Diverses:Mit dem Teufel ist schlecht wetten

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Seit fast 200 Jahren lockt „Fidelio“ mit der gleichen, absurden Handlung. Die Sänger mögen andere sein, aber die Freibilleten sind immer noch ungültig.
Wenn Pamina Mundí normalerweise über die Wiener Staatsoper spricht, schwärmt sie vom farbenfrohen Schwindfoyer, erzählt über die unerreichbare Eleganz der Feststiege oder – was meistens der Fall ist – rühmt glänzende Inszenierungen und hervorragende Sänger, doch an diesem schwülen Frühsommertag gegen Ende des ersten Akts der Oper „Fidelio“ stand sie am Balkon und verfluchte ihren Entschluss, diese Vorstellungen zu besuchen. Das lag weder am Ensemble, das zwar eine sehr gute, aber keine außergewöhnliche Leistung bot, noch an der ridikülen Handlung des Stücks. Als Opernliebhaber lernte man rasch, dass das Libretto nur den Zweck hatte, möglichst viel Emotion in möglichst wenig Zeit unterzubringen. Verständlicherweise hat die Logik bei so vielen Gefühlen meistens keinen Platz mehr und bleibt daher auf der Strecke.

Schuld an der schlechten Laune der Studentin trugen vielmehr die anderen Besucher im Stehplatzbereich. Vor allem ein älterer Herr, der mindestens drei Mal so schwer war wie Pamina, glaubte, sich breit machen zu können wie ein Blauwal im Ozean und eine Duftmischkulanz ausdünstete, die durch ihre Kombination der Gerüche von getrocknetem Schweiß, billigem Deodorant, altem Fastfood sowie frischen Plastiksackerln die olfaktorische Quintessenz des Touristendaseins darstellte, hatte besonders großen Anteil daran, dass ihre Nerven blank lagen. Schon die Spielzeit des ersten Akts hatte ausgereicht, dass die Studentin begann diesen Mann mit leidenschaftlicher Hingabe zu hassen, sodass sie sich dabei ertappte, wie sie ihm andichtete, das Ergebnis einer Liaison zwischen einem Walross und einem alten Turnschuh zu sein.

Nur geringfügig beliebter als der beleibte Herr, dem bestimmte Personen eine schon fast mythische Herkunft nachsagten, war die Dame, die eine Reihe vor Pamina Platz genommen hatte, sich aber offensichtlich weigerte, die Idee hinter den Stehplätzen zu verstehen, da sie nämlich saß und zwar auf den Schuhen der jungen Studentin.

Im Gegensatz dazu war der junge, großgewachsene Herr im dunkelblauen Anzug fast schon sympathisch. Er zog es vor, einfach still vor sich hin zu schwitzen und mit seinem Kopf einen Teil der Bühne zu verdecken.

Noch während die Gefangenen auf der Bühne beklagten, wieder in die stickigen Zellen zurückkehren zu müssen, entschied sich Pamina den vermutlich noch stickigeren Zuschauerraum zu verlassen, löste die Hand, deren Haut durch den Schweiß mehr Falten geworfen hatte als ein Leinensakko nach einem Langstreckenflug, vom samtbedeckten Geländer und stürzte durch die Schwingtür, um sich nach zwei weiteren Schwingtüren im Stiegenhaus wiederzufinden, dessen Decke durch hellviolette Kassetten mit Goldrahmung geschmückt ist.

Die Studentin lief die Stufen hinab, durchschritt den frugalen Marmorsaal, der seinen Namen den Marmorbildern verdankt, die Szenen aus dem Opernalltag zeigen, vorbei an der Büste des Stümpers und Prahlhans‘ Richard Wagner, die zu Recht unauffällig in einer Ecke platziert wurde und gelangte ins Schwindfoyer, wo sie ein Glas Tonic Water bestellte.

Während die kühle Flüssigkeit das Kratzen – das für einen Opernbesucher sehr unangenehm ist, da man sich während der Vorstellung nur schlecht räuspern oder gar husten kann, ohne die Aufmerksamkeit der 2200 Menschen im Auditorium auf sich zu ziehen, vor allem wenn es sich um das letzte Drittel einer Wagneroper handelt und verzweifelt nach Zerstreuung gesucht wird, um dem Pathos und der musikalischen Belästigung zu entkommen – in Paminas Kehle erstickte, ließ die Studentin ihren Blick durch Raum gleiten, betrachtete die Büsten bedeutender Komponisten und die Büsten derer, die zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Gebäudes populär waren, aber seitdem längst in der Versenkung verschwunden sind, musterte die violette Steinverkleidung, ergötzte sich an den bunten Blumenornamenten, genoss die Gemälde, versank in der Schilderung Opernszenen.

