Musikkassette
Musikkassette ist die Bezeichnung für einen Tonträger. Damit ist nicht etwa der muskulöse Typ gemeint, der in Afrikanischen Dörfern den Baustoff aus der Tongrube holen muss und auch nicht seine starke Frau, die mit dem Tonkrug auf dem Kopf 3x täglich zum Fluss marschiert um Wasser zu holen. Nein, hier geht es um die Konservierung von Tönen: So wie Geldkassetten zum Aufbewahren von Bargeld und zur Not dem ein oder anderen Sparbuch gedacht sind handelt es sich bei Musikkassetten um Behälter für Musik.
Man weiß heute nicht mehr so genau, ob zuerst die Schrift erfunden wurde oder die Musik. Wahrscheinlich hat man die Schrift entwickelt um die Liedtexte aufschreiben zu können. Dabei hat sich die Notenschrift wohl parallel herausgebildet. Dann lernten die Menschen lesen, um die aufgeschriebenen Musikstücke wieder spielen zu können. Aber man brauchte immer diese extrovertierten Musiker mit ihren oft sperrigen Instrumenten, deren wohlklingende Handhabung seit jeher eine schwer zu erlernende Kunst ist. Und gutes Personal war schon immer rar und leider auch etwas teurer. Es musste doch auch ohne diese anspruchsvollen, versoffenen und verf****en Feingeister und Querdenker, die nervigen Eunuchen mit ihren noch nervigeren Stimmchen oder diese verlausten, stinkigen Sklaven irgendwie möglich sein, ein einmal gespieltes Lied immer wieder anzuhören.
Ein Problem mit den Schallplatten war, dass es sich um sogenannte POM's (play only memory) also "Nur-Abspielmedien" handelte. Doch seit das Radio erfunden wurde, das die Musik zu den Menschen nach Hause brachte, wollte die Mittelschicht, die sich keine Livebands oder Minnesänger leisten konnte endlich selbst entscheiden, welche Lieder sie aufhebt und konserviert um sie später erneut zu hören. Es musste ein Medium her, mit dem man daheim selbst Töne speichern konnte. So wurde die Schokoladenplatte erfunden. Das ist kein leckerer Nachtisch am kalten Buffet, der nach Wurst- und Käseplatten serviert wird. Das wäre ja im Gegensatz zum POM sogar nur ein Einmal-Speicher, denn ein mal aufgegessen wäre die Platte leer. Die Idee dahinter war vielmehr, die leichtere Verformbarkeit des Materials zu nutzen. So konnte man zwar nach einigen Modifizierungen am Plattenspieler selbst Musik vom Radio aufnehmen, aber die wenigsten Schokoplatten überlebten mit ihrem so gewonnenen Mehrwert die Heißhungerattacken der Besitzer, von der Klangqualität ganz zu schweigen. Es musste also etwas praktischeres her.
Der Musikkassette ging aber noch eine andere Erfindung voraus: Das Tonbandgerät, ein Holzkasten mit einem Elektromotor, spulte ein Magnetband von der einen Spule auf die andere und zog es dabei an einem Tonkopf vorbei. Die Tonbänder waren zentimeterbreit und hunderte Meter lang. Das Einlegen der Spulen und Einfädeln der Bänder erforderte einiges Geschick. Und nicht wenige Bänder sind in den siebzigern durch unsachgemäßen Gebrauch bei rauschenden Festen an einer Überdosis Grobmotorik vorzeitig zerschlissen oder versehentlich in einer breiigen Pampe aus Bier, Rotwein, Tabakasche und diversen Körperausscheidungen aufgelöst worden.
Mancher junge Mensch hat sicher schon mal bei seinen Eltern oder Großeltern eine mysteriöse eingestaubte Klappe mit so einem kleinem Schaufenster an der alten Stereoanlage gesehen, hinter der sich rätselhafte Zapfen und glänzende Metallklötzchen befinden. Solche Kassettenlaufwerke, genau wie auch die alten Kassettenrecorder werden heute kaum noch genutzt und bieten manchmal kleinen Tierchen Unterschlupf. Ähnlich dem Floppylaufwerk am Rechner oder der Glühfadenlampe sind sie ein Relikt aus den Anfangstagen der Elektrotechnik.
