Diverses:Mademoiselle Mojito

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Version vom 15:21, 9. Okt. 2015 von Mixtli (Diskussion | Beiträge)

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Nach einem harten Tag die entspannende Atmosphäre eine Bar genießen
Was darf's denn sein?“ fragt die Kellnerin. Im ersten Moment will ich ein Mineralwasser oder eine Limonade bestellen, doch ich entscheide mich anders. Ich hebe den Kopf und deute mit ihm, ohne die Kellnerin anzublicken, auf einen älteren Mann, der neben mir sitzt und sage danach: „Ich nehme das, was der Kerl neben mir trinkt.“ „Einen Mojito?“ fragt die Kellnerin. Ich nicke kaum merklich. „Kommt sofort,“ erklärt sie und wendet sich dem Regal zu, dass über und über mit Flaschen vollgestellt und in dessen Fächern so ziemlich alles zu finden ist, was Alkohol enthält. Angefangen vom teuren Kognak bis zum billigen Fusel. Es gibt Tequila aus Mexiko, Whisky aus Schottland und Reisschnaps aus Laos. Mojito. Ich habe zwar keine Ahnung, was ein Mojito ist, geschweige denn, ob es sich dabei ein alkoholisches Getränk handelt. Doch es klingt gut.

Ich lasse mir den Namen auf der Zunge zergehen. Mojito. Vermutlich ein Cocktail. Ich werfe einen kurzen Blick auf das Glas meines Sitznachbars, doch bis auf etwas Eis und etwas Grünes kann ich nichts erkennen. Mojito. Das ist der Name eines Getränkes, welches Künstler trinken. Da bin ich mir sicher, als ich den Namen zum fünften oder sechsten Mal wiederhole. Und weil ich ein Künstler bin, trinke ich einen Mojito. In Gedanken stelle ich mir vor, wie ich einer gutaussehenden Dame erkläre, wie meine Ankunft in Wien verlief:

Natürlich war nicht einfach sich in einer fremden Stadt zurecht zu finden, doch ich machte das Beste aus der Situation und suchte mir ein Hotel und selbstverständliches ein Gutes. Als Maler, als Künstler weiß man natürlich, welches Hotel gut ist. Als hätte man einen sechsten Sinn dafür. Auf jeden Fall bezog ich mein Zimmer und um mich zu entspannen, ging ich in die Bar und trank einen Mojito. Sie wissen, was ich meine. Dieses Getränk mit dem Eis und dem Grünzeug.

Die Kellnerin stellt ein Glas auf den Tisch und reißt mich damit aus meinen Gedanken. „Hier ist Ihr Mojito,“ sagt sie. Ich betrachte interessiert das Glas und nippe vorsichtig am Strohhalm. Ich spüre die Wärme des Rums in meinem Magen und glaube Limone oder Zitrone herausschmecken zu können. Ich umschließe den Strohhalm mit meinen Lippen und sauge gierig den Mojito aus dem Glas. Nach einigen Augenblicken höre ich auf, lehne mich zurück soweit es der Barhocker zulässt.

Ich bin angekommen. Und wie. Nicht wie ein Bauernsohn, sondern wie ein Künstler. Ein Mojitotrinker halt eben. Drei Männer betreten die, deren Luft erfüllt ist vom Zigarettenqualm der Gäste. Aus einer Jutebox tönt Musik. Ich umfasse den Strohhalm mit den Lippen und frage mich welches Bild ich wohl abgebe. Ein Mann in einem schwarzen drei-hundert-Euro-Anzug mit Nadelstreifen benutzt einen Strohhalm. Wie ein ordinäreres Kleinkind. Wahrscheinlich lacht man schon über mich.

