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Diverses:Entführung eines Wahnsinnigen

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Version vom 13:49, 15. Feb. 2016 von Smilodon12 (Diskussion | Beiträge)

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Jeder kennt das, man ist betrübt, am Boden zerstört, weint den ganzen Tag und einem geht es ganz mies. Man denkt, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, dass man den Tiefpunkt erreicht hat, doch dann kommt eine Gruppe von dreisten Idioten und raubt einem die Freiheit. Dies ist meine Geschichte:

Erste Kontaktaufnahme (12.02)

Ein Sturm zieht auf...
Ich sitze auf einem unbequemen Barhocker und starre mein leeres Glas an. Sein Anblick macht mich traurig. Ich mag den Anblick von leeren Gläsern nicht. Deshalb hebe ich die Hand und gebe mit einer kurzen Geste zu verstehen, dass ich noch einen Mojito will. Ich habe schon sechs Cocktails intus und spüre, wie der Alkohol meine Gedanken träge macht, doch der dumpfe Schmerz bleibt. Er fühlt sich an wie ein kaputter Zahn. Ach Sophie, warum musstest du mich verlassen? Ich bin nicht der netteste Mensch und nicht der klügste Kopf auf Erden, doch ich liebe dich. Ich liebe jede einzelne Faser deines Körpers, deine geistreichen Kommentare und dein Lachen. Ich spüre, wie der Schmerz meines Herzens größer wird, doch mein Mojito ist noch nicht bei mir. Ich schlage mit der Faust auf den Tisch und versuche meinen Protest kundzutun, doch es kommt nur eine sinnlose Folge von Vokalen aus meinem Mund. Die Barkeeperin hat anscheinend Erfahrung im Umgang mit Betrunken und bringt mir rasch mein Getränk.

Ich danke mit einer Handbewegung, die aussieht wie ein unkontrolliertes Muskelzucken. Vielleicht ist es auch ein Symptom der Chorea-Huntigton-Erkrankung. Solange ich mit einer Hand das Glas heben kann, ist es mir ziemlich egal. Mit gierigen Schlücken trinke ich den Mojito. Der Alkohol fließt meine Kehle hinunter. Der Rum füllt meinen Magen mit Wärme, doch mein Herz bleibt kalt. Meine geliebte Sophie hat mich verlassen. Meine Mutter hasst mich und mein Vater hält mich für einen Versager. Ich habe Salma einen Brief geschrieben, in dem ich meine Probleme schildere. Bis jetzt ist keine Antwort gekommen. Ich nippe an meinem Mojito. Ich könnte mich umbringen. Niemand würde sich dafür interessieren, aber es wäre eine Möglichkeit, Verleger auf mich aufmerksam zu machen. Ein Bestseller, wie es ihn seit Ich, Arturo Bandini von John Fante nicht mehr gab, vergammelt in meinem Schreibtisch, weil die Lektoren dieser Welt zu dämlich sind, mein Genie zu erkennen. Sobald es verlegt ist, wird die Welt erfahren, welch genialer Kopf unter ihnen weilte und meine Freundin Sophie wird sich selbst dafür hassen mich, den Bestsellerautoren, den Goethe 2.0, verlassen zu haben.

Sie wird auf Knien rutschen und um Vergebung betteln, doch ich werde nicht nachgeben. Bin ich einmal berühmt, werden sich die Frauen um mich reißen. Ich leere das Glas und stelle es zurück auf den Tisch. Das Hochgefühl ist weg und ich bin wieder ein einsamer Versager, der sich in einer Bar in Zell am See betrinkt. Wenigstens habe ich Geld, sodass ich meine Leber nicht mit billigem Fusel zerstören muss. Ich lege einen Hundert-Euroschein auf den Tresen und stehe auf. Erst nach einigen Sekunden habe mein Gleichgewicht gefunden. Ich nehme meinen Gehstock in die Hand und humple zur Garderobe, wo ich Mantel und Hut anziehe.

Meine Entführerin Monica Bellucci. Die beiden sehen sich auch zum Verwechseln ähnlich.

Ich spiele mit dem Gedanken in ein Bordell zu gehen, doch das letzte, was ich gebrauchen kann, ist, dass ich trotz Unterstützung einer Prostituierten keine Erektion bekomme. Was wäre dies für eine bittere Niederlage für den Nachwuchsschriftsteller. Der Frauenversteher und Sprachmeister bekommt keinen hoch. Ich lache ob meiner bitteren Worte und trete in die Nacht hinaus. Dies trifft es nicht ganz. Vielmehr torkle ich durch die Nacht, die Kirchengasse entlang, vorbei an der Stadtkirche, zum Bahnhof. Der Schnee unter meinen Füßen knirscht und ich habe Probleme mein Gleichgewicht zu halten. Während ich den Winter, die faulen Schneeräumdienste und meinen Gehstock verdamme, starre ich auf die Bahngleise und versuche einen klaren Gedanken zu fassen. Plötzlich spüre ich etwas Hartes, Kaltes an meinen Kopf.

Ich drehe mich langsam um und blicke in den Lauf einer Waffe. Mein Ende ist gekommen. Felix, mache dein Testament. Dies ist gar nicht nötig. Es gibt niemanden, der sich für dich interessiert. Die Waffe wird von einem kleinen Mann gehalten, der einen schwarzen Anzug und einen schwarzen Mantel trägt. Neben ihm stand ein großgewachsener Mann. Nachdem ich einige Augenblicke in den Lauf der Waffe geblickt habe, sagt der Kleine: "Nicht umdrehen." "Ist es dafür nicht etwas spät?" frage ich provokant. Ich habe mit meinem Leben abgeschlossen und will nur noch einen coolen Abgang haben. Die beiden starren sich verdutzt an. Dann erklärt der Kleine: "Sei nicht so frech, oder wir pusten dir dein Gehirn aus dem Schädel." Es gibt Tage, da hat man einfach Pech. Ich bin betrunken habe keine Freunde oder Familie und werde noch dazu von zwei Idioten überfallen, die ihr Vokabular aus Gangsterfilmen haben. Sollte ich erschossen werden und im Himmel landen, werde ich ein ernstes Wörtchen mit Gott reden. Ich antworte lakonisch: "Das ist blöd. Ich hänge nämlich an meinem Gehirn."

Nach einigen Augenblicken füge ich hinzu: "Was wollt ihr eigentlich? Mein Geld habe ich in der Bar ausgegeben. Wenn ihr mich erschießen wollt, macht es schnell." Menschen, die in ähnlichen Situationen waren, haben immer gesagt, Todesangst gehabt zu haben, doch ich bin recht entspannt. Vielleicht ist es der Alkohol. Vielleicht sind die beiden Typen einfach so lächerlich. Vielleicht habe ich auch einfach zu oft From Dusk Till Dawn gesehen und bin gegen Gewalt abgestumpft. Auf jeden Fall machen mir die beiden Gesellen keine Angst. Der Kleine ignoriert meine Frage, zeigt auf einen Parkplatz und sagt: "Steig ein!" "Wo?" "In das Auto, Idiot" "In welches Auto. Auf dem Parkplatz stehen viele Autos," möchte ich wissen und komme zur Erkenntnis, dass man mich entführen will. Ich spiele mit dem Gedanken wegzulaufen, doch angesichts meines Alkoholspiegels und meines Gehstocks wäre das ein lächerliches Unterfangen.

Plötzlich öffnet sich die hintere Tür eines Maserati Quattroportes und eine Frau in schwarzem Abendkleid steigt aus. Meine Kinnlade klappt nach unten. Monica Bellucci will mich entführen. Heute ist doch kein so schlechter Tag. Vermutlich hat sich die Qualität meines Werkes herumgesprochen. Ohne Widerstand zu leisten, nähere ich mich dem Maserati und begrüße Monica: " Buonasera Signora Bellucci[1]." Mit Panik stelle ich fest, dass meine Italienischkenntnisse damit erschöpft sind. In meiner Not weiche ich auf Latein aus und fahre fort: "Honorem esse..[2]" Verbissen suche ich nach dem lateinischen Wort für kennenlernen, doch ich gebe mich geschlagen und bediene mich des Englischen: "to meet..[3]". Weiter komme ich nicht, dann fällt mir auf, dass die Dame, mit der ich spreche, nicht Monica Bellucci ist und nehme mir vor meinen Alkoholkonsum in Zukunft zu verringern, nicht dass ich noch die peruanische Putzfrau für Penélope Cruz halte. Etwas verwirrt stehe ich vor dem Wagen, als ich wieder die Waffe am Hinterkopf spüre. Der Kleine sagt, dass ich einsteigen soll und in mir keimt die Vermutung, dass der Große stumm ist. Ich will mich auf die Rückbank zur unbekannten Frau setzen. Sie ist zwar nicht Monica Bellucci, aber dennoch ist sie schön.

Doch der Große packt mich an der Schulter und der Kleine erklärt: "Du steigst in den Kofferraum." "Der ist aber schrecklich unbequem," protestiere ich, werde jedoch zum Kofferraum gezogen. Dieser wird geöffnet. "Steig ein!" befiehlt der Kleine. "Was ist, wenn ich mich weigere?" Als Antwort verspüre ich einen Stoß und kippe in den Kofferraum. Noch bevor ich reagieren kann, werden meine Beine und Gehstock ebenfalls in den Kofferraum verfrachtet und der Deckel wird geschlossen. Wenigstens ist es ein Maserati und kein Ferrari. Ich spüre, wie der Motor gestartet wird und der Wagen losfährt. Nach den ersten paar Minuten schlafe ich ein.

Im Kofferraum (13.02)

Früher war alles besser. Damals wusste man noch, wie wertvoll ausreichend Laderaum ist.
Das Klingen eines Mobiltelefons reißt mich aus dem Schlaf. Ich nuschle etwas und versuche es zu ignorieren. Doch es geht nicht. Das Klingen hallt in meinem Kopf weiter und verursacht schreckliche Kopfschmerzen. Ich will es abdrehen, doch bevor ich meinen Arm heben kann, verstummt es von selbst. Ich versuche weiter zu schlafen, doch es ist nicht möglich. Mein Kopf schmerzt als hätte ich gestern versucht mit dem Kopf durch die Wand zu kommen und mein Blutdruck hätte eine Pressluftflasche vor Neid erblassen lassen. Nach einigen Augenblicken fällt mir ein Rauschen auf, dass ich nicht einordnen kann. Ich schiebe es auf mein altes Radio, dass schon seit einiger Zeit Macken hat, als mir auffällt, dass ich meinen Mantel noch trage und mein Gehstock neben mir liegt. Der Versuch sich zu bewegen wird mit stärkeren Kopfschmerzen bestraft und ich konzentriere mich darauf, meine Augen zu öffnen. Vorsichtig, um im Falle von starkem Lichteinfall die Lider sofort wieder schließen zu können, öffne ich sie. Doch zu meiner Verwunderung ist es dunkel.

Mir fällt auf, dass ich in Embryonalstellung liege und der Untergrund bei Weitem nicht so weich ist wie mein Bett. Verwirrt liege ich da und versuche meine Gedanken zu ordnen, als ich Stimmen vernehme. Was hat man mir gestern in den Mojito geschüttet. Es kann doch nicht sein, dass ich eine Gruppe von Stripperinnen mit nach hause genommen habe. Das Rauschen wird stärker und ich spüre einen leichten Linksruck. Ich sollte nicht mehr so viel trinken. Ich habe wahrscheinlich den ganzen Tag verschlafen und niemanden hat es interessiert. Kein Verleger hat angerufen. Sophie hat kein Frühstück gemacht, wird sie auch nie wieder machen, und meine Eltern haben mich nicht besucht. Das Schicksal eines einsamen Versagers, der der Wahrheit treu geblieben ist. Ich versuche aufzustehen, als mein Kopf gegen etwas Hartes stößt. Unwillkürlich lasse ich mich fallen, was mein Kopf mit einer Salve von Schmerzen bestraft. Habe ich ein Brett über meinem Bett montiert oder habe ich gar gestern eine Frau kennengelernt, die mich mit zu ihr nach hause genommen hat? Hoffentlich sieht sie gut aus. Ihr Mantelfetisch ist aber etwas absurd.

Während ich versuche, mich an den Namen der Unbekannten zu erinnern, will ich mich strecken, was misslingt. Einen Augenblick liege ich grübelnd dar, dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich bin in einem Kofferraum. Meine Augen öffnen sich und meine Pupillen erreichen die Größe von Traktorrädern. Einige Augenblicke bleibe ich stumm liegen, vollkommen überfordert mit der Situation, dann schreie ich: "Lasst mich raus. Lasst mich raus, ihr Wichser. Das ist illegal." Diese Worte sind kein Musterbeispiel an Kreativität, doch angesichts meiner Panikattacke, bin ich froh, dass ich überhaupt etwas herausbringe. Ich trete gegen den Kofferraum. In diesem ungünstigen Zeitpunkt meldet sich meine Blase zu Wort und ich spüre, wie mein Unterleib zu schmerzen beginnt. Der Wechsel in eine bequemere Position ist auf Grund des Platzmangels nicht möglich, deshalb halte ich an meiner ursprünglichen Taktik fest: "Ich habe gesagt, dass ihr mich rauslassen sollt. Ich muss mal. Ich wiederhole, ich muss auf die Toilette und wenn ihr nicht innerhalb der nächsten scheiß fünf Minuten, stehen bleibt, war euer Kofferraum mal sauber." Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, trete ich wieder gegen den Kofferraum.

