3. Platz beim 23. Stupid Contest1 x 1 Goldauszeichnung von Sky

Kontaktanzeige

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Warum auch immer dieses Mädchen den Playboy liest, es ist nicht wegen der Kontaktanzeigen.

Unter einer Kontaktanzeige versteht man in der modernen Literaturwissenschaft eine populäre Textsorte der Liebeslyrik, welche aufgrund chronischer Ablehnung durch die renommierten Verlaghäuser fast ausschließlich in Zeitungen - oder seit längerem auch im Internet - veröffentlicht wird. Charakteristisch für eine Kontaktanzeige ist ihre Kürze (meist um die 20 Wörter), ihr meist sehr einfacher Satzbau und die häufige Verwendung von (meist positiv konnotierten) Adjektiven. Als berühmtester Autor gilt der Berliner Pensionär Karl-Heinz Mischborn, der seit 1995 über 200 Kontaktanzeigen in diversen Berliner Tageszeitungen veröffentlicht hat.

Inhaltlich gleicht die Kontaktanzeige oft einem verzweifelter Hilfeschrei von einer einsamen Insel, der Autor hofft, sein Schrei würde von irgendeiner hilfsbereiten Seele in den Weiten des Orbits wahrgenommen werden, die den einsamen Poeten von seiner Einsamkeit und Hilflosigkeit befreit. Aber die Hoffnungen darauf sind aber meist vergeblich. Und wenn er doch mal jemanden findet, der die schönen Worte aus den grauen Anzeigenblöcken bundesdeutscher Tagesszeitungen rezipiert, entspricht der/diejenige – wie der Freitag in Robinson Crusoe - selten den eigenen Vorstellungen. Dafür entspricht der Autor aber auch genauso selten der eigenen Beschreibung.

Hintergrund

Kontaktanzeigen entstehen aus der Verzweiflung heraus. Die Autoren und Autorinnen haben ein gewisses Alter erreicht, sodass in der Disko für nur noch für Polizisten in Zivil gehalten werden. Sie müssen sich jetzt also dem Verfassen von Inseraten widmen, um auf diese Weise einen Lebens- und Bettgenossen zu finden. Die Hoffnung, noch mal ein junges Ding aufzureißen, muss man auch schon lange aufgeben haben, denn die Jugend liest ja schon lange keine Zeitung, und wenn dann nur den Boulevard- oder den Sportteil. Und surft auf anderen Seiten.

Die Autoren können von ihrer Kunst nicht leben, ganz im Gegenteil, sie zahlen sogar noch für die Veröffentlichungen ihrer Werke. Empirisch wird verglichen, wo der Quadratzentimeter Inseratfläche denn am günstigsten ist. In der Regel bleibt also wenig Platz zur Entfaltung der eigenen poetischen Fähigkeiten. Hier liegt der Reiz der Kontaktanzeige. Nur wer kurz, prägnant und doch charmant ist, hat überhaupt eine Chance, dass sein Schriftstück auf jedwede Art von Anerkennung trifft. Und ein Goethe ist in den meisten Inseratschreibern eh nicht verloren gegangen. Der hatte allerdings auch ohne Kontaktanzeigen genug Erfolge beim anderen Geschlecht vorzuweisen.

Da den Autoren also oft die Wortgewalt eines Goethe fehlt, kommt es all zu oft vor, dass die 1-2 Sätze, die das minimalistische Genre der Kontaktanzeige ihnen gewährt, nur allzu standardisiert, ja fast einheitlich erscheinen. Das individuelle Leiden, die ausweglose Situation, ja die amouröse Agonie des Verfassers ist dann nur noch für besonders einfühlsame Zeitgenossen zu erkennen. Eine klassisches Inserat liest sich also zum Beispiel wie die Folgende.

„Junggebliebener, gutaussehender Schwiegermuttertraum, Interessen Sport, Kultur, Theater und Golfspiel, sucht vom Himmel gesandte Haushaltshilfe , um die Kondome loszuwerden, die schon seit Ewigkeiten unter dem Bett liegen. “

Kontaktanzeigen im Internet

Ab und zu besticht die Kontaktanzeige auch durch ihren anachronistischen Humor.

Anfangs verzichteten viele Autoren auf die Veröffentlichung ihrer Anzeigen in den Untiefen des World Wide Webs. Dies hat nichts mit technischem Unverständnis zu tun, nein, ganz im Gegenteil. Auf vielen Seiten sind ihre Werke nur einen Klick weit entfernt von Inseraten sexgesteuerter Hedonisten, die nur auf der Suche nach One Night Stands und ähnlichen Kurzbeziehungen sind. Damit will der normale Kontaktanzeigenpoet nichts zu tun haben, es ekelt ihn förmlich an. Er versucht, durch seine Poesie nur eine genau so von der Schönheit der Worte überzeugten Partner zu finden. Erst in letzter Zeit, als man merkte, dass auch ein Teil der Zielgruppe sich Richtung Internet bewegte, zog man nach und veröffentlicht postet nun seine Anzeigen. Neben den anderen. Iss billiger.