"Was für ein Kretin. Der trinkt einen Mojito mit dem Strohhalm. Der stammt eindeutig aus der Provinz"
Es ist ärgerlich. Es ist deprimierend. Da bin ich in die Großstadt gekommen, um als Künstler meinen Durchbruch zu feiern, um mein Leben nicht zwischen Kühen und Kartoffeln verbringen zu müssen und beweise schon am ersten Abend, dass ich ein Landei bin. Mojito mit dem Strohhalm trinken, wie provinziell, wie gewöhnlich, wie ordinär. Eine Schande. Vermutlich lachen einige Gäste schon über mich. Ich würde es zumindest tun. Einige Zeit starre ich demütig auf den Tresen, nippe von Zeit zu Zeit an meinem Mojito – selbstverständlich benutze ich den Strohhalm nicht. Ich bin ja ein Künstler von Welt und kein Landei – doch dann überwältigt mich die Neugier und ich drehe mich um, um zu sehen wie viele Leute mit dem Finger auf mich zeigen und sich über meinen Ausrutscher erheitern. Niemand tat es. Alle sitzen an ihrer Tischen, lachen, reden scherzen, trinken und beachten mich nicht.

Darf es noch ein Mojito sein?“ fragt die Kellnerin und zieht damit meine Aufmerksamkeit aus sich. „Selbstverständlich,“ erkläre ich. Sie nimmt das Glas vom Tresen und stellt es in den Geschirrspüler. Ich beobachte wie sie mit zarten Händen und gekonnten Bewegungen die Rumflasche aus dem Regal holt. Danach schneidet sie eine Limone und rupft Minze. Während beides mit einem Stößel ihm Glas durch sanfte Gewalt zerdrückt wird, wippt ihr blondes, schulterlanges Haar. Diese goldenen Locken erbeben jedes Mal leicht, wenn der Stößel ins Glas herab stößt und ohne Gnade Blätter zerquetscht und Limonenscheiben zerreißt. Danach wird gestoßenes Eis eingefüllt und das Glas dann mit Rum und Sodawasser aufgegossen.

Die Kellnerin stellt den Mojito vor mir auf den Tresen, lächelt mich kurz an und wendet sich dann ab. Doch für einen kurzen Moment kreuzen sich unsere Blicke und ich darf in ihre tief blauen Augen blicken. Als ich klein war, sah ich einmal eine Dokumentation über den Mond und ganz am Anfang dieser Dokumentation zeigte man, wie die Erde, vom Mond aus betrachtet, aussieht. Ich habe mich nie sehr für den Mond interessiert und die Dokumentation wäre mir auch längst wieder entfallen, wenn sich dieses Bild der Erde mit ihren tiefblauen Ozeanen und grünen Kontinenten in mein Gedächtnis gebrannt hätte. Und jetzt erinnere ich mich wieder an diese Dokumentation, denn die Augen der Kellnerin sind so blau wie der Atlantische Ozean. Ich nippe an meinem Mojito, der jetzt durch die Erinnerung an das Lächeln der Kellnerin noch besser schmeckt. Nun sitze ich da, trinke einen Mojito und genieße die Atmosphäre.

In meinem Kopf nimmt schon ein Bild Gestalt an. Ideen kommen und werden gleich wieder verworfen. Es gibt keine Eltern, die einem sagen, dass Kunst ein brotloses Gewerbe ist. Keine Kühe müssen gemolken werden. Nein, Wien ist anders. In Wien wartet das Leben darauf, auf der Leinwand unsterblich zu werden. Hier wird nicht über Kühe und Kartoffeln diskutiert. Kapitalismus und Korruption beschäftigen die Leute. Ich hebe mein Glas, doch nur ein paar Tropfen benetzen meine Lippen. Das Glas ist leer. Ich bestelle noch einen Mojito. Zwei Minuten später steht ein voller Glas vor mir auf dem Tresen und wieder schenkte mir die Kellnerin ein Lächeln. Sie hat wunderschöne weiße Zähne, wie die Frau aus der Zahnpastawerbung.