Ich höre, wie vorne diskutiert wird und nach einer Ewigkeit, zumindest fühlte es sich für meine Blase so an, wird der Kofferraumdeckel geöffnet. Reflexartig schließe ich die Pupillen und spüre, wie mein Kopf wieder zu schmerzen beginnt. Ich bemühe mich aufzustehen. Als das nicht schnell genug gelingt, zieht mich der Kleine, der den Kofferraum geöffnet hat, aus eben diesen. Mein Kopf pocht wie ein hyperaktives Peleusbällchen und ich habe Mühe, mich auf den Beinen zu halten. Ich torkele zum Rand der Autobahn. Der Kleine folgt mir. Einige Augenblicke stehen wir beide da und betrachten die Landschaft, dann fragt er: "Worauf wartest du?" "Du bist noch hier. Ich bin ein schüchterner Mensch." "Ich muss dich beobachten, nicht, dass du wegläufst." "Wir sind mitten auf einer Autobahn. Ich habe einen Gehstock und keine Ahnung, wo wir sind. Außerdem kannst du mich auch mit fünf Meter Abstand beobachten. Wenn ihr aber unbedingt so scharf darauf seid, mich beim Pinkeln zu beobachten, soll das deine Kollegin machen. Für dich, mein kleinwüchsiger Entführer, gibt es Internetseiten, wo du dir so etwas ansehen kannst." erkläre ich mit genervter Stimme. Ich spüre einen Schlag auf den Arm, doch der Kleine geht.

Ich uriniere in aller Ruhe. Nachdem ich fertig bin, drehe ich mich um und erkläre: "Ich bin hungrig." "Das kümmert mich einen Dreck" "Mich kümmert es einen Dreck, dass es dich einen Dreck kümmert. Ich habe Hunger und will etwas essen oder ich demoliere den Kofferraum des Maseratis." Der Kleine denkt nach, geht zum Auto und befragt die Schönheit, die auf der Rückbank sitzt. Währenddessen erkenne ich zum zweiten Mal, dass meine Entführer Versager sind, die sich von ihrem Opfer unter Druck setzen lassen. Wahrscheinlich schreiben die sogar auf die Lösegeldforderung einen Absender. Der Kleine kommt zu mir und erklärt, dass bei der nächsten Raststation gehalten wird. Danach stößt er mich wieder in den Kofferraum.

Frühstück mit den Entführern (13.02)

Mein Körper schmerzt als hätte ich gestern Abend gegen Muhammad Ali gekämpft. Mein Bein schmerzt. Mein Kopf schmerzt. Mein Bauch schmerzt. Noch dazu liege ich in einem Kofferraum und das schon seit einiger Zeit. An den harten Filzboden habe ich mich gewöhnt. Das fehlende Platzangebot ist das Problem. Eigentlich müsste man annehmen, dass ein Wagen, der 150.000 Euro kostet, einen großen Kofferraum hat, doch anscheinend hat man das Geld woanders investiert. Einige Minuten lang hatte ich Angst, dass ich ersticken könnte, doch dann ist mir eingefallen, dass ich die halbe Nacht in dieser Sardinenbüchse geschlafen habe und seit dem habe ich eher die Befürchtung, dass auf Grund der fehlenden Bewegungsfreiheit ein Blutgerinnsel in mein Gehirn wandert und ich qualvoll in einem Kofferraum sterbe. Das ist das Gegenteil vom würdevollen Tod, den ich mir gewünscht habe. Der Maserati hält an.

Voller Freude warte ich darauf, dass der Kofferraumdeckel geöffnet wird und ich endlich meine Beine ausstrecken kann, wenn sie noch nicht abgestorben sind. Seit einigen Minuten spüre ich sie nämlich nicht mehr. Ein Verschluss klackt und der Kofferraum öffnet sich. Licht bahnt sich den Weg durch den Glasköper meines Auges und reizt die Sinneszellen. Mit fatalen Folgen. Meine Kopfschmerzen werden stärker. Noch bevor ich mich auf die Situation einstellen kann, zieht mich etwas aus dem Kofferraum heraus. Einige Augenblicke stehe ich, dann geben meine Beine nach und ich stürze zu Boden, der zu meinem Leidwesen ausgesprochen hart ist. Während meine Finger kalten Asphalt ertasten, passen sich meine Augen an das grauenhafte Sonnenlicht an und ich erkenne, dass die beiden Versager über mir stehen. Sie sehen etwas furchteinflößender aus als gestern Nacht und mein Mut zur Gegenwehr hat sich proportional zum Alkoholspiegel in meinem Blut verringert, trotzdem habe ich nicht vor, mir die Blöße einer Panik zu geben und frage: „Was gibt es? Habt ihr mich verwechselt oder weswegen darf ich den winzigen Kofferraum verlassen? Ein plötzlicher Anfall von Humanität kann es ja nicht sein.“ „Es gibt Frühstück,“ antwortet der Kleine.

Ich spüre, wie das Blut langsam zurück in meine Beine strömt und für ein grauenhaftes Kribbeln sorgt. „McDonald's?“ will ich wissen. Ein Cheeseburger wäre jetzt genau das Richtige. „Raststation, und nun steh auf oder müssen wir dir Beine machen?“ sagt der Kleine und zieht mich hoch. Leider etwas zu früh für meine Beine, die noch nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt sind und nach einigen Sekunden stürze ich wieder zu Boden. „Willst du mich verarschen?“ fragte mein Entführer. Ich antworte mit zerknirschter Stimme: „Das schaffst du sehr gut allein. Ich habe einfach nur Schmerzen in meinen Beinen, weil mich zwei riesige, dumme Idioten in einen Kofferraum gesperrt haben, der selbst einem Fötus zu klein gewesen wäre.“ Der Kleine verzieht sein Gesicht und holt mit seinem Fuß aus, doch bevor es zum schmerzhaften Tritt kommt, öffnet sich die Tür und die unbekannte Schönheit verlässt das Auto. „Was dauert da so lange?“ fragt sie. Unter größten Schmerzen rapple ich mich hoch, klopfe den Staub von meinem Mantel und erkläre mit schmerzverzehrter Stimme: „Sie haben zwei Versager als Komplizen. Inkompetent wie die Nationalmannschaft von San Marino.“ Wenn ich es schaffe mich mit ihr gut zu stellen, werde ich vielleicht an ihr Bett gefesselt.

Sie lacht und erwidert: „Es sind gute Vollstrecker. Wenn Sie sich als kooperativ erweisen, wird dies nicht notwendig sein, aber wenn sie glauben, uns Probleme machen zu können, werden Sie Ihren Gehstock nur noch zum Anschieben ihres Rollstuhls benutzen. Nun können wir essen gehen. Ich hoffe Sie mögen simple, österreichische Küche. Etwas anderes gibt es nämlich nicht.“ Ich schlucke und stelle mir vor, wie man mich in Einzelteilen in einer Reisetasche meinen Verwandten übergibt, doch dann wird mir klar, dass die sich darüber freuen werden und ich humple mit trotzigem Gesichtsausdruck in Richtung Raststation.

Gelegentlich sollte man die Fresse halten, um keine Fressenpolitur zu bekommen.
Die Entführung ist eine Möglichkeit meine mich hassende Familie und meine Ex-Freundin zu vergessen und mein Ego wieder zu stärken. Wie sagte schon Nietzsche: Was dich nicht umbringt, macht dich stärker. Ich gehe zwar davon aus, dass ich diese unfreiwillige Reise nicht überlebe, meine Entführer bringen mich irgendwann einmal um die Ecke, vielleicht aus Absicht, vielleicht aus Unvermögen, doch das ist kein Grund, mein Ego nicht zu stärken. Dann kann ich wenigstens mit gestärktem Selbstvertrauen vor Petrus treten. Kurz nachdem ich die Raststation betreten habe, packt mich der Kleine am Kragen meines Mantels, zeigt mir die Glock, die er unter seinem Mantel versteckt und erklärt mir: „Wenn du auch nur einen falschen Mucks machst, puste ich dir ein Loch in den Schädel.

„Damit tust du mir eigentlich einen Gefallen. Meine Freundin hat mich verlassen. Meine Familie hasst mich. Ich habe Chorea Huntington und sehe einem qualvollen Tod ins Auge. Wenn du mir jetzt ein Ticket in die Hölle löst, muss ich mir all diese Scheiße nicht mehr antun. Dann bin ich nämlich tot, was die Aufmerksamkeit der Lektoren auf mein Manuskript lenken wird. Wenn du mich umbringst, hilfst du mir. Da ich es danach nicht mehr kann, werde ich jetzt Danke sagen.“ Der Kleine starrt mich verdutzt an. Ich kann und will mir ein Grinsen nicht verkneifen. Es ärgert mich ein wenig, dass ich meine seelischen Probleme preisgeben musste, doch es schmälert nur leicht die Freude, die jedoch nur von kurzer Dauer ist, denn der Große beugt sich zu mir hinunter und erklärt: „Du hast etwas nicht verstanden. Zwischen Leben und Tod ist kein schmaler Grad, sondern die riesige Ebene der unvorstellbaren Schmerzen mit willigen Folterknechten. Wenn du nicht machst, was wir wollen, werden wir dich nicht umbringen, denn wir brauchen dich, doch wir werden dich schlagen. Glaube mir, deiner Familie ist es vollkommen egal, ob wir deine Eier mit einer Kneifzange bearbeitet haben.

Ich schlucke. Die Schönheit greift ein: „Er zeigt keinerlei Fluchttendenzen. Es ist nicht notwendig, ihm diese einzureden.“ Dann geht sie weiter. Der Kleine folgt ihr, doch der Große packt mich am Mantelkragen und sagt leise zu mir: „Meine Chefin hat mir gerade erklärt, dass ich dir Fluchttendenzen einreden würde, deshalb möchte ich dir etwas mitteilen. Solltest du auf die unendlich dumme Idee kommen zu flüchten, habe ich achtzehn kleine Freunde, die alle schneller laufen können als du.“ Ich schlucke wieder und bemühe mich, nicht in Panik auszubrechen. Doch ich bleibe meinem Vorsatz, keine Angst zu zeigen treu und erwidere: „Du hast den Film From Dusk Till Dawn gesehen. Sehr kreativ, dass du Sprüche von Quentin Tarantino klaust.“ „Quentin Tarantino hat diesen Spruch von mir geklaut,“ erklärt er und geht weiter. Ich spüre Panik in mir hochsteigen und merke, dass der Alkoholabbau sich negativ auf mein Verhalten auswirkt. Mein Herzschlag hat schon vor einiger Zeit den gesunden Bereich verlassen und ich bin kurz davor, meinen Widerstand aufzugeben. Doch ich nehme mir vor, zu kämpfen, und sage: „Das mit der Kneifzange und den Hoden. Das ist nicht weiter schlimm. Ich will sowie so keine Kinder. Gendefekt. Und bei einer Scheidung muss man Unterhalt zahlen.“ Der Große bleibt stehen, packt meinen Mantelkragen und erklärt mir: „Du hast es immer noch nicht begriffen. Deine Hoden mit einer Kneifzange zu bearbeiten bedeutet mehr, als bloß deine Unfruchtbarkeit herbeizuführen. Wenn wir mit dir fertig sind, werden Pornofilme für dich nur noch Schundwerke ohne Handlung sein.“

Ich schlucke wieder und spüre, wie sich mein Hals zuschnürt. Beim Gedanken daran, von nackten Brüsten und Schamlippen nicht mehr erregt zu werden, ergreift tiefe Panik von mir Besitz. Man stelle sich vor, ich, das schriftstellerische Genie, der Shakespeare des 21. Jahrhunderts, spreche mit einer hinreißenden Frau. Schwarze Locken, die wie Wasser über ihre Schultern fließen, oder eine blonde Mähne, die zu einer schicken Hochfrisur gebändigt wurde, und ich blicke nur in ihre Augen. Der größte Schriftsteller seit der Erfindung der Buchstaben ein Eunuch! Auch wenn diese Drohung bei mir Wirkung zeigt, hoffe ich auf die Unterstützung der schwarzhaarigen Schönheit und bete, dass ihr etwas an meinen Hoden und den darin produzierten Hormonen liegt. Nach einigen Sekunden der Panik, in denen mein zukünftiges, hoffentlich nicht so stattfindendes Leben an meinen Augen vorbeizieht, habe ich meinen Kampfgeist wiedergefunden und erwidere trotzig: „Ich bin mir sicher, dass ihr mir kein Haar krümmen werdet.“ Leider verstecken sich meine Eloquenz und meine Kreativität immer noch erfolgreich, doch die beiden Hohlköpfe wissen diese beiden Eigenschaften sowieso nicht zu schätzen.

