Diverses:Die amourösen Abenteuer des Mephistopheles Des Esseintes

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Oha, der Artikel muss überarbeitet werden!Eingestellt am 11.08.2017

Dieser Artikel ist unlustig, inkohärent, platt wie ein Pfannkuchen oder noch nicht fertig. Vielleicht auch alles davon oder gar nichts, auf jeden Fall muss hier noch was gemacht werden.

Siehst du auch so? Klasse! Wie wäre es denn, wenn du dich darum kümmerst? Verbessere ihn, bau mehr Humor ein, schreib ihn zu Ende, mach einen guten Artikel draus! Ja, werter Unbekannter, genau du!

Mehr zu den Mängeln und vielleicht sogar Verbesserungsvorschläge findest du möglicherweise auf der Diskussionsseite des Artikels.

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Elvira

An einem lauen Septembermorgen saß Mephistopheles Des Esseintes, der von seinen Freunden Mephisto genannt worden wäre, wenn er denn welche gehabt hätte, im Wiener Café Central und las, während er ohne Hast eine Sachertorte mit Schlagobers sowie eine Melange frühstückte, das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, um sich in seiner Meinung über Opernkritiker, die er allesamt für biedere Philister ohne Geschmack oder Gefühl hielt, bestätigt zu sehen, als die Lamentation einer Frau an sein Ohr drang: „Warum hast du mich nicht angerufen, Johann? Ich habe gewartet, Johann, lange gewartet, Jahre um genau zu sein. Jahre habe ich auf deinen Anruf gewartet, Johann. Ich meine, du hast ja meine Nummer, also warum hast du mich nicht angerufen, Johann?“ Für einen Augenblick schaffte es diese gewesene Jungfrau in Not Des Esseintes’ Interesse zu wecken; für einen Moment erhaschte sie seine Aufmerksamkeit, erregte seine Neugier, bestand doch die Möglichkeit, sich als Retter in glänzender Rüstung zu inszenieren, der mit dem Schwert seiner Eloquenz trübe Gedanken vernichtend einer bedrückten Frau Trost schenkte, um – und diese Pointe bereitete ihm besonderes Entzücken – ihr Herz spätestens am nächsten Morgen mit größter Freude entzweizureißen, tröstlich wissend einem schönen Frauengesicht den lieblichen Zierrat peinsamer Tränen geschenkt zu haben. Doch der weinerliche Ton dieser erbärmlichen Lamentation, deren dürftiger Ausdruck die Eloquenz im Fluss der bedeutungslosen Ereignisse ertränkte, vergiftete jede Absicht, mordete erbarmungslos jede Regung, sodass sich der Schriftsteller wieder seiner Zeitung zuwandte und der weiteren Klage keine Achtung schenke: „Johann, hörst du mir überhaupt zu? Ich rede mir dir. Es ist wichtig. Es geht um unsere Zukunft. Johann?“ Er wollte gerade umblättern, als ihm der Zeitungsstock aus der Hand geschlagen wurde. Dieser prallte gegen die runde Marmorplatte des kleinen Tisches und fiel leise zu Boden. Nur einen kurzen Blick auf die nächste Seite konnte Des Esseintes erhaschen, dann schaute er in ein Paar brauner Augen, deren Brauen vor Wut verzogen waren. Geifer des Zorns spie ihm entgegen, als die Frau zischte: „Ich rede mir dir, du Hurensohn. Wenn du nicht telephonieren kannst, wirst du wenigstens zuhören können.