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Entführung

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Eine Entführung ist eine Reise ins Ungewisse mit völlig fremden Personen. Das genaue Reiseziel ist unbekannt, das Essen ist miserabel, man hat keinen Einfluss auf die Qualität des Schlafplatzes und das Personal ist fahrig und ungeheuer unfreundlich – alles so, wie man es von einer Pauschalreise bei Alltours kennt. Entführungen von Rentnern heißen Kaffeefahrten und enden meist in einer entlegenen Regionalgaststube mit dem halblegalen Kauf eines mittelschönen Matratzensortiments.

Ursachen

Sexuelle Frustration kann auch ein Grund sein.

Entführungen als komplexe Form des Radikaltourismus haben durch die Geschichte hindurch ihren festen Platz in Gesellschaft und Kulturen. Die Gründe für Entführungen decken sich meist vollständig mit den Zielen ihrer Veranstalter. Ihre Ursachenpluralität ist also immer auf persönliche Umstände und Weltanschauungen zurückzuführen und nur etwa in 95% aller Fälle auf Geld.

Ob freiwillig oder nicht, es geht den Veranstaltern meist darum, ihren Gästen ein einzigartiges Reiseerlebnis zu bieten, das man so nicht im Katalog buchen kann. Natürlich möchte man dafür angemessen entlohnt werden, denn schließlich nehmen Reiseentführer weite Wege, Gefahren, stickige Strumpfmasken und persönliche Entbehrungen regelmäßig für ihre Gäste in Kauf. Ihre Belohnung ist das erleichterte und zufriedene Lächeln ihrer Schützlinge, wenn die Entführer bekommen haben, was sie wollten und die schmerzverzerrten Schreie der Gäste, wenn die Entführer nicht das bekommen haben, was sie wollten. Damit ist die Entführung, anders als der schnöde Menschenraub, ein reziprokes und kommunikatives Mittel, um den sozialen Wert neuer Bekanntschaften zu ermessen, wenn auch mit leicht asymmetrischem Kräfteverhältnis.

Ablauf

Gewehr? Check! Riesen Plüschflamingo? Check! Zensurbalken: Da! Dann kanns ja losgehen!

Im Gegensatz zur räuberischen Erpressung, also z.B. zu einem DSL-Vertrag bei Vodafone, basiert die Entführung auf einem sozialen Pfandsystem, bei der sich der Entführungsveranstalter unter Haftungsausschluss schusswaffenvertraglich vorbehält, seinen Gast bis zur endlichen Auszahlung der Reisekostenrechnung, der sog. Lösegeldsumme, festzuhalten. Erfolgt auch nach mehrmaliger Zahlungsaufforderung und Telefonaten keine Zahlung, tritt der Fall der Pfändung ein, die der Kriminalist „Geiselnahme“ nennt. Hier behält sich der Entführer vor, die gepfändete Ware ganz oder in Teilen zurückzugeben und damit meist auf eine zuvor mündlich zugesicherte Unversehrtheitsgarantie zum Zwecke der Durchsetzung der allgemein erzwungenen Geschäftsbedingungen zu verzichten. Die im Zuge einer Geiselnahme zugefügten Schäden tun freilich dem Entführer mehr weh, als seiner Geisel, schaden sie doch letztlich seiner Reputation und lassen die Chance auf Zahlung mit jedem abgeschnittenen Körperteil kleiner werden.

Reisebeginn

Eine Entführung beginnt vonseiten des Entführten meist spontan und unvermittelt. Zum Konzept eines Entführers gehört der Überraschungsmoment, um bereits vor Reiseantritt die Gäste so richtig zu überwältigen. Er bedient sich eines kommunikativen Moments, das man hauptsächlich von entnervenden Ex-Bekannten kennt, deren Gesicht man fast schon wieder vergessen hat: des Wer-bin-ich-Spiels. Anstatt den Gästen aber von hinten die Hände auf die Augen zu legen und kindisch „Wer bin ich?“ zu rufen, drückt er ihnen lieber einen Chloroformlappen ins Gesicht. Das ist bekanntermaßen die beste Methode, um auch den größten Gegner und Skeptiker von Überraschungen für seine Sache gewinnen zu können. Um den Charakter der Spontaneität zu unterstützen, verzichten Entführer zum Reiseantritt gewöhnlich darauf, Kollegen, Familie und Arbeitgeber zu verständigen. Das führt bei den Entführten zwar zu einigen wirtschaftlichen Einbußen, aber auf Grund der außergewöhnlichen Umstände bekommen sie von ihren Arbeitgebern die Tage nachträglich frei. Schlimm wird es nur bei Selbstständigkeit.

