Diverses:Der Teufel, den man Kalliope nennt

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Der Geschmack von destilierter Ästhetik, und von Leberzirrhose
Er blickte aus dem Fenster, hinab in die Stadt, die in der zunehmenden Dunkelheit zu verschwinden drohte, um durch ein Meer aus Lichtpunkten ersetzt zu werden, eingezwängt in die durch Spalette begrenzten Guckkästen. Dort unten saßen sie im Schein der Nachttischlampe, Bücher in der Hand, die keine waren, sondern nur Anleitungen zur Weltflucht darstellten. Geschrieben vom Mittelmaß, gelesen vom Mittelmaß, geliebt von der Menge.

Wie sehr er sie beneidete. Wie sehr er sich wünschte, nur von seinen tiefsten Träumen schreiben zu können, um sie mit anderen in dionysischer Begeisterung zu teilen und zu imaginieren. Doch Gustav von Abenschach stand diese Einfachheit, diese Trivialität nicht zu. Er hatte einen Ruf, der die Leute glauben machte, seine Bücher wären gut. Sie stellten sie in die Regale, an prominente Stelle, damit jeder Besucher den Eindruck gewann, sein Gastgeber hätte Geschmack. Ein Buch, dessen Autor aber keinen Ruf besitzt, hat nur seinen Inhalt als Wert und um diesen zu erkennen, müsste man es lesen und verstehen. Das ist dem Blender aber zu wieder.

Gustav von Abendschach verachtete diese Narren, diese Philister im Schafspelz, die glaubten, sie könnten ihr eigenes Gesicht im Glanze der Hochkultur sehen. Aber er liebte ihr Geld, sodass er sich einen Jux daraus machte, seine Bücher zu Kulissen aus Zitaten und Anspielungen verkommen zu lassen, denen es an barocken Schmuck nicht mangelte, dafür aber an Tiefe und Inhalt umso mehr. Die Feuilletonisten liebten ihn dafür. Nun konnten sie prahlen, angeben, sich in den Vordergrund drängen, in dem sie jede Anspielung und jedes Zitat entdeckten und mit masochistischer Selbstaufgabe deuteten. Und Gustav von Abendschach liebte sie, denn ihre Texte, ihre Kommentare, ihre blinden Lobeshymnen stärkten seinen Ruf und ließen ihn zu einem vermögenden Mann werden.

Er könnte zwei vollbusige Damen in einer Kathedrale ans Kreuz gekettet koitieren lassen, solange er ihnen Hegels Worte in den Mund legt, würden ihn die Kritiker feiern und die Blender seine Bücher kaufen, um sie an prominenter Stelle ins Regal zu stellen. Es ging ihm nicht um die Freude am Schreiben, denn diesen hat er schon lange verloren. Kalliope hatte ihn gelockt, ihm Versprechungen gemacht, ihn geknechtet. Nun saß er in seiner Zelle, verunstaltete sie, aber nur er, nur Gustav von Abendschach konnte diesen Akt der Rebellion sehen.

Er wandte sich vom Fenster ab, fuhr durch sein ergrautes Haar und betrachtete die Bücher auf seinem Schreibtisch. Es waren Texte von Nietzsche und eine ergiebige Quelle für einen Dieb wie ihn. Es war ein Leichtes den Protagonisten einen Aphorismus in den Mund zu legen. Der Schriftsteller ersparte sich dadurch Arbeit und der Leser, der das Zitat entdeckte, sah sich in seiner Intelligenz bestätigt. Es war nichts weiter als eine Posse, ein Schauspiel für den naiven Zuschauer.

Gustav von Abendschach setze sich, griff ihn das Humidor und steckte sich eine Zigarre zwischen die Lippen. Er hatte aus Freude am Schreiben begonnen, aber nur der exzessive Genuss ist ihm geblieben. Früher hatte er das Rauchen einer Zigarre mit dem Schreiben eines Textes verglichen. Beides benötigt Gefühl und Erfahrung. Was für ein Irrtum!

Das Rauchen erforderte viel Geschickt. Das Streichholz flammte auf. Die Tabakblätter färbten sich schwarz, bevor sie sich einrollten und zu Asche wurden. Er griff nach der Flasche, goss etwas Rum in sein Glas und seufzte. Er rauchte und trank, aber die schlimmste Droge war die Kunst, denn niemand warnte vor ihren Folgen. Eine Tür fiel ins Schloss. "Ich bin wieder zuhause."