“ Ohne Hast, darauf bedacht keine schnellen Bewegungen zu machen nahm Mephistopheles die Kaffeetasse in die Hand, führte sie langsam an seine Lippen und betrachtete, während er einen Schluck seiner Melange genoss, die Dame, die sich entschlossen hatte, sein gemütliches Frühstück durch etwas femininen Furor zu versüßen. Sie war von hohem Wuchs, aber der üppige Busen sowie eine schmale Taille, die die Hüfte deutlicher zur Geltung brachte, kaschierten ihre Größe, hießen jeden Gedanken an Schwerfälligkeit Spott. Auch hatten ihre Bewegungen nichts Behäbiges, vielmehr expressierte jede Regungen ihrer Hände, die sich in lange, filigrane Finger Harpyienkrallen gleich zergliederten, jene ungestüme Leidenschaft, die der Wut eigen ist. Selbst ihre Stimme hatte ihren weinerlichen Ton abgelegt und gewandete sich nun mit kämpferischem Timbre. Der Schriftsteller platzierte die Tasse wieder am Tisch, jedoch in sicherer Entfernung zur furiosen Bekanntschaft, lächelte schmallippig, einerseits weil ihn dieser leidenschaftliche Ausbruch hoffen ließ, andererseits weil ihn eben dieser leidenschaftliche Ausbruch doch auch zur Vorsicht mahnte, dann setzte er als gäbe es weder Interesse noch Hintergedanken zu einer kühlen, aber höflichen Antwort an: „Gnädige Frau, Sie scheinen mich mit jemandem zu verwechseln. Weder heiße ich Johann, noch habe ich Kenntnis davon, dass ich es versäumt hätte, jemanden anzurufen.“ Nach kürzester Pause, die sich wie eine stumme Silbe in seine Rede fügte, ergänzte er mit leichter Süffisanz in der Stimme: „Auch wäre es mir neu, dass ich mich mit dem Namen Hurensohn schmückte.“ „Du solltest dich aber daran gewöhnen, Johann, denn du bist nämlich einer. Du bist ein verlogener Hurensohn.“ „Su questo punto, mi consenta signora, di non condividere totalmente la sua an-“ „Was? Glaubst du, das ist ein Witz, Johann? Glaubst du, es macht Spaß, wenn einem das Herz gebrochen wird?“ „Ihnen wurde offensichtlich großer Schmerz zugefügt und ich kann Ihren Schmerz verstehen, aber weder bin ich Johann, noch weiß ich, wer Sie sind,“ erläuterte Mephistopheles, wobei er versuchte möglichst viel geheucheltes Verständnis in seine Stimme zu legen, um zu kaschieren, dass er in Wahrheit keines hatte. Bemühungen, die offenbar keinen Zuspruch fanden, denn kaum hatte er seine leeren Beteuerungen beendet, setzte die Frau, deren Wut anschwoll wie ein Germteig im Backrohr, ihre Anschuldigungen fort: „Wenn du mich schon nicht anrufen konntest, kannst du dir wenigstens die unnötigen Ausflüchte sparen.“ „Gnädige Frau, ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich- “ „Natürlich weißt du es nicht. Du weißt nicht, wie ich gelitten habe. Du weiß nicht, wie lange ich gewartet habe, aber ich weiß ganz sicher, dass du ein riesiges Arschloch bist, Johann. So groß, dass ich dir problemlos einen Fahnenmast hintern rein schieben könnte.“ „Zum letzten Mal. Ich bin nicht Johann und ich weiß auch nicht, wer Sie sind.„ “ Da wartet man Jahre, weinst sich in den Schlaf und erfährt, dass man gegen Katzen allergisch ist und dann weiß der freundliche Herr nicht, wer ich bin.“ „Schön, dass Sie es nun auch verstanden haben,“ stellte Des Esseintes zufrieden fest, sah in ihre großen, weißen Augen, deren haselnussbraune Iris am Rande von dunkelgrünen Fäden durchzogen war, betrachtete den üppigen Busen, der den Stoff des verwaschenen sowie abgetragenen Baumwolloberteils verheißungsvoll spannte, bedauernd, dass diese Beauté, deren körperliche Reize ihm erlösende Befriedigung verhießen, nicht wegen seiner schmachten würden, denn wenngleich er angesichts der rotglühenden Wangen, in Anbetracht der vollen Lippen wohl in der Lage gewesen wäre, über die mediokre Lamentation und die jedem Geschmackssinn spottende Kleiderwahl hinwegzusehen, würde ihn die hübsche Dame trotz aller Beteuerung für Johann halten, der ihr mehr Schmerz zugefügt hatte, als ein paar Phrasen und Schmeicheleien übertünchen konnten, dann ließ er seinen Blick durch das Café schweifen, um festzustellen, dass diese