Anfahrt

Sag mal, hast du die Geisel gesehen, die hier saß?“ – „Ach, halt doch deine Fresse.

Es geht aber bei der Ausrichtung von Entführungen nicht nur um das Geld, sondern auch um den Spaß, die Magie, das Abenteuer oder die Revolution. Deswegen planen Entführer ihre Reisen meist an außergewöhnliche Orte. Die Anreise wird schon spannend gehalten, indem dem Entführten jeder Blick nach außen verwehrt wird, der dazu dienen könnte, sich die Landschaft zu merken. Würde er beim ersten Anruf seiner Freunde gleich ins Telefon brüllen, wo er lang gefahren ist, würden die schönen und abgelegenen Orte ihre Einzigartigkeit verlieren. Daher sind auch die Fahrten und Anreisen der neuralgische Punkt einer Entführung. Ein SUV mit getönten Scheiben, gefälschtem oder geklautem Nummernschild und lauter Scorpions-Musik im Radio sollte es schon sein. Der Fahrzeuginnenraum bietet genug Platz zum Schreien und Strampeln, denn zu diesem Zeitpunkt der Reise soll ja (noch) kein Beteiligter der Entführung verletzt werden.

Aufenthalt

Als die Kinder noch lebten, war es ja noch ganz lustig…

Im dritten und längsten Teil der Entführung geht es um das Einleben am Reiseziel und das soziale Miteinander. Der Entführer stellt alle Bedarfsgüter für einen längeren Aufenthalt zur Verfügung. Viele legen Wert auf Ursprünglichkeit und Nähe zur Natur, wodurch Gäste das Recht auf Strom oder fließendes Warmwasser für einige Wochen abgesprochen bekommen. Das Essen, bestehend aus Dörrobst und Chips muss für Alle reichen und wird deswegen rationiert. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit von ein paar Tagen sind einige skeptische Gäste auch schon so schwach, dass sie es nicht mehr schaffen, nachts mit dem Magen zu knurren und damit ihre Mitreisenden im Schlaf zu stören. Bei besonders dicken Gästen helfen Entführer mit Tritten in die Magengrube nach. Natürlich legen sie auch auf Hygiene wert. Zur Stärkung des Geneinsinns gibt es eine Zahnbürste und eine Senkgrube für Alle, wie früher im Ferienlager.

Wie bei vielen modernen Reisen, sollen die Gäste das Gelände ihres Reiseressorts nur selten verlassen und manch kranker Typ bleibt von Beginn an ans Bett gefesselt. Freilich bieten Entführungen als Erholungsreisen so nur selten Abwechslung. Manchmal kann es aber vorkommen, dass die Veranstalter ihre Gäste von sich aus an andere Orte entführen und sie bitten, ihre Gedanken in einem recht spartanischen Videotagebuch vor einem aufgespannten Bettlacken mit Hassbotschaften, mit einer streng einstudierten, flehenden Haltung und furchterfüllter Stimme festzuhalten. Andere Entertainmentmöglichkeiten sind rar gesät, viele Entführte dürfen maximal die Nachrichten sehen, wo aber meist auch nur über ihre aktuelle Entführungsreise berichtet wird. Wenn die Gäste ihre Umgebung trotz Hungers satt haben und die Entführer die Gäste satt haben, beginnen beide die Verhandlungen über die Rückreise.

