernünftig Deutsch reden oder machen sie es mit Absicht, um untereinander sicher zu kommunizieren, damit die Passagiere nicht zuhören können? Vielleicht sollen auch die Fahrgäste verwirrt gegen irgendwelche Pfeiler laufen und sich selbst ausschalten, sodass die Bahn sich nicht mehr mit ihnen plagen muss.
Nun drängt sich mir eine Frage auf: Weiß der Schaffner Bescheid? Kann er diesen Code entziffern? Wird er mir vielleicht unangenehme Fragen stellen?

Bahnsprech

Was zum Teufel hat es damit auf sich!?

Lingen, 18:27 Uhr
Der Schaffner kommt vorbei. Ich haspele schnell irgendwas von Aliens, die eine S-Bahn untersuchen, einen gottgewollten Oberleitungsschaden und Ents, die auf die Gleise laufen. Mit einem großen Fragezeichen schaut mich der Schaffner an, dann den Fahrschein, wodurch sein Fragezeichen noch größer wird.
Ich habe keine Ahnung, ob der Schaffner die kryptische Botschaft auf dem Ticket verstanden hat oder nicht, vielleicht hat er auch Angst vor mir und meiner zu dem Zeitpunkt für mich höchstplausiblen Erklärung, warum ich in einem IC hocke und nicht in einem Regionalexpress, auf alle Fälle hat er das Ticket abgeknippst und danach den Rest des Abteils ausgelassen, um sich möglichst weit von mir zu entfernen.
Erst jetzt bemerke ich einen kleinen Informationszettel vor mir und nun steht fest, dass ich um 19:07 Uhr plus zehn Verspätung in Leer eintreffen werde. Das macht dann insgesamt eine Verspätung von genau 67 Minuten aus. Durch den IC hole ich also quasi noch einmal 33 Minuten auf.
Das Glück meinte es von Rheine aus bis hier hin zu gut mit mir. Ich bleibe misstrauisch und achte auf jede Kleinigkeit, die ein weiteres Unglück nach sich ziehen könnte.

Irgendwo, 18:50 Uhr
Es ist immer noch nichts passiert. Ich frage mich, ob so etwas am heutigen Tag überhaupt möglich ist. Ob es Gott tatsächlich gut mit mir meint - ob mir Fortuna ein einziges Mal an diesem Tag zulächeln mag, ob der IC tatsächlich ein Segen statt ein Fluch ist. Ich rechne weiterhin fest mit einer Entgleisung des Zuges und klammere mich bereits an den Sitzen fest.

Leer, 19:17 Uhr
Der IC torkelt in meinen Zielbahnhof ein. Ungläubig verlasse ich den Zug. Kann es sein, dass ich es nun endlich geschafft habe? Die Odyssee ist beendet? Passiert gleich noch etwas?
Genau genommen sollte noch etwas passieren. Meine Mutter sollte hier auf mich warten, um mich vom Bahnhof mit dem Auto abzuholen. Sie ist aber nicht da. Ich habe vergessen, sie anzurufen und ihr zu erzählen, dass ich jetzt in Leer bin - und nicht, wie zuerst geplant, vor rund siebzig Minuten. Und jetzt ist mein Handyakku leer.
Nun hänge ich hier in Leer fest, kurz vor meinem Ziel, kurz vor meinem Zuhause.
Verdammt.

Disclaimer

Der Autor macht kein Geheimnis daraus, dass alles echt ist. Sogar die Zitate. Wer den Fahrplan kontrollieren möchte, kann ihn hier einsehen.

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Dieser Artikel aus den Namensräumen „Diverses“ oder auch „Spiegelwelten“ besitzt aufgrund seiner Qualität die Urkunde „Schatzkistentauglich“ und wird daher im Portal Rumpelkiste gelistet.
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Der Artikel Diverses:Mein Abenteuer mit der Deutschen Bahn ist nach einer erfolgreichen Abstimmung mit dem Prädikat Gelungen ausgezeichnet worden und wird zusammen mit anderen gelungenen Artikeln in unserer Hall of Fame geehrt.

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