2 x 2 Silberauszeichnungen von Wuschelkopf9 und Klugscheißer

Bologna-Prozess

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Wenigstens gibt's keine Kontroverse: Bologna ist Scheiße, da sind sich alle einig!

Der Bologna-Prozess ist eine der größten Umwälzungen, die das europäische Bildungswesen seit der Abschaffung des Rechenschiebers erfahren hat und noch immer erfährt. Seit der Jahrtausendwende wird der europäische Bildungsacker umgewälzt und durchgepflügt, bis sich alles ungefähr auf einer Höhe befindet, sodass man spätestens ab 2010 Wettbewerbsrüben, Arbeitsmarktkartoffeln und Leistungsnudeln anbauen kann.

Zentrale Schwerpunkte der Kernziele

Das Logo symbolisiert die gezielte Korrektur bestehender Unregelmäßigkeiten.

Es war ja alles gut gemeint. Als sich die europäischen Außenminister 1999 zusammensetzten (Oder waren es die Bildungsminister? Die Staatsoberhäupter waren es nicht!) und stellvertretend für die Bevölkerung Europas sowie für deren Stellvertreter die guten Vorsätze für die Bildung des kommenden Jahrtausends fassten (Oder beginnt das neue Jahrtausend erst im Jahr 2001? Und was ist eigentlich ein Millenium?), da hatten sie nur das absolut Beste im Sinn. Oft fielen Worte wie Mobilität, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungsfähigkeit, stets in Begleitung der Begriffe Vergleichbarkeit, Transparenz, Zusammenarbeit und sogar studentische Mitwirkung auf allen Ebenen. Gemeint ist damit im Wesentlichen: wer irgendwo anfängt, irgendetwas zu studieren, der soll das irgendwo anders weiterstudieren können und nochmal irgendwo anders mit seinem Abschluss Arbeit finden können. So weit die Theorie.

Umsetzung

Bei der Umsetzung stellte sich zügig heraus, dass die oben zitierte Idee, dass man ein angefangenes Studium auch fortsetzen und später dann arbeiten gehen könnte, doch eher nur gesunder Menschenverstand oder gar Selbstverständlichkeit war als ein jahrtausendwendetauglicher Geniestreich. Daher wurden die Ziele des Bologna-Prozesses nachträglich ergänzt, um das ganze Vorhaben in eine echte Umwälzung zu verwandeln. Mangels Zeit und Kreativität wurde für die angedachte Riesenreform kein eigenes Ideal mehr formuliert, sondern ganz einfach das große Vorbild USA herangezogen, dem die alte Welt nun einmal mehr nacheifern soll. Damit war schnell klar, dass gewisse andere Dinge auf der Strecke bleiben mussten. Die studentische Mitarbeit auf allen Ebenen wurde als erstes über Bord geworfen. Das hatte zugleich auch den Vorteil, dass man als Student Zeit und Energie sparen und sich ganz auf das Studium konzentrieren konnte. Nur allzu logisch war es also auch, eine Regelstudienzeit einzuführen und diese recht kurz anzusetzen (rein zufällig ist das auch wirtschaftlich gesehen ganz gut). Auf diese Weise wurden die berüchtigten "ewigen Studenten" abgeschafft, die ihr Studium absichtlich in die Länge zogen, jahre- und jahrzehntelang dem Staat auf der Tasche lagen und zu nichts nütze waren. Diese müssen nun nach drei bis vier Jahren der Faulenzerei von der Universität verschwinden und sich arbeitslos melden. An der Universität selbst hat sich das Bild jedoch kaum verändert. Trotz erheblich kürzerer Studiendauer sind alle Räume überfüllt, überall ist das Lehrpersonal zu knapp und überall fehlt das nötige Geld. Es ist sehr merkwürdig. Und auch heute noch sieht man Studenten mit dünnem, grauem Haar und gebücktem Gang, die ziellos über den Campus irren – allerdings sind das keine alten Langzeitstudenten, sondern so sieht man heute schon mit fünfundzwanzig Jahren aus.