Auslieferung

Die Reise zum Auslieferungsplatz: Jetzt nur nicht auffallen

Weil Entführer einen Fuhrpark besitzen, der nicht problemlos entliehen und wieder abgegeben werden kann, verzichten viele von ihnen darauf, eine Rückfahrt anzubieten und machen den Gästen klar, dass sie für ihre Abholung selbst zu sorgen haben. Dazu erlauben sie, verschiedene Telefonate mit entsprechenden Bekannten zu führen, die Zeit haben oder bieten auch den Service, selbst für ihre Gäste eine Rückfahrt zu organisieren. Ein immer stärker kritisierter Punkt ist dabei die Bezahlung geworden. Dadurch, dass bei einer Entführungsreise nicht der Entführte, sondern meist ein Dritter, z.B. ein guter Freund oder Anverwandter die Kosten übernimmt, geizen Entführungsveranstalter nicht mit der Luxuriösität einzelner Reisen. Mancher Lösegeldzahler ist erstaunt, was ein Urlaub neben oder unter Balkonien doch so alles kosten kann.

Gerade durch die enormen Ablösesummen, mit denen unverantwortliche Entführer auch nur allzu oft Wucher betrieben haben und den abgelegenen Übergabeplatz für die viel kritisierte Barauszahlung, verfielen Lösegeldzahler in der Vergangenheit immer wieder auf hinterhältige Ideen, übergaben Koffer mit Falschgeld oder schalteten sogar paramilitärische Verbände ein, die die Bezahlung sabotierten und verhinderten, den Entführer, sein hart verdientes Geld zu erhalten und beraubten ihn späterhin sogar um seine Freiheit, was wiederum die sensationsgeilen Medien hochspielten, sobald der Fall öffentlich wurde. Weil sich hier in einer rechtlichen Grauzone regelrechte Bandenkriege zwischen einzelnen Lagern abgespielt haben, reagierte der Staat und verbot Entführungen per Gesetz als Straftat. Der öffentliche, gewaltsam-passive Wechsel des Aufenthaltsortes gilt demnach gegenwärtig als Entführungsdelikt und kann für alle Beteiligten bis zu mehreren Jahren Freiheitsstrafe bedeuten. Halböffentliche und private Entführungen sind aber, unter bestimmten Auflagen, weiterhin gestattet. Laut §235 StGB hat bei der Entführung von Minderjährigen auf jeden Fall ein Entziehungsberechtigter anwesend zu sein.

Beteiligte

Der Entführer

Typische Entführercheckliste

Entführer werden kann und will heute nicht mehr jeder. Gerade weil die Tätigkeit physisch und psychisch belastend ist und umfassende Kenntnisse in Schusswaffeneinsatz, Lokaltopographie, Kommunikationstechnik und Sozialpädagogik erfordert, entscheiden sich häufig nur noch Menschen dazu, die bereits berufliche Vorkenntnisse in all diesen Dingen mitbringen und bei denen dementsprechend Einsamkeit, Armut oder Perversität die Bedenken gegen eine Entführung überspielen.

Die weitaus größte Aufgabe, der sich Entführer zu stellen haben, ist die Planung und Vorbereitung ihrer Reise. Nichts ist ärgerlicher, als wenn die Polizei die Entführung schon bei der anfänglichen Verfolgungsjagd beendet, weil der Fahrer des Fluchtwagens zum Strullen am Straßenrand stand. Für Entführungen stehen daher auch spezielle Navigationssysteme bereit, die denjenigen, der auf analoge Karten verzichtet, den wirklich schnellsten Weg zu seinem Zielort weisen. Technisch ausgegebene Standardhinweise wie: „Jetzt links die nächste Böschung nehmen!“ oder „Polizei in 500m, bitte wenden!“ erleichtern dem gestressten Fluchtfahrer das Vorhaben.