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Applaus war zu hören. Die Türen öffneten sich und die Zuschauer strömten in die Pausenräume. Das Schwindfoyer füllte sich mit Menschen. Der Lärmpegel stieg und man sprach über die Vorstellung, wobei vor allem ältere Herren mit nostalgischem Glanz in den Augen erzählten, dass der Gesang früher besser war, auch wenn sich das höchstens über den Gehörsinn eben jener Herren sagen ließe.

Die Jugend hatte zwar nicht die Möglichkeit schwärmerisch auf Jahrzehnte alte Inszenierungen zurückzublicken, kompensierte diesen Mangel aber, indem sie die Außenwelt durch excessive Nutzung moderner Technik über die heutige Vorstellung informierte.

Während Pamina zwei junge Damen betrachtete, die abwechselnd bei der Feststiege für Photos posierten und dabei die Lippen zusammenpressten, sodass diese aussahen, als wären sie vor kurzem von einem Schwarz wütender Wespen attackiert worden, drang eine männliche, weinerliche Stimme an ihr Ohr:

Das ist fad. Hätten wir nicht einfach zum Heurigen gehen können?“ „Herr Haider, Sie wissen, dass wir aufgrund einer Einladung hier sind. Diese auszuschlagen wäre eine ein Affront gewesen,“

entgegnete eine Frau geduldig. Herr Haider schein von diesem Einwand aber nicht sonderlich beeindruckt zu sein: „Ersparen Sie mir diesen Schmarrn. Der Müller ist sowieso nicht da und der hat sicherlich gewusst, warum er nicht gekommen ist.“ „Ihnen ist bekannt, dass er einen wichtigen Termin in London hat, der sich nicht verschieben ließ.“

„Natürlich! Der Müller sitzt jetzt sicherlich beim Heurigen und lächelt dem Grünen Veltliner zu, weil wir so deppert waren, in die Oper zu gehen. Wenn er so einen Schmäh noch einmal abzieht, kann er sich die Parteispenden in den Arsch stopfen. Der soll sich nur spielen, die nächste Privatisierung kommt bestimmt und dann kann sich dieser Wuchteldrucker über’d Häuser hauen.“ „Schauen Sie, auch wenn Dr. Müller nicht da ist, schadet es nie für den Wähler präsent zu sein.“

„Welche Wähler? Die alten Säcke hier wählen die ÖVP. Da könnten die anderen Parteien vom Wahlzettel verschwinden und denen würde das nicht einmal auffallen, auch wenn ich noch so sehr auf der EU und den Ausländern herumtrample. Und von diesen linksgrünen Gutmenschinnen will ich erst gar nicht anfangen. Studieren so einen Schas wie Kunstgeschichte oder Philosophie und glauben dann mitreden oder gar Forderungen stellen zu können. Die sollen froh sein, dass wir ihnen überhaupt Geld in den Rachen schmeißen. Eine Bagage; vor siebzig Jahren hätte es das nicht gegeben,“ echauffierte sich Herr Haider und die weibliche Stimme schien von so viel Eloquenz überrumpelt zu sein, da sie es vorzog zu schweigen.

Pamina nippte an ihrem Glas und drehte ihren Kopf dabei nach rechts, um zu sehen, wem diese empörte Stimme gehörte, die versuchte mehr Vorurteile zu verbreiten als die auflagenstärkste österreichische Tageszeitung und erblickte einen älteren Herren mit braunem Haar und müden, verquollenen, blauen Augen.

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Das rundliche Gesicht wurde von einem riesigen Zinken dominiert, dessen Spitze allerlei geplatzte Äderchen als Zierrat trug – Zeugnisse einer innigen Liebe zum Alkohol. Seine Hände, an denen kurze, fette Finger steckten, umklammerten eine Flasche Bier als wäre diese sein einziger Freund in der unbekannten Welt der Opernliebhaber. Sein Körper war klein; selbiges ließ sich auch über seinen Bauch sagen, der aber dennoch vorhanden war und sich gegen den Zwang des Gürtels währte, indem er über diesem hervorquoll.