Ihre Augen sind so blau wie der Enzian Ozean
Die Bar füllt sich immer mehr. Der Lärmpegel steigt. Die Leute lachen, reden, debattieren. Aber das interessiert mich nicht mehr. Die Kellnerin ist in meinen Fokus gerückt. Ich beobachte wie ihr blondes Haar leicht auf und ab wippt, wenn sie eilig durch den Raum marschiert. Ich betrachte ihr Gesicht, ihre Hände, ihre Kleidung. Sie ist eine Schönheit, der man nicht alle Tage begegnet und die man viel öfter von Plakaten herablächelnd und auf Titelseiten posierend sieht. Vor allem wenn man als Bauernsohn seine Nächte mitten im Nirgendwo verbringt und der nächtliche Nervenkitzel darin besteht, nicht zu wissen, ob einem der Hahn in der Früh bei Sonnenaufgang aufweckt oder nicht. Denn seien wir ehrlich. Die Kellnerin ist schöner als eine Kuh. Sie ist schöner als ein Berg von Kühen.

Ich nippe an meinem Mojito, doch meine Augen folgen der Bedienung. Mein Blick haftet an ihrem Gesicht. Meine Gedanken preisen ihre Schönheit. Mein Herz schlägt schneller. Diese Schönheit erfüllt mich mit Glück, denn nichts berauscht einen Künstler so sehr wie die Schönheit. Mein Glas ist leer ist. Ich bestelle noch einen Mojito. Es ist mein vierter. Und nicht mein letzter. Schon bald halte ich fünften und etwas später den sechsten Mojito in der Hand. Immer stärker spüre ich die Wirkung des Rums. Meine Gedanken werden forscher.

Das Lokal leert sich. Das Gemurmel der Gäste wird leiser. Das Lachen einer fröhlichen Runde seltener. Ich trinke mittlerweile meinen siebten Mojito und spüre die Müdigkeit, die an meinen Gliedern zerrt. Meine Blase drückt. Vermutlich habe ich schon fast eine Flasche Rum intus. Die Zeichen stehen auf Abgang, doch fort gehen will ich nicht. Es ist mein erster Abend in Wien. Es ist der Anfang eines neuen Lebens. Unglaubliche Freiheit umgibt meine Gedanken. Das Gefühl Berge versetzen zu können durchflutet meine Gedanken. Heute Abend ist nichts unmöglich für mich. Heute ist mein erster Tag in Wien, aber morgen ist der Tag meines neuen Alltages da. Heute wie morgen bin ich Künstler, Maler, aber heute bin ich mehr als das. Heute bin ich Abenteurer, Glücksritter und sogar ein leichter Hauch von Genie umweht mich.

Am heutigen Tag habe ich zwei Zeichnungen geschaffen. Es sind kaum mehr als Skizzen, aber trotzdem zählen sie zu den besten Werken, die ich je geschaffen habe. Ich nippe wieder am meinem Mojito. Mittlerweile ist es still geworden in der Bar. Ich bin der einzige verbliebene Gast. Die Musik begleitet meine Gedanken. Meine Augen ruhen auf der hübschen Kellnerin, die die Tische abräumt, Flaschen zurück in die Regale räumt und Gläser in den Geschirrspüler stellt.

Ihr blondes Haar ist zerzaust. Ihre weiße Bluse ist fleckig. Mit einem feuchten Geschirrtuch wischt sie über den Tresen, sammelt ein Zahnstocher ein. Plötzlich fragt sie etwas. Das kam leider zu schnell für mich. Verstanden habe ich nichts, nur ihre Stimme gehört. Langsam hebe ich den Kopf - etwas zu langsam für einen Mann meines Alter – und frage: „Was?“

Die Kellnerin lacht und ganz schwach verdeckt durch den Schleier des Alkohols und der Müdigkeit glimmt der Gedanke auf, dass meine Reaktion nicht vorteilhaft ist für das Bild, das die Kellnerin von hat. Letztendlich bin ich aber zu betrunken und zu müde, um meinen Fehler wirklichen zu begreifen und das Glimmen erlischt in der ethanolgetränkten Atmosphäre meiner Gegenwart. „Wollen Sie eine Zigarre?“ fragt die Kellnerin.