Viele Entführer legen Checklisten über ihre Reise an, weil sie wegen des Überraschungseffekts viel manuell machen müssen und dabei wenig Spuren hinterlassen dürfen. Das ist umso schwieriger, je größer die Geiselgruppe ist, die sie sich vornehmen. Für Spontanentführungen, z.B. unbeaufsichtigte Kinder vom Straßenrand zu lesen, ist dann meist keine Zeit. Nicht selten schon hat ein extrem gut vorbereiteter Entführer, der extra ein schwer einsehbares Auto geklaut, seine Vorräte nicht auf Karte gekauft und seine Waffe geladen hatte, bei dem Blick in den Rückspiegel verzweifelt festgestellt, dass er die Geiseln vergessen hatte und auf dem halben Weg aus der Stadt nochmal umdrehen musste. Entführer evaluieren deshalb ständig, nicht nur einmal per Fragebogen am Ende der Reise. Für eine Entführung, die allen Beteiligten Spaß macht, sind Fragen wie „Bekommen Sie da im Kofferraum auch noch genügend Luft“, „Hältst Du jetzt mal die Schnauze?“ oder „Na, wie gefällt dir das?“ unvermeidbar.

Der Trend geht wegen der Stressminimierung daher zur Lokalentführung oder zu Entführungsprojekten. Während die einen erst mal klein im Hobbykeller beginnen und sich zu größeren Reisen hocharbeiten, bevorzugen andere die Gruppe, die praktisch für Arbeitsteilung verwendet werden kann, ihnen bei der anstrengenden Betreuungstätigkeit auch mal ein offenes Ohr, Rückzugsraum oder verwirrte Weltanschauungen für Hassbotschaften bietet. Der Entführer muss nicht rund um die Uhr Wachdienst bei den Gästen schieben und wird so weniger schnell wahnsinnig. Außerdem findet eine Entführergruppe die schöneren Locations, denn eine Einzelperson kann nun mal nicht jede entlegene Industrielagerhalle im suburbanen Umfeld kennen.

Der Entführte

Schade, aber den will niemand entführen: Carsten Maschmeyer

Anders als der Entführer haben seine Gäste meist ein bestimmtes Profil, denn auf die Entscheidung über die Entführung haben sie selbst keinen Einfluss. Entführte verfügen über Auswahlkriterien, die sie für die Reise prädestiniern und die von gesunden physischen Zuständen bis zur Charaktereignung reichen. Ein privater Grundreichtum sollte vorhanden sein, sonst macht das erpresserische Nachnahmeverfahren keinen Sinn. Das schlimmste für einen Entführer ist es, zu merken, dass er einen Menschen ohne Wert erwischt hat. Das ist übrigens auch das schlimmste für den Entführten. Andererseits sollten auch entsprechend wertige Gäste eine ruhige und freundliche Art zeigen. Bei manch einem Mistkerl aus Wirtschaft und Politik könnten sich die Angehörigen sonst überlegen, ob es überhaupt lohnt, für den alten Krepel noch einmal eine Kautionssumme zu hinterlegen. Auch Entführer, die ein feines soziales Gespür haben, merken schnell, wenn eine Geisel unangenehm und aufmüpfig wird und haben im Notfall kein Problem damit, bei laufender Fahrt die Autotür zu öffnen und etwas Ballast abzuwerfen.

Guten Tag, Sie sprechen mit SIRI.

Das genaue Aussehen der Gäste ist zwar unwichtig. Von Vorteil ist aber ein gepflegtes Erscheinungsbild, damit sie auch nach außen hin kurze Zeit nach der Entführung ein furchterfülltes und abgerissenes Erscheinungsbild abgeben. Das kürzt den Entführern die aufwendige und anstrengende Reise etwas ab, weil einerseits die Gäste auf schnelle Rückführung drängen, andererseits die Zahlungsbereitschaft der Angehörigen steigt. Ob die Geiseln unangenehm riechen ist egal, nach ein paar Tagen tun sie es eh. Wichtig ist in jedem Fall ein gutes Miteinander, was teils auch eine gemeinsame Sprachgrundlage begünstigt. Weil z.B. Schweden so weitläufig ist, dass es sich gar nicht lohnen würde, Geiseln aus den Nachbarländern zu importieren, ohne sie gleich zu erschießen, bauen die entführenden und entführten Landesleute meist eine enge Bindung, ja sogar Freundschaften zueinander auf. Noch lange nach der eigentlichen Entführung treffen sie sich manchmal und reden über alte Zeiten. Für moderne Massenentführer kommt dieser familiäre Umgang freilich nicht in Frage, weil sie aus wegen der ständig notwendigen Anonymität für ihre Telefonate einen Sprachverzerrer eingeatmet haben, dem nur schwer andere Sprachen beizubringen sind.