ungeplante Auseinandersetzung auf großes Interesse bei den Gästen stieß. Vor allem ein älteres, japanisches Ehepaar schien so gefesselt von der Vorstellung zu sein, dass es sich genötigt sah, die Begebenheit durch Photos zu verewigen. Des Esseintes seufzte entnervt und war im Begriff nach der Zeitung zu greifen, da er annahm, dass die Störung seines Frühstücks nun endlich ein Ende gefunden hatte, als die aufgebrachte Beauté wieder zu lamentieren begann: »Das hättest du wohl gerne, dass es so einfach wäre, mich los zu werden, dass es ausreichen würde, so zu tun, als hättest du mich vergessen, damit ich verschwinde, aber ich habe dich nicht vergesse, Johann, ich habe dich über die Jahre nicht vergessen können.« Sie unterbrach ihre Klage, um in ihrer Handtasche – einem unförmigen, aufgeblähten Kunstlederbeutel, dessen ehemals giftgrüne Farbe einem dezenten Minzgrün gewichen war – zu wühlen, um nebst Geldbörse, Tampons, Brillenetui und Schminkspiegel auch einen Zettel, den sie vor Mephistopheles auf den Tisch legte, aus der Dunkelheit der Höhle ans Licht zu holen, dann fuhr sie fort: »Lies! Lies und sage mir dann, dass du mich nicht kennst.« »Es mag vielleicht daran liegen, dass ich Sie nicht kenne, aber dieser Einkaufszettel sagt mir nichts; außer dass Sie nicht wissen, wie man Jogurt schreibt. Das ist weder die Handschrift meiner Haushälterin noch entspricht die Liste in irgendeiner Art und Weise meinen Konsumgewohnheiten. Wie kann man bloß Rotwein auf die Liste setzen, als wären Gut und Sorte irrelevant? Schauen Sie, gnädige Frau, Sie können Ihrer Rede von mir aus ein Festtagsgewand anziehen, aber es ändert nichts daran, dass ich Sie nicht kenne,« erläuterte Mephistopheles, der ratlos auf die hastig mit blauen Kugelschreiber verfasste Einkaufsliste blickte, die hauptsächlich Lebensmittel sowie Kosmetikartikel aufzählte, und sich fragte, was in der Vergangenheit der hübschen Dame vorgefallen sein musste, dass sie die Hoffnung trug, eine schriftliche Gedankenstütze, die daran erinnerte, Gurken, Kondome und wasserfesten Mascara zu erwerben, könne irgendwie verflossene Liebschaften demaskieren, dann legte er den Zettel wieder auf den Tisch und harrte einer Antwort, die dem Ganzen hoffentlich Sinn schenken würde. »Das ist meine Einkaufsliste für heute,« erläuterte die Beauté, ließ den Zettel in der Handtasche verschwinden, um ihn nach Augenblicken der Suche, in deren Verlauf einige Scheden zu Boden fielen und wieder aufgehoben werden musste, durch einen neuen zu ersetzen. »Lies! Nein, warte! Ich werde lesen, damit dich die Schuld zerfrisst: Zweifle an der Sonne Klarheit, zweifle an der Sterne Licht, zweifl ob lügen kann die Wahrheit, doch an meiner Liebe zweifle nicht. Schau mir in die Augen und sage mir, dass das nicht von dir ist.« »Das ist nicht von mir, sondern von Shakespeare. Hamlet, 2. Akt, 2. Aufzug. Insofern Sie mir nicht Ihre Unbildung beweisen wollten, scheint Ihr Vorhaben misslungen. Die einzige Überraschung Ihrer hölzernen Shakespearerezitation liegt darin, dass sich auch andere Hamlets Worte geborgt haben.