Der Unterschied, den die Erfindung der Musikkassette machte war der, dass das Ganze technische Gewürge mit den Tonbändern und Spulen entfiel, was auch zur Unfallvermeidung beitrug. Das Band wurde bedeutend schmaler, die Spulen um einiges kleiner und der ganze Aufbau wurde in einer handlichen Kunststoffbox untergebracht, die leicht zu wechseln war. Da die Sache jetzt so kompakt war, nannte man die Kassette auch "Compact Cassette". So kreativ war man in der Flower-Power-Zeit. Das Laufwerk befand sich in einem Kasten, den man Kassettenspieler oder -recorder nannte, je nach dem, ob man mit ihm nur abspielen oder auch aufnehmen konnte. Der Kassettenrecorder fing die Töne mit einem Mikrofon oder einem sogenannten Überspielkabel ein und schubste sie über das Magnetband, wo sich kleine Metallkristalle ausrichteten, die dann ähnlich einem Fußabdruck im Sand diese Information speicherten. Die genauen Einzelheiten dieser hochkomplexen Vorgänge haben mit Zauberei zu tun und können daher hier nicht im Detail erklärt werden. Irgendwie speicherte der Tonkopf den Sound jedenfalls auf dem Magnetband ab und konnte ihn bei anderer Gelegenheit wieder abrufen.
Bei der Wiedergabe klang die Lieblingsmusik natürlich nicht genauso wie im Radio, sondern leierte meist vor allem bei Sonnenschein und bei Batteriebetrieb. Ältere Kassetten rauschten und hörten sich eigenartig dumpf an. Es ist so ähnlich, wie bei Ravioli, eingelegten Gurken oder selbst gemachtem Apfelmus: Zuerst braucht man allerlei Gerätschaften und Geschick, um das zu bewahrende Gut in die Konserve zu bekommen und später dann nochmal um es wieder herauszubringen. Beim Genuss stellt man allerdings fest, dass die Ware sich während der ach so schonenden Aufbewahrung in der Konserve irgend wie doch zum Nachteil entwickelt hat. Natürlich durfte man die Kassetten nicht in die Nähe von stärkeren Magneten legen. Das fiel natürlich vielen schwer, da schließlich Lautsprecherboxen um so mehr dazu einladen Kassetten auf ihnen abzulegen, je größer sie sind. Je größer die Box - desto stärker der für die Lautsprecher verwendete Magnet. Und ein Magnet wirkt für ein Magnetband - um das Strandbild nochmal zu verwenden - wie ein Rechen auf den Sand: alle Spuren werden verwischt, die gespeicherten Informationen gelöscht.
Der leidige Effekt des Qualitätsverlustes zeigte sich besonders deutlich nach mehreren Aufnahmevorgängen. Da es sich ja um ein analoges System und kein digitales handelte sind immer wieder Bestandteile früherer Aufnahmen bestehen geblieben. Man muss sich das in etwa so vorstellen, wie beim Schreiben mit Bleistift auf Papier (auch einem analogen Speichermedium). Wenn man immer wieder Textteile weg radiert und neue hinschreibt, kann man irgendwann gar nichts mehr lesen oder bringt zumindest alten und neuen Text durcheinander. So kann es auch passieren, dass die Biologieübungen und der Einkaufszettel vom Wochenende mit dem lieben Gruß an die Tante ein chaotisches Durcheinander erzeugen und das liebe Tantchen mal wieder, völlig zu Unrecht, eingeschnappt ist. So ähnlich musste man sich dann gefühlt haben, wenn man bei dem Genuss einer Chris Norman - Kassette immer mal wieder von Beethovens Fünfter geweckt wurde. (Nein, nicht seiner fünften Frau, seiner 5. Sinfonie!) So entstanden übrigens auch die ersten Remixe.Gelegentliche Laberfetzen der Radiomoderatoren zu Beginn oder am Ende der Aufnahme waren bei Mixtapes, die man sich am Radio selbst zusammengestellt hatte nicht gänzlich zu vermeiden. Doch Gregor Rottschalk beispielsweise, Moderator von Kultsendungen wie „Treffpunkt“ oder „Berlin Charts“ beim Berliner Sender RIAS (heute RS2), machte Anfang der Achtziger so etwas wie eine eigene Kunstrichtung daraus, zu fast jedem gespielten Track seinen - wenn auch gelegentlich qualifizierten und zuweilen durchaus komischen, für Kassettenfreunde allerdings fast immer störenden - Senf dazu zugeben, auch - und das war das Allerschlimmste - mitten im Song.
Besonders ärgerlich und problematisch war allerdings ein Problem, das manchmal auftrat, wenn man bis mitten in die Nacht auf eine Radiosendung gewartet hatte, bei der man sich die Aufnahme seiner Lieblingslieder erhoffte. Es konnte dann nämlich sein, dass man während der Aufnahme wegnickte und erst durch das Klicken der Tasten wach wurde, die das Ende des Bandes signalisierten. Bei solchen Gelegenheiten gesellten sich Schlagerbarden wie die Wildecker Herzbuben zu Metalbands wie Sodom oder es wurde experimentelle moderne Körpermusik oder auch die ein oder andere zeitgenössische nächtliche Nachrichtensendung für die Nachwelt festgehalten.