Der Lösegeldzahler

Der Lösegeldzahler erscheint zunächst als Statist im Reisegeschehen. Dennoch muss auch er drei wesentliche Voraussetzungen erfüllen: er sollte zu Hause sein, gut zuhören können und ein Telefon besitzen. Gerade weil Lösegeldzahler nicht für ihre Mühen entlohnt werden, ist ihre Zuverlässigkeit unklar und allzuviele, die einen Vollzugriff zu allen Konten der Entführten und einen schicken schwarzen Aktenkoffer für die Übergabe daheim haben gibt es auch nicht. Die moderne Überwachung der gesamten Kommunikationstechnik hat das leider nicht vereinfacht. Im Gegenteil. Wie oft haben sich Entführer und Geiseln schon ratlos angesehen, als der angerufene Lösegeldzahler desinteressiert aufgelegt hat, weil er bei der Stimmverzerrung dachte, da wollte ihm wieder irgendeine Computerstimme ein Zeitschriftenabo aufschwatzen?

Formen

Religiöse Entführungen

Man kennt das. Kaum hat man sich in Pakistan auf einer belebten Geschäftsstraße einmal umgedreht und an einem Gemüsestand über sein Bekenntnis zum koptischen Christentum geplaudert, sitzt man bereits mit vier bewaffneten, nach Jasmin duftenden Gotteskriegern in einem abgedunkelten Van Richtung Wüste.
Erinnerungsfoto mit der Entführergruppe Al-Faran
Ist man dann auch noch Amerikaner, hat man ein gewaltiges Problem am Hals, obwohl, den Hals hat man dann ja auch nicht mehr lange. Religiöse Fanatiker haben nämlich den Fimmel, jede ihrer Entführungen zur internationalen Staatsangelegenheit hochspielen zu müssen und anstelle von Privatleuten Regierungen zu Lösegeldzahlungen zu verpflichten. Während Amerika da eher nach dem Grundsatz „Einer für Alle“ handelt, würden Europäer sich schon zu Zahlungen bereiterklären, denn bei den Massen an Waffen, die europäische Staaten in den nahen Osten liefern, dürfte so ein kleines islamistisches Stipendium zur Zerstörung der westlichen Welt kaum ins Gewicht fallen.

Verständlicherweise sind Entführungen durch Al Quaida und Co immer noch mit starken Vorurteilen belastet. So heißt es, ständig hätte man eine Kalaschnikow im Nacken, müsse unter Androhung von Gewalt arabische Einkaufslisten vor der Kamera verlesen und schmutzige Gebetsteppiche mit einem Kamelfuß abfegen. Aber das stimmt so nicht. Auch dass es für die Geiseln seltener Überlebenschancen gibt, ist so nicht richtig. Das hängt immer vom Realismus der Forderungen ab, die die Entführer haben. Wer natürlich bei Entführern gelandet ist, die für die Rückfahrt den millionenfachen Exorzismus westlicher Dämonen verlangen, der sollte auch den Tatsachen ins Auge sehen und seine verbleibende Zeit lieber noch sinnvoll in einem Selbstmordattentätercamp anlegen. Ansonsten genießt der Entführte für die Dauer seines Aufenthalt – wie jeder andere auch – die legendäre orientalische Gastfreundschaft mit wenigstens 40 Sorten Hammelfleisch und Tee zu jeder Tages- und Nachtzeit. Weil Verschleppungen in den kargen pakistanischen Berg- und Wüstenlandschaften zum Dauergeschäft geworden ist, konnten auch in den mittlerweile stetigen Entführungslagern einige Qualitätsstandards gesetzt werden, Allah sei Dank.

Sexuelle Entführungen

Grrrr,…

Sexuelle Entführungen sind die simpelsten Formen der Entführung, da es meist um die Umwerbung und Unterwerfung körperlich unterlegener Wesen geht. Sie können einfach im gefliesten Keller oder an sonstigen romantischen Orten begangen werden und sind eigentlich sehr locker und leger, sodass auch kurzzeitige Entlassungen und Rückführungen kein Problem darstellen. Manche Stalkingopfer führen mit ihren Peinigern seit Jahrzehnten eine offene Entführung. Möglich ist das, weil bei der sexuellen Entführung Geisel und Lösegeldsumme zusammenfallen.

