1 x 1 Bronzeauszeichnung von Mixtli

Diverses:Florenz sehen und sterben

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Das Leben ist so unendlich lang. Oftmals viel zu lang. Ich habe zwar schon von Menschen gehört, die sich über die Kürze des Lebens beklagen, aber das kann ich nicht bestätigen. Das Leben ist auch unglaublich langweilig. Langweilig in allem: Jeder Atemzug steigert die innere Langeweile ins Unendliche.
Das Leben ist lang und langweilig. Lang und langweilig sind zwei ganz besondere Wörter, die sich beide die Vorsilbe „lang“ teilen. Nun mag man sich wirklich fragen, wie langweilig jemandem sein muss, dass er sich mit Vorsilben von Adjektiven beschäftigt.
Die Antwort ist genauso natürlich wie normal. Womit zur Hölle soll man sich denn sonst beschäftigen, wenn man unter der Erde liegt?
Nein, ich bin nicht tot, oder eher: noch nicht. Wenigstens ist mein nackter Körper nicht allein: Die Unterhose gibt mir ein Gefühl von Geborgenheit und Zweisamkeit. Die Unterhose, welche nicht meine eigene zu sein scheint und einen eigenartigen Geruch von faulen Eiern an meine Nase sendet. Immerhin habe ich so noch etwas zu riechen. Seit einiger Zeit schon sehe ich nichts mehr, was entweder an der Dunkelheit, die mich umgibt, oder an der Unterhose, die meine Augen bedeckt, liegt.
Das ist hier doch alles zum Kotzen! Diese Öde macht mich krank. Ich hätte niemals in die Toskana fahren sollen, weil ich nicht schon wieder in den Schwarzwald wollte. Wäre ich doch daheim geblieben. Ich hätte niemals nach Florenz fahren sollen, mit der Annahme der Schiefe Turm läge in Florenz und Pisa sei sein Baumeister.

Die Stadt ist aber ohnehin nicht schön. Gigantische Touristenmassen wälzen sich an kitschigen Renaissancegebäuden vorbei, ganz begierig darauf, überteuerten Eintritt für eine Kirche zu bezahlen, deren Inneneinrichtung an Schlichtheit selbst eine protestantische Kapelle in Süditalien übertrifft.
Das ist so kitschig; ich kriege Pickel auf den Augen

Dann stehen überall in dieser beschissenen Stadt Statuen von bedeutenden Personen herum, von denen ich nur einen Bruchteil kenne. Einer zum Beispiel heißt wie eine mysteriöse Sendung auf ProSieben. Vinci heißt die glaube ich. Schlimmer aber als die Statuen sind die dreisten Menschen dazwischen, welche sich als Statue verkleiden und Passanten mit ihren Schalen, in die man offenbar Kleingeld legen soll, erpressen.
Der Urlaub war also von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Die Hitze die aus dem Himmel auf meinen Kopf prallte ließ in mir das heiße Verlangen nach einem kühlen Eis wachsen. Doch heißt Eis auf Italienisch weder Eis noch Ice cream, so dass ich erst einige Zeit suchen musste, bis mir klar wurde, dass man in Gelaterien nicht gekochte Schweineknochen sondern Eis kauft. Nun gibt es in Florenz an jeder Straßenecke mindestens drei Gelaterien so dass dem Touristen die Suche nach einem Eis sehr einfach gemacht wird. Ich aber wollte kein Eis dort holen, wo alle ihr Eis holen, ich wollte kein überteuertes Eis, ich wollte etwas Besonderes. Dieser Wunsch nach dem ultimativen Eis entführte mich in die Randbezirke Florenz, wo man weniger Touristen sieht, dafür umso mehr Eingeborene.
Endlich hatte ich ein Eiscafe gefunden. Wobei Cafe zu viel gesagt ist. Ich hatte einen Ort mit Eis gefunden. Es lagerte in einer kühlen Halle in großen Truhen und ist für Selbstbedienende gedacht. Offenbar wurde hier das Eis für ganz Florenz hergestellt. Wofür gewöhnliche Touristen oft viele Euros an den Abzocke-Gelaterien lassen, gebe ich lediglich zwei Euro, welche aber auch nicht auf einem Schild verordnet sind. Dafür interpretierte ich dies alles als All-you-can-eat – Situation und lange mit einem Esslöffel nach dem Inhalt einer Truhe, welchen ich für Erdbeereis hielt. Doch meine feurigen Erwartungen wurden bald durch die eiskalte Wahrheit enttäuscht. Ein fader Fischgeschmack machte sich auf meiner Zunge breit. Mir wurde sofort schlecht.
Und jetzt liege ich unter der Erde, mit einer Unterhose im Gesicht und warte. Doch wofür ich warte weiß nicht. Ich warte darauf, dass mir einfällt worauf ich warte. Bis dahin stelle ich die schreckliche Langeweile des Lebens fest.
Es stellt sich nun die Frage, wie ich unter die Erde gelangte. Das Problem ist aber, dass ich es nicht genau weiß. Ich weiß aber, dass ich nicht Archäologe in den Sumpfgebieten des Arno gespielt habe und feststellen musste, dass der Schlamm abrutschte. Die Idee ist mir eben mal eingefallen. Ich bin mir auch sicher, dass ich nicht Opfer der italienischen Fisch-Mafia wurde, welche mich für den Eishandel strafen wollte.
Nach dem schrecklichen Eiserlebnis, welches sich in den letzten drei Stunden traumatisch in mein Gedächtnis eingebrannt hat, ging ich in eine Bar drei Häuser weiter um mir den Geschmack aus dem Mund laufen zu lassen. Die Region sagte mir mehr zu als das Zentrum von Florenz, da man hier wenigstens nicht damit rechnen musste über andere Touristen zu stolpern, die auch verzweifelt einen krummen Turm in Florenz vermuten. Man hat sich die italienischen Vorstädte wie folgt vorzustellen: Im Zentrum, neben der maroden Autobahnausfahrt, ist ein Bauunternehmen plaziert, dessen Sortierung verrät, dass seine besten Zeiten in der Vergangenheit liegen. Dann gibt es noch vereinzelt Geschäfte oder Fabriken. Abgerundet wird das Ganze durch Beton-Sklette von Hochhäusern, welche ein gewisses „Ostblock-Flair“ vermitteln. Die florentinischen Vorstädte haben aber noch eine Besonderheit, so glaubte ich. Ich vermutete an einem Ort ein Freibad, dessen Wasser zwar nicht eingelassen, das Schlammbecken aber voll funktionstüchtig schien. Da niemand einen Eintritt verlangte, es war ohnehin menschenleer, setzte ich mich, nachdem ich mich entblößte, in das Schlammbad und genoss die wohltuende Wärme des wohltuenden Schlamms in der sich drehenden Wanne. Es hätte alles so schön sein können, wenn nicht eine Unterhose, welche gerade, wie es in Italien nicht ungewöhnlich ist, durch die Luft flog, und sich in mein Gesicht setzte. Ich wollte rasch aufstehen, musste dann aber eine fatale Fehleinschätzung feststellen. Offenbar hatte ich Beton und Schlamm verwechselt. Die Wanne kippte dann und ich fiel in das leere Schwimmbecken.
Jetzt liege ich unter der Erde und warte auf mein Ende. Alles ist die mangelnde Bausicherheit in Italien Schuld. Niemals nach Italien. Wer den schiefen Turm sucht, sollte vielleicht mal in Rom schauen. Für mich aber heißt es nun: Florenz sehen und sterben.


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