Der Kleine dreht sich zu mir. Ein schmieriges Grinsen bedeckt die untere Hälfte seines Gesichts, und noch bevor ich die Ähnlichkeit zu einem Clown der Öffentlichkeit mitteilen kann, tritt er meinen Gehstock weg. Dies mag zwar skrupellos sein. Doch die Schwerkraft ist keinen Deut besser und ich spüre, wie ich falle, mit meinem rechten Knie auf dem Boden aufschlage und eine Stuhlkante küsse. Der salzig, metallische Geschmack von Blut, der erstaunlich stark dem von Messingtürklinken gleicht, erfüllt meinen Mundraum und mein Knie fühlt sich so an, als hätte ich jetzt auch physische Gründe für die Benutzung eines Gehstocks. Während ich am Boden liege und versuche mich aufzuraffen, um die beiden Idioten mit meinem Gehstock zu traktieren, erkennt mein Johnny-Cash-geschädigtes Ohr das Lied „Down the Line“ und ich komme zur Erkenntnis, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann. Mancher würde jetzt Ebola ins Feld führen, doch dann wäre ich wenigsten in ein paar Tagen tot. Ich sammle Speichel in meinem Mund, um provokant vor die Füße meiner Bewacher zu spucken, entscheide mich jedoch anders, als ich den weißen, halbwegs sauberen Boden sehe. Ich stehe auf, stütze mich auf meinem Gehstock und blicke in den Spiegel, der eine Wand des Restaurants bedeckt.

Fassungslos streiche ich über die Wange, um sicherzugehen, dass dieses bleiche Gesicht und der blutrote Mundraum wirklich mir gehören. Ich sehe aus wie ein Vampir mit Darmkrebs im Endstadion, der aus dem Krankenhaus geflohen ist, um seine letzten Stunden in einer Raststation zu verbringen. Mein schmutziger Mantel und das zerknitterte Hemd tun ihr Übriges. Der Gehstock lässt mich auch nicht gesünder wirken. Während ich mit offenem Mund vor dem Spiegel stehe, sodass etwas Speichel-Blutgemisch, welches mein Mund ausfüllte wie ein Urin-Wasser-Gemisch ein öffentliches Schwimmbecken, auf mein Hemd tropfen kann, begreife ich, dass ich meine Vorgehensweise ändern muss, um nicht filetiert und in Japan als Walfleisch verkauft zu werden. Ich setze mich zur Schönheit an den Tisch und zermartere meinen ohnehin schon schmerzenden Kopf, wie ich das Gespräch beginnen könnte, als die Kellnerin, eine hübsche, junge Dame mit brünettem Haar und kecken Augen fragt, was die Bestellung sei. Ich lächle die Kellnerin an. Diese verzieht das Gesicht und weicht unwillkürlich einen Schritt zurück. Eine verständliche Reaktion, ich sehe noch beschissener aus als die Vampire aus Twilight, doch sie hätte etwas dezenter ausfallen können.

Es geht nichts über ein gutes Frühstück
Mein Lächeln verschwindet und ich bestelle mit der Stimme eines Mannes, der vor kurzer Zeit geschrien hat wie ein Verrückter, um etwas zu essen zu bekommen, obwohl das nicht nötig war: „Einen Mojito bitte.“ „Wir haben keine Cocktails hier.“ „Dann nehme ich einen Mojito ohne Minze, Limone, Eis, Sodawasser und Zucker“ „Wie schon gesagt, wir bieten hier keine Cocktails an,“ erklärt die Kellnerin mit Nachdruck. Ich starre sie an und frage erstaunt: „Habt ihr keinen Rum? Dann nehme ich einen Whisky. Drei Zentiliter sollten ausreichen.“ „Die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Wollen Sie wirklich in aller früh trinken?“ „Ich fühle mich genauso beschissen wie ich aussehe. Das würde sogar einen Selbstmord rechtfertigen. Ich wäre ihnen dankbar, wenn sie mir meinen Whisky bringen. Es sei denn, Sie wollen mich anders beglücken.“ Die Kellnerin schreibt etwas auf ihren Block und entfernt sich wutschnaubend. Die Doppeldeutigkeit meiner Aussage wird mir erst nach einigen Augenblicken klar. Ich starre auf den Tisch, versuche die passenden Worte für einen Gesprächsanfang zu finden, denn mein neuer Plan ist es, mich mit meinen Entführern zu verbünden.

Ich tue so als würde ich mit mit ihnen anfreunden und erfahre so Details, die dann der Polizei erzählen kann. Gelegentlich muss ich einfach über meine Genialität staunen. Leider ist Smalltalk nicht meine Stärke. Ich kann zwar viel Blödsinn reden und viel belangloses Zeug labern, aber zu meinem Leidwesen sind nicht alle Menschen Agnostiker. Die Kellnerin bringt mir den Whisky. Ich nehme das Glas in die Hand, als mir einfällt, dass ich eine Zigarre und damit den idealen Gesprächsbeginn in meinem Sakko habe. Ich hole einen kleinen metallischen Zylinder aus meinem Sakko, öffne diesen und umschließe die Zigarre mit meinen Lippen. Dann frage ich: „Hat jemand Feuer?“ Die unbekannte Schönheit greift in ihre Handtasche und reicht mir eine Packung Streichhölzer. Kurz erfüllt der Geruch von Waldbrand die Luft, dann weicht er dem süßlichen Aroma der Zigarre. Nachdem ich den blauen Dunst ausgeatmet habe, frage ich: „Wie heißt ihr?“ „Hey Ikearegalzusammenbauer! Dir ist schon klar, dass wir dich entführen und das hier kein Sommercamp ist.“ „Ich mag zwar betrunken, angetrunken oder was auch immer sein. Ich mag zwar Alkohol im Blut haben, aber ich bin nicht dämlich. Ich brauche Namen, damit ich euch ansprechen kann. Ich kann euch ja nicht der Dicke, der Doofe und die Schöne nennen. Wie das klingt: <<Wer hat den entführt? Dick und Doof!>>. Eine klasse Antwort!“ „Wenn es dir peinlich ist, kann ich dir deine Zunge herausschneiden oder falls du deinen Anblick nicht mehr ertragen kannst, steche ich dir gern die Augen aus.“ Ich verkneife mir die Anspielung und warte wie die restlichen Entführer auf diese Anfeindung reagieren.

Nach einigen Sekunden des Schweigens, welche mich daran erinnert haben, dass ich die Rechte eines philippinischen Fischers habe, sagt die schwarzhaarige Schönheit: „Sie können mich Veritas nennen.“ Ich reiche ihr meine Hand, auf das charmante Lächeln verzichte ich lieber, nippe an meinem Whisky, um eine stimmungsvolle Pause zu erzeugen und erwidere: „Felix, mein Name. Es ist mir eine Freunde Sie kennen zu lernen.“ Bevor Veritas etwas erwidern kann, giftet mich der Große von der Seite an: „Wenn du uns verarschen willst, verabschiede dich von deinem Arsch.“ „Und du bist?“ „Du kannst mich Spartakus nennen.“ Während ich versuche mir ein Grinsen zu verkneifen, gebe ich dem Kleinen zu verstehen, dass er mir seinen Spitznamen sagen soll. Nach einigen Sekunden öffnet er sogar den Mund: „Mein Name soll Gravitus sein.“ Ich nippe an meinem Whisky und frage mich wie ich zwei Witzfiguren ernst nehmen soll, die sich bei der Namensnennung von Sklaven und Marvel Comics inspirieren lassen. Ich nippe nochmals an meinem Whisky, nicht weil er besonders gut schmeckt, sondern weil ich möglichst schnell wieder in die Geborgenheit des Alkohols will, und entschließe mich, nun, da das Eis gebrochen ist oder zumindest Risse hat, meine Forderungen vorzutragen: „Ich will nicht mehr in den Kofferraum eingeschlossen werden.“ Als ich nicht sofort Zustimmung in den Augen der anderen erkennen kann, füge ich hinzu: „Hey Leute, seid keine Arschlöcher! Ich habe niemandem gesagt, dass ihr mich entführt habt. Ihr müsst mich nur auf die Rückbank setzen. Ist das so schwer?“

Ankunft in der Pension "Zur fehlenden Freiheit" (13.02)

Meine Nase juckt. Leider kann ich mich nicht kratzen, da man mir die Hände gefesselt hat. Auch um Hilfe bitten stellt keine Option dar, nicht nur weil man mir das Sprechen verboten hat, sondern auch weil ich kein Zeichen von Schwäche offenbaren möchte. Wäre ich nicht gefesselt und hätte man mir nicht das Sprechen verboten, könnte ich mir die Nase kratzen und Veritas erzählen, was für eine Erleichterung dies war, denn ich sitze auf der Rückbank. Ich muss zwar eine mit schwarzer Klebefolie bedeckte Sonnenbrille tragen, aber ich kann meine Füße bewegen und wenn ich an meinen Fesseln zerre, dreht sich mein Handgelenk etwas. Das Sprechverbot hat auch seine Vorteile. Es macht mich zu einem guten Zuhörer. Etwas was nie meine Stärke war. Des Weiteren habe ich erfahren, dass meine Entführer und ich einige Gemeinsamkeiten haben. Wir mögen alle chinesisches Essen und gute Actionfilme. Mit Spartacus teile ich meine Schwäche für verschreibungspflichtige Schmerzmittel. Gravitus ist wie ich ein Fan der Pornodarstellerin Mindy Vega. Verblüffend sind jedoch die Gemeinsamkeiten, die ich mit Veritas teile. Wir mögen Filme von Robert Rodriguez, finden transsexuelle Kommunisten irritierend und sind von Salma Hayeks Schauspielkunst und Persönlichkeit beeindruckt. Wenn ich Veritas bloß erzählen könnte, dass ich die mexikanische Schauspielerin persönlich getroffen habe. Der Wagen bleibt stehen und jemand nimmt mir die Brille ab.

Ich blicke ihn Veritas' Gesicht und betrachte ihre hübsche Nase. Ein Lächeln verkneife ich mir, da mein Mund vermutlich immer noch so aussieht, als würde ich nachts durch Zell am See schleichen, um wehrlosen Frauen oder Katzen das Blut aus dem Körper zu saugen. Die Fesseln werden gelöst. Ich steige aus und das Letzte das ich vernehme, bevor ich den Wagen verlasse, ist The Pusher von Steppenwolf. Mit dem beruhigenden Wissen, dass die Gefahr, meine Beine könnten auf Grund von Blutmangel möglicherweise den Geist aufgeben und einknicken, nicht gegeben ist, setze ich den ersten Schritt in den Schnee.

Der Maserati parkt vor einer schlichten Holzhütte in einem Wald mit Nadelbäumen. Ich humple ein paar Schritte und merke, dass ein bärtiger Mann, bekleidet mit Mantel und Haube, die Hütte verlässt. Da es sich auf rutschigem Untergrund mit einem Gehstock schlecht humpeln lässt, greife ich in meine Manteltasche um die Eiskralle herauszuholen. Noch bevor ich diese mit der Hand umfassen kann, läuft der Typ im Mantel auf mich zu. Kurz sehe ich seine Faust, dann spüre ich einen stechenden Schmerz im Bereich meiner Nase. Ich torkle einige Schritte zurück, lasse den Gehstock fallen, dann gehe ich zu Boden. Es ist nicht das erste Mal. Innerhalb der letzten paar Stunden habe ich den Boden eindeutig zu oft gesehen, aber langsam geht es mir einfach auf den Sack.

Ich schließe die Augen, umfasse mit meinen Händen meine Nase und nuschle: „Du hast mich geschlagen.“ Die fehlende Eloquenz schmerzt, aber bei weitem nicht so sehr wie meine Nase. Ich spüre, wie Blut über meine Lippen tropft. Der Bärtige sagt zu sich selbst: „WOW, wieder ein Blitzmerker. Woher holen die diese Leute.“ Gravitus verkündet spöttisch: „Ich sehe, du hast Bekanntschaft mit Jesus gemacht.“ Langsam öffne ich die Augen und blicke in den Lauf einer Waffe. Es ist das zweite Mal innerhalb von 24 Stunden und man könnte meinen, dass ich etwas routinierter und mutiger auf den Anblick reagiere, doch das Gegenteil ist der Fall. Die bisherigen Ereignisse des heutigen Tages zeigten mir, was für ein glücklicher Mann ich war. Zugegeben meine Freundin hat mich verlassen, meine Familie hasst mich, ich habe einen unheilbaren Gendefekt, bin auf Grund psychischer Faktoren auf einen Gehstock angewiesen und mein einziger Kontakt ist – die Schauspielerin und die Pornodarstellerin lasse ich einmal außen vor – mein kleiner Neffe Thomas, der Donald Duck für ein Genie hält, aber ich hatte Alkohol, drei Spielkonsolen und Pornofilme.