Die Grundlage für diese Art von Entführung liefert das kulturelle Konzept des Frauenraubs, die sogenannte Raptio. Als die aenaeischen Erben um 753 v.Chr. Rom fertiggestellt, funktionierende Straßen, Häuser, Wirtschaft und Verteidigungsanlagen aufgebaut hatten, vermuteten sie, dass noch irgendetwas fehlte. Sie dachten also scharf nach, was Rom noch dringend gebrauchen könnte und das Ergebnis war der Raub der Sabinerinnen. Zugegeben, die Römer hätten auch Frauen kaufen können, um sich fortzupflanzen, sie wollten aber kein Volk von Hurensöhnen sein; dann doch lieber ein Volk von Dieben und Menschenhändlern. Das Konzept der Entführung der Frau aus den schützenden Mauern ihres blütlichen Hortes hat sich bis in die heutige Zeit in vielerlei Arten von Beziehungen gehalten. Im Zuge der Verbürgerlichung des Verhaltenskanons im 19. Jahrhundert ist es jedoch heute üblich, die Versicherung über die Entwendung der Frau einzuholen und dem sorgenden Familienvater behutsam klar zumachen, dass man seine 18 Jahre lang gehütete Leibesfrucht nun fort bringen und besudeln werde. In diesen heiklen Situationen kommt es auf viele Faktoren an, die im Zusammenspiel eine erfolgreiche Entführung begünstigen können. Wie fein aber die Unterschiede für Pro und Contra sein können verdeutlicht dieses Beispiel

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Ein Satz, zwei Gesichter

Wozu sich der Familienvater hinsichtlich seiner Tochter entscheidet, ist offensichtlich: beide Kandidaten kriegen eins aufs Maul und werden dann achtkantig rausgeworfen. Weil dieses Verhalten die verschüchterten Einzelgänger häufig frustriert und verbittern lässt, legen sie für ihre späteren Frauenbekanntschaften kaum noch Wert auf Nachfragen, manche sogar nicht mal mehr bei den Frauen. Mit Hilfe zahlreicher technischer und chemischer Substanzen ist es ihnen auch möglich, sich Frauen durch klassische Entführungen gefügig zu machen. Um Unstimmigkeiten mit den Opfern zu vermeiden, werden sie danach ruhiggestellt, wahlweise verspeist. Wie genau der Entführer das tut, wird hier nicht thematisiert. Es sollen nicht noch einmal solche Horrormärchen aufkommen, wie das des schwarzen Mannes in den USA, den vor ein paar Jahren eine Bande Kinder so zur Weißglut gebracht haben soll, dass er sie des Nachts einfing und auf seine entlegene Ranch brachte, um sie mit Liebe auszustopfen.

Politische Geiselnahmen

Wer denkt, dass politische Geiselnahmen nicht so schlimm und radikal ablaufen, wie andere Entführungen, der irrt. Immerhin wollen hier Spinner mit den Geiseln Interessen durchsetzen, die sie nicht einmal als deutsche Partei vertreten durften und das will schon etwas heißen. Bei der politischen Entführung wird die Lösegeldsumme in Form eines politischen Versprechens übergeben. Für Politiker, die hier als Lösegeldzahler fungieren, ist das ähnlich wie Wahlkampf. Gerade weil die Entführer das aber wissen, bleiben die Geiseln meist so lange vor Ort, bis ihre Forderungen auch durch den Bundestag oder ein anderes legislatives Organ umgesetzt wurden. Bis das geschieht, sind natürlich die meisten politischen Gefangenen bereits gestorben. An Schwäche. An Altersschwäche.