« Eigentlich hatte Des Esseintes im Sinn noch weitere über die Unkenntnis der Unbekannten zu spotten, etwa durch die Spitze, dass man nicht nur in die Betten anderer Männer steigen, sondern auch ins Theater gehen könne, als er in eindrücklicher Klarheit, aber ärgerlicherweise ohne Kontext eine junge Frau, lockend nackt, sich wollüstig im Meer der weißen Laken rekelnd, reminiszierte. Rasch stellte sich Wissen über diese Scene ein, doch seine Klärungskraft war gering. So erinnerte sich der Schriftsteller, dass die Beauté noch lieblich, aber fast schon zu infantil-unschuldig, kurzum eigentümlich erregend quiekte, wenn man den Kitzler berührte, nur der Name jenes hübschen, wohlig weichen Ferkels bliebt im Dunkeln, ja nicht einmal ein Buchstabe traute sich ins Licht, sodass der Schriftsteller zwar das eine oder andere intime Detail hätte nennen können, um sein Nichtvergessen zu demonstrieren, und dennoch schweigen musste, da alle Erinnerung an geteilte, körperliche Freuden bei einer Frau, die wegen ihres Geistes, der für Mephistos Empfinden aber keineswegs mit den Lockungen ihres Busens konkurrieren konnte, geschätzt werden wollte, keinen Wert besaß. Die Namenlose beobachtete das Verstummen mit großer Genugtuung, wähnte sich ihrer Rache nahe, weshalb sie ohne großen Zorn, jedoch mit der schmierigen Zufriedenheit eines kleingeistigen Menschen, welcher in seiner angebrochenen Eitelkeit letztendlich doch bestätigt wurde, verkündete: »Schaut so aus, als ob der Lügner nun doch ertappt wurde. Johann, es gibt keinen Grund deine Gefühle zu verbergen. Jetzt ist die Zeit für Reue.« »Es dünkt mich recht kühn, mir einen Vorwurf machen zu wollen, weil ich Sie in der derangierten Aufmachung, in der Sie sich mir nun zeigen, nicht wiedererkannt habe. Man erwartet sich nicht, im Kostüm wiedererkannt zu werden, woher kommt also die irrationale Hoffnung, dass ich hinter diese grässliche Maske des Gemeinen blicken könnte, mit der Sie mir heute erschienen sind? Jene schale Lamentation hatte nichts mit dem wohligen Quieken gemein, das Sie von sich gaben, als ich Ihren Kitzler berührte.« »Das ist also hängen geblieben: Dass ich stöhne, wenn man mich fickt.« »Mir ist unklar aus welcher Quelle sich Ihr Zorn auf mich speist. Zuerst machen Sie mir schrecklich triviale Vorwürfe, weil ich Sie nicht wiedererkannt habe, obschon Sie so verkleidet hier reinmarschiert sind, als wäre man auf einer Maskerade. Nichtsdestotrotz erinnerte ich mich, was mir nur als großes Verdienst angerechnet werden kann, an eine, zumindest in meinen Augen adorable Scene, doch Sie müssen diesen behaglichen Moment sofort mit einer Vulgarität entwerten, die anscheinend aus Ihrem Wesen fließt wie bei anderen Frauen der Liebreiz.« »Sag einfach meinen Namen, Johann. Sag einfach, wie ich heiße, damit ich weiß, dass du dich an mich, an meine Persönlichkeit erinnerst.« »Reicht es nicht aus, wenn ich sage, dass ich mich an Ihren vollen Busen erinnere, der meinen Kopf so weich bettete, dass nicht einmal Gottes Polster hätte besser sein können? Es ist ja nicht meine Schuld, dass ihr Charakter weniger reizvoll ist als ihre Klitoris.« »Elvira. Ich heiße Elvira, du Arschloch.« »Das ist ein schöner Name, den Sie mit Ihrem Charakter verschandeln. Schämen sollten Sie sich, dass Sie ihn mit dreckigen Narzisstenfüßen treten, dass Sie dem großartigen Charakter aus Mozarts Don Giovanni spotten, der uns durch seinen authentischen Zwiespalt im Emotionalen große Freude bereitet. Sie haben nichts Dramatisches an sich, besitzen keinerlei Bühnentauglichkeit. Sie, meine Liebe, Sie sind banal.« Stumm und dumm glotzend wie ein dickbäuchiger Wels an einem heißen Sommertage, der den Kopf aus dem trüben Wasser hebend gierig nach Luft schnappt, lauschte Elvira Des Esseintes‘ Beleidigungen und erwiderte nichts gegen diese infamen Anschuldigen, sondern schwieg, als wären sie nie ausgesprochen worden. Nur die großen, traurigen Rehaugen zeigten eine Reaktion, glänzten schwach zu Beginn der böswilligen Rede und trübten sich durch den Fluss der Worte immer stärker, bis das Leid sich seinen Weg brach und verschwendete Tränen die geröteten Wangen mit silbernen Bändern schmückten. Mit heiserer Stimme klagte die Verletzte: »Du hast mich belogen.