Kulturbeutel
Kulturbeutel, der: peinliches Wort für den Aufenthaltsort noch peinlicherer Gegenstände.
Etymologisches
In anderen Kulturkreisen als dem deutschen wird Körperpflege weithin als Selbstverständlichkeit angesehen. Ein Aufbewahrungsbehältnis für die damit verbundenen Utensilien wird daher z. B. mit "neccessaire" bezeichnet. In diesem klangschönen Wort drückt sich die schlichte Tatsache aus, dass ein Minimum an körperlicher Pflege einfach nötig ist. Mehr ist, in entsprechend kultivierten Kreisen, hierüber auch wirklich nicht zu sagen.
Anders hingegen in Deutschland. Hier, im Land der Dichter und Denker, wird das Selbstverständliche dramatisch überhöht und in einen direkten Sinnzusammenhang mit Lebensart, Bildung, Museen und anderen höheren Sphären gebracht.
Fakten
Konkret ist der deutsche Kulturbeutel meist aus billigstem Plastik, gern in neckischem Design, besitzt einen stets aufgeplatzten Reissverschluss und gern ziert er sich mit alten Rasierstoppeln, abgeschnittenen Fingernägeln und sonstigen Abschuppungen des Körpers seines Besitzers. Kurz gesagt, der Kulturbeutel teilt die wesentliche Eigenschaft einer getragenen Unterhose: die eigene zieht man problemlos auch mal mehrere Tage hintereinander an, eine fremde hingegen würde man allenfalls mit Schutzhandschuhen und spitzen Fingern anfassen, um sie den reinigenden Flammen eines Krematoriumofens zu überantworten. Dennoch unrichtig ist die Vermutung, der Kulturbeutel hätte seinen Namen deshalb, weil er eine Brutstätte finsterster Schimmelpilzkulturen sei.
Für den Psychologen ist der Inhalt eines Kulturbeutels ein dankbares Studienfeld, gibt er doch Aufschluss über das, was sein Besitzer an Fehl- und Missbildungen seines materiellen Selbst ansieht. Hornhauthobel, Herpescreme, Nasenhaarschneider, Pickelausdrücker, Hühneraugenpflaster, desinfizierende Flüssigkeiten und andere schlimme Dinge gammeln in unhygienischer Eintracht friedlich nebeneinander, bis sie zu den üblichen rituellen Anlässen (siehe Samstagsbad) aus gelblich verblichenen Plastikbadezimmerschränken zu Tage gefördert werden.
Sonderformen
Gewisse Sonderheiten der deutschen Geschichte spiegeln sich auch in der Erscheinungsform des Kulturbeutels wider. So wurden ab 1944 zehntausende Deutsche in strammem Westmarsch gesichtet, wie sie Reste deutscher Kultur in grossen Beuteln zu sichern suchten. Diese später auch Kultur-Rucksackdeutsche genannten Wandervögel bewiesen eindrucksvoll, auf welch knappes Volumen sich deutsche Kultur komprimieren liess, nachdem der grossangelegte Emissionsversuch deutscher Werte auch über die eigenen Grenzen hinaus so grandios gescheitert war.