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Die Bahn schweißt zusammen

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Abgebildet: Der einzige Verspätungsgrund, den man akzeptieren sollte. Im Wortlaut: "Meine Damen und Herren, der Zug IC 292 wird voraussichtlich drei Tage später im Bahnhof eintreffen. Wir bitten um ihr Verständnis. Der Zug wollte sich scheinbar selbst umbringen."

Und damit sind nicht die Bauarbeiten im Streckenabschnitt 17 D zwischen Mannheim und Karlsruhe gemeint, auch wenn bei den dortigen Verkehrsbehinderungen tatsächlich Gleise neu geschweißt werden. Als Verspätungsbegründung klingt das aber auch klasse. "Meine Damen und Herren, wir erreichen den Bahnhof in Karlsruhe mit einer Verspätung von 7 Minuten, da die Bahn zusammenschweißt". Im gleichen Atemzug können Entschuldigungen wie "Die Bahn verleiht Flügel" (Bei Selbsttötung auf der Strecke) oder "Aufgrund von Verspätungen werden wir 28 Minuten später in Dresden den Bahnhof erreichen" (Wenn der Zugfahrer sich verfahren hat und/oder das Gaspedal nicht findet) genannt werden. Doch die Bahn schweißt nicht nur ihre Streckenabschnitte zusammen, sondern auch ihre Mitreisenden. Das ist nicht den hohen Sommertemperaturen und einem gleichzeitigen Klimaanlagenausfall geschuldet, bei dem die Fahrgäste sich ab 34°C langsam verflüssigen und eins mit dem Sitzpolster werden. Vielmehr verschwören sich die Zugreisenden gegen den gemeinsamen großen Feind: Die deutsche Bahn.

Gemeinsamer Feind

Ausgangssituation

Der leere Zug erreicht pünktlich den ersten Bahnhof. Langsam füllt er sich und man verlässt rechtzeitig den Ort, aus dem alle weg wollen. Im Zug selber sucht sich ein jeder seinen Platz, verzweifelt schauen ein paar militante Ökologie-Studenten nach freien Plätzen. Die 4 Euro Reservierungsaufschlag sind aber auch unverschämt viel! Ein kapitalistischer Systemfehler! Normalerweise, so wird mit stolz geschwellter Brust verkündet, normalerweise, da fahre man sowieso nur Fahrrad. Aber von Basel bis Köln dauert das dann doch echt zu lange.
Bahnreisende treten in den Sitzstreit, rotten sich zusammen.
Zumindest hat man es geschafft die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Während die Sockenstricker durch das Abteil stolzieren, hört man Kommentare wie "Schicke Schuhe", "Mama, warum sind die alle barfuß?", "Shampoo scheint euch auch zu teuer zu sein", "Jan-Philipp, fass die... Menschen.. nicht an, die haben Läuse" oder "Schau, er verdient sein Geld, indem er auf seinem Kopf Filz zum Basteln herstellt!". Erste Annäherungsversuche unter den Zugreisenden sind zu erkennen. Doch in den ersten fünfzehn Minuten heißt der Feind noch nicht DB und die Studenten sind auch zu uninteressant. Man wendet sich wieder Smartphone, Partner und DB-Reiseplan zu.

Bauarbeiten behindern die Weiterfahrt

Plötzlich wird der Zug langsamer und der unbedarfte Fahrgast hält eine Ortsdurchfahrt zunächst als Grund für die Geschwindigkeitsdrosselung. Warum denn auch sonst sollte man zwischen Tübingen und Schwerin plötzlich langsamer werden? Da kann sich die Bahn aber ganz ganz viele tolle Gründe überlegen. Ein Griff in die Trickkiste und der Zugfahrer sucht sich eine Ausrede raus. "Marderbefall/Durchgenagtes Kabel" gehört da noch zu den realistischeren Entschuldigungen. "Eine verwirrte Rentnerin aus Abteil 14 wollte erst den Teppichboden ockerfarben anlackieren, die Krawatte eines Zugbegleiters verspeisen und schließlich hat sie die Notbremse gezogen." In Abteil 14 sitzt man neben den militanten Studenten und BWL-Heinis im Anzug, die sich lautstark über das Geschäft "ihrer" Firma unterhalten und bei Erwähnung der Millionenumsätze das Wort Millionen immer besonders betonen, danach eine kleine kreative Schaffenspause einlegen und sich jubelheischend umsehen. Scheinbar erwarten sie, dass das gesamte Abteil in Jubel ausbricht, sobald alle mitkommen, dass ihr Unternehmen Milli-hoooo-ne-hen-Umsätze macht. Die beiden sind wahrscheinlich bei der Telekom dafür zuständig den Kaffeeautomaten aufzufüllen.
Auf jeden Fall hat der Zug jetzt erst mal eine satte Verspätung aufzuweisen. Murren untereinander, der Twitterfeed wird aktualisiert. "Sitze gerade im Zug. Verspätung. Würde gerne noch mehr erzählen, doch die Zeichen geh". Aha.

Eine erste Welle der Empörung

Unvermittelt brüllt plötzlich jemand einen Kampfschrei durch den gesamten Zug. "Das ist doch eine Frechheit!". Nun beginnt die Phase der leisen Zustimmung.
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  • "Ist aber auch immer dasselbe." (Junge, der "gleiche" und "selbe" nicht unterscheiden kann)
  • "Nicht schon wieder!" (Anonymous)
  • "Ich hab noch einen dringenden Termin von höchster Prioritätsstufe! (dann zusammenhanglos) Millionenumsätze sach ich euch!" (Der BWL-Typ)
Das Zugpersonal wird noch verschont. Man ärgert sich still und heimlich, informiert aber vorsorglich schon mal die Verwandtschaft über die Verspätung, auch wenn man genau weiß, dass es eh zu weiteren Verspätungen kommen wird, über die man Bericht erstatten muss. Aber bei zwei Anrufen kann man sich dann gleich zweimal aufregen, ist doch toll.