« »Woher die Verwunderung, meine Liebe? Wir lügen doch alle! Wir belügen uns selbst, täuschen die anderen, ersticken die Wahrheit und ficken die Illusion. Moralität ist die freiwillige Knechtschaft der Geistlosen, denen das Genie fehlt, wonach die schöpferische Kraft des ästhetischen Elements verlangt. Sie sind nicht gekränkt, weil ich Sie belogen habe, sondern weil mein Betrug aufgedeckt wurde.« »Aber deine zärtlichen Küsse, deine bewundernden Komplimente. Wahrheit oder Lüge?« »Spiel. Aber falls es Sie tröstest, Elsbeth, ehedem waren Sie der Kelch, aus dem ich süße Wohllust kostete. Durch Sie sprach einmal die Idee der Schönheit. Ihre Umarmung war gleichbedeutend mit dem Versinken in den Schoß von Mutter Erde.« »Aber Johann, warum hast du mich nicht angerufen, wenn ich dir doch so viel geboten habe? Warum hast du mir wehgetan?« „Ich habe Sie nicht angerufen, weil Sie mir gleichgültig sind. Ihre Schönheit hat mein Interesse geweckt, mein Begehren erregt, mein Streben befriedigt. Ihren üppigen Busen, der sich an die Hand schmiegt, wie der Finger Gottes, Ihre filigranen Finger, deren exotische Eleganz an die Krallen eines Raubvogels erinnern, Ihr volles Haar, das wie schwarze Seide über Ihre Schultern fällt müsste ich duzen, denn es ist, wenngleich nicht in meiner Erinnerung geblieben, doch ein Gleichgesinnter in meinem Herzen, aber ich habe kein Interesse Sie oder gar Ihren Charakter kennenzulernen. Ganz im Gegenteil, ich versuche derartiges immer tunlichst zu vermeiden, denn man weiß nie welche Marotten unter dem Teppich der belanglosen Höflichkeiten hervorkriechen und dem Gemälde weiblicher Schönheit irreparable Schäden zu fügen. Man möchte Ihren Mund gar nicht mehr küssen, sobald man erfahren hat, welche Scheiße er formt. Dafür würde sich sogar mein Rektum schämen. Ich sehe weder die zerknirschte Reue einer naiven Maid, noch den feurigen Furor einer Femme fatale, sondern nur das weinerliche Selbstmitleid einer mediokren Narzisstin, aber ich bin ja kein Unmensch, sondern einfach nur ehrlich und möchte Ihnen daher einen Ratschlag mit auf den Weg geben, Elsa. Versuchen Sie nicht interessant zu wirken. Das können Sie nicht. Seien Sie einfach schön. Dafür haben Sie Potential,“ erläuterte Des Esseintes, der an dieser Konversation langsam das Interesse verlor, deutete mit einer abfälligen Handbewegung, dass das Gespräch für ihn beendet war, und wollte mit der Lektüre des Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fortfahren, um sich in seiner Meinung über Theaterkritiker, die die er allesamt für biedere Philister ohne Geschmack oder Gefühl hielt, bestätigt zu sehen, als er aus den Augenwinkeln sah, wie die filigranen Finger, die vor wenigen Sekunden noch mit den Krallen von Raubvögeln verglichen hatte, den schmalen Teller griffen, auf dem die Reste der Sachertorte lagen, die sich, als dieser sich neigte, auf einem Film von halbfesten Schlagobers langsam zum Rand bewegten und dann zu Boden stürzten. Nur ein kleines Stück Schokoladenglasur, an dem noch etwas Marillenmarmelade klebte, schaffte es auf der orangenen Hose Halt zu finden. Elvira blickte auf die zerbröselten Überreste der gewesenen Sachertorte, die zu und auf ihren Füßen verstreut lag, dann hob sie ihren Kopf, blickte starr in die Richtung des Schriftstellers, ohne diesen