Diverses:Kirchgang mit der Familie

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Wer geht heutzutage denn noch in die Kirche, dachte sich Jannis. Es war Heiligabend und wie jedes Jahr zwangen ihn seine Eltern, mit in die Kirche zu kommen. Und schon dieses eine Mal im Jahr war Jannis eigentlich zu viel. Diese lächerliche Inszenierung des eigenen Glaubens und der guten Laune. Er ging davon aus, dass jeder seiner Verwandten sich einen Dreck um Gott scherte und sie Weihnachten eigentlich nur in die Kirche gingen, um ihr Gewissen zu beruhigen. Was noch viel ätzender war: Weihnachten ging die Familie die zwei Kilometer zur Kirche immer zu Fuß. Nur die Oma wurde mit dem Auto gefahren und es hatte die letzten Jahre immer wieder ausufernde Streitereien zwischen Jannis‘ Vater und seinem Onkel gegeben, wer die Oma denn nun zur Kirche fahren darf. Denn zu Fuß gehen wollte eigentlich niemand. Aber auch diese Tradition gehörte dazu und wurde aufrechterhalten. Auf dem Weg zur Kirche wusste Jannis nie, mit wem er sich über was unterhalten sollte. Er beantwortete ein paar Fragen seiner Tanten ausnahmslos mit „ganz gut“ und freute sich, wenn er endlich die Kirche sah, obwohl er das eigentlich gar nicht wollte. Wie die Schule laufe? Ganz gut. Und der Fußball? Ganz gut. Schön, doch wie war der letzte Urlaub? Eigentlich auch ganz gut. Oh das sei ja supertoll und wie man sich doch freue, dass es bei Jannis alles tip-top läuft! Um noch einen Sitzplatz zu bekommen, musste man schon gute 45 Minuten vor Beginn des Gottesdienstes in der Kirche sein. Dieses Jahr hielten der Onkel und die Oma Jannis und seiner Familie die Plätze frei. Als Jannis die Kirche betrat, sah er seine Oma gerade wild mit den Krücken fuchtelnd einen Mann aus der Sitzreihe vertreiben. Auf dem Liederzettel waren neun Lieder angekündigt. Neun Lieder. Plus Abendmahl. Plus Krippenspiel. Plus Predigt. Würde Jannis heute noch seine Geschenke aufmachen können? Er bezweifelte es. Ein Blick durch die Sitzreihen offenbarte so manches bekanntes Gesicht. Doch sich jetzt an sieben Verwandten vorbei aus seiner Sitzbank zu quetschen, um Freunde zu begrüßen? Jannis rief einfach den Namen eines Kumpels und winkte ihm zu. Noch war es sowieso recht laut in der Kirche. Auch wenn es schon kurz nach 17 Uhr war, betraten noch ein paar Nachzügler das Gebäude und es ging noch nicht los. Jannis drehte sich um und sah eine Freundin, auf die er schon lange stand. Gerade als er nach ihr rief, wurde es schlagartig still in der Kirche, weil die Pastorin sich in Richtung Altar begeben hatte. Das hatte Jannis in diesem Moment jedoch nicht bemerkt, da er mit dem Rücken zum Altar gedreht war. „Hey, hey Nina!“ – es war mucksmäuschenstill. Jannis konnte die Blicke der gesamten Kirche auf sich spüren. „H..Hi, hi.“, stammelte er und setzte sich schnell wieder hin. Nina entlockte sich ein krampfhaftes Lächeln und blickte danach beschämt zu Boden. Irgendwo aus dem hinteren Bereich der Kirche kam ein lautes „Whooooop, whoooop.“ und einige Kirchenbesucher begannen zu lachen.