Es wird auf die Spitze getrieben

Während sich der Lokführer in seinem Führerstand einen Ast ablacht über seine fingierte fiktive Verspätung, kommt jetzt auch noch eine wirkliche Baustelle hinzu (soll's geben). Die Verspätung nimmt neue Ausmaße an und dringt in neue Rekord-Dimensionen vor. Mittlerweile unterhält man sich an den einzelnen Tischgruppen und auch quer durchs Abteil ausführlichst über die Verspätung und lässt seiner Empörung freien Lauf, während ein Servicemitarbeiter der Bahn alten Damen erklären muss, dass sie ihre Anschlusszüge bei einer Verspätung von 46 Minuten selbstverständlich nicht erreichen.
Kennen sich seit fünf Minuten, doch der Zug hat Verspätung und beide dadurch zusammen gebracht. Es wird auf die Spitze getrieben, Slip und so.

Tränen fließen, ein Südländer wird gerade so davon abgehalten das Bordpersonal anzuspringen. Ein rüstiger Rentner, privat eigentlich Hobbynazi, springt ihm plötzlich per Wort zur Hilfe. Die Kritik sei berechtigt, scheiße aber auch, unter Hitler wäre die Bahn nie zu spät gekommen. Und und und. Für die Herkunft des Südländers hat er in diesem Moment keine Augen, er unterstützt ihn bedingungslos. Die schluchzenden Rentnerinnen werden von Jugendlichen getröstet. Ein Nerd und ein Bikinimodel haben erstmals ein gemeinsames Gesprächsthema: Die Verspätung der Bahn. Erzürnt bezichtigt man den Konzern als Abzocker, denn kaum verspätet sich der Zug, fällt auch all den Nichtstudenten auf, wie teuer die Tickets doch eigentlich waren. Zärtlich legt ein Meckerweib ihren Kopf auf die Schulter eines Pöblers. Eng umschlungen singen zwei Jugendliche Klagelieder auf die deutsche Bahn. Liebe liegt in der Luft, gemeinsam regt man sich auf. Die Bahn schweißt zusammen.

So endet die Fahrt (man munkelt)

Die Fahrgäste sitzen um das im Mittelgang entzündete Lagerfeuer, über dem sie einen Zugbegleiter braten. Alte Geschichten werden erzählt. Aus "Sooo einen großen Fisch habe ich schon geangelt" wird "Sooo eine lange Verspätung hatte ich schon mal".
Ganz ohne Munkeleien läuft es dann so ab, dass man sich mit der Ankunft am Zielbahnhof schlagartig entfremdet, sich aus den Verschlingungen löst und es zum Abschied gerade mal für ein hartes "Ich muss hier raus" genügt. Die gemeinsamen Erlebnisse während der Bahnfahrt sind schlagartig vergessen, sobald man den Zug verlässt.

Gemeinsames Leid

Wenn man auf einer Bahnfahrt keine Beschäftigung findet, beginnt man unweigerlich seine Gedanken kreisen zu lassen und stellt sich dann so Fragen wie "Soll ich zusammenhanglos "Prostatakrebs" als Lösungswort für das Galgenmännchen-Rätsel am Nachbartisch schreien?". Dies könnte ein erstes Indiz für einen akuten Befall von Langeweile sein. Auch wenn man beginnt sich sämtliche Mitfahrende unter 30 nackt vorzustellen oder man mit sich selber "Ich sehe was, was ich nicht sehe" spielt und das rechte gegen das linke Auge antreten lässt, ist das mitunter ein Anflug von Langeweile. Und da geht es den anderen Zugreisenden ja nicht anders. Wenn kleine Kinder beginnen ihre Nasennebenhöhlen zu entdecken oder versuchen das gesamte Abteil zu animieren sich nur auf die rechte Seite des Zuges zu stellen, um zu gucken, ob der Zug umkippt, dann ist auch ihnen langweilig. Um gezielt gar nicht erst Langeweile aufkommen zu lassen, sollte man direkt zu Fahrtbeginn ein Gespräch aufbauen. Zum Beispiel durch ein "Setzen sie sich ruhig, hier ist noch frei" oder ein "Du bist hässlich, geh weiter!" wird gezielt ein Gespräch aufgebaut. Erst nach einer Stunde Fahrt den Gegenüber zu begrüßen oder fünfzehn Minuten vor dem Zielbahnhof nach dem Fahrtziel zu fragen, ist relativ merkwürdig und nicht gerade gesprächsfordernd. Daher gilt: Wer früh beginnt, der schnell gewinnt, eh die Zeit verrinnt, geschwind Kind Rind Lindt (Damit es ein Vierzeiler wird).
Bei richtiger Herangehensweise kann sich die Bahn also schnell zu einem sozialen Netzwerk entwickeln. Wer jedoch den richtigen Einstieg verpasst, muss sich die gesamte Zugfahrt die Antworten fürs Galgenmännchen überlegen oder man versucht beim Sitzplatznachbarn im Buch mitzulesen, ohne dass man zu auffällig guckt UND ohne dass das Schielen auf den Buchtext so wirkt, als ob man der Person in den Ausschnitt guckt (sofern weiblich). Doch viele schaffen es eine Unterhaltung herbeizuführen und somit liefert das Netzwerk der deutschen Bahn täglich wunderbare Geschichten.

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