jedoch mit ihren Blicken zu fixieren. Schwarze Wimperntusche hinterließ schwarze Furchen des Schmerzes auf ihrer Wange. Der Teller glitt ihr aus der Hand, zerschellte am dunklen Parkett, zersprang in tausend Teile. „Warum Johann? Was habe ich getan, dass du mich so behandelst? Siehst du nicht, dass ich weine; deinetwegen weine. Meine Schminke ist ganz verwischt,“ fragte Elvira, die aufgelöst vor Des Esseintes stand, der desinteressiert und lakonisch erwiderte: „Die Welt ist zu grausam, um wasserlösliche Mascara zu tragen, Eleonore.“ Eine Kellnerin im schwarzen Kostüm und mit rotem Halstuch stellte sich beunruhigt durch den Streit, der zumindest das Schicksal eines Tellers besiegelt hatte, zu den beiden und wollte wissen, ob es ein Problem gab. „Ich kann Sie beruhigen, Dorothea, es gibt kein Problem. Die gnädige Frau wollte gerade gehen, nachdem ihre Hoffnungen schon vorher entschwunden sind,“ erklärte Mephistopheles und deutete mit pathetischer Geste, die er durch ein spöttisches Lächeln unterstricht, zum Ausgang. Elvira, die sich wieder gefasst hatte, reckte den Zeigefinder ihrer linken Hand wider den Schriftsteller und zischte ihn an: „Du kannst dir wenigstens das deperrte „Gnädige Frau“ verkneifen. Ich scheiß‘ nämlich auf deine Höflichkeit.“ „Aber Emilia, Sie verstehen nicht. Ich brauche diese Anrede, sonst müsste mir Namen merken,“ erklärte dieser amüsiert, lachte kurz, schaute ein letztes Mal in die haselnussbraunen Augen seiner ehemaligen Liebschaft, deren zornverzerrter Blick selbst Medusa vor Neid hätte erblassen lassen, sah ihr zu, als sie mit kleinen Schritten und hängenden Schultern das Café verließ, wenngleich seine Gedanken immer noch in ihrem Dekolletee vergraben waren, sich an ihr volles Haar schmiegten. Die Kellnerin, die sich auf die beobachtete Szene keinen Reim machen konnte, hakte nach: „Ist wirklich alles in Ordnung, Herr Des Esseintes?“ „Aber selbstverständlich, Dorothea. Von einem brüskierten Frauenzimmer in Leidenschaft gelyncht zu werden, ist fast so schön, wie unsterblich zu sein. Es gibt keinen Grund zur Klage,“ bekräftige Mephistopheles. Dorothea, die angesichts des zerborstenen Tellers, der gefallenen Sachertorte und der weinenden Frau berechtigte Zweifel hatte, dass es kein Problem gegeben hatte, akzeptierte seine Antwort schweigend, nickte knapp und wandte sich zum Gehen, als ihr ein Flugblatt auffiel, das am Boden lag. Sie hob es auf, dann schritt sie fort, um Besen und Schaufel zu holen. Der Schriftsteller warf einen kurzen Blick auf dieses Flugblatt, das für einen eine Redoute im Palais Lichtenstein am kommenden Abend warb, dann griff er nach der Zeitung, als er sich gewahr wurde, dass einige der Gäste, die den vorangegangenen Streit mit großem Interesse verfolgt hatten, immer noch begierig auf ihn schauten, in der Hoffnung, dass er etwas tat, das der Posse, die sie gerade beobachtet hatten, einen würdigen Abschluss verleihen würde. Mit feierlichen Anspruch hob er die Kaffeetasse, die die Auseinandersetzung ohne bleibende Schäden überstanden hatte, in Höhe und sprach mit halblauter Stimme im Brustton der Überzeugung: „Viven le femmine. Sono la gloria dell'umanità.“ Dann wandte sich der Schriftsteller dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu und nachdem er einen Artikel gelesen hatte, der ihn in seiner Meinung bestätigte, dass Konzertkritiker biedere Philister ohne Geschmack oder Gefühl sind, entschloss er sich die Redoute im Palais Lichtenstein nach der Don-Giovanni-Vorstellung in der Wiener Staatsoper zu besuchen.

