Hörsturz
Als Hörstutz wird in Japan der Höhepunkt des Karaokeabends bezeichnet: Der Verlierer stürzt sich in seine Hashi und fällt von der Bühne.
Anamnese eines Hörsturzes
Japaner scheinen trotz ihres verklemmten Habitus' auch gänzlich ohne Alkoholeinfluss in der Lage zu sein, bei einem öffentlichen Beisammensein (mit Fremden, nur lose Bekannten und sogar Arbeitskollegen) ein Mikrofon in die Hand zu nehmen und mit falscher Tonlage Lieder zu singen, die schon im Original elendig schlecht sind.
Unter diesen ungünstigen Bedingungen warnen HNO-Ärzte und Seelenklempner schon seit alters her davor, dass das Ohr imaginäre Geräusche hören könnte wie Rauschen (durch die Technik), Klopfen (durch Füße und Hände) und sonstige schrille Töne, die entgegen der landläufigen Meinung nicht durch Rückkopplungseffekte sondern durch den Karaoke-Akt an sich entstehen.
Durch den bei der Zusammenrottung von Menschenmassen in zu kleinen Räumen sowieso entstehenden Lärm ist dieser sog. Tinnitus durch die Betroffenen häufig nicht zuverlässig zu erkennen. Sie glauben, Abhilfe für die Unannehmlichkeit wäre nur auf der Bühne zu schaffen durch Bildung von Antischall, d.h. dass dem äußeren Lärm der eigene Lärm entgegengesetzt wird. Als alternatives Motiv gilt unter Psychologen der Umstand, dass geteiltes Leid nun mal halbes Leid ist.
Also nehmen diese Menschen an dem Karaoke-Wettbewerb teil.
Symptome eines Hörstürzes
Das öffentliche Halten des Mikrofons als eine Art Phallusersatz führt zu Verlegenheit und erhöht somit den Adrenalinspiegel im Blut, es kommt zu typischen Stresssymptomen wie Steigerung der Herzfrequenz, Anstieg des Blutdrucks und Erweiterung der Bronchien. Letzteres führt dazu, dass der Gestresste für kurze Zeit eine enorme Lautstärke beim Singen entwickelt und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Weiterhin werden die Durchblutung des Körpers reguliert (Zentralisierung auf die lebenswichtigen inneren Organe) und die Magen-Darm-Tätigkeit herabgesetzt.
Wenn nun aufgrund des in der Regel eintretenden Gewöhnungseffektes der Adrenalinspiegel wieder absinkt, verringern sich auch die oben genannten Effekte. Es kommt zu dem sog. Karaoke-Phänomen: Die stimmliche Lautstärke sinkt wieder auf das gewöhnliche Maß herab und in die damit einhergehende relative Stille hinein kommt die Darmtätigkeit scheinbar besonders geräuschvoll wieder in Schwung.
Was für einen Europäer vielleicht peinlich ist, aber keineswegs das Ende der Welt bedeutet, ist für einen Japaner der gesellschaftlicher Super-GAU: Er hat sein Gesicht verloren. Der einzige Ausweg für die Rettung der eigenen Ehre und die der Familie ist Seppuku - die rituelle Selbsttötung.
Heilung eines Hörsturzes
Der Kranke, dem aufgrund der o.g. Umstände die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden sicher sein kann, verbeugt sich vor dem Publikum, lässt sich in die traditionelle japanische Seizahaltung nieder und entblößt seinen Oberkörper. Hierbei ist es bemerkenswert, dass der Betroffene in dieser Situation meist auch die letzten Hemmungen verliert: Er setzt sich auf der Bühne ganz nach vorne, fast schon in die Zuschauer, damit alle seinen unschönen blässlichen Schwabbelbauch sehen und ihm für diesen ekelhaften Anblick aus tiefstem Herzen den Tod wünschen.
Nun rammt sich der Kranke die in Papier eingewickelten und zumeist speziell für diesen Anlass aufbewahrten Essstäbchen unterhalb des Nabels, etwa in Höhe des Dickdarms, in den Bauch. Infolge der zeitweiligen Darmträgheit und der anschließenden Verdauungsüberreaktion haben sich dort inzwischen noch nicht näher bestimmbare Gase in höchster Konzentration gebildet, welche durch den äußeren Druck zusammengepresst werden und auf diese Weise einen jähen Temperaturanstieg hervorrufen. Der Betroffene wird nun von innen heraus verbrennen. Regelmäßig treten dabei auch Stichflammen auf und verletzen Anwesende, die sich hinter der Bühne befinden. Diese sogenannte spontane menschliche Selbstentzündung ist bislang nur für den asiatischen Kulturkreis belegt.