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Die Pastorin begrüßte die Gemeinde und ein Orgelstück wurde gespielt. „Do they know it’s Christmas“, eigentlich ganz cool sogar. 30 hypernervöse Kinder aus dem Gemeinde-Kindergarten betraten währenddessen die Bühne, begleitet von zwei hektischen Erzieherinnen, die sich offenbar einen genauen Plan überlegt hatten, wie die Kinder stehen sollten und diese nun an den Armen hin und her auf ihren Positionen zerrten, während die Kinder verunsichert ihre Eltern im Publikum suchten und mögliche Heulkrämpfe nur knapp unter Kontrolle hielten. Die Orgelmusik verstummte und drei der Kinder traten in ihren liebevollen Kostümen aus der Masse hervor. Der Junge in der Mitte sagte: „Hallo, wir sind die drei Weißen aus dem Morgenland.“ und drehte sich direkt zu seiner Erzieherin um, um zu sehen ob er alles richtig gemacht hatte. Diese nickte ihm wackeldackelartig zu. Ein Baby begann zu weinen. „Ich bin Balthasar. Und das sind Caspar und Melchior.“, sagte ein Mädchen, während es auf seine beiden Königskollegen zeigte. Das Baby weinte immer noch, erste Leute zischten die Mutter des Kindes bedrohlich an, welche daraufhin mit dem Kind erst mal die Kirche verließ, um es zu beruhigen. Die Kinder auf der Bühne spielten beeindruckend unberührt weiter und leierten ihren Text herunter. Könige, die nach Bethlehem zogen, zwei Kinder die Esel und Rind spielten und einfach nur so rumstanden und ein Engel, der über die Bühne hüpfte und damit eine perfekte Illusion des Fliegens schuf, ehe er sich an die Kirche wandte und sagte: „Es ist ein Heiland geboren!“. „Die Oma ist eingeschlafen.“, flüsterte Jannis seiner Schwester zu, welche daraufhin die Oma weckte. Diese schreckte hoch und plapperte ein laut hörbares, ertapptes „Amen!“ in den Monolog des tapferen Engels. Dieser war sichtlich zitternd darum bemüht, die Arme theatralisch zu bewegen, anstatt sie einfach nur wie zwei nasse Waschlappen am Körper runterhängen zu lassen. Die Mutter mit dem Kind kam wieder in die Kirche. Das Baby begann wieder zu weinen. Der erste Teil der Weihnachtsgeschichte war vorbei und ein Frauenchor betrat die Bühne, um gemeinsam mit der Gemeinde „Stern über Bethlehem“ zu singen. Dem Alter nach, hatten sich die meisten Chormitglieder wohl auf dem Friedhof am Grab ihrer Männer kennengelernt, dachte sich Jannis. „Und 1.. 2.. 3..“ – der Organist spielte nun Keyboard und gab dem Lied damit einen modernen, peppigen Touch. Währenddessen beobachtete Jannis die Mutter des schreienden Babys, welche erneut aufgestanden war und dem Hausmeister gerade offensichtlich eine Frage stellte. Dieser zuckte mit den Schultern und ging zur Pastorin an den Altar. „Die Frau fragt, ob sie in einer Kirche stillen darf.“ Das Mikrofon war noch nicht aus. Schallendes Gelächter übertönte den ersten Versuch des Chores in die erste Strophe zu starten. „Und nochmal. Und 1.. 2.. 3.. Stern über Bethlehem zeig uns den Weeeeeg. Führ uns zur Krippe hin, zeig wo sie steeeeht.“ Das Lied war für hohe Stimmen ausgelegt. Jannis‘ Vater und sein Onkel erzeugten jedoch ein sonores Brummen, was die hohen Frauenstimmen schön unterlegte. Jannis war sich nicht mal sicher, ob die beiden den Text mitsangen, oder einfach nur basstriefend vor sich hersummten. Jannis selber bewegte zumindest nur die Lippen. Singen war ihm zu anstrengend, er wollte lieber zuhören.

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Zwei weitere Lieder folgten, ehe die Kindergartengruppe ihr Krippenspiel fortsetzte. Die Rolle des Esels sei dem kleinen Lukas aber wirklich wie auf den Leib geschneidert, hörte Jannis seine Mutter sagen. Unter lautem Klatschen wurde letztendlich die Geburt Jesu bekannt gegeben und die stolzen Eltern, Josef und Maria, hielten die Puppe wohlbehalten in ihren Armen. Das letzte Lied vor dem Abendmahl sollte "Stille Nacht" sein. Für Jannis bedeutete das: Powernapping, um anschließend erstarkt zum Abendmahl übergehen zu können. "Mehr gibt's heute Abend auch nicht mehr!", scherzte sein Vater, wie er es jedes Jahr tat, wenn die Oblaten verteilt wurden. Dies war einer seiner vier Witze, die er vielleicht im Repertoire hatte. Seit mindestens 15 Jahren. Vermutlich hatte er seit der Geburt von Jannis keinen einzigen anderen Witz mehr erzählt, sondern nur noch auf Situationen gelauert, in denen er diese vier Väterwitze einbringen konnte. Dazu gehörte zum Beispiel auch: "Ich mag Bayern München nicht." - "Hast du sie denn schon mal probiert?" oder "Was gibt's zu Essen?" - "Gebratenen Jannis am Spieß!". Die Oblaten in der Hand, wurde der Wein verteilt. Je näher die Pastorin an Jannis und seine Familie kam, desto näher rückte der peinlichste Moment des Abends. Jannis' Onkel bekam den Wein gereicht. Doch anstatt einfach zu schlucken, begann dieser zu gurgeln und die einzelnen Geschmacksaromen aus dem Wein herauszukitzeln, ehe er diesen wieder in den Kelch spuckte. "Lidl, Wein aus der Tüte.", sagte Jannis' Onkel, ohne mit einer Wimper zu zucken. "Nächstes Jahr gehen wir nicht in die Kirche.", zischte Jannis' Mutter von weiter rechts. Danke lieber Gott, danke, dachte sich Jannis.

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