Diese drei Dinge sind um einiges besser als der Tod. Mein Herzschlag wird schneller, je länger ich in den Lauf der Schusswaffe starre. Jesus erklärt mir: „Tante Beretta sagt, nimm die Hand aus deiner Manteltasche.“ Langsam ziehe ich meine Hand aus der Tasche, als Veritas eiligen Schrittes durch den Schnee stapft und fragt: „Was soll das?“ „Der Spinner hat in seine Manteltasche gegriffen.“ Ich hätte jetzt die Gelegenheit den Sachverhalt zu erklären, doch auf Grund der auf mich gerichteten Beretta entschließe ich mich zu schweigen. Etwas was ich öfter hätte tun sollen. Jesus geht einige Schritte zurück und Veritas beugt sich über mich: „Weswegen haben Sie in Ihre Manteltasche gegriffen?“ „Ich wollte nur die Eiskralle für meinen Gehstock herausholen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass dieser bärtige Bastard mir brutal die Nase brechen würde.“ „Ich glaube Ihnen. Stehen Sie jetzt langsam auf und greifen Sie in ihren Mantel.“ erklärt sie und weicht einige Schritte zurück. Als ich meinen Blick wieder nach vorne richte, sind drei Waffen auf mich gerichtet.

Langsam versuche ich mich zu erheben und hatte das Becken schon ein Stück angehoben, als ich auf dem glitschigen Untergrund das Gleichgewicht verliere und wieder falle. In der kurzen Zeit die bis zum Aufprall auf dem leider nicht sehr weichen Schnee verbleibt, hoffe ich, dass keiner meiner Entführung einen nervösen Finger hat. Da mein erster Aufstehversuch gescheitert ist, ändere ich meine Taktik, knie mich hin und richte mich auf. Selbstverständlich ganz langsam. Ich will nicht als Schweizerkäse enden. Dies wäre ein unwürdiges Ende für mich. Während ich mich erhebe, kommt mir auf Grund der drei auf mich gerichteten Schusswaffen in den Sinn, dass meine Annäherungsstrategie noch nicht den gewünschten Erfolg hat. Anscheinend vertraut man mir noch nicht wirklich. Von wegen globaler Erwärmung. Das Eis zwischen mir und meinen Entführern zeigt nicht einmal den Ansatz eines sich nicht in einer Gittertruktur befindenden Wassermoleküls. Als meine Hand in meine Manteltasche gleitet, um die Eiskralle herauszuholen, entschließe ich meine Strategie zu splitten. Ich werde mich einerseits kooperativ zeigen, andererseits werde ich mich nicht unterkriegen lassen.

Ich montiere die Eiskralle am Fuß meines Gehstocks und humple zur Hütte, als Veritas sagt: „Bitte entschuldigen Sie unsere rüde Vorgangsweise. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.“ „ Kein Problem,“ lüge ich. Nur mit Mühe kann ich den Impuls unterdrücken Jesus, Spartacus und Gravitus mit meinem Gehstock zu schlagen. Man beachte mit welch galanter Rhetorik und subtiler Botschaft ich einen Teil meiner Strategie verwirkliche. Kein Problem impliziert zwar etwas Verärgerung, doch zeigt es Verständnis für die Taten. Nachdem Phase eins zur Vertrauensgewinnung der Entführer begonnen hat, kann ich nun Phase zwei in die Wege leiten. Ich frage : „Werde ich in der Hütte eingesperrt?“ „Ja, wenn du genaueres wissen willst, frage Jesus,“ antwortet Veritas. Ich spüre, wie sich meine Enttäuschung hochschaukelt, wie das Wasser in der Badewanne eines Onanierenden. Zwar hatte ich damit gerechnet, doch die endgültige Gewissheit schmerzt. Nichtsdestotrotz gebe ich nicht auf und humple zu Jesus, um genauere Informationen zu erhalten und mich im Falle von Missfallen des vorgetragenen Systems zu beschweren. Ich frage: „Werde ich in diese Hütte gesperrt?“ „Ja, aber keine Sorge du bekommst ein Zimmer mit Ausblick.“ Ich ignoriere den spöttischen Unterton und bohre weiter: „Ich bin froh, dass kein Keller ist. Davon liest man ja immer wieder in der Zeitung. Habe ich ein eigenes Bad?“

„Ja, du hast deine eigene Dusche und deine eigene Toilette.“ „Das freut mich. Gemeinschaftsduschen sind nicht so mein Ding. Wie sieht es mit einem Schwimmbecken aus?“ „Wir haben Winter.“ „Heißt das nein?“ „Wenn du nicht ohne Outdoorschwimmerlebnis auskommst, baue dir einen Schneehaufen und verrecke leise,“ erklärt Jesus etwas gereizt. Nun bietet sich die Möglichkeit sich über das fehlende Schwimmbecken aufzuregen, doch dieser Grund reicht noch nicht aus. Außerdem habe ich keine Lust in einem Schneehaufen meine letzte Ruhestätte zu finden. Ein saisonales Hügelgrab entspricht einfach nicht meiner Natur. Deshalb frage ich weiter: „Gibt es Wasserbetten?“ „Nein.“ „Pornokanal?“ „Nein! Gibt es auch nicht. Hör zu! Du bekommst ein einfaches Zimmer mit vier Wänden einem Bett und ein Bad mit vier Wänden und einer Dusche. Wenn du Probleme damit hast, können wir dir auch einen Sessel vor die Hütte stellen und dich dort anbinden! Es gibt Teile der Welt, wo die Leute über ein Dach und eine funktionierende Wasserversorgung überglücklich wären,“ erklärt Jesus noch einmal etwas gereizter. Ich nicke nachdenklich und reinige meine Schuhsohlen mit Hilfe der Fußmatte.

Wieder zeigt sich die Genialität meine Strategie: Einerseits Respekt zeigen, andererseits Respekt verlangen. Ich räuspere mich und erwidere: „Ich glaube in keinem Teil der Welt träumen die Leute davon entführt und ihrer Freiheit beraubt zu werden.“ Jesus schließt die Augen, atmet tief ein und erklärt nochmals: „Das ist mir scheißegal. Du wurdest entführt und bist am Arsch der Welt. Finde dich damit ab!“ „Aber ich bin nicht schwul.“ „Auch Frauen haben Ärsche, du Perversling. Sehr schöne sogar. Du willst einen Pornokanal und dann lieferst du solche Kommentare. Was schaust du dir an? Delfinaction?“ „Ich bevorzuge-“ „Ja, Ja, Ja. Ich will es nicht wissen. Sagen wir einfach das Gespräch ist beendet.“ Voller Zufriedenheit betrachte ich wie Jesus um Beherrschung ringt. Sein Gesicht ist gerötet. Sein Atem ist unruhig. Ich gönne mir ein kurzes Lächeln, dann setze ich zum finalen Schlag an: „Ich habe noch eine Frage.“ „Willst du, dass ich dir die Zunge herausschneide?“ erwidert er gereizt. Das ist das zweite Mal im Verlauf des heutigen Tages, dass mir jemand damit droht. Ich denke kurz darüber nach, ob es an mir liegen könnte, entschließe mich jedoch diese Frage später zu erörtern und weiter mit Jesus zu quatschen.

Ein Königreich für eine Zigarre und eine Schachtel Zigarren für die Freiheit.
Ich entgegne: „Nein, nicht wirklich. Es ist nur eine Frage. Ihr entführt mich wirklich und wollt mich nicht auf einem Sklavenmarkt in Syrien verkaufen.“ „Nein, wir wollen dich nicht auf einem Sklavenmarkt in Syrien verkaufen. Erstens, weil in Syrien die Sklaverei verboten ist und zweitens weil dein Verkaufspreis nicht einmal das Flugticket decken würde. Außerdem sind wir keine Unmenschen,“ erklärt Jesus mir. Ich habe zwar Zweifel an der Aussage, dass es sich bei meinen Entführern nicht um Unmenschen handelt, aber ich will den anderen Teil meines Zwei-Phasen-Plans nicht vernachlässigen. Außerdem hänge ich etwas an meiner Zunge. Ich nuschle einen Dank und wende mich ab, um einen Blick durch die Hütte schweifen zu lassen, oder zumindest durch den Raum in dem ich mich befinden. Dieser ist nicht sonderlich spektakulär. Am anderen Ende befindet sich die Treppe. Es hängen keine Bilder an der Wand. Der Boden, die Decke und die Wände sind mit Holz vertäfelt. Mir dämmert langsam, dass ich mich in einem schmucklosen Vorraum befinde. Trotz der Gefahr, dass jemand meine Strategie durchschauen könnte, stelle ich mich in die Mitte des Raumes, lasse noch einmal auffällig den Blick durch dieses Kämmerchen schweifen, pfeife leise und sage anerkennend: „Schön hier.“ Ich habe meine Stimme dezent angehoben, so dass es jeder hört, aber an niemanden das Wort gerichtet, sodass es wirkt, als wäre es eine beiläufige Aussage gewesen. Lange kann ich mich mich meiner Genialität nicht erfreuen, denn Veritas bittet mich, sie in ihr Büro zu folgen.

Ich nicke freudig und gehe hinter ihr her wie ein treuer Dackel und starre mit verliebtem Blick auf ihren Hintern. Die genauere Beschreibung des Blickes mit adäquaten Adjektiven ist nicht so einfach, denn mein linkes Augenlid ist halb geschlossen, als wäre ich ein Schlaganfallopfer, jedoch ist mein Herz in diesem Moment erfüllt mit Liebe. In diesem Moment komme ich zu dem Schluss, dass Jesus Recht hat und entschließe ich mich, meine Strategie zu verfeinern und ihr den letzten Schliff zu geben. Nach kurzer Überlegung sind die Verbesserungen ausgearbeitet. Die Männer mit einem Y-Chromosom müssen unter meinen scharfzüngigen Kommentaren und meinem aufbäumenden Willen leiden, während Veritas auf der sonnigen Seite der Straße gehen darf und meine Eloquenz und meinen Charme erleben wird. Wir betreten das Büro. Mir wird angeboten, Platz zu nehmen. Ich nehme Platz. Mir wird ein Kaffee angeboten. Ich nehme einen Kaffee. Ich nutze die Augenblicke in denen Veritas aus meinen Blickfeld verschwindet, um den Kaffee zu holen, dazu mich umzusehen. Der Raum ist dunkel. Die Wände sind mit düsterer Tapete bedeckt. Der Teppich dämpft Veritas Schritte. Durch das Fenster kommt nur wenig Licht. Ich betrachte wuchtigen Schreibtisch und glaube auch für einen Moment eine Katze zu hören. Meine Entführerin nimmt in einem schwarzen Drehstuhl platz und ich frage: „Warum heißt der bärtige Bastard eigentlich Jesus?“ Veritas lacht. Es ist dieses süße Lachen, welches Sophie ebenfalls beherrschte.

Ach Sophie, du fehlst mir. Bevor ich dem melancholischen Schmerz der Erinnerungen verfallen kann, wende ich mich der ebenfalls sehr ansehnlichen Wirklichkeit zu. Meine Entführerin antwortet: „Weil wir keinen Ärger mit Chuck Norris wollen.“ Ich lache, aber dezent. Ich nippe an meinem Kaffee, verkünde meinen Wohlgefallen über den Geschmack des Heißgetränkes. Nach einigen Augenblicken des Schweigens ergreift Veritas das Wort: „Jesus, hat Ihnen gesagt, dass Sie Ihr eigenes Zimmer mit Bad haben und Ihr Ausgang jeden Tag von 12:00 bis 14:00 Uhr stattfindet.“ Jesus hat mir zwar nicht alles davon gesagt, doch der Einfachheit halber antworte ich: „Ja. Mir wurde auch gesagt, dass es keinen Fernseher und kein Schwimmbecken gibt.“ „Ich bin untröstlich, muss Ihnen jedoch mitteilen, dass Sie entführt wurden und nicht Ihren Urlaub hier verbringen.“ Ich bin und war mir über diese Tatsache im Klaren, trotzdem schmerzt es jedes mal, wenn man mir es sagt. Nach einer kurzen Pause redet sie weiter: „Ich habe einige Fragen an Sie. Gibt es Allergien von denen wir wissen müssen?“ „Ich bin allergisch auf Spinat.“ Dies entspricht nicht ganz der Wahrheit. Ich habe keine Allergie. Ich kann dieses grüne Zeugs einfach nicht ausstehen. Ich hasse seinen grauenhaften Geschmack und seine Konsistenz. Nebenbei bietet sich mir jetzt die Möglichkeit durch ein kleines Detail meine Geschichte glaubwürdiger zu gestalten und mein großes Allgemeinwissen zu zeigen. Leider gehören die Naturwissenschaften nicht zu meinen Wissensschwerpunkten.

Ich füge ergänzend hinzu: „Ich vertrage das Chloroform nicht.“ „Sie meinen sicherlich Chlorophyll?“ „Genau,“ ergänze ich rasch. Ich habe zwar keine Ahnung was Chlorophyll ist, vertraue jedoch auf das Wissen meiner Entführerin. Diese nickt kaum merklich und fragt: „Gibt es Phobien von den wir wissen müssen?“ „Nein.“ Meine panische und unbegründete Angst vor Eseln, verschweige ich. Ebenso meinen Respekt vor Schaben. Ich hoffe, dass ich beides in der Hütte nicht antreffen werde. Veritas blickt mich skeptisch an und bohrt nach: „Sind Sie sicher. Haben Sie keine Angst vor Spinnen, Spritzen oder Clowns. Leiden Sie vielleicht unter Flugangst?“ „Ich dachte, man will mich nicht in Syrien am Sklavenmarkt verkaufen!“ „Wie bitte?“ „Vergessen Sie es einfach. Nein, ich habe keine Phobien und keine Komplexe,“ erkläre und ich hoffe, dass man meine Lüge nicht durchschaut. Abgesehen von meiner Angst vor Eseln, Schaben, Asseln, besitze ich auch einige Komplexe und psychische Besonderheiten.