Maria

Die Luft ging noch schwanger an einer drückenden, überreifen Schwüle die peinsames und dennoch süßes Charakteristikum hitziger Spätsommerabende, deren lähmender Wirkung man sich nur schwer entziehen konnte, darstellte, gebar aber schon unweit des Stadtrandes an den Hängen des Wienerwaldes schwere, schwarze Gewitterwolken, deren kühler Regen, Bote des nahenden Herbstes, der bleiernen Schwere der letzten Tage vertreiben würde, doch von dieser heilsbringenden Befreiung, die innerhalb der nächsten Stunden dem Joch des Sommers ein Ende setzten würde, spürte Mephistopheles Des Esseintes noch nichts als er durch den Burggarten schlenderte, die Hitze verfluchend, die sich unter seinen schwarzen Smoking eingenistet hatte, die ihn in fester Umklammerung hielt, immer stärker zupackend, unnachgiebig den Schweiß herausdrückend, dessen kleine Tröpfchen, die sich unter dem Mantel der Kleidung zu oft zu kleinen Strömen banden, ihm verhasst waren, dessen scharfer Geruch, der aller Welt entgegenschrie, dass man Knecht eines animalisch-primitiven Leibes war, erfüllte ihn mit Ekel. Voller Neid und Begierde sah der Schriftsteller de jungen Frauen, die in knappen Kleidern und mit seichtem Geschwätz wie Kaltblüter auf der verbrannten Wieder saßen, die begehrlich die letzten Strahlen der Sonne aufsogen, die sich an der trunken machenden Schwüle berauschten, anstatt angewidert vor ihr zu fliehen, durchschritt bewusst langsam und gemächlich, bedacht sich aus der stickigen Umarmung zu befreien das große, gusseiserne Tor, das den Parkausgang markierte, suchte unter den schattigen Arkaden der Wiener Staatsoper Schutz, wo er sein Gehtempo noch weiter verlangsamte, sodass seine Schritte nur noch ziel- und lustloses Schlendern waren, wobei der spöttische Beobachter nicht verlegen gewesen wäre, eine nachhaltige Störung des Bewegungsapparates zu attestieren. Obwohl oder gerade weil der Kartenverkäufer, der in der Nähe des Eingangs zur Stehplatzkassa stand und erbärmlich unter seiner billigen, weißen Barockperücke schwitzte, zur Menge der spöttischen Beobachter zu zählen war, sah er im Schriftsteller einen potentiellen Kunden, dessen lethargischer Schritt all zu gut Zeichen einer allgemeinen Willensschwäche sein konnte, doch das fruchtlose Stehen in der spätsommerlichen Hitze, hatten den Keim der Lustlosigkeit wachsen und gedeihen lassen, sodass er nur raunte: „Concert, opera tonight.“ Mephistopheles betrachtete die derangierte Person, die mit freudlosen G’fries und kaum gehobenem Arm einige Meter von ihm entfernt stand, ergötzte sich an ihrer ridikülen Erscheinung, ging die zerzauste, weiße Perücke, die grotesk-schief am Kopf lag, doch in einen ungepflegten Dreitagebart über, der an den schwülstigen Lippen besonders üppig sprießte, trug sie doch ein zerknittertes Hemd mit kurzen Ärmel, dessen Muster Schweiß gezeichnet worden war, und eine fleckige, sowie zu enge Rokokoweste, deren bunter Stoff wie eine Forellenhaut im Schein der sinkenden Sonne schimmerte, lachte amüsiert und erwiderte dann ohne Hast, aber mit Spott in seiner Stimme: „ Die Verzweiflung muss groß sein, dass Sie mich, einen Mann im Smoking, einen Man mit Aktentasche, einen Mann der offenkundig Pläne hat, ansprechen. Versuchen Sie irh Glück bei den Italienern. Die haben im Allgemeinen eine Schwäche für Bajazzi.“ „Ich-“ begann der Kartenverkäufer und spannte seinen Körper an, hob seine Brust, gewillt dem Spott entgegenzutreten, doch dann verließ ihn die Motivation, gewann die lustlose Gleichgültigkeit die Oberhand und er sank in sich zusammen, blickte stumm und dumm auf das Trottoir, ohne seine Rede beendet zu haben. Mephistopheles Des Esseintes zog ein letztes Mal an seiner Cigarre, dann schnippte er diese mit nonchalanter Geste in einen nahen Mistkübel und betrat das Eingangsfoyer der Wiener Staatsoper, dessen mit kunstvollen Ornamenten reich verzierte Kassettendecke im hellen Schein der runden Lampen die Blicke der ersten Besucher – meist Käufer von Stehplätzen – auf sich zog, zum staunenden Verweilen einlud, während sich jene, die mit den Gepflogenheiten dieses Hauses vertraut waren, raschen Schrittes und reinen Gewissens