ECTS

In lockerer Anlehnung an die bei jungen Leuten so beliebten Computerspiele wurden fast alle Studiengänge in so genannte Module unterteilt, bei deren Bestehen man eine bestimmte Anzahl von Leistungspunkten (englisch credit points, gelegentlich auch kompromissweise Kreditpunkte) im ECTS, dem European Credit Transfer System, erwirbt. Diese werden in aller Regel nicht mehr auf Papier festgehalten, sondern auf eigens dafür eingerichteten modernen E-Learning-Systemen im Internet gespeichert, so dass sie jederzeit abrufbar sind. Die dazugehörigen Server sind im Schnitt etwa so stabil wie die von Travian, reagieren fast so schnell wie die von Die Stämme und sind sogar deutlich zuverlässiger als die von Diablo II; Datenverlust ist eher selten, Hacks und Cheats sind sogar fast ausgeschlossen – unterm Strich braucht die ganze Soße den Vergleich mit anderem Firlefanz also kaum zu scheuen.

Ach ja, der Sinn des Ganzen ist natürlich, dass man international vergleichen und anrechnen kann, was die Studenten bisher so gemacht haben. Das ist nämlich überall etwas Anderes, aber wenn man es mit Punktzahlen bewertet, dann steht immerhin schon ganz numerisch fest, wie viel der oder die Studierende halt schon studiert hat. Die Berechnung ist ganz einfach. Einen Kreditpunkt bekommt man dafür, dass man über das Semester verteilt 30 Stunden lang gearbeitet hat. Präziser: der Dozent muss der Auffassung sein, dass man zum Bestehen samt Einhalten aller Regularien wie körperlicher Anwesenheit und schriftlicher Übungsaufgaben 30 Stunden pro Credit gearbeitet haben müsste. Diese Beurteilung kann durchaus sehr flexibel sein. Wenn beispielsweise zwei Studenten das Modul "Informatik als Nebenfach" an derselben Universität erfolgreich belegt haben, heißt das noch lange nicht, dass sie die gleiche Anzahl an Leistungscredits dafür bekommen. Ist nämlich einer von beiden Physikstudent im dritten Semester, dann beherrscht er nachweislich all die mathematischen Grundlagen längst, die in der Informatikveranstaltung behandelt werden, und kann also für die Übungsaufgaben höchstens halb so lange brauchen wie der Deutsch-auf-Lehramt-Student, dem er jede Woche alles erklären muss. Diese Tatsache wird bei der Punktvergabe berücksichtigt und unser Physiker bekommt nur sechs Punkte, während der Germanist die vollen acht Punkte bekommt, genau so wie Biologen, Heraldiker, Theologen und übrigens auch Mathematiker. Letztere kannten zwar nicht nur die mathematischen Grundlagen längst, sondern hatten sich den Informatikanteil der Vorlesung zum Großteil bereits vor Jahren aus Spaß in den Schulferien angeeignet, aber deren Fachschaftsrat (Oder dem Prüfungsausschuss? Und was macht eigentlich der Senat?) war das halt egal.
Wer übrigens schriftlich nachweisen oder am besten ganz direkt durch geeignete Zwischenrufe während der Vorlesung demonstrieren kann, dass er total dumm in der Birne ist, dem winken konsequenterweise entsprechende Extrapunkte, wenn er am Ende dennoch besteht, da er ja im Umkehrschluss besonders viel gearbeitet haben muss, um seine kognitiven Schwächen auszugleichen.