Die Tatsache, dass ich trotz zweier gesunder Beine einen Gehstock benötige, ist nur eine von ihnen. Aber ich schweige lieber über meine Macken. Nicht dass dieses Ereignis allen Beteiligten als Entführung eines Wahnsinnigen in Erinnerung bleibt. Veritas kramt in der Lade ihres Schreibtisches und reicht mir ein weißes T-Shirt, eine blaue Jean und ein Paar schwarzer Schuhe sowie schwarze Socken. Verwundert betrachte ich die Kleidungsstücke: „Was soll ich damit?“ „Sie werden sich umziehen und danach eine Rolle in einem Film spielen.“ Ein Grinsen huscht über mein Gesicht und ich beginne meinen Mantel abzulegen. „Sie können sich in der Toilette umziehen.“ „Nein, dass ist nicht notwendig, ich-“ „Ziehen Sie sich in der Toilette um. Ihre alten Sachen können Sie dort lassen. Wir werden Sie reinigen,“ erklärt mir Veritas und gibt mir durch ein Zeichen zu verstehen, dass das Gespräch beendet sei.

Grüße aus Pjöngjang (13.02)

Darstellung des Durchschnittskommunisten.
Skeptisch betrachte ich den Sessel. Es ist ein handelsüblicher Holzsessel wie man ihn in jedem Möbelhaus bekommt. Er ist von einem hellem Braun und weißt keine Spuren von Gewalteinwirkung auf. Trotzdem wirkt er schrecklich unbequem. Jesus sagt zu mir: „Setze dich.“ „Ich weiß nicht. Gibt es keine anderen Möglichkeiten?“ „Nein! Wir fesseln dich, ob du willst oder nicht.“ „Ich kann auch ohne Fesseln erbärmlich wirken.“ „Wissen wir und nun nimm Platz,“ befiehlt Jesus mit Nachdruck.

Wir betrachten den Sessel. Dann betrachte ich Jesus. Mit seiner Schusswaffe, seinen Fäusten und seiner Chuck-Norris-Bartfrisur wirkt er auf mich einschüchternder als der Sessel, sodass ich mich meinem Schicksal füge und mich hinsetze. Der Sessel ist wie erwartet vergleichbar mit einem Sitzplatz in der Economy Class eines Flugzeuges. Mein Herzschlag beschleunigt sich, als ich merke, dass Jesus beginnt meine Hände zu fesseln. Der Schweiß perlt auf meiner Stirn und vor meinem geistigen Augen erscheinen schon die ersten Bilder, die mich als Sexsklaven einer Entführerin zeigen. Andere Optionen mit schlimmeren Ausgang für mich, versuche ich aus meinen Gedanken zu verbannen.

Während meine Beine gefesselt werden, kommen die Erinnerungen an zahlreiche Filme und Musikalben kommt hoch. In Gedanken werde ich schon von Aliens hochgebeamt oder von Kannibalen verspeist. Mit Unbehagen betrachte ich das Stativ, das der billigen Digitalkamera halt geben soll. Diese Erniedrigung findet nicht nur statt, sie wird auch für die Nachwelt aufgezeichnet. Ich, die Neuentdeckung des Jahrzehntes, blamiert und bloßgestellt. Welch Narr war ich doch als ich mich noch fragte, ob Wahrheit oder Lüge der Weg zum Glück sei. Mit welchen unbedeutenden Kleinigkeiten habe ich mich beschäftigt. Jetzt ist es für mich nicht wichtig, ob ich mich der Wahrheit oder der Lüge verpflichtet fühle, denn jetzt ich bin von meiner Familie abhängig. Mein Vater hat mich verstoßen. Meine Mutter hasst mich. Dem Rest der Familie bin ich egal und mein Großvater ist tot. Ich bin des Todes knusprige Beute, ein Häufchen Elend, ein Versager, ein Warmduscher, ein Schattenparker, ein Ikearegalzusammenbauer, ein Kruzifixandiewandnagler, ein Brotüberderspüleschmierer, ein Alkoholfreiesbiertrinker, ein Softcorepornoschauer, ein Schwimmwestenträger.

Während ich in Selbstmitleid und Panik versinke und mich frage wie eine Göttin wie Sophie mich lieben konnte, betritt Spartacus den Raum. Er hat seinen Mantel abgelegt und trägt ein schwarzes T-Shirt mit einem roten Stern und einer roten Sichel und einem roten Hammer. Einige Augenblicke starre ich ihn an. Dann erkenne ich die Bedeutung der Symbole und spüre, wie der Kampfgeist in mir geweckt wird. Ich stamme aus einer reichen Familie. Der Neoliberalismus fließt durch meine Adern und der Kommunismus ist mein politischer Alptraum. Spartacus geht auf mich zu und kurz bevor er vor mir stehen bleibt, erkenne ich die Bedeutung seines Namens. Schon Karl Marx nannte Spartacus einen wahren Vertreter des römischen Proletariats. Ich spucke verächtlich auf den Boden und frage: „Bist du Kommunist?“ „Ja! Ich will die Ausbeutung des Proletariats verhindern. Proletariat aller Länder vereinigt euch.“ „Abgesehen davon, dass der Spruch bescheuert ist. Glaubst du wirklich, dass Kommunismus funktionieren könnte? Ich weiß natürlich, dass er nicht funktioniert.“ „Daran ist nur Gorbatschows Schuld. Der Kommunismus hätte die Krise überwunden und wäre wie Phönix aus der Asche aufgestiegen.“

„Nein, nicht wirklich. Der Kommunismus ist ein Pleitegeier und kein Phönix, aber ich weiß was du sagen willst.“ „Der Kapitalismus ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Der Kommunismus ist das Gegenteil,“ erklärt Spartacus voller Stolz. Ich hingegen kann mir ein Lachen nicht verkneifen und füge hinzu: „Der war nicht schlecht. Ich kenne noch einen. Wie entstehen Kommunismuswitze? Die Klassenfeinde erfinden sie, die Genossen erzählen sie und die Partei verwirklicht sie. Klasse, oder? Mir fällt noch-“ „Kapitalist?“ „Genau, Genosse!“ antworte ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme und sehe wie eine Faust sich meinem Gesicht nähert. Plötzlich spüre ich einen steckenden Schmerz. Ich will meine Hände schützend vor mein Gesicht legen, doch sie sind gefesselt. Blut fließt aus meiner Nase und tropft auf mein T-Shirt. Ich schreie: „Scheiße, der Sozialismus schlägt zurück. Leider zwanzig Jahre zu spät.“ Ich lache. Spartacus starrt mich an und wenn blicke töten könnten, wäre ich jetzt dahingeschieden, doch ich lebe noch und bevor er etwas sagen kann, frage ich: „Was willst du tun? Willst du mich schlagen? Das ist das Einzige, was ihr könnt, ihr Sozialisten. Wenn es nicht funktioniert, schlagen wir zu und schicken ihn nach Sibirien.“ „Noch ein Wort und ich schneide deine Zunge heraus!“

„Es war nur ein Witz. Ihr Kommunisten seit klasse. Als die Deutschen 1939 in Tschechien einmarschierten, haben die Tschechen euch um Hilfe gebeten, leider habt ihr das Ansuchen erst 1968 offiziell erhalten, aber ihr seit trotzdem nach Prag gekommen,“ erkläre ich und lache aus tiefster Kehle. Ich rechne mit dem nächsten Schlag, doch er kommt nicht. Spartacus wendet sich ab und sagt zu Jesus: „Gehen wir bevor ich diesem Spinner, diesem Kapitalistenschwein, noch den Hals umdrehe.“ Jesus nickt und die beiden machen Anstalten den Raum zu verlassen. Ich sage: „Hey, ihr könnt nicht gehen. Ich bin gefesselt.“ Die beiden ignorieren mich und verlassen den Raum. Ich schreie: „Seit keine Arschlöcher. Ich bin gefesselt. Ich kann mich nicht bewegen.“ Ich halte kurz inne, um eine mögliche Antwort zu hören, als diese nicht kommt, schreie ich weiter: „Hallo? Hallo? Dreht wenigstens wieder das Licht auf. Gibt es hier Kakerlaken? Kommt schon!“ Als immer noch niemand antwortet, schreie ich so laut ich kann: „Scheiß Kommunisten.

It is showtime (14.02)

Dramatisierte Darstellung der Ereignisse
Mein Kopf schmerzt. Meine Beine schmerzen. Meine Arme schmerzen. Mein Rücken schmerzt. Ich glaube, meine Ellbogen schmerzen auch, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Ich fühle mich wie ein Erdmännchen, das von einer Dampfwalze überfahren wurde. Langsam öffne ich die Augen. Doch es ist dunkel. Ich will meinen Arm bewegen, doch es funktioniert nicht. Im ersten Moment bin ich verwundert, sogar erstaunt. Doch dann kann ich mich wieder erinnern. Man hat mich gefesselt, um mich zu filmen. Gefilmt hat man mich zwar nicht, aber dafür gefesselt.

Ich versuche mich von den Stricken los zureisen, doch ich schaffe es nicht. Sie schnüren sich nur tiefer in meine Handgelenke. Deshalb entschließe ich mich meine Strategie zu ändern und schreie: „Ich bin wach. Hallo? Ich bin wach. Ihr könnt mich los binden.“ Während ich auf die Antwort warte, merke ich das meine Finger sich taub anfühlen und ich beschließe meine Bitte etwas dringlicher zu formulieren: „Ihr Arschlöcher! Ich bin wach. Bindet mich los oder ihr werdet es bereuen! Bindet mich los! Ich habe gesagt, dass ihr mich losbinden sollt! Meine Finger sind taub! Ich kann sie kaum bewegen! Bindet mich los, ihr Arschlöcher! Ihr Wichser, kommt hinab und kümmert euch um mich ihr Idioten! Ihr Bastarde, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit! Vielleicht habe ihr es nicht gehört, aber meine Finger sind taub! Ich bin Autor, ihr Idioten! Befreit mich endlich, ihr Wichser!

Trotz der Andeutung der erhöhten Dringlichkeit begibt sich niemand in den Keller und in mir wächst die Panik, dass es mitten in der Nacht ist und alle schlafen. Zu allem Übel meldet sich auch meine Blase zu Wort. Mangels Alternative versuche ich mich loszureißen. Leider ohne Erfolg. Der Sessel bewegt sich zwar, aber dies ändert nichts an meiner misslichen Situation. Ich lege eine kurze Pause ein, um mir einen Plan zu recht zu legen, doch nach einigen Sekunden breche ich dieses hoffnungslose Unterfangen ab und entschließe mich meine Strategie nicht zu ändern, sondern meine Bemühungen zu verstärken. Ich kann mich zwar immer noch nicht von den Fesseln lösen, doch der Sessel hüpft stärker und kippt nach einigen Minuten um. Mangels Bewegungsfreiheit kollidiert mein Kopf ungebremst mit dem harten Steinboden und wieder zeigt sich, dass die Gravitation ein Arschloch ist. Mein Kopf schmerzt. Ich sehe lauter kleine Sterne. Nach einigen Augenblicken klingt der Pochen ab, doch das lindert nicht wirklich meine Probleme. Ich kann mich immer noch nicht bewegen. Ich habe immer noch Schmerzen und meine Blase drückt immer noch. Gerade als ich letzteres beseitigen will, betreten Jesus, Spartacus und Gravitus den kargen Kellerraum, dessen Wände, Boden und Decke weiß sind. Sofort nachdem ich die beiden erblicke, schreie ich: „Bindet mich los, ihr Wichser.“

Es ist sicherlich nicht die geschickteste Begrüßung, doch in meinen Zustand und dem Druck, den meine Blase ausübt, verzichtet man auf Formalitäten. Jesus richtet den Sessel auf und fragt: „Alles in Ordnung?“ „Nein, du Idiot!“ „Dann fällt das auch nicht ins Gewicht,“ antwortet er und schlägt mich. Ich spüre einen steckenden Schmerz im Bereich des rechten Auges und habe die Vermutung, dass ich in den nächsten Tagen auf Mithilfe meines rechten Auges bei der optischen Wahrnehmung verzichten muss. Währenddessen bauen Spartacus und Gravitus die Kamera auf. Nach der Kollision mit dem Fußboden und Jesus' Schlag fühle ich mich etwas losgelöst.