Als Ehefrau eines verbitterten Schriftstellers hat man es nicht immer leicht.
Der Schriftstelle sagte nichts, öffnete das erste Buch und begann zu lesen. Er las den ersten Aphorismus, den zweiten, den dritten. Es war eine mühselige Arbeit. Schritte wurden lauter. Jemand lachte. Die Tür zum Arbeitszimmer öffnete sich. Geräusche am Teppich. "Weshalb begrüßt du mich nicht?" "Willkommen, meine Liebste," erklärte er trocken. "Willst du mich nicht ansehen?" "Deine Schönheit ist meine Knechtschaft, daher halte ich es wie mit Schrödingers Katze" "Möchtest du etwa sagen, dass du die Hoffnung auf meinen Tod nicht aufgeben musst, solange du mich nicht ansiehst? Das ist gemein." "Meine Kalliope, es wäre narzisstisch von mir anzunehmen, dass ich diese Macht besäße. Ich hätte nicht einmal das Durchsetzungsvermögen, um dich davon zu überzeugen, dass du dieses Zimmer verlassen sollst. Stattdessen versuche ich dich nur zu ignorieren, damit du das Interesse verlierst," erklärte er trocken.

Es tobten zwei Seelen in seiner Brust. Einerseits strebte er nach der Flucht in seine Träume. Er wünschte, er könnte sie durch die Schreibmaschine ins Leben holen. Andererseits haben die bitteren Jahre seines Lebens einen Zyniker aus ihm gemacht. Er war nur noch mehr ein Hauch dessen, was der Nihilismus von ihm übrig gelassen hatte. Er hatte nach Perfektion gestrebt, nur um zu erkennen, dass vollendete Form ohne Inhalt leer ist. Sie befriedigt nicht den Wunsch nach Weltflucht, sondern stemmt sich gegen das Nichts. „Ich dachte, du hättest mit dem Trinken aufgehört. Du weißt, dass das dein Leben um Jahre verkürzt.“ „Zum Glück bin verheiratet. So erscheinen mir die bleibenden Jahre länger.“

„Wenn man dich so hört, könnte man meinen, dass es mein größter Wunsch wäre, dir ein Messer in den Rücken zu jagen.“ „In dieser Hinsicht mache ich mir keine Sorgen. Ich habe noch nie gesehen, dass du freiwillig Küchenutensilien angreifst.“ „Das sind große Worte für jemanden, der es anscheinend nicht als notwendig erachtet mich zu beachten.“

„Du musst dir keine Sorgen machen. Ich bin besessen von dir. Nimm diese Worte des deutschen Dichters Heinrich Heine als meine Entschuldigung an: Wie der Schmetterling flattert um eine Blum,/ Am zarten Kelch zu nippen,/ So flattert meine Seele stets/Um ihre Rosenlippen./Ihr edles Gesicht umringeln wild/Die blühend schwarzen Locken;/Schaun dich die großen Augen an,/Wird dir der Atem stocken.“ „Auch wenn ich dich nicht verstehe, so sei dir Verziehen. Deinen Komplimenten bin ich machtlos ausgeliefert.“

„Diese Frau ist schön und klug: ach, wie viel klüger aber würde sie geworden sein, wenn sie nicht schön wäre!“ „Willst du mich wieder kränken?“ fragte sie und stütze sich auf den Tisch. „Nein, ich habe nur vorgelesen,“ antwortete er und hielt beschwichtigend das Buch ‚Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile‘ in die Höhe. „Dann war es wohl ein Versuch mich zu necken?“

„Nein, es war nur eine wahre Aussage. Die ständigen Komplimente machen dich blind. Der Text, den ich vorgetragen habe, stammt aus der Ballade ‚Der Tannhäuser.Eine Legende‘. Die Wahrheit über das schöne Weib, dem Tannhäuser verfallen ist, erfährt der Leser erst später und zwar aus dem Munde des Papsts: Der Papst hub jammernd die Händ empor,/ Hub jammernd an zu sprechen:/Tannhäuser du unglückselger Mann,/ Der Zauber ist nicht zu brechen./ Der Teufel, den man Venus nennt,/ Er ist der Schlimmste von allen;/ Erretten kann ich dich nimmermehr/ Aus seinen schönen Krallen./ Mit deiner Seele musst du jetzt/ Des Fleisches Lust bezahlen./ Du bist verworfen, du bist verdammt/ Zu ewigen Höllenqualen.“

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Dieser Artikel aus den Namensräumen „Diverses“ oder auch „Spiegelwelten“ besitzt aufgrund seiner Qualität die Urkunde „Schatzkistentauglich“ und wird daher im Portal Rumpelkiste gelistet.
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