Diverses:Im Garten der Geister

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Kapitel 1 - Ein neues Jahrhundert beginnt

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Prost Neujahr!

Jahreswechsel haben etwas Spezielles an sich, Dekadenwechsel erst recht. Aber Jahrhundertwenden sind definitiv etwas besonderes. In der Regel erlebt man nur eine, wenn überhaupt.

Das vorletzte Neujahrsfest, (456,122 Zu Eden) läutete in Ozeanien das alte, 18. Jahrhundert aus. Das Neunzehnte, in dem wir nun leben, begann.

Richtig: das Neunzehnte Jahrhundert!
Dies mag den einen oder anderen Leser erstaunen. Die Menschen der Oscura tendieren dazu, ihre Zeitrechnung für das Mass aller Dinge zu halten.
Ignorant entgeht ihnen, dass Ozeanien seine eigene Zeitrechnung besitzt. Ein Irrtum, der bedauerlicherweise auch durch den Umstand genährt wird, dass wir in der bilateralen Kommunikation meistens die Oscursche Zeitrechnung ("20. Mai 2008" usw.) verwenden.
Dies tun wir, weil wir uns keinerlei Illusionen über die Fähigkeiten der Oscura-Menschen machen, ein anderes Zeitsystem als das ihre zu akzeptieren oder gar zu verstehen.

Darum heißt die Welt dieser Menschen bei uns ja auch Terra Oscura oder kurz nur Oscura; die dunkle Erde, die finstere Welt.
Finster im Geiste!

Bezeichnenderweise nennen die Oscuresen ihre Welt die "Normalwelt". "Normal" ist ganz offensichtlich eine Frage der Perspektive.

Eine rauschende Sylvesternacht

Der 31 Dezember 1799 - ein kalter Sylvestertag, der letzte im Achtzehnten Jahrhundert.

Den letzten Tag des 18. Jahrhunderts verbrachten die meisten Menschen in Ozeanien damit, die große Party für den Abend vorzubereiten.

Viele Großveranstaltungen waren geplant. Bereits am Nachmittag befanden sich Feuerwehr und Polizei im Großeinsatz, weil Kinder brennende Feuerwerkskörper geschluckt hatten, ganze Dachböden in die Luft flogen und aufgebauter Familienstress vereinzelt in Mordtaten eskaliert war.

Das Weisse Haus bereitete einen großen Empfang und einen feudalen Ball vor.
Die präsidiale Familie und der ganze Hofstaat waren in die Vorbereitungen eingespannt und ein jeder arbeitete seit den frühen Morgenstunden.
Der Präsident ließ es sich nicht nehmen, am Nachmittag in die Stadt zu reiten, um das bunte Treiben seiner Untertanen persönlich in Augenschein zu nehmen. Und um dem Gekeife seiner Mutter wenigstens für ein paar Stunden zu entkommen.
Ein Luxus, den wir, die Frauen des Präsidenten, uns nicht leisten konnten. Tapfer ertrugen wir die boshaften Kommentare der "Königin Mutter".

Hohe Gäste

König Günter XVII und König Gayden nach einer anregenden Debatte über die Datumsgrenze

Das Tageslicht schwand und die lange Winternacht brach herein.
Im flackernden Gaslicht der Aussenlaternen konnte man sehen, wie die Wagen heranrollten, welche die geladenen Gäste vom Flughafen zum Weissen Haus überführten.
Der Atem der Kutschpferde dampfte in den sternklaren, klirrend kalten Himmel hinauf. Eine nach der anderen hielten die Karossen vor dem Palast. Ihnen entstiegen unsere illustren Gäste.
Es waren außergewöhnlich viele Staatsoberhäupter der Oscura gekommen. Das lag schlicht daran, dass ozeanische Regenten die Jahrhundertwende zu Hause in ihren Ländern feiern wollten. Für die Oscurer hingegen war es eigentlich eine ganz normale Nacht: In ihrer Welt schrieb man gerade den 12. Februar 2008. Die Aussicht auf eine - wie König Günter XVII, Herrscher des Vereinigten Königreich Wanne-Eickel sich auszudrücken beliebte - "geile Feier und ein üppiges Fressgelage" hatte sicher viel zu ihrer Motivation beigetragen, der ozeanischen Jahrhundertwende Tribut zu zollen.

Günter XVII sass mit König Gayden von Gayland in der selben Droschke. Unterwegs war unter den beiden Regenten der müssige Streit ausgebrochen, ob die Jahrhundertwende zu diesem Tag überhaupt korrekt sei, oder man nicht vielmehr auf den 31. Dezember 1800 hätte warten müssen. Während dieser rein platonischen Auseinandersetzung war offenbar irgendwie das Auge von Günter dem Zepter von Gayden in die Quere gekommen, wie man an einer recht typischen Verfärbung, erkennen konnte.

Die fremde Lady

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Zusammen mit der First Lady begrüsste der Präsident die Gäste in der Empfangshalle. Eine Pflicht, die mir als Nebenfrau vom Protokoll glücklicherweise nicht aufgezwungen wurde.
Und so konnte ich, verborgen hinter dem Fenster meines Gemaches im ersten Stock, die Szenerie auf dem Vorplatz in Ruhe beobachten.