Meine Gedanken sind träge, als hätten sie Marihuana geraucht. Durch den Nebel der Vernebelung begreife ich, dass man ein Video drehen will und dass ich die Hauptrolle spielen soll. Langsam manifestieren sich Bilder, die dieses Video auf YouTube zeigen, vor meinem geistigen Augen und vertreiben den entspannenden Nebel. Ich sehe schon in Gedanken, wie dieses Video zum Hit auf YouTube wird und über eine Million Klicks hat. Auch die Kommentare kann ich mir schon vorstellen. Was für ein Versager. Mit so einem Idioten würde ich mich nie paaren. Das soll der Goethe 2.0 sein. Mein Leben, mein Werk, meine Männlichkeit für immer in den Dreck gezogen. Während ich nach einem möglichst coolen Text für das Erpresservideo nachdenke, kommt mir etwas in den Sinn, was schrecklicher ist als die öffentliche Demütigung auf YouTube ist, die mich immerhin noch berühmt machen würde. Was ist wenn meine Familie nicht zahlt? Ich will nicht als Sklave in Syrien enden. Radikal ändere ich meine Pläne für den Text.

Spartacus stellt sich neben mich. In seiner Hand hält er eine geladene Schusswaffe, die auf meinen Kopf zieht. Ich schlucke, spüre, wie mein Herzschlag schneller wird und der Druck in meiner Blase noch etwas zu nimmt. Gravitus nimmt einige beschriftete Schilder in die Hand, während Jesus neben der Kamera steht und zu mir sagt: „Lies was auf den Schildern steht, wenn wir fertig sind, binden wir dich los. Hast du verstanden?“ Ich nicke und Jesus gibt mir einem Zeichen zu verstehen, dass die Aufnahme läuft. Ich schlucke und beginne vorzulesen: „Liebe Familie. Ich wurde entführt und brauche eure Hilfe. Die Entführer wollen zwei Millionen Euro in Scheinen, eine Million Euro in Wertpapieren.“ Ich schlucke nochmals, entschließe mich meine Strategie zu ändern und schreie in die Kamera: „Gebt diesen Erpressern keinen Cent. Ich bin bereit für die Gerechtigkeit zu sterben.“ Eigentlich hänge ich sehr an meinem Leben und will nicht den Löffel abgeben, obwohl mich Sophie verlassen hat und meine Familie mich hasst, aber ich kann mir nicht die Blöße leisten, dass meine Familie nicht zahlt, obwohl ich um das Geld flehe.

Jesus drückt einen Knopf auf der Kamera und sagt zu mir: „Das ist hier ist kein Hollywoodfilm. Es gibt keinen Grund den Helden zu spielen. Lies einfach den Text und alle werden glücklich. Das ist deine Rolle und dein Text. Ich bin nicht scharf darauf, habe jedoch kein Problem damit, diesen Film in eine Tragödie zu verwandeln.“ Ich schlucke wieder und spüre, wie der Druck meiner Blase immer stärker wird. Die Situation bessert sich nicht, als Spartacus seine Waffe entsichert und mir erklärt, dass ein Schuss in den Fuß äußert schmerzhaft wäre. Ich schlucke wieder und beuge mich letztendlich dem Druck meiner Blase. Ich gebe durch ein Nicken zu verstehen, dass ich bereit bin. Jesus drückt den Knopf seiner Kamera und ich lese vor: „Liebe Familie. Ich wurde entführt und brauche eure Hilfe. Die Entführer wollen zwei Millionen Euro in Scheinen, eine Million Euro in Wertpapieren und zwei Millionen in Gold. Die Entführer werden nicht von ihren Forderungen abweichen. Bitte zahlt. Ich will weiterleben.“ Jesus nickt und Spartacus beginnt mich loszubinden. Einige Fragen brennen auf meiner Zunge, doch meine Blase brennt mehr und sofort nachdem ich losgebunden wurde, sprinte ich zur Toilette und für einen kurzen Moment hat der Druck meiner Blase meine Psyche ausgetrickst und ich brauche keinen Gehstock zum Laufen.

Arm an Möglichkeiten, arm an Freiheit (16.02)

Physiker bei der Arbeit
Ich fühle mich wie Napoleon auf Sankt Helena. Ich weiß, dass ich am Arsch der Welt und den Leuten, die mich hier festhalten, ausgeliefert bin. Ich fühle mich zwar in Ordnung und glaube nicht, dass mein Essen oder die Tapete mit Arsen verseucht sind, doch stellt sich mir seit zwei Tagen die Frage, ob Napoleon sich auch so langweilte. Ich glaube nicht, denn er hatte eine ganze Insel zu erkunden. Ich hingegen muss zweiundzwanzig Stunden in einem Zimmer verbringen, das circa sechs Gehstöcke lang und vier Gehstöcke breit ist. Fairerweise muss man aber hinzufügen, dass ich mich nicht mitten im Atlantischen Ozean jenseits von Gut und Böse befinde. Zumindest glaube ich es. Wozu auch? Ich habe Europa nicht in ein Chaos gestürzt und das Heilige Römische Reich Deutsche Nation in die Knie gezwungen. Dieser Gedankengang demonstriert ausgezeichnet wie langweilig mir ist. Vor zwei Tagen hatte ich die Idee, die Zeit zu nutzen und meine Kenntnisse im Bereich der Naturwissenschaften zu verbessern und habe mir dazu einige Bücher über Physik und Chemie aus dem Bücherregal in der Stube genommen und bin zu dieser Erkenntnis gekommen: Physiker sind Verrückte.

Die glauben wirklich, dass es elf Dimensionen gibt, nennen dieses Märchen auch noch String Theorie – das Bild, welches ich vor meinem geistigen Auge sehe, wenn ich das Wort String höre, hat sich für immer verändet – und feiern es als Erfolg für die Menschheit. Solche Menschen glauben auch, dass Teilchen an zwei Orten gleichzeitig sein können. Meine intuitive Vermutung wurde eine halbe Stunde und zwanzig Seiten später im Kapitel Quantentheorie bestätigt. Es wird allen Ernstes behauptet, dass ein Teilchen an zwei Orten gleichzeitig sein kann. Wer glaubt so einen Blödsinn? Jemand, der sich diesen Schwachsinn eintrichtern lässt, kauft auch bestimmt etwas im Teleshop.

Es ist schockierend, dass diese irren Theorien auch noch an der Universität gelehrt und von der Mehrheit der Physiker für bare Münze genommen werden. Lobend erwähnen möchte ich Erwin Schrödinger, der mit seinem Gedankenexperiment „Schrödingers Katze“ etwas gegen diese kruden Theorien unternommen. Ich habe zwar nicht genau verstanden was, aber wenn ich eine Katze habe, werde ich sie „Schrödingers Katze“ nennen und schauen, ob sie sich auch in einem Zustand zwischen Leben und Tod befindet. Manch einer wird jetzt sagen, dass die Physiker eine Horde wilder Vögel sind, doch nicht nur sie auch die Chemiker drehen gewaltig am Rad. Wozu erfinden sie so komplizierte Namen? Wasser ist ihnen anscheinend nicht mehr gut genug. Es muss Dihydrogenmonoxid heißen. Der Essig, der in meiner Küche steht, die ich hoffentlich irgendwann einmal wiedersehe, ist für Chemiker eine Ethansäure. Chemiker haben keine einfachen Namen.

Warum muss das sein? Warum kann mein Shampoo nicht einfach Shampoo sein, sondern muss 1,3,7-Tetramegaoctan-2,6,-butangutanol heißen? Wenn ein Stoff einen trivialen Namen hat, muss ich nicht noch einen komplizierten erfinden, oder falls es sich nicht um einen Reinstoffhandelt, sondern um ein Gemenge, kann ich den Namen des Gemenges zur Benennung heranziehen. Als Beispiel für meine Idee möchte ich Erdnussbutter heranziehen. Laut Chemikern besteht Erdnussbutter aus Dihydrogenmonoxid, Saccharose, Glutarsäure und E 123. Das ist viel zu kompliziert und kaum jemand versteht, was wirklich drinnen ist. Mein Vorschlag: Erdnussbutter besteht aus Wasser, Zucker, Erdnussbuttersäure und Farbstoff. Die Idee ist mir gestern Nacht gekommen, als ich versuchte einzuschlafen.

Es ist schon erstaunlich, auf welche Ideen man kommt, wenn einem langweilig ist und man nichts tun kann. Ob Isaac Newton und Albert Einstein so ihre berühmten Theorien ausgearbeitet hatten? Ich bin nicht ganz unschuldig an meiner Langeweile. Als ich gestern meinen Ausgang hatte, nahm ich nur Spidermancomics mit in mein Zimmer. Ich mag keine Spinnen, folglich
Filmplakat
konnte ich auch keine Verbindung zu diesem Spinner aufbauen. Es ist halt nicht jeder so cool wie Dagobert Duck oder Primus von Quack. Jetzt reime ich auch noch und das, obwohl ich Lyrik hasse. Jeder kann reimen. Man gibt einfach ein Wort ins Google-Suchfeld ein und bildet den Rest der Strophe mit den Alternativvorschlägen. Doch Wörter und Sätze aneinander zu reihen, dass ein Bild vor dem geistigen Auge der Leser entsteht, ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen und ich bin einer von ihnen. Da liegt es natürlich nahe, aus meinem Leid Kapital zu schlagen und einen Roman über meine Erlebnisse zu schreiben. Diese Idee hatte ich auch und noch lange bevor ich über die korrekte Schreibweise von Shampool, ein in Shampoos enthaltener Alkohol, nachdachte, ließ ich einen Film mit dem Titel “Entführung eines Genies“ vor meinem geistigen Auge ablaufen.

Der Protagonist ist ein weltgewandter, genialer Denker, der auf Grund seines Vermögens von einer Bande durchtriebener Strolche entführt wird. Er stellt sich den Prüfungen, die die Verbrecher für ihn haben und hat immer einen bissigen Spruch auf den Lippen. Die hübsche Entführerin Rafaela verliebt sich sofort in den Protagonisten, welcher nach unglaublichen Torturen, die er ohne ein Zucken hinnahm, in ein Zimmer gesperrt wird. Hier endet mein Film. Die Handlung verläuft im Sand oder auf Bahnen, die das Zeigen des Streifens in einem gewöhnlichen Kino unmöglich machen. Schon Arturo Bandini wusste, dass man nicht über seine tragischen Erlebnisse schreiben soll und John Fante beweist das Gegenteil. Meine Gedanken sind sprunghaft wie eine Sprungfeder in den Händen eines Kleinkindes. Die Langweile macht sie gleichzeitig träge und schwer zu fassen. Es ist mir nicht einmal vergönnt tagzuträumen, denn der Traum von Freiheit gehört den Feldarbeitern in Brasilien, der Traum vom Laufen gehört den Rollstuhlfahrern und der Traum Salma Hayek nackt zu sehen, gehört dem Großteil der männlichen Onanierenden auf der Welt. Dies schließt mich zwar nicht explizit aus, aber ich habe meine Chance diesen Traum zu verwirklichen vertan und so verkommt die Phantasie zur bitteren Farce. Der Glückliche darf träumen.

Der Rastlose muss sinnieren und dies ist wahrlich keine Zeitbeschäftigung, die sich mit dem Unterhaltungswert und Witz von Don-Camillo-Filmen messen kann. Wenigstens fielen mir einige gute Aphorismen zum Thema Träumen ein, sodass die Verbitterung nicht so groß war. Träume sind Wunschvorstellungen, die Filmreif gemacht worden sind. Träume sind die Propagandafilme unseres Geistes. Ein Traum ist ein Kredit. Sofort fällt auf, dass es sich um die Worte eines Versagers handelt, der in einem Raum eingeschlossen ist und seit Stunden versucht, sich vorzustellen, wie er mit einem Mojito in den Hand in einem weichen, schwarzen Ledersessel sitzt, Mindy Vega beim Strippen zusieht und falls ihm danach gelüstet mit ihrer Hilfe Druck abläst, denn wir sind die Götter unserer Träume. Manch einer mag jetzt einwenden, was sind schon flüchtige fiktive Abenteuer mit einer hübschen Dame im Vergleich zu halbgaren philosophischen Weisheiten? Die Antwort ist einfach: Eine Erlösung. Für die meisten Männer gibt es nichts auf Erden, dass sich mit der Schönheit einer nackten, attraktiven Frau messen kann. Sophie ist einer dieser Frauen. Ihr blondes Haar. Ihre blauen Augen. Wie konnte ich sie bloß ziehen lassen. Der Traum von ihrer Rückkehr ist der einzige Trost, der mir bleibt. Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.

Verführung oder ein Drink zum Dinner (17.02)

Der Gesundheitsminister informiert: Rauchen schadet Ihnen und Ihrer Umgebung.
Nachdenklich betrachte ich die braune Holztür. Im schwachen Schein der Petroleumlampe kann ich sie kaum sehen. Vermutlich ist ihr Anblick sowie nicht sonderlich interessant. Das Betrachten ist ein Vorwand meiner Phantasie freien Lauf zu lassen, die durch Veritas’ Einladung beflügelt wird. Ohne mich selbst loben zu wollen, muss ich sagen, dass mein Plan mich bei meiner gutaussehenden Entführerin einzuschmeicheln, bestens funktioniert hat. Jeder meiner zwei stündigen Freigänge war geprägt von bereichernden Gesprächen. Sie lacht über meine Witze und spricht sogar Latein. Wenn sie bloß zwanzig Jahre jünger wäre. Ich richte mein Sakko – man war so nett und ließ für den heutigen Anzug auf mein Zimmer bringen. Für eine Entführung ist der Service ausgezeichnet, was bei fünf Millionen Euro Lösegeld auch eine Selbstverständlichkeit ist. – und blicke noch einmal auf die Uhr.

