1 x 1 Bronzeauszeichnung von Animal*

Diverses:Rezension des Gedichtes "Der Geier"

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Das Gedicht „der Geier“ eines unbekannten Poeten zählt zur Grundbildung der Bürger und ist daher standardmäßig in den Lehrplänen deutscher Gymnasien enthalten. Bisherige Rezensionen und Interpretationen blieben jedoch oberflächlich, so dass die Zeit reif ist für eine intensive Beschäftigung und Untersuchung.

Das Gedicht

Durch die Lüfte fliegt ein Geier
von unten sieht man seine Beine

Durch die Lüfte

Bereits unmittelbar zu Beginn des Gedichtes fällt dem Leser (oder Hörer) der Begriff „Lüfte“ auf. Was ist damit gemeint? Wollte der Autor das Plural Femininum ausdrücken? Ist nicht „LuftSingular und Plural gleichzeitig? Der Begriff „Lüfte“ wird im deutschen Sprachraum – wenn überhaupt – als Umschreibung für Blähungen verwendet, allerdings ist umgangssprachlich „Winde“ geläufiger. Es bleibt also nur, dem Poeten zugute zu halten, dass er sich nicht unbedingt korrekt an die deutsche Grammatik gehalten und die dichterische Freiheit bevorzugt hat. Anzunehmen, dass er mit „Lüfte“ menschliche Abgase gemeint hat, kann im Kontext des gesamten Gedichtes als wenig wahrscheinlich verworfen werden.

fliegt

Hier muss darauf verwiesen werden, dass der Geier unzweifelhaft ein Vogel ist und somit fliegen kann; ausdrücklich zu betonen, dass der Geier fliegt, ist daher überflüssig.

Oder auch nicht. Ich finde das ist Geschmackssache. 100% klar definieren kann man das nicht. Es gibt sicher auch bei den Geiern Invalide, welche nicht fliegen können. Die tragen dann warscheinlich ein Jetpack.

ein Geier (Kadenz)

Geschickt verweist der Verfasser hier darauf hin, dass es sich nur um einen Geier handelt, nicht zwei oder drei oder eine unbestimmte Anzahl. Dem Leser (oder Hörer) wird somit eine ganz klare Linie vorgegeben. Leider verlässt der Autor unmittelbar danach seine deutliche Ausdrucksweise. Durch den Begriff „Geier“ kann man zwar vermuten, dass es sich um einen männlichen Geier handelt, aber sicher ist es nicht, es könnte sich auch um eine Geierin handeln. Wenn der Verfasser schon so unbestimmt bleibt, hätte er zumindest beide Formen verwenden können (Geier/in; political correctness). Immerhin erschließt sich aus der Wahl des Geiers für das Gedicht, dass sich der Autor zumindest während der Erstellung des Gedichtes nicht in Deutschland aufgehalten hat – sonst würden wir heute von der Nachtigall oder dem Sperling lesen.

von unten

Diese Formulierung lässt eindeutig erkennen, dass der oder die Beobachter/in sich auf dem Boden befindet und zu dem Geier aufschaut – sonst wäre eine Formulierung wie „von oben“ oder „von links“ angebrachter gewesen. Ein seltenes Beispiel eindeutiger Ausdrucksweise, die keine Zweifel darüber zulässt, wo oben und unten ist.

sieht man

Auch hier leider wieder eine Einlassung, die unnötig gewesen wäre. Im Gesamtkontext des Gedichtes wäre es schließlich nicht möglich, die Beine des Geiers zu riechen oder zu hören.

seine Beine (Kadenz)

(siehe unter Abschnitt „ein Geier“) – da der Autor weiter vorne im Gedicht schon unbestimmt geblieben war, hätten folgerichtig hier auch „ihre Beine“ erwähnt werden müssen. Das Schlusswort des Gedichtes stellt mit dem Begriff „Beine“ jedoch die größte Herausforderung der Rezension dar. „Beine“ reimen sich eindeutig nicht auf „Geier“. Was wollte uns der Poet also damit sagen – oder verließ ihn schlichtweg die Kreativität kurz vor Vollendung des Gedichtes? Wäre es nicht leicht gewesen, „Beine“ durch „Feier“, „Meier“ oder "Reiher" (auch ein Vogel) zu ersetzen?

Oder wollte er ganz bewusst einen Bruch des Reimrhythmusses herbeiführen? Es ist zu vermuten, dass der Verfasser einen besonderen Bezug zu Beinen hat, da er sie ausdrücklich erwähnt. Saß er vielleicht im Rollstuhl und hatte deswegen ein Beintrauma – verarbeitete dieses im Gedicht? Oder hatte er noch nie die Beine eines Geiers gesehen und fand sie deshalb besonders erwähnenswert? Nahm er bis zu diesem Zeitpunkt gar an, dass Geier keine Beine haben? Die eindeutige Klärung liegt derzeit noch im Dunkeln; zukünftige Erkenntnisse können hier vielleicht mehr Klarheit bringen.

Zusammenfassung

Bei diesem Gedicht handelt es sich eindeutig nicht um einen Madrigalvers, also einen jambotrochäischen Vers mit freier und wechselnder Hebungszahl, ebensowenig um einen Alexandriner mit sechshebigen Jamben mit fester Zäsur nach der dritten Hebung, am ehesten noch um ein Übergreifen einer syntaktischen Einheit. Der Poet hat mit seinem Gedicht offensichtlich bewusst vermieden, sich in eine gängige Metrik und einen gefälligen Rhythmus einordnen zu lassen. Dies wie auch das Geheimnis um die Verwendung des Wortes „Beine“ machen das Gedicht, trotz einiger offenkundiger Schwächen (s.o.), mit Recht zu einem Kleinod deutscher Kultur.


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