Diverses:In Edfu brennt Licht

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Es ist heiß. Sehr heiß. Ausgesprochen heiß. So heiß, dass die Hölle einem Gefrierschrank gliche, lebte man spontan ab und käme man auf Grund der vielen eigenen Verfehlungen in die sengende Hitze des Reichs der gefallenen Engel. Ehrlich gesagt trifft jede Beschreibung von Hölle genau das, was ich gerade empfinde. Und ich bin eigentlich gar nicht in der Hölle. Oder noch nicht.
Die Sonne scheint auf meinen Nacken. Jeder einzige Strahl ist wie ein Schlag und jede Welle bringt mich ein Stück näher zum Hautkrebs. Selbst der Wind, der gelegentlich vorbeistreift, vermag es nicht mir Kühlung zu verschaffen. Im Gegenteil: Er führt kleine Sandkörner mit sich, die gegen meine Haut fliegen und sich wie Pfeile in ihr verhaken. Meine arme Haut. Wieso bin ich eigentlich hier, allein in dieser Einöde, gefangen in der Wüste, ohne Proviant und nur noch mit einem halben Liter Wasser, Korrektur, einem viertel Liter Wasser. Was hat mich dazu gebracht, in die Wüste herauszufahren und nicht in dem auf fünfzehn Grad heruntergekühlten Hotel zu bleiben? Die Geschichte, die alte Geschichte. Nicht, dass ich mich für so Altertümchen interessieren würde, aber wenn man nach Ägypten fährt, kommt es schon blöd, wenn man später in der Heimat gestehen muss, gar keine Trümmer gesehen zu haben. Also habe ich mich für einen zweitägigen Trip angemeldet, der mich aus dem schönen All-inclusive-Hotel, der Bastion von Luxus und europäischem Wohlstand mitten in einem Entwicklungsland, hin zu den Trümmern von irgendwelchen Hinterwäldlern bringt. So stieg ich wehmütig aus dem Hotel in den Bus, wenn Bus hier das angebrachte Wort ist. Ein Metallgerüst auf Rädern, das jeglicher Stoßdämpfer zu entbehren schien und dessen Klimatisierung zu wünschen übrig ließ. Ich ließ mich in einen Sitz plumpsen, dessen Polsterung wohl aus dem letzten Jahrtausend stammen musste und der einen gewissen Ostblockmief an meine Nase sandte. Ich wollte schon wieder aussteigen, überlegte mir jedoch mich nicht über eine solche Kleinigkeit aufzuregen und die Unbequemlichkeit stoisch zu ertragen.
Das Metallkonstrukt setzte sich in Bewegung und schlängelte sich von Hurghada aus durch die Sanddünen der Ägyptischen Leere. In dem Bus war eine ungeheure Lautstärke, einmal durch den brummenden Motor, aber auch durch ewig plärrenden Mitreisenden bedingt. Um genau 23:12 war plötzlich totenstille, da alles schlief. Nur ich nicht. Die Stille, die immer noch durch den Motor unterbrochen wurde, die schrecklichen Temperaturschwankungen und die unbequemen Sitze ließen erholsamen Schlaf nicht zu. Dafür konnte ich die Fahrkünste des Busfahrers genau begutachten, der entweder betrunken war oder seinen Führerschein in Ägypten gemacht haben musste. Er lieferte sich mit den anderen Busfahrern, die offenbar die selbe Strecke fuhren, eine wilde Verfolgungsjagd. Ein Wunder, dass es nicht zu einem Unfall auf der staubigen, aus aufgetürmten Geröll bestehenden Straße kam. Ich wollte nach Vorne gehen und mich nach guter deutscher Sitte beschweren, beschloss aber letztlich es doch nicht zu tun, da mich irgendetwas davon abhielt. Ich beschwere mich lieber nach dem Urlaub bei dem Reiseveranstalter und schreibe schlechte Hotelbewertungen im Internet.
Die Langeweile in diesem Bus ließ mich mein Butterbrot auspacken, dass ich mir im Hotel geschmiert und heimlich mitgehen lassen hatte. Es schmeckte scheußlich, irgendwie nach Sand. Die Ägypter können kein Brot backen. Was können die eigentlich? Die Reise hatte mich bisher gelehrt, dass Ägypter weder Brotbacken, noch Deutschsprechen, geschweige denn Autofahren können. Ein dummes Volk, ein sehr dummes Volk. Meine Empörung über diese, mir lag fast schon das Wort Untermenschen auf der Zunge, über diese dummen Trottel wurde jäh unterbrochen, als hinter uns die Sonne aufging und ein gigantisches Bauwerk aus Stein sich vor uns auftat. Der Tempel von Edfu, wie ich später erfuhr. Das konnten die Ägypter, Steine aufeinander türmen. Da können wir noch etwas von ihnen lernen. Bis jetzt ist mir noch nicht klar, wie wir in der Nacht den Nil überqueren konnten, eine Brücke konnte ich jedenfalls nirgendwo entdecken.