Eine ganz andere Art der digitalen Partnersuche ist das Einstellen von Videos auf diversen Erotikportalen mit eindeutigen Titeln. Hierbei zeigen sich meist Frauen in knapper bis gar keiner Bekleidung und hauchen lustvolle Worte dem Zuschauer entgegen, dass sie doch einen Partner suchen würden. Das ist natürlich lyrisch meist nicht besonders wertvoll, weswegen die Autor(inn)en solcher Videos auch als absolut ehrenlos angesehen werden und den Ruf des Genres herunterziehen. Außerdem weiß man nie, ob es sich um eine erst gemeinte Kontaktanzeige handelt oder doch nur ein Produkt der Pornoindustrie. Blöderweise besteht die Zielgruppe auch noch majoritär aus masturbierenden Minderjährigenden, die die meisten ja doch nicht ansprechen wollen. Zudem beschweren sich die wenigen Glücklichen, die auf dieses Weise einen Partner finden, sie würden auf ihre äußeren Werte reduziert.

Die Leserschaft

Natürlich mag man auf den ersten Blick meinen, die meisten Kontaktanzeigen läsen sich so abwechslungsreich wie die Instruktionen für einen 9-Live-Moderator. Trotzdem füllen alle nennenswerten Tageszeitungen immer einige Seiten ihres recycelten Premiumpapiers mit ebenjenen Kontaktanzeigen. Es muss also Menschen geben, die sich gierig auf die neuesten Werke ihrer Lieblingsautoren stürzen. Sich eine Lupe schnappen, ihre Lesebrille aufsetzen, und damit die in Schriftgrad 10 gedruckten Kontaktanzeigen ob ihres Inhaltes vergleichen. Sie überlegen, ob sie sich eher von einem „charmanten, attraktiven Endvierziger“ oder doch lieber von einem „sportlichen, humorvollen Witwer“ angezogen fühlen.

Die Schwierigkeit dieser Aufgabe wird hierbei unterschätzt. Hier muss der Leser aus einem winzigen kleinen Sätzchen versuchen, die gesamte Persönlichkeit des Autors aus seinen wenigen Worten zu rekonstruieren. Der zumindest so viel, um eine Entscheidung zu fällen, ob es sich lohnt, seine wertvolle Zeit diesem Menschen zu widmen bzw. seine Nummer zu wählen.

Dabei kommt noch das psychologische Moment der Ungewissheit hinzu. Das Angebot ist gigantisch, aber wie groß ist die Konkurrenz. Wie viele willige Traumpartnerinnen werden schon Kontakt mit der zehnten Kontaktanzeige in der dritten Spalte aufgenommen haben, die man so wunderbar fand. Und sollte man die besonders sparsamen Anzeigen besonders berücksichtigen, weil sie darauf schließen lassen, dass der Inserent durch Zurückhaltung brilliert und sich ganz auf die Kraft seiner Worte verlässt... Kann man das ohne einen Magister in Psychologie überhaupt ernsthaft entscheiden? Das aufmerksame Studieren von Kontaktanzeigen erfordert also enorme Zeit und auch Aufwand,

„Gutaussehender, charmanter Selbstständiger sucht junge Frau für schöne Abende“

Die Zeit dazu haben sie ja. Wer nämlich solche Kommunikationsanzeigen studiert, der hat für gewöhnlich keinen Lebensgefährten, um den er sich kümmern muss. Und sobald er einen solchen hat, fängt man meist schlagartig wieder an, Politik- und Wirtschaftsteil des Blattes zu lesen. Die Inspiration zu neuen literarischen Meisterwerken schwindet schlagartig. Und sollten man dennoch weiterhin bei den Kontaktanzeigen bleiben, dann tritt nicht selten wieder Fall 1 in Kraft. Ein interessanter Kreislauf.

Der Wahrheitsgehalt

Kunst hat nie die Absicht, einfach nur die schnöde Wahrheit hinzuklatschen. Dafür gibt es Nachrichtensendungen. Kunst dramatisiert, beschönigt, poetisiert, romantisiert. Genauso bei der Kontaktanzeige. Will man sportliche Menschen sehen, so empfiehlt es sich, auf einen Fußballplatz zu gehen. Will man humorvolle Menschen sehen, dann wäre ein Ausflug in die Komödie nicht von Nachteil. Aber eine solch hohe Anzahl von Leuten, die diese beiden Eigenschaften miteinander verbinden, findet man eigentlich nur bei den Kontaktanzeigen.