Der wahrscheinlich störendste Effekt aber war der Bandsalat. Hier geht es nicht um ein Teigwarenkaltgericht, sondern um den Supergau des damaligen DJs. Wenn in der Hektik beim Wechseln der Kassetten nicht daran gedacht wurde, die durch den Transport gelockerten Bänder vor dem Abspielen kurz mit dem Bleistift vorzuspannen konnte es beim Hin- und Herspulen leicht zur gefürchteten Verfitzung kommen. Dann musste das zerknitterte Bandmaterial ohne das Laufwerk zu beschädigen aus diesem geborgen und später unter Entfernung der beschädigten Teile mit Tesafilm wieder zusammengeflickt werden. Wichtig war in diesem Kontext noch, längere Musikpausen bei größeren Veranstaltungen zu vermeiden, um keinen Tumult heraufzubeschwören.
Seitdem die Magnetbandtechnik erst von CDs und dann durch die Erfindung des Mp3-Formats auch von Mp3-Playern wie I-Pod und Konsorten immer mehr vom Markt verdrängt wird erfährt die Kassette eine traurige und erniedrigende Entwicklung zum Styleobjekt. Im Zuge der Retrowelle ist man in den Achtzigern angekommen und verwurstet das Symbol der Elterngeneration nun respektlos, teils mit morbid heraushängendem Band, als Dekomotiv in der Trash-art. Immer öfter sieht man die charakteristischen Umrisse des überholten Speichermediums übergroß als Druck auf viel zu engen T-Shirts in viel zu schwulen Farben oder auf ungesund chemisch stinkenden Gummihandtaschen in den In-Bezirken der hippen Großstädte, wo ein bekloppter Trend den nächsten jagt. Buchstäblich weg wie warme Semmeln gehen gerade als moderne Leuchtinstallation deklarierte Schrottstehlampen, die mit weggeworfenen Kassetten "dekoriert" sind. Erdacht und zusammengebastelt werden diese neuerlichen Modesünden von Grüntee saufenden Möchtegerndesignern und flippigen Muttis, die der neuen Handmadekultur anhängen. Upcycling nennt das die Stilikone von heute. Sondermüll sagt dazu der ruppige Kollege vom Wertstoffhof. Immerhin gehen mittlerweile rund 85 Prozent aller technischen Störungen von Müllzerkleinerungsanlagen auf das Konto von Magnetbändern, die sich in den rotierenden Messern verheddern und dadurch irgendwie, irgendwo, irgendwann die Maschine zum Stillstand bringen. Die geplagte Hausfrau kennt das physikalische Phänomen sonst nur im Kleinen mit Haaren, die sich im Walzenstaubsauger verfitzt haben.
✇ Das Wort Musikkassette hat 3s, 2k, und 2t; außerdem jeweils ein M, i, a, u.
✇ Während zum Abspielen ein Tastendruck genügt, werden zum Aufnehmen dagegen zwei Finger benötigt. Allerdings bekommen Menschen, die nur einen Finger haben, die Kassette auch nur sehr schwer in das Tapedeck hinein.
✇ Ein Bleistift (in sechseckiger Ausführung) ist unerlässlich zum Vorspannen des Bandes in der Kassette. Zum Beschriften eignen sich jedoch Kugelschreiber besser. Merksatz dazu: Das Eckige in das Runde und das Runde für das Eckige! (Braucht man sich aber nicht mehr merken.)
✇ Eine 90 min Chromkassette kostete um 1985 in der BRD ca. DM 2,50 und in der DDR ziemlich genau 23,00 Ostmark. Das Verhältnis entsprach in etwa dem Schwarzmarktkurs der Währungen von 1:10.
✇ Eine durchschnittliche Kassette setzt sich aus folgenden Materialien zusammen:
- 69 % Plastik (z.T durchsichtig)
- 24 % Bandsalat
- 3 % Aufkleberpapier (incl. Druckfarbe und Klebstoff)
- 2 % Rollen- und Federgedöns
- ca. 4 - 5 Schräubchen
- 2 x 30 min (bzw. 45) Scheißmusik in minderer Qualität
1. Platz beim 22. Stupid Contest
Musikkassette ist ein Gewinner des 22. Stupid Contests.
Für dieses Werk erhält HarryCane den goldenen Stupidedia-Stern am Band.
Gezeichnet, die Jury
Der Artikel Musikkassette wurde von der Mehrheit der ehrenwerten Leser der Stupidedia nach einer erfolgreichen Abstimmung als absoluter Hammer ausgezeichnet. In unserer Hall of Fame findest du weitere ausgezeichnete Artikel. |