Es ist kurz vor sechs. Ein letztes Mal atme ich durch, räuspere mich, dann klopfe ich und öffne die Tür. Während ich durch den Türrahmen schreite, gehe ich noch ein letztes Mal mein vorbereitetes Konzept durch, welches ich in den letzten drei Stunden vorbereitet habe. Ich beginne meinen Aufenthalt mit einer zurückhaltenden Begrüßung. Die ersten paar Minuten werde ich meine Stimme künstlich tief halten und meine Männlichkeit zu unterstreichen. Nach der Begrüßung werde ich ein Gespräch über meine Erkenntnisse bezüglich der philosophischen Bedeutung von Tagträumen anfangen und immer wieder Komplimente und zweideutige Bemerkungen einstreuen. Auch die Zielsetzung ist klar: Ein durch meine Entführerin herbeigeführter Orgasmus. Mit einem leichten Grinsen und ausgestreckter Hand blicke ich auf, bleibe in der Bewegung stehen und starre einige Sekunden Veritas an.

Sie trägt ein weißes Negligee, dessen Stoff jedoch halbtransparent ist und einen Blick auf ihre Unterwäsche erlaubt. Veritas’ schwarz gelocktes Harr fällt gleich einem Wasserfall des Rio Negro ihre Schultern hinab. Ihre zierlichen Füße berühren den Parkettboden. Nach einigen Augenblicken erlange ich meine Fassung wieder und sage leise: „Buhja!“ Ich versuche mir verzweifelt mein Schuljungengrinsen zu verkneifen. Veritas geht einen Schritt auf mich zu und fragt: „Weshalb so schweigsam?“ „A decir verdad[4], das Negligee verschlägt mir die Sprache.“ „Ich wusste gar nicht, dass du spanisch kannst. Des Weiteren ist es nur ein Nachthemd und kein Negligee. Mach aus einer Mücke keinen Elefanten.“ Dieses Negligee war kein Elefant. Es war ein Iguanodon, ein Blauwal, dieses riesiger Meteorgroße Raubtier aus Star Wars, das fast Han Solo und Prinzessin Lea gefressen hätte. Auf jeden Fall war das Negligee mehr als bloß ein Elefant.

Nach einigen Sekunden fällt mir ein, dass ich etwas sagen muss, um einen Dialog zu ermöglichen und erwidere deshalb: „Für Latein habe ich zu wenig Blut im Kopf.“ Veritas lacht kurz. Nimmt ein Glas in die Hand, reicht mir das andere und sagt: „Soweit ich mich erinnern kann, magst du Mojitos.“ Ich nicke. Erst jetzt fällt mir auf, dass aus einer Stereoanlage in der Nähe “Black Magic Woman“ von Carlos Santana tönt. Der Rauch der sich im Aschenbecher befindenden Zigarette kräuselt sich langsam nach oben. Ich nippe kurz an einem Mojito, dann starre ich wieder Veritas an. Ich betrachte ihre niedliche Nase, bewundere ihre bezaubernden Augen und bestaune ihre Brüste, die Honigmelonenhälften glichen. Während ich so da stehe und mich satt sehe, erkenne ich, dass ich etwas unternehmen muss, wenn ich nicht demnächst zu sabbern beginnen wolle.

Während ich wieder an meinem Mojito nippe und wie ein Drogensüchtiger durch die Gegend grinse, arbeite ich fieberhaft an einem neuen Plan oder zumindest mit soviel Elan wie es der Anblick einer hinreißenden Frau in einem halbdurchsichtigen Negligee einem Frauenliebhaber wie mir zu lässt. Meine alte Idee über Träume zu reden, verwerfe ich bei der im Moment statt findenden Realität. Da mir die Zeit ausgeht entschließe ich mich, dass zu fragen, was mir im Kopf herumspukt, denn so ziemlich alles ist besser als Speichelfäden. Ich frage: „Wie kommt es, dass eine Dame von deinem Aussehen, deiner Bildung und dein Intelligenz ihr Geld als Entführerin verdient?“

Weil ich es kann.“ „Aus diesem Grund lecken Hunde ihre Testikeln, doch von dir Veritas erwarte ich eine geistreichere Antwort.“ „Wie du wünscht. Ich entführe Menschen, weil ich die Macht dazu habe. Ich strebe nach Macht, den sie bietet mir die Basis einer unbeschwerten Suche nach der Erkenntnis.“ „Die Macht kann großen Einfluss haben auf die geistig Schwachen,“ scherze ich und beiße mir sofort danach auf die Zunge. Eigentlich ist dieser Satz ein Zitat aus Star Wars und sollte nur zur allgemeinen Erheiterung dienen, doch selbst dem, der Star War kennt, wird das Zitat nicht sofort einfallen. Veritas blickt mich einige Sekunden an, dann erwidert sie: „Setz dich, nimm dir einen Keks, mach es dir schön bequem, du Arsch. Ich habe schon drei von diesen Sakkos gesehen. Sie haben in einer einsamen Blockhütte auf jemanden gewartet. In den Sakkos waren drei Männer und in den Männern drei Kugeln.

Ich schlucke, weiche unwillkürlich einen Schritt zurück, nicht wissend ob Veritas meine ganz persönliche Femme fatale wird oder ich einfach zu wenig Blut im Kopf habe um den Witz zu verstehen. Veritas lacht und ich sage irritiert: „Mein Luftkissenboot ist voller Aale.“ „Piss mir nicht den Rücken runter und sag zu mir es regnet,“ erklärt Veritas mit leicht erhobener Stimme und ich weiche noch einen Schritt zurück. Mein Herzschlag wird etwas schneller. Ich hebe die ratlos die Arme und erwidere nochmals: „Mein Luftkissenboot ist voller Aale.“ Veritas blickt mich irritiert an und geht einen Schritt auf mich zu. Ich weiche einen Schritt zurück, stoße gegen die Bettkante und falle auf die Matratze. Es ist einer dieser Momente, in denen man nicht weiß, was man fühlen soll. Vermutlich vergleichbar mit dem ominösen Hormonchaos von dem schwangere Frauen immer wieder erzählen. Ich habe zwar keinen Braten in der Röhre und keinen Fötus im Uterus, doch ich bekomme den Eindruck, dass ich ein Ei am wandern habe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich von der Frau, die vor mir steht die Erfüllung meiner erotischen Träume oder ein Amateur-Remake von Kill Bill erwarten muss.

Angesichts meiner ambivalenten Gefühlswelt und der dadurch bedingten Uneinigkeit über die weitere Vorgehensweise starre ich hilflos die Decke an, als Veritas lacht und fragt: „Bist du kein Freund von Westernfilmen?“ „Nein, Clint Eastwood ist so cool, dass ich mit den Filmen nie wirklich warm wurde.“ „Gelegentlich merkt man, dass du als Schriftsteller arbeitest,“ erklärt Veritas und setzt sich neben mich aus Bett. Mein Herzschlag beruhigt sich. Die düsteren Hintergedanken verkriechen sich in ihrem Bunker und warten auf die Nächste Gelegenheit zur Intervention. Ich starre auf Veritas Brüste. Die Welt ist wieder in Ordnung. Um die Rückkehr in den Normalzustand auch meiner Umgebung mitzuteilen, sage ich: „Nur Gelegentlich? Einem Genie wie ich es bin, merkt man schon nach zwei Sätzen an, dass er die Eloquenz auf zwei Beinen ist. Wenn ich so gut Fußball spielen wie schreiben könnte, wäre Österreich Welt-, Europa- und Asienmeister im Fußball. Des Weiteren würde die Damenwelt endlich auf mich aufmerksam werden.“ „Du nanntest mich eine intelligente, gebildete Dame.“ „Ja, das stimmt. Worauf spielst du an?“ „Warum glaubst du dann, dass ich auf deine hohlen Sprüche hereinfalle?“ Ich suche nach einer Antwort. Lasse dann jedoch bleiben. Manchmal ist schweigen wirklich Gold.

Auf einer Parkbank (18.02)

One night in Bangkok Irgendwo
Meine Zehen sind kalt, zu kalt um sie zu ignorieren. Der Versuch die Decke zu mir zu ziehen, endet mit einem Griff ins Leere. Langsam beginne ich mich über die Kälte zu ärgern, die mich an meinem Schlaf hindert, als mir auffällt, dass ich sitze. Langsam öffne ich die Augen. Es ist dunkel. Nur wenige Straßenlaternen spenden Licht. Straßenlaternen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Selbiges gilt für die zahlreichen Häuser. Nach einem kurzen Blick nach links und rechts wird klar, dass ich mich nicht mehr in der gemütlichen Holzhütte befinde, sondern irgendwo anders. Nur wo, das ist die Frage.

Zu meinem Leidwesen gesellen sich noch mittelstarke Kopfschmerzen zu meiner Orientierungslosigkeit, doch der erste Entschluss ist schnell gefasst. Ich greife in meine Sakkotasche und hole eine Zigarre heraus. Meine Entführer haben mich aller Wahrscheinlichkeit am Arsch der Welt – zugegeben es scheint ein schöner Arsch zu sein – abgesetzt, aber wenigstens hatte man den Anstand mir eine Zigarre und ein Feuerzeug zu geben. Während ich genüsslich den blauen Dunst inhaliere, versuche herauszufinden, wo ich bin. Das Kältegefühl meiner Zehen sagt mir, dass ich nicht in Venezuela, Thailand oder sonst wo in den Tropen bin und durch einen Blick auf die Uhr kann ich feststellen, dass ich mich vermutlich in Europa befinde, sonst wäre es nicht so dunkel. Nachdem ich nun festgestellt habe auf welchem Kontinent ich mich befinde, gönne ich mir eine kleine Pause, ziehe wieder an meiner Zigarre, um gestärkt weiter rätseln zu können. Nach einer kurzen Betrachtung der Häuserfassaden wird klar, dass ich mich nicht in Zell am See befinde.

Auch Salzburg scheidet als Aufenthaltsort aus, denn in der Mozartstadt gibt es keine Straßenbahn. Auch bin ich nicht in Innsbruck. Ich habe zwar keine durch Fakten unterlegte Begründung, aber Innsbruck sieht einfach anders aus. Während ich zum dritten Mal an meiner Zigarre ziehe und mir klar wird, dass ich Handschuhe trage, erkenne ich, dass ich mich in Bewegung setzen muss, falls ich meinen Aufenthaltsort herausfinden will. Ich weiß nicht einmal, ob ich in Österreich oder einem anderen Staat bin. Gemächlich erhebe ich mich von der Bank und humple die Straße entlang. Was einfacher kling als es ist. Leichter Schwindel lässt alles unscharf wirken und wird von monotonen Brummen begleitet. Ich torkle also mehr durch die Straßen, als dass ich hinke. Für den Außenstehenden ist vermutlich kein großer Unterschied ersichtlich, doch ich habe alle Mühe mich auf den Beinen zu halten. Meine innere Stimme sagt die ganze Zeit : „ Weitergehen! Du schaffst das! Weitergehen! Du schaffst das!“. Unterlegt wird das ganze noch durch “Eye of the Tiger“. In diesem Zustand bin ich natürlich nicht in der Lage mich zu orientieren.

All meine Kraft muss zum vorwärtstorkerln mobilisiert werden. Das funktioniert die ersten dreißig, vierzig Meter zwar nicht problemlos, aber so gut, dass ich nicht stürze, doch dann stellt sich mir ein Baum in den Weg. Zuerst als schemenhafter Umriss wahrgenommen, kann ich diesem Hindernis gerade noch ausweichen. Um geradewegs in die Plexiglaswand einer Straßenbahnstation zu laufen. Desorientiert kippe ich zu Boden und halte mir die Nase. Während ich am Boden liege und darauf warte, dass die selbst produzierten Lichtkügelchen, die vor meinem Auge herum huschen, verschwinden, um den Sternenhimmel erkennen zu können, greife ich in mein Sakko und stelle voller erstaunen fest, dass sich sieben Papierstreifen darin befinden. Ich nehme sie heraus, doch in der Dunkelheit kann ich nichts erkennen. Ich richte mich auf, humple in einem großen Bogen um die Plexiglaswand und setze mich auf die Bank, die sich bei der Straßenbahnstation befindet, um festzustellen, was es mit dem Papier aus sich hat. Die kleine Flamme des Feuerzeugs reicht aus, um erkennen zu können, dass es sich um Bahntickets handelt. Um meine geographischen Kenntnisse ist es zwar nicht schlecht bestellt, doch mit Namen wie Tuttlingen oder Singen kann ich nichts anfangen, trotzdem gebe ich nicht auf und schon nach einigen Augenblick blitzt die für mich typische Genialität auf.