Der Tempel von Edfu
Doch nicht so primitiv, wie ich erst dachte.

Nun befahl uns der Busfahrer auszusteigen und er steckte sich eine Zigarette an. Ich kam nassgeschwitzt aus dem Bus und stellte fest, dass es draußen noch gar nicht so warm war. Es scheint wohl ein kalter, bewölkter Tag zu werden, dachte ich, da bräuchte ich bestimmt weder Hut noch Sonnencreme.
Plötzlich trat eine Frau mittleren Alters mit einer roten Blümchen-Bluse zu unserer Reisegruppe. Sie stellte sich als Yasemin vor und sagte mit freundlicher Stimme, dass sie heute unsere Reiseführerin sei.
Sie war mir direkt unsympathisch. Neben dem, dass ihr Deutsch lückenhaft und nicht akzentfrei war, bemühte sie sich stets für ein mitgereistes französisches Paar alles das, was sie bereits auf Deutsch gesagt hatte, auch noch auf französisch zu sagen. Und soweit ich das beurteilen kann, war ihr Französisch noch schlechter als ihr Deutsch. Sie hätte die Froschfresser doch einfach dazu zwingen können, die Gruppe zu verlassen, oder schnell Deutsch zu lernen. Tat sie aber nicht. Das machte mich wütend.
Während Yasemin die Eintrittskarten für unsere Gruppe kaufte, es schien dabei Probleme zu geben, weshalb es länger dauerte, stellte sich eine dicke Frau in den Mittelpunkt unserer Gruppe. Sie hieß anscheinend Irmgard und kam aus Darmstadt. Sie sah aus, wie Mitte achtzig, war ihrer Angabe nach, auf mein Nachfragen hin, erst Ende Vierzig. Ihr dicker, schwallender Körper, war wohl das Ergebnis langjährigem Mayonnaisekonsums. Ich stellte mir sie in einem Badeanzug vor. Es war grausam. Irgendwie mussten meine angewiderten Gedanken nach außen gedrungen sein, da alle mich schockiert ansahen.
Gut, dass Yasemin zurückkam und uns Eintrittskarten aushändigte. Yasemin nahm ihren eingeklappten Regenschirm in die rechte Hand, streckte sie nach oben und marschierte schnellen Schrittes voran. Wir hinterher. Der Gedanke „Führer lauf, wir folgen Dir“ kam irgendwie in meinen Kopf und wiedereinmal wurden meine Lippen unglücklich bewegt, so dass mich die Gruppe voller Empörung anstarrte.
Ich beschloß, mich an die Franzosen zu halten, die hatten von all dem nichts mitbekommen und fotographierten, Japanern gleich, die ganze Tempelanlage. Die Gruppe blieb vor den Eingangspylonen stehen. Darauf hin begann Yasemin hin einen unglaublich schnellen Tempo einen unglaublich schlecht auswendig gelernten Text vorzutragen. Reflexartig schalteten meine Ohren auf Durchzug. Die hohe Stimme wurde zu einem einzigen langen Piepton.
Wir gingen weiter. So ging es noch eine ganze Weile. Vor vielen Trümmern blieben wir stehen und bekamen ungefragt von Yasemin einen schlechten Vortrag in noch schlechterem Deutsch präsentiert. Ich hatte für mich schon längst beschlossen, Yasemin betont kein Trinkgeld zu geben, als Yasemins hohe Stimme eine zehnminütige Fotografier-Pause einläutete.
Irmgard und ihre Kumpanen packten Unmengen an Rosinenschnecken aus, die sie wohl aus dem Hotel hatten mitgehen lassen. Sie begannen das fettig-klebrige Gebäck an die Mitreisenden zu teilen. Um weder diese fettigen Teilchen, noch Irmgards noch fettigere Wurstfinger anfassen zu müssen, beschloss ich, mich ein weiteres Male unbeliebt zu machen – wobei ich glaube, dass Irmgard schon gar nicht mehr vorhatte, mit mir eine Rosinenschnecke zu teilen. „Die sind wohl in eigenem Fett frittiert“, sagte ich zum Irmgard und hatte prompt beides: Ein fettiges Teilchen und Irmgards fettige Hand im Gesicht kleben.