Als fast alle Gäste ausgestiegen waren und die Droschken nach und nach wegfuhren, tauchte plötzlich ein Reiter aus der Dunkelheit auf. Eine Reiterin, wie sich bei näherer Betrachtung heraustellte!
Eine Dame, die im Sattel statt in einer Kutsche anreiste? Ich drückte meine Nase fest an das Fensterglas und versuchte zu erkennen, wer sie war.
Sie trug ein schwarzes Pelzcape und eine dazu passende Pelzmütze. Auch ihr temperamentvoller Hengst war schwarz. Sie kam in vollem Galopp angeritten und zügelte den Rappen erst im letzten Moment, so dass sie beinahe mit Wassili Rurabashev, dem Fürsten des Vereinigten Fürstentums von Kirgisistan und Libanon zusammenstiess, welcher gerade aus der Kutsche stieg.

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Der Fürst fiel vor Schreck in den Schnee. Wie sich später herausstellte galt sein Entsetzen aber weniger der Tatsache beinahe umgeritten worden zu sein, sondern viel mehr dem Umstand, dass eine Frau auf einem Pferd sass. Im Vereinigten Fürstentum von Kirgisistan und Libanon sind Pferde heilig. Frauen indes sind es nicht.

Rurabashev war außer sich, gestikulierte fluchend herum und ohrfeigte den Kutscher, der ihm geholfen hatte aufzustehen. In gebrochenem Latein verlangte er, dass die Frau dem Brauch seiner patriarchischen Heimat gemäß, mit lebenden Igeln gesteinigt werden solle.

Die Lady im schwarzen Pelz schien nicht nennenswert von der Aufregung berührt zu sein. Sie stieg vom Pferd und überließ das Tier einem heraneilenden Diener, auf dass dieser es in den Stall führte. Dann betrat sie ruhigen Schrittes das Weisse Haus.

Die Soirée beginnt

Von Neugier gepackt, beschloss ich, nun doch meine Räume zu verlassen und mich nach unten in den Festsaal zu begeben.
Ich hoffte, den Saal relativ dezent und unbemerkt betreten zu können. Die meisten Gäste waren ja auch schon in angeregte Gespräche verwickelt, bestaunten unsere Einrichtung oder machten sich über das Buffet her.
Einige bemerkten mich aber trotzdem und machten artig ihren Hofknicks.
König Günter übertrieb diese Geste jedoch auf absolut unangebrachte Weise und bückte sich so schwungvoll und tief, dass der Inhalt der Bierflasche die er zuvor auf Ex hinter die Binde gekippt hatte, der Schwerkraft folgte.
Nur mit einem geistesgegenwärtigen Sprung zur Seite konnte ich mein Kleid vor den Spritzern des auf das Parkett klatschenden Nasses retten.

Die stotternde Entschuldigung des Regenten wurde durch einen monumentalen Rülpser unterbrochen. Ich gab ihm zu verstehen, dass es gut war und nickte einen Diener herbei, auf dass dieser die Sauerei beseitigen möge.
Ich zog weiter, nahm mir ein Sektglas und hielt nach der reitenden Amazone Ausschau.

Es war schwer, in der Menge eine bestimmte Person auszumachen. Dann aber erhielt ich einen guten Anhaltspunkt in Form der Königin Mutter: Wie versteinert stand sie da, ihr Champagnerglas schier erwürgend und versuchte, der grausigen Medusa gleich, einen Menschen der irgendwo in Richtung der Terrassentür stand, mit ihrem Blick zu töten.
Ich brauchte also nur in eben diese Richtung zu gehen.

Die erste Begegnung

Meine Annahme, der Todesblick der Königin Mutter könne nur einer unbekannten Frau gelten, erwies sich als richtig. Nahe der Balkontüre erblickte ich den Präsidenten, wie er sich mit einer aparten Lady unterhielt. Obwohl sie ihr schwarzes Pelzcape nicht mehr anhatte, erkannte ich sie sofort. Es war die Reiterin.

Sie trug ein grün schattiertes Kleid mit einer goldgelben Schärpe. Ein breites, oranges Turbanband war um ihren Kopf geschwungen. Darunter glänzte rabenschwarzes Haar. Sie war zweifellos eine prachtvolle Erscheinung, so schön wie der Präsident und zusammen bildeten sie ein Paar in optischer Vollendung. Eine Vollendung, die mich traurig stimmte, denn nie und nimmer konnte ich mit ihrer Schönheit mithalten, das wusste ich wohl.
Ich hatte nun genau zwei Möglichkeiten: Kehrt machen und mich alleine in meinen Gemächern bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken oder auf die beiden zuzugehen, zeigen wer ich bin, in der Hoffnung, eingebunden zu werden.

Option 1 war zweifellos wesentlich leichter, jedoch hatte ich noch nie getrunken und es erschien mir unpassend, nun ausgerechnet zu Beginn des neuen Jahrhunderts damit anzufangen. Option 2 war deutlich anspruchsvoller. Mein Auftreten durfte auf gar keinen Fall wie das aufdringliche Dazwischengehen einer eifersüchtigen, alten Zicke wirken.
Ich entschied mich für Option 2, auch unter dem Aspekt, dass, wenn sie scheiterte, Option 1 ja immer noch in Betracht gezogen werden konnte.

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