vorbeihuschten, wissend das im Stehbereich freie Platzwahl herrschte. Der Schriftsteller, auf dessen Zunge immer noch der bittere Geschmack von verbrannten Tabak lag, ein Zeichen, dass er die Cigarre zu lange und zu schnell gepafft hatte, zeigte seine Karte der liebreizenden Billeteuse, dann stieg er unter dem Blick der sieben Statuen, die die Künste des Musiktheaters verkörperten, die Feststiege empor. Nachdem er die letzte Stufe erklommen hatte, bog er links ab, erreichte nach wenigen Schritten die Garderobe der Mittelloge, wo er die schwarze Aktentasche abgab, in der sich neben einem Roman von Thomas Mann und einem Cigarrenschneider auch eine Maske für die Redoute befand. Ein kleingewachsener, junger Mann mit vollem, braunen Haar und dominantem Kinn, der für den Publikumsdienst arbeitete, merkte an: „ Herr Des Esseintes, Sie sind heute aber früh erschienen.“ Ja, so früh, dass die Türen noch offen waren und die Billeteuse meine Karte entwertet hat,“ entgegnete der Schriftsteller kühl. Sein Gesprächspartner lächelte höflich, aber ebenfalls ohne große Wärme und erwiderte: „Leider ist der Teesalon noch nicht bereit.“ „Wie lange dauert es noch?“ „Wissen Sie, Herr Des Esseintes, das lässt sich nicht so genau-“ „Nein, weiß ich nicht, deshalb fragte ich ja, wie lange es noch dauert“ „Wie schon gesagt, das lässt sich nicht genau-“ „Und wie Ihre vorige Antwort geht auch diese nicht auf meine Frage ein. Daher noch einmal, damit auch Sie es verstehen: Wie lange muss ich noch warten, bis der Teesalon für mich benutzbar ist? Bitte eine Angabe in Minuten und nicht in Ausreden.“ „Es dauert höchsten noch ein paar Minuten. Es müssen nur noch die Getränke gebracht werden.“ „Dann kümmern Sie sich darum.“ „Aber das Catering-“ „Wenn ich im Sinn gehabt hätte, etwas zu mieten, dass ich dann sowieso nicht nutzen würde, hätte ich wahrscheinlich ein Zimmer am Fuße des Urals oder in einer anderen gottverlassenen Gegend ausgewählt,“ erklärte Mephistopheles gereizt, nahm den grünen Papierstreifen, der ihn als Besitzer der Aktentasche auswies, entgegen und durchschritt die glasbesetzte Doppelschwingtür, die das Auditorium mit den Pausenräumlichkeiten verband, berührte, als er den linken Flügel aufstieß, mit seinen empfindsamen Fingerkuppen das glatte, dunkle Holz des Rahmens, über dem in goldenen Lettern stand: I. und II. Rang-Logen. Der Schriftsteller wandelte geleitet und begleitet von marmornen Statuen, üppig-verschwenderisch gestaltete Allegorien, kurzum Meisterwerke historistischer Kunst, den reichverzierten Bogengang, der an der unscheinbaren Doppelschwingtür anschloss, entlang, über ihm das durch üppigen Zierrat gefälligster Ornamente zum künstlichen Gestirn gesteigerte Gewölbte, unter ihm ein sattgrüner Teppich, der auf dem kostbaren Mosaikboden lag, um diesen zu schützen, während sein Blick durch die schmalen Arkaden, die sich zur Feststiege hin öffneten, schlüpfte, die allegorischen Darstellungen des Tanzes, der komischen und tragischen Oper betrachtend, die über den hohen Fenstern des Teesalons auf die Besucher blickten, passierte die beiden Steinportale, die – das erste schlicht und gekrönt durch das Wappen des Hauses Habsburg-Lothringen, das zweite wuchtiges und an die Front eines antiken Tempels erinnernd – das Stiegenhaus mit den Pausenräumlichkeiten verbanden, um in den Gustav-Mahler-Saal zu gelangen, dessen blass-erhabenen Wände, die an der Ostseite von großen, hohen Fenstern, die den Blick auf den Herbert-von Karajan-Platz ermöglichten, durchbrochen wurden, erhabene Rahmen der golddurchwirkten Tapisserien, die gleichsam ein Fenster des phantasiereichen Escapismus darstellten, formten, begrenzt durch den mittelbrauen, ausgetretenen Parkettboden und die goldverzierte Decke, an der die zahlreichen Luster, die den Raum während der Vorstellungen und Pausen als gläsern-schimmernder Strick aus warmen Licht trennten und erhellten, hingen. Von dort aus schlenderte Des Esseintes weiter seinem Ziel – den Balkonstehplätzen – entgegen, wo er – wie er es schon so oft getan hatte – mit dem geschulten Blick eines Ästheten eine junge Dame aus der Menge erwählen würde, deren lange, glatte Beine zu