Um die Regelstudienzeit einzuhalten, muss man 30 Leistungspoints pro Semester erreichen, also 900 Stunden arbeiten. Nun ist ein Semester bekanntlich ein ganzes Halbjahr, sodass sich die 900 Stunden auf 26 Wochen verteilen. Zieht man noch zwei Wochen Urlaub und ein kleines Bisschen Krankheit ab, so ergibt sich eine faire 40-Stunden-Woche. Allerdings werden bereits ein halbes Semester nach der ersten Vorlesung die Prüfungen geschrieben, woraufhin die zweite Hälfte des Semesters vorlesungsfrei ist und praktisch auch frei von jedweder akademischer Beschäftigung. Hier könnte man selbstständig irgendetwas vor- und/oder nacharbeiten, was in der Vorlesungszeit zu kurz gekommen ist. Rein pragmatisch betrachtet könnte man jedoch auch jobben gehen, um das BAföG zu ergänzen, das zwar kaum weniger ist als Hartz 4, dafür aber nur zur Hälfte geschenkt und zur Hälfte geliehen. Damit würde sich der tatsächliche Studienzeitraum etwas stauchen und man hätte als Regelzeitstudent rein rechnerisch eine 80-Stunden-Woche. Klingt hart, aber die haben ja auch lange genug auf der faulen Haut gelegen. Wer's nicht packt, kann ja ein paar Semester länger studieren. Dann gibt's halt etwas höhere Studiengebühren und gar kein Geld mehr vom Amt für Ausbildungsförderung, aber dann muss man eben auch nebenbei ein bisschen arbeiten gehen.

Bachelor und Master

Was sich auf den ersten Blick anhört wie die WoW-Nicks zweier Pubertierender, sind tatsächlich die neuen akademischen Grade, die allerdings demnächst wegen negativer Konnotation erneut umbenannt werden – voraussichtlich in Wisdominator und Greater High-God of Lore and Omniscience. Oder auch anders, es handelt sich bei den Namen nur um Empfehlungen. Wie die Abschlüsse wirklich genannt werden, liegt in der Hand der jeweiligen Universität; trotz weltumspannender Transparenz und kosmischer Einigkeit muss man ja bei den Bezeichnungen niemandem Vorschriften machen; man will ja so ganz ohne demokratische Legitimation den Bogen auch nicht überspannen. Hauptsache ist, dass man den ersten Grad (Bachelor) nach sechs Semestern Regelstudienzeit erwirbt, dass er zur Ergreifung einer Arbeit berechtigt, aber nicht befähigt, und dass er zwar noch lange nicht bedeutet, dass man jetzt den zweiten Grad (Master) in Angriff nehmen darf, dass man es jedoch ohne ihn auf jeden Fall nicht darf.

Internationaler Transparenzialismus auf Regionalebene

Aus humoristischen Gründen hat man bei einer dermaßen großen Reform wie dem Bologna-Prozess darauf verzichtet, sie rechtlich für alle bindend zu machen. Im Klartext heißt das, dass man etwaigen Eigenbrötlern trotz erfolgter Reformierung die Butter nicht vom Brot nehmen kann. Auch betrifft die Angleichung nur die europäischen Hochschulen, nicht aber die Gymnasien und deren Oberstufen. Dass die Umsetzung eines Internationalisierungsprozesses außerdem – wie fast alles in der Bildungspolitik – auch noch Sache der Regionalpolitik bleibt, hat teilweise faszinierende Konsequenzen. Zum Beispiel kann man als Bachelor-Studierender der Mathematik – welche, so sollte man meinen, per se schon international ist! – nicht ohne Weiteres von der Universität in Oldenburg zur Freien Universität in Berlin wechseln, denn: „Ach, ist ja interessant. In Oldenburg geben die Kollegen neun Kreditpunkte pro Modul? Hier bekommen Sie zehn Leistungspunkte dafür. Dann können wir Ihnen das natürlich nicht eins zu eins anrechnen – das wäre ja unfair unseren Studenten gegenüber. Sie müssten dann für jedes Modul eine kleine Ausarbeitung anfertigen, damit wir Ihnen guten Gewissens den zusätzlichen Leistungspunkt geben können. Ja ja, die Bachelor-Studenten und ihre Problemchen. Würden Sie noch auf Diplom studieren, wäre das alles viel einfacher.

Das große Ziel der Vergleichbarkeit wurde also erreicht – der Bologna-Prozess ermöglicht endlich Vergleiche wie "In Wuppertal läuft jetzt alles ganz anders als in Buxtehude" oder auch global resümierende, etwa: "vorher war es besser!"


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