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Diverses:Der Zwetschkensammler

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Atemberaubend!

Ich war der Zwetschkensammler. Ich war ein begnadeter Zwetschkensammler. Ich sammelte Zwetschken. Das war mein Talent. Zwetschken aller Formen, aller Farben, egal ob weich und süß, hart und sauer oder doch verfault und von Würmern zerfressen. Manchmal grün, manchmal lila, leicht rötlich, es spielte für mich keine Rolle. Aber es musste eine Zwetschke sein, sonst sammelte ich sie nicht. Am Montag sammelte ich Zwetschken, am Dienstag sammelte ich Zwetschken, am Mittwoch sammelte ich Zwetschken, am Donnerstag sammelte ich Zwetschken, am Freitag sammelte ich Zwetschken, am Samstag und Sonntag sammelte ich ebenfalls Zwetschken. Den ganzen Tag lang. Ich mochte Zwetschken. Und sie mochten mich. Ich wusste es. Gelegentlich versuchte ich, mit ihnen zu sprechen. Manchmal antworteten sie mir und manchmal nicht, je nachdem, ob sie Lust hatten mit mir zu kommunizieren, denke ich. Meistens waren sie still. Ich fragte sie, was sie vom Leben erwarten? Wollten sie überhaupt Zwetschken sein? Welche Ziele verfolgte dieses rundlich bis leicht oval kleine Produkt des Naturreiches? Niemand fragte sie, ob sie tatsächlich Zwetschken sein möchten. Ich schon. Denn sie konnten sich dieses Leben nicht aussuchen. Aber wer konnte das schon? Ich fühlte mit ihnen.
An sonnigen Tagen wie diesen fühlte ich mich wieder einmal gezwungen, den Garten aufzusuchen und fand ihn schließlich auf einem sanften Hügel vor alpiner Kulisse. Dort kletterte ich auf einen Zwetschkenbaum. Es war der einzige Baum an diesem Ort. Ein einsamer Hirte des langen Tals. Das Raufklettern fiel mir nicht leicht. Ich hatte zugenommen und war dadurch sehr unbeweglich. Aber ich schaffte es, denn ein träumendes Herz überwindet alle Hürden. Der Baum war unvorstellbar stark, so hoch wie Goliath mit langen Ästen, die sich ins Unendliche ausstreckten. Er gewährte mir Unterschlupf und schützte mich vor Bergvögeln. Diese verfluchten Bergvögel! Immer greifen sie mich an, wenn ihnen Feldmäuse nicht ausreichen. Warum richteten sie alle ihre Blicke auf mich? Aber der Baum war mein Freund, das spürte ich. Schön war die Aussicht. Ich blickte in die weiten, weiten Himmel des Abendlandes und saugte die unbeschreibliche Schönheit der Natur am helllichten Tag auf, bevor die vollkommene Nacht all die Bäche und Felder verdunkelt. Von oben sah man die sagenumwobenen Täler, allseits kleine Flüsse und grüne Wiesen so weit das Auge reichte. Rasch zog ich meine Kleider aus, denn ich war allein und fühlte mich geborgen. Die Luft war hier so frisch. Kein Lärm, nur endlose Stille und meine Wenigkeit im absoluten Konsens mit meiner Umgebung. Das Wasser in den Flüssen war kristallklar. Rehe kommen oft hierher und füllen ihre Körper mit dem feuchten Element. Jedoch konnte ich an diesem Tage keine erblicken.
Und obgleich der Sommer bereits anbrach, entdeckte ich Schnee am Gipfel des riesigen Berges. Der Berg bleibt für immer hier, so ausdruckslos und ewig. Bloß eines noch konnte mir dieses herrliche Panorama versüßen. Eine Zwetschke. So unscheinbar und ruhig, als hinge sie nur für mich da. Als würde sie ihr ganzes Leben lang auf mich warten. Das ist ihre Bestimmung. Ich genehmigte mir eine. Der Baum erlaubte es mir. Ich wusste es. Die Natur ist so wunderschön, sie gibt mir alles, was ich zum Leben brauche. Die Zeit stand still. Sie schien so unbedeutend zu sein hier oben, ich kannte die Zeit und ich hatte die Zeit. Es war mir nie bewusst. Zum ersten Mal lebte ich im Hier und Jetzt. Ich genoss den Moment. Bis die Wirkung von LSD nachließ und ich mich splitternackt bei Aldi auf einer Obstbox sitzend wiederfand. Direkt vor der Obstabteilung, umkreist von einer Menschenmasse, die mich anstarrte und einer wütenden Filialleiterin. Um mich herum lag Obst, mein Einkaufswagen war überfüllt mit Zwetschken und ein großes Schild stand vor meiner Nase: „Zwetschken sind heute im Angebot.“


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