Bei politischen Geiselnahmen wollen Entführer oft auch einfach nur ein Zeichen setzen, was in ihren Augen das richtige in einer bestimmten Situation ist. Daher laufen die Entführungen sehr öffentlich und nah am Volk im stadtnahen Umfeld ab. Wenn man genau aufpasst, kann man sogar einen der Entführer jeden Morgen beim gleichen Bäcker Kaffee kaufen sehen. Die Geiseln sind mehr so symbolisch da, werden aber im Endeffekt trotzdem ermordet. Für die Zeit bis zum dramatischen Ende so einer Geiselnahme sollen sich die Entführten jedenfalls wohlfühlen. Bis auf politische Differenzen merken viele Entführer, dass sie gar nicht so viel von ihren Geiseln trennt (meistens sind es ja selbst Verbrecher). Viele werden gute Freunde, essen, reden und schlafen zusammen und dokumentieren den gemeinsamen Entführungsfortschritt in einem Bildband. Wie angenehm das ganze für die Geiseln wird, hängt immer davon ab, wer sie entführt hat. Während der Entführte sich bei Rechtsradikalen einfach aller billigen menschlichen Klischees bedienen muss, die er in der Grundschule gelernt hat, sollte er sich bei Veganern und Ökoterroristen nicht wundern, wenn er eines morgens in einer Badewanne voll Eis aufwacht und ihm eine Niere fehlt, die schon auf dem Weg zu "Ärzte ohne Grenzen" in Guinea ist, wo ebolakranke Zehnjährige damit Fußball spielen können.

Am Ende einer guten politischen Entführung steht der Amoklauf. Nachdem die lästigen Geiseln aus dem Weg geräumt und die Forderungen der Entführer weitestgehend ignoriert wurden, macht sich die Gruppe aus vier bis fünf Leuten zur Revolution gegen das bestehende System auf und kommt, wild um sich schießend, meist bis zur nächsten Ampelkreuzung oder Flughafenkontrolle. Dort werden sie dann gestellt oder ohne Nachfrage erschossen. Die Regierung gibt daraufhin die Weisung aus, dass der Premier des Landes für wenigstens drei Wochen mit einer finsteren und sauertöpfischen Mine herumlaufen muss, bevor er die Folgen aus dem Geiseldrama für seine eigene Politik instrumentalisieren darf.

Öffentliche Wahrnehmung

...und das haben uns die Medien eingebrockt: Mürrische Weinerlichkeit

Hautnah dran und trotzdem neutrale Berichterstattung, das ist der Traum eines jeden Medienvertreters und der ging bezüglich der Untersuchung von Entführungen in der großen BILD-Menschenfreundstudie vom 16. - 18. August 1988 in Gladbeck in Erfüllung. Die beiden Entführer Dieter (Dealer) Degowski und Hans-Jürgen Rösner erlaubten einem BILD-Reporter exklusiv an Bord ihres Fluchtwagens zu kommen und die beklemmende und eindrucksvolle Atmosphäre auf Bewegtbild festzuhalten. Wer weiß, warum sie das taten, vielleicht weil sie beide hackestramm waren. Begünstigt wurde das ganze dadurch, dass die gesamte Polizei von Nordrhein-Westfalen zu diesem Zeitpunkt im Sommerurlaub war und nur Praktikanten im Revier zurückgelassen hatte, die bei der Nachricht eines Geiseldramas erst tagelang panikartig durcheinander liefen, bevor sie handelten. Während sich die Entführer alle Mühe gaben, ihre Reise zu etwas außergewöhnlichem zu machen, stahlen ihnen die Journalisten die Show, verhandelten schon frühzeitig über den Abzug der Geiseln und interviewten einen tödlich angeschossenen Fünfzehnjährigen noch auf dem Weg zum Krankenhaus mit Fragen wie: "Wie fühlen Sie sich?"

Aus der einzigartigen Innenansicht weniger Tage Entführungsdrama schöpfen heute noch die meisten GSG9-Beamten kriminalpsychologisches Expertenwissen (u.a. dass bei einer Geiselnahme zuerst die Reporter aus dem Weg geräumt werden müssen). Das meiste, was wir heutzutage über Entführungen wissen, wissen wir durch diese Reportage. Dadurch konnte auch dieser Artikel entstehen. Danke, BILD.

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