Verdammt, ich bin ein cooler Künstler
Im ersten Moment will ich höflich verneinen, aber dann entschließe ich mich anders. Ich bin ein Künstler. Ich bin frei. Ich kann rauchen was ich und wann ich es will – solange es der Staat nicht verbietet und meine finanziellen Möglichkeiten es zu lassen. Deshalb antworte ich: „Ja, gern. Welche Zigarren können Sie mir empfehlen?“ Ich lalle leicht, meine Stimme schwebt dahin, die Worte klingen beschwingt und verschmelzen etwas miteinander. Die eine oder andere Silbe geht sogar ganz unter. Schwach glimmt wieder ein bekannter Gedanke auf. Eigentlich sollte höflich verneinen und gehen, damit mein Bild, das die Kellnerin von mir hat, nicht allzu sehr leidet.

Doch wie gut kann das Bild von jemandem sein, der seit Stunden alleine an der Bar sitzt und einen Mojito nach dem anderen trinkt. Die Kellnerin runzelt die Stirn, mein Herzschlag beschleunigt sich, als ich dieses süße Stirnrunzeln sehe, und erklärt: „Es tut mir Leid. Ich kann leider Ihnen keine Zigarren empfehlen. Ich weiß nichts davon. Aber sie können zum Humidor gehen und sich umsehen.“ „Was soll ich mir ansehen?“ rutscht es mir heraus und zeige damit, dass ich keine Ahnung von Zigarren habe. Doch es bekümmert mich nicht. Heute bin ich ein Abenteurer, ein Glücksritter, sogar ein klein wenig Genie. Zumindest war ich es, bevor ich die Bar betreten und einige Mojitos getrunken habe. Mit einer Handbewegung deutet die Kellnerin auf einen kleinen unscheinbaren Holzkasten, der in einer Ecke beim Tresen steht aufmerksam.

Langsam stehe ich auf, bedacht nicht zu sehr zu torkeln, und gehe zum Humidor. Rasch nehme ich eine Zigarre, torkle zurück und öffne den unscheinbaren Metallzylinder. Vorsichtig nehme ich die Zigarre heraus. Schwach kitzelt der Tabakduft in meiner Nase. Unsicher umschließen meine Lippen die Zigarre. Das Deckblatt fühlt sich trocken an. Die Kellnerin bietet mir ein Feuerzeug an. Das Ende der Zigarre leuchtet kurz auf, wie ein kleines orange-rotes Signallämpchen, dann erlischt das Glimmen. Ich versuche den Rauch zu inhalieren. Doch es misslingt. Ich beginne zu husten. Die Zigarre fällt mir fast aus der Hand. Jedes Mal wenn ich huste, ist eine kleine Rauchwolke zu sehen.

Doch mit der Zeit schaffe ich es, denn Hustenreiz zu unterdrücken, sodass ich meine gespannte Oberkörperhaltung aufgeben und etwas entspannter dasitzen kann. Je sicherer ich im Umgang mit der Zigarre werde, umso mehr steigt mein Mut die Kellnerin anzusprechen. Ich beginne: „Darf ich fragen, wie sie heißen?“ „Soll das eine Anmache sein?“ entgegnet die Kellnerin. Ich ziehe an meiner Zigarre, schütte die letzten Tropfen meines Mojitos hinunter und erwidere so gelassen ich kann: „Sagen Sie es mir?“ „Ich sage Ihnen, dass es schon weit nach Mitternacht ist und ich Feierabend habe.“

Mit diesen Worten lässt sie mich alleine zurück, um eine schmutziges Geschirr in einen Nebenraum zu bringen. Der große Tag der Ankunft ist vorbei. Sein Zauber ist verflogen. Der erste Tag der Normalität hat begonnen und lässt mich alleine an der Bar sitzen. Ich ziehe an meiner Zigarre, als mir ein Zettel auffällt, der unter dem Glas des Mojitos eingeklemmt ist. Mein Herz schlägt höher, mein Puls steigt, Freude erfüllt meine Brust. Es ist eine Telephonnummer. Zumindest glaube ich das solange, bis ich erkenne, dass es sich um eine handgeschriebene Rechnung handelt. Resignierend zucke ich mit den Schultern. Wer braucht schon Liebe und Geborgenheit, wenn er Mojitos und Zigarren hat?
Reichern Rum und Zigarren wirklich aus?
Natürlich!

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