Ich ging also zu den Franzosen, die sich abseits von den Deutschen an eine Säule lehnten. Ihnen schien meine Anwesenheit auch nicht besonders zu gefallen. Ich notierte in Gedanken: „Sich bei Reiseveranstalter über Mitreisende beschweren!“
Die Franzosen schoben sich ein Weißbrot mit Schinken in ihre gierigen Franzosenmünder. Der Kommunikation wegen, packte ich meine Französischkenntnisse aus, die zwar gering, aber zu Kommunikation geeignet waren. „Bonjour“, sagte ich, „de France?“ Ein genervtes „Oui“ wurde mir entgegen gebracht. „Je suis allemand“, erklärte ich, „je n'aime pas les françaises.“ Dass ich gesagt hatte, dass ich kein französisch sprechen kann, schien den Franzosen nicht zu gefallen, denn sie sagten nun: „Nous savons. Nous détestons les allemands! Hitler a assassiné notre grandparents pendant la Seconde Guerre mondiale, parce qu'ils étaient juives.“
Das habe ich nicht verstanden. Nur Hitler habe ich verstanden. Zur Versöhnung bot ich etwas Baiser an, den ich von dem Nachmittagsbuffet im Hotel habe mitgehen lassen habe: „Voulez-vous baiser?“ Sofort spürte ich eine Franzosenhand in meinem Gesicht, wenig später einen Tritt gegen das Schienbein.
Jetzt weiß ich wieder, warum ich Franzosen eigentlich hasse: Die sind immer beleidigt, verstehen alles falsch und glauben, sie wären Siegermacht. Pah! Siegermacht!? Wohl kaum. Ich ging wieder zur Gruppe und wartete, dass Irmgard fertig damit war, Yasmin Honig um den Mund zu schmieren. Dann ging es weiter.
Wir betraten das Allerheiligste des Tempels, der, wie ich höre, einem Falken geweiht ist. Komische Menschen, diese Ägypter, dass sie Falken verehren. Allerdings verehrten sie wohl auch noch andere Tiergestalten: Stiere, Krokodile, Nilpferde, Ibisse und Schakale. Am besten gefällt mir aber der Mistkäfer.
Yasemin beendete ihren Vortrag und entließ uns eine halbe Stunde in die Freiheit. Endlich dachte ich. Schnell marschierte ich aus dem Allerheiligsten und stolperte prompt über einen Japaner, der sich dann als Chinese entlarvte. Die sind eben so klein und sehen alle gleich aus und stehen einem immer im Weg, weil sie alles fotografieren.
Ich ging aber weiter, ich wollte in den Bus, weg von diesem Ort. Es war mittlerweile auch schon recht heiß geworden. Doch als ich die Tempelanlage verließ war da kein Bus. Ich verzweifelte.
Und nun liege ich hier im Sand. Und heule. Wobei jedoch keine Tränen kommen, weil ich kein Wasser mehr habe. Die Sonne brennt mir auf den Kopf. Ich warte. Auf den Bus. Oder auf den Tod. Eher wohl auf den Tod. Ich sterbe hier allein, in einem fremden Land, in der Wüste. Bitter. Also schreibe ich gerade meine Geschichte und meinen letzten Willen auf: Mein Leichnam soll in Deutschland bestattet werden.
Ich verrecke hier. Ich höre Chopins Begräbnismarsch. Oder glaube zumindest ihn zu hören. Oh, ich Elender ich sterbe. Vielleicht fressen mich ja Schakale? Oder Schlangen? Oder die dicke Irmgard? Ach nein, der bin ich nicht fett genug. Da wird sie ja nicht satt von. Ich schließe meine Augen und warte auf den sicheren Tod.
Ich warte.
Und warte.
Und warte.
Sterben ist verdammt langweilig. Und so einsam. Da muss ich mich beim Reiseveranstalter beschweren. Ich will mein Geld zurück. Aber das bringt mir ja jetzt auch nichts mehr, da ich sterben muss.
Sterben. Vielleicht balsamieren mich die Einheimischen ja ein? Und dann werde ich zur Mumie! Aber nein. Vorher sind meine Organe schon von Mistkäfern und Kakerlaken und Maden zerfressen.
Ich sterbe.
Höre ich Motorengeräusche? Nein, trügerische Einbildung. Doch in mir regt sich ein Licht der Hoffnung. Ein Licht, ein Feuer brennt in mir. Da ist tatsächlich der Bus. Ich bin gerettet. Wie lange liege ich denn schon hier? Die Uhr sagt fünf Minuten. Das kann nicht sein. Egal. Ich bin jetzt errettet. Am liebsten würde ich den Busfahrer umarmen. Sein Achselschweiß hält mich aber davon ab.
So endet mein Ausflug, wie er begonnen hat. Im Bus. Ich leide, aber ich lebe. Ich fahre nie wieder nach Ägypten.


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