Hier sind ALLE humorvoll und sportlich und erwarten selbiges natürlich auch von dem auserwählten Partner. Das einzige, ja das Kernproblem der Kontaktanzeige ist hierbei, dass viele Leser den künstlerischen Anspruch eines Inserats vergessen, und den Inhalt für bare Münze nehmen. Bei einer Kontaktanzeige sollte man von vornherein wissen: Das einzige Wort, dass buchstäblich zu nehmen ist, ist das Wort "sucht".

Das merkt man immer wieder, wenn man den Reizen der Kontaktanzeige folgt und sich auf ein Rendezvous mit dem Autor einlässt. Es entstehen schnell fast philosophische Divergenzen, was denn genau unter dem Begriffen Humor und Sport zu verstehen ist. Der eine hält trotz seiner poetischen Fähigkeiten Mario Barth für den Stern am Komikerhimmel, der andere hält einen Tagesbedarf an Bewegung mit dem Gang täglich zum Briefkasten für gedeckt.

Noch krasser ist es bei Beurteilen der eigenen Physis. Geschmack ist bekanntlich subjektiv, aber für gewöhnlich werden Bierbäuche oder Botoxgesichter nicht unbedingt attraktiv empfunden. Und wer Deo konsequent boykottiert und den Rasierer nur einmal im Monat sieht, muss sich nicht zwangsläufig als "gepflegt" bezeichnen. Besonders unvorteilhalft wirken diese Merkmale allerdings, wenn der Inserent allzu übertrieben sein Äußeres preist. Man muss sein Licht ja nicht unter den Scheffel stellen, aber allzu dreistes Beschönigen hilft auch nicht. Man soll Menschen ja nicht dem Äußerem beurteilen, aber wer zu sehr in der Kontaktanzeige lügt romantisiert, hat auch gleich eine eindeutige Visitenkarte seiner inneren Werte abgeben.

Wer es sich leisten kann oder über entsprechende Mäzene verfügt, der verbreitet seine Werke meist wesentlich öffentlichkeitswirksamer als in Zeitungen.

Peinlich wird das beim Rendezvous, wenn man nach einem Brad Pitt Ausschau hält und nur einen älteren Otto Normalautor findet, der nervös im Raum herumguckt. Leider liegen noch keine genauen Statistiken darüber vor, wie viele Dates auf diese Art und Weise schon geplatzt sind, weil sich die Protagonisten einfach nicht gefunden haben. Kommt dann aber doch mal ein Date zustande, entstehen allerdings erstaunlich viele Beziehungen daraus. Das könnte aber auch einfach nur daran liegen, dass die Erwartungen von Autoren und der Leserschaft so heruntergeschraubt sind, dass sie einfach den nächstbesten Partner nehmen.

Rezeption

Autoren von Kontaktanzeigen sind arme Schweine. Nicht nur sind sie einsam und allein, auch ihre Kunst wird verlacht. In den renommierten Literaturzirkeln werden sie nicht mal verlacht, sondern schlicht durch Nichtbeachtung gestraft. Noch nie wurde das Studium ihrer Anthologien von Marcel Reich-Ranicki empfohlen, und noch nie wurde eine Kontaktanzeige im Deutschunterricht behandelt, nie wurden sie zu öffentlichen Lesungen eingeladen. Die Autoren verlassen sich einzig allein auf eine unspezifische Leserschaft, und hoffen, diese würde die Zeitung nur ihretwegen kaufen.

Von einer einheitlichen Kontaktanzeigenszene kann man hingegen auch nicht sprechen, die Autoren kennen sich meist untereinander überhaupt nicht, generell gilt - natürlich nur vordergründig - eine dauerhafte Anonymität. In Wahrheit fühlen sich die Schriftsteller einzig und allein ihrer Leserschaft verpflichtet. Das führt auch dazu, dass es bei keinem anderen Genre der modernen Literatur eine so enge Beziehung zwischen Künstler und Publikum gibt. Beim Erblicken der Inseratspalte in der Zeitung soll jeder sofort instinktiv die Worte Erich Mielkes sagen: Ich liebe euch doch alle. Es lebe die Kontaktanzeige!

Was eine Kontaktanzeige nicht ist

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3. Platz beim 23. Stupid Contest

Kontaktanzeige ist ein Gewinner des 23. Stupid Contests.

Für dieses Werk erhält Klugscheißer den bronzenen Stupidedia-Stern am Band.

Gezeichnet, die Jury

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