Flunitrazepam sieht harmloser aus, als es ist.
Durch das Vergleichen der Abfahrtszeiten könnte ich meinen Aufenthaltsort erfahren, doch vorher möchte ich wissen, wann ich zuhause ankomme. Um die kleinen Zahlen auf dem Ticket lesen zu können, nähere ich die Flamme des Feuerzeugs an. Während ich versuche die Angabe der Ankunftszeit zu finden, steigt mir ein beißender Geruch in die Nase. Das Ticket brennt. Anstatt die kleine Flamme irgendwie zu löschen, starre ich sie an und denke mir: „Verdammt!“ Seelenruhig kann sich das Feuer immer weiter nach oben fressen. Erst als ich einen stechenden Schmerz verspüre, lasse ich das Ticket fallen, dass mittlerweile brennt wie ein österreichischer Steuerzahler mit einem Monatseinkommen von mehr als fünftausend Euro. Es fällt zu Boden und erhellt kurz den Boden der Straßenbahnstation, dann erlischt das Feuer. Wenigstens brannte es solange, dass ich die Aufschrift des Straßenbahnfahrplans lesen konnte und nun dadurch weiß, ich bin in Zürich. Ein schwacher Trost im Vergleich zum abgebrannten Ticket, aber es war sowieso nur gültig für die Zugstrecke Salzburg-Zell am See. Da mein Zug nach Schaffhausen erst in einigen Stunden geht und die Bank halbwegs bequem ist, beschließe ich sitzen zu bleiben. Während ich auf die Straße staue und der Schwindel sowie das Rauschen langsam nachlassen, stelle ich mir eine Frage von essentieller Bedeutung. Wie, verdammt noch mal, bin ich nach Zürich gekommen? An sich ist das erörtern dieser Frage eine Leichtigkeit. Man kramt nur kurz in seinem Gedächtnis, erinnert sich an eine Erklärung oder einige bedeutungsvolle Aussprüche und schon ist das Problem gelöst.

Mit Hilfe der gewonnen Daten weiß man, warum man mitten in der Nacht auf einer zürcher Parkbank aufwacht. Leider kann ich diesen Weg nicht einschlagen. Das Letzte woran ich mich erinnern kann, ist ein halbtransparentes Negligee und dass ich erfuhr, dass meine Verwandtschaft mich frei gekauft hatte. Weiter komme ich nicht. Alles schwarz. Eine Reise ins nichts. Als wäre mir eine Filmrolle abhanden gekommen. Anscheinend hat man mir Flunitrazepam oder ein anderes Benzodiazepin in meinen Mojito gemischt. Dies würde meinen torkelnden Gang, meine Gedächtnislücke und meine Kopfschmerzen erklären. Eine andere Erklärung wäre mein übermäßiger Alkoholkonsum. Dass ich in Veritas' Zimmer im Eifer des Gefechts vielleicht ein, zwei oder fünf Gläser zu viel getrunken habe. Jedoch glaube ich an die Flunitrazepamtheorie. Einerseits, weil sie mich von jeglichem Fehlversagen freispricht und zweitens, weil ich nicht nach Erbrochenem rieche.

Ich blicke auf die Uhr. Es ist kaum Zeit vergangen. Es dauert immer noch Stunden, bis mein Zug abfährt. Ich erhebe mich, beleuchte mit meinem Feuerzeug den Straßenbahnplan und versuche herauszufinden, wo der Bahnhof ist. Nach circa einer Minute glaube ich zu wissen, welchen Weg ich einschlagen muss und torkle los. Während ich den Schienen folge, entschließe ich mich, an der Charakterisierung meiner Entführung noch etwas Hand an zu legen, denn es wird der Polizei nicht helfen, wenn ich meinen Entführer so beschreibe: Ich wurde von einem Messias der Fäuste, einem sozialistischen Sklavenhünen, einem Comiczwerg und Monica Belluccis Schwester gekidnappt oder gemennappt, je nachdem in welche Kategorie man mich einordnet. Nach zahlreichen Schritten, Dreimal-falsch-abbiegen, sieben Abzweigungen und einen Verängstigten-Passanten-fragen, erreiche ich den Bahnhof und beschließe bei Burger King zu frühstücken. Was die Charakterisierung meiner Entführer betrifft, habe ich sogar schon einige Erfolge vor zu weisen. Aber jetzt werde ich mir einen Burger zwischen die Zähne schieben und etwas trinken.

Wieder zuhause (18.02)

Ich steige aus dem Zug. Der kalte Wind schmerzt in meinem Gesicht. Schnee wirbelt um meine Knöchel. Gedankenverloren krame ich die Eiskralle aus meinen Mantel und montiere sie. Ich lächle bitter. Ich habe eine Entführung überlebt und trotzdem humple ich einsam und alleine nachts die Bahnhofstraße entlang. Bekennend für mich, wurde ich nicht von einem Empfangskomitee begrüßt oder von meiner Familie in Empfang genommen. Ich erlebe die freudige Stunde der Heimkehr in Einsamkeit und lasse sie damit zu einer Farce verkommen. Nur bittere Gedanken sind meine Begleiter auf einem steinigen Weg der Enttäuschungen. Meine Charakterisierung der Entführer kommt nicht voran und ist unzureichend. Ich kann nichts Außergewöhnliches berichten, außer, dass ich mich habe blenden lassen. Mein hochtrabender Geist und meine nach erfüllter Hoffnung lechzende Seele ließen sich bereitwillig blenden, bettelten geradezu darum getäuscht zu werden. Veritas manipulierte mich. Ihre Nettigkeit, ihr Interesse an meiner Persönlichkeit war nichts weiter als Heuchelei, um mich bei der Stange zu halten, oder vielleicht auch nur ein Hauch von Menschlichkeit, die mir immer mehr fehlt. Was ist aus dem fröhlichen Lebemann geworden, der ich einst war? Nun bin ich eine ambivalente Witzfigur, gefangen zwischen Wahrheit und Wünschen. Ich betrete die Dreifaltigkeitsgasse. Es sind viele Menschen auf der Straße. Sie sind glücklich, sitzen in Restaurants oder spazieren händchenhaltend durch die Gasse. Dies war auch mir ein mal vergönnt, doch dann kam die Diagnose, die meinen Geist vergiftete. Ich bin auf der Suche.

Ein Wanderer auf der Suche nach einer Hütte, wo er vor dem Sturm sicher ist und vermutlich hatte ich diese Hütte bereits und verließ sie, weil ich nach mehr strebte. Ich bin ein Narr. Kurz bevor ich meine Wohnung erreiche, schalte ich mein Mobiltelefon ein. Es war eine durch einen Impuls angeregte Handlung. Vielleicht wünschte ich, dass jemand mich anruft oder ich jemanden zurückrufen kann, doch das Display bleibt leer, das Telefon stumm. Ich habe keinen Anruf in Abwesenheit oder eine SMS. Niemand ruft ein Ekel an. Ich öffne meinen Briefkasten. Er ist vollgestopft mit Prospekten und Flugblättern. Kurz bevor ich den Haufen Papier in den Mistkübel schmeiße, erkenne ich, dass sich zwei Briefe darin befinden. Ein großer, der schon fast ein Paket ist und ein Kleiner mit handgeschriebener Adresse. Bei meinen Glück vermute ich, dass es

Veritas; spes mea
sich um Rechnungen handelt, doch der große Brief stammt von einem Verlagshaus. Der Kleine hat keinen Absender. Da ich vermute, dass es sich bei der Post vom Verlag um eine Absage handelt, öffne ich zuerst den kleinen Brief. Zu meiner Verwunderung ist es keiner, sondern eine kuvertierte Postkarte. Die Vorderseite zeigt ein Photo von mir und Salma Hayek, das ihr Bodyguard geschossen hat und von dem sich eine Kopie in meinem Arbeitszimmer befindet. Die Rückseite ist beschriftet und hauptsächlich in zwei Textblöcke gegliedert. Der erste lautet: „Before you do anything, think. If you do something to try and impress someone, to be loved, accepted or even to get someone's attention, stop and think. So many people are busy trying to create an image, they die in the process.[5]“ Der Zweite: „To dream big doesn't necessarily mean to imagine becoming the biggest movie star in the world. Dreaming big is about taking the simplest thing in life and enjoying it — and seeing it as the biggest thing that can possibly exist. I work in an industry that is the first to kill this ability because everything is so celebrity oriented. I am part of a cancer. In my world, you have to be so beautiful, so skinny, so rich, so famous — and I don't believe you really have to be any of those things. You simply have to be who you are.[6]“ Es handelt sich bei den beiden Absätzen um Zitate. Das erste ist mir sogar geläufig. Es stammt von Salma Hayek. Am unteren Rand der Postkarte steht : „Lege et intellege![7]

Der Text ist mit Salma unterschrieben. Nachdenklich halte ich die Postkarte in der Hand und lege sie danach zurück in den Briefkasten. Die Botschaft des Textes ist klar. Sei, wer du bist. Bleib dir treu. Vielleicht bin ich nicht auf der Suche nach einem Unterschlupf, sondern auf der Suche nach mir selbst. Vielleicht hinderten mich die alten Strukturen zu mir selbst zu finden. Ich weiß nicht hundertprozentig, wer mir die Postkarte geschickt hatte, aber es war jemand, der sich zumindest kurz für meine Probleme interessierte. Danach öffne ich den Verlagsbrief. Es handelt sich um einen Vertrag und ein Schreiben, in dem großes Interesse an meinem Buch verkündet wird. Zufrieden lege ich auch den Vertrag und das Schreiben zurück in den Briefkasten. Es ist keine hysterische Freude, wie ich schon oft hatte. Es ist die innerer, sanfte, Freude zu wissen, dass man das Richtige getan hat. Ich lasse meine Wohnung hinter mir und gehe wieder hinab in die Stadt, um in meiner Stammbar etwas zu trinken. Ich humple die Dreifaltigkeitsgasse entlang, biege in die Kirchengasse ein und betrete dann meine Stammbar. Die Kellnerin begrüßt mich und fragt: „Ein Mojito?“ „Nein, nur ein Tonic Water, bitte.“ „Kein Mojito und du sagt sogar bitte. Was ist los?“ „Ich hatte eine erleuchtende Reise.“

„Bist du jetzt bei den Zeugen Jehovas oder so?“ „Nein, nichts dergleichen. Ich habe mich nicht sehr verändert. Um ehrlich zu sein, bin ich jetzt mehr ich als je zu vor.“ Die Kellnerin schaut mich etwas irritiert an, bringt mir jedoch kurze Zeit etwas später mein Tonic Water. Während ich am Getränk nippe und zufrieden Löcher in die Wand starre, erlaube ich mir einen Luxus, den ich schon lange nicht mir genießen durfte. Ich träume, als mich plötzlich eine junge Frau anspricht: „Wollen Sie mir einen Drink spendieren.“ „Was trinken Sie denn?“ „Einen Mojito.“ Ich nicke und teile der Kellnerin mit: „Einen Mojito für-“ „Veritas, ist mein Name. Veritas Bathseba Santa,“ klärt mich meine Gesprächspartnerin auf. Ich schlucke und verziehe etwas meinen linken Mundwinkel. Veritas ein Name, der so selten ist wie Plutonium und schon zwei Frauen mit diesem Namen, haben mir mein Herz gebrochen. Zugeben, die eine war eine Allegorie und die zweite hieß vermutlich nicht wirklich Veritas, trotzdem schmerzt es leicht, doch ich sage : „Ich heiße Felix.“ Ich hole eine Zigarre aus meinem Sakko und zünde sie an. Während ich den blauen Dunst inhaliere, stelle ich erfreut fest: es geht aufwärts.

Übersetzungen

  1. Guten Abend Frau Bellucci
  2. Es ist eine Ehre
  3. (Zu) treffen
  4. Um die Wahrheit zu sagen
  5. Bevor du etwas machst, überlege. Wenn du etwas tust und versuchst Leute zu beeindrucken, geliebt zu werden, akzeptiert oder sogar jemandes Aufmerksamkeits zu erlangen, halte inne und überlege. So viele Leute sind damit beschäftigt ein Bild zu kreieren, dass sie im Prozess scheitern
  6. Große Träume zu haben heißt nicht notwendigerweise, sich vorzustellen der größte Filmstar der Welt zu werden. Groß zu träumen heißt die einfachsten Dinge im Leben zu akzeptieren und zu genießen — und es als das größte Ding zu betrachten, dass möglichweiser existiert. Ich arbeite in einer Branche, die die Erste ist diese Fähigkeit zu zerstören, weil alles so promimenentenorientiert ist. Ich bin Teil dieses Geschwürrs. In meiner Welt musst du so schön, so dünn, so reich, so berühmt — und ich glaube nicht, dass du eine dieser Eigenschaft erfüllen musst. Du musst musst einfach sein, wer du bist.
  7. Lies und verstehe
Felix' Erzählungen
Der Tag, an dem ich auf meinen kleinen Neffen aufpassen musste
Tagebuch eines Kranken
Ein Treffen mit Salma Hayek
Der Tod des Verleugnens
Veritas et Scientia
Entführung eines Wahnsinnigen

Geschichten aus dem Leben Stern.gif Geschichten aus Zell am See
Ferien, für immer Schlagendes Argument

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