Der Besitzer dieses Bauches, dessen Existenz allzu oft auf kugelsichere Westen geschoben wurde, die man aus Sicherheitsgründen bei öffentlichen Auftritten tragen müsse, hieß mit vollem Namen Heinz Haider. Er sah sich selbst als Retter der Republik, als pater patriae, glaubte der einzig wahre Patriot in der Politik zu sein und die Mitte des Volkes, den einfach Mann, zu vertreten.

Zumindest versuchte er sich so in der Öffentlichkeit zu präsentierten, aber Pamina bezweifelte, dass jemand, der der Obermufti eines rassistischen Korruptionsstadls ist, sich gleichzeitig als Bereicherung für die österreichische Politik sehen kann. Doch nicht nur der jungen Studentin ist die Anwesenheit des Politikers aufgefallen.

Eine ältere Dame, deren adipöser Körper nicht den Eindruck erweckte, als hätte sie Probleme mit ihrer Pension über die Runden zu kommen, näherte sich Heinz Haider und bat diesem um ein Photo. Der Politiker gab sich plötzlich ganz staatsmännisch und lächelte sogar, insofern man die willkürliche Verkrampfung einiger Gesichtsmuskeln als Lächeln bezeichnen kann. Natürlich durfte auch der obligatorische Händedruck nicht fehlen.

Es blitzte auf. Die Dame bedankte sich höflich, um dann ohne Überleitung kurz gegen die faulen Ausländer zu hetzen, die angeblich schuld daran wären, dass sie als Beamtenwitwe nur so wenig Pension bekomme. Haider nickte brav, warf ein, dass diese unnützen Asylwerber wirklich eine Plage seien und die Bonzen in Brüssel – er hatte ein Faible für geographische Bezeichnungen: So stand die Ostküste bei ihm für alles, was auch nur im Entferntesten mit den USA zu tun hatte und Teheran wurde als Synonym für alle radikalislamischen Tätigkeiten verwendet – nicht verhindern würden, dass das bankrotte Griechenland sich davor drücke, sich um alle ankommenden Flüchtlinge zu kümmern.

Beruhigt, dass ihre rassistische Position zumindest von einer Person im Nationalrat geteilt wurde, verschwand die beleibte Dame wieder in der Menge. Der Politiker schien wiederum vom Treffen nicht sonderlich angetan gewesen zu sein und konstatierte knapp: „Blade Sau

Das Schwindfoyer. Auf diesem Photo ohne die üblichen Besuchermassen
„Herr Haider, nicht so laut,“ erwiderte seine Begleitung. Er maß diesem Einwand aber keine große Bedeutung bei: „Ist doch wahr. Sie ist eine blade Sau. Das soll sie ruhig hören. Die macht das Kreuzerl sowieso höchstens beim Schweinsbraten und zwar in der Kantine.“ „Wir können trotzdem keine schlechte Publicity gebrauchen. Die Zeitungen würden sich darauf stürzen. Seit der Sache mit Herrn Doktor Fürst wartet man nur darauf, dass wir wieder ins Fettnäpfchen treten. Passen Sie bitte auf.“

„Ist doch wurscht. Diese linksgrünen, intellektuellen Revolverblätter schreiben doch, was sie wollen. Ich verstehe die ganze Aufregung sowieso nicht. Glauben die Leute wirklich, dass der Fürst von den achttausend Euro leben kann, die er als Abgeordneter zum Nationalrat erhält? Da kann er ja gleich putzen gehen. Gut, er ist dritter Nationalsratspräsident. Das ist noch ein Tausender mehr, der das Kraut aber auch nicht mehr fett macht. Seit dieser Haufen von rotschwarzen Blockierern in der Regierung sitzt, schachern die sich gegenseitig die lukrativen Posten zu. Da ist es doch kein Wunder, dass der Fürst sich etwas dazu verdient, indem er die Interessen von ein paar Freunden, die zufälligerweise im Aufsichtsrat eines großen Unternehmens sitzen, unterstützt. Und die Sache mit der Stiftung ist auch verständlich. Niemand zahlt gerne Steuern. Der einzige Skandal ist die Heuchelei der Journalisten, aber darüber regt sich niemand auf,“ erläuterte Haider und nuckelte danach an seiner Bierflasche.

Die Begleitung schwieg betreten. Pamina starrte den Politiker einige Augenblicke lang fassungslos an, staunte über diese Ignoranz und wollte sich wieder abwenden, doch es war zu spät. Haider fixierte sie mit seinem Blick und begann: „Stimmt’s oder habe ich Recht. Als Politiker muss man heutzutage einfach sein Glück selbst in Hand nehmen. Mit Fleiß und Ehrlichkeit kommt man höchstens in den Gemeinderat. Sehen Sie, meine Liebe, ich nehme ein Glück jetzt selbst in die Hand. Sie füllen ihr Kleid zwar nicht wirklich aus, aber bei dem feschen Gesicht ist das keine Schande. Wissen’s, wenn die Augen hübsch sind, können die Dutteln ruhig klein sein und Ihre braunen Augen-“

Bajazzo oder Politiker? Die Antwort auf diese Frage ist nicht immer einfach
„Herr Haider, das ist sexuelle Belästigung! Sie können nicht einfach das junge Fräulein belästigen,“ entfuhr es seiner sichtlich schockierten Begleitung. Pamina wollte an dieser Stelle einhaken, aber Haider kam ihr zuvor:

„Das ist doch keine Belästigung. Ich habe der Dame doch nur ein Kompliment gemacht. Sie ist halt ein fesches Madl.“ An dieser Stelle machte er eine kurze Pause, wandte sich Pamina zu und lächelte sie an: „Sie sind nicht von hier, oder? Verstehen Sie mich überhaupt? Ach, was soll’s; ist sowieso schon wurscht. Wenn alle Ausländer so hübsch wären wie Sie, bräuchten wir niemanden mehr abschieben.“

Das Glas wurde ruckartig angehoben. Die bittere Flüssigkeit, die ihren Namen der Verwendung als Malariaprofilaxe in den Kolonialarmeen verdankte, benetzte das Gesicht und den Anzug des Politikers. Pamina reckte ihren rechten Zeigerfinger wider den kleinen Mann und sprach:

Ich vernahm die Worte eines Idioten, sah die Gestalt eines Bajazzos und doch stand ein Politiker vor mir. Es ist eine Menschheitsplage, dass Narretei salonfähig ist, doch in den Nationalrat sollte sie nicht einziehen, wobei es mir verharmlosend erscheint nur beim Clownvergleich zu bleiben, denn dem Toren, den ich vor mir sehe, war es zu ennuyant nur mit Torten zu schießen, weshalb er es vorzog mit Schicksal eines Volkes zu spielen. Man sollte ihn „Narziss im Paillettenkostüm“ nennen, sodass jeder seine ridiküle Selbstliebe von Beginn an verstünde und man über seinen Hass lache, seine Intoleranz verspotte. Denken Sie an meine Worte, Herr Haider. Noch mögen Sie aus dem Mund einer Venezolanerin kommen, doch irgendwann werden Sie sie auch vom österreichischen Volk hören.“

Sie verließ den Raum durch eine Seitentür, vernahm aber noch wie der Politiker sich echauffierte: „Das ist ein Skandal. Was erlaubt sich diese Schlampe?“ „Ich würde mit dem Teufel wetten, dass sie genug von Ihnen hatte,“ erklärte die Begleitung gereizt. Herr Haider zeigte sich von dieser Kritiker aber nur wenig beeindruckt: „Mit dem Teufel ist schlecht wetten, meine Liebe, daher mache ich Geschäfte mit ihm.“

Pamina durchschritt den Bogengang, der zur Feststiege geöffnet ist, betrachtete das Relief mit dem Schriftzug „OPERA“, ließ den Blick über die Marmorfiguren gleiten. Am Balkon angekommen, merkte sie, dass der der beleibte Herr sowie die Dame, die Idee hinter den Stehplätzen nicht verstanden hatte, gegangen waren. Die Studentin stellte sich neben den Herrn im dunkelblauen Anzug, der aber nicht nach Schweiß und billigem Deodorant, sondern nach Sandelholz und Zigarren roch. Das Licht im Zuschauerraum erschloss und der zweite Akt begann.

Als Pamina nach einiger Zeit den Blick über die Logen schweifen ließ, entdeckte sie Heinz Haider, der zusammengesunken im Sessel döste und auch noch schlief als die Gefangenen den Sturz des Despoten bejubelten. Erst als sich der Vorhang schloss und das Publikum zu klatschen begann, erwachte der Politiker, fiel vom Sessel und stieß sich, als er am Boden aufprallte, den Kopf.

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Dieser Artikel aus den Namensräumen „Diverses“ oder auch „Spiegelwelten“ besitzt aufgrund seiner Qualität die Urkunde „Schatzkistentauglich“ und wird daher im Portal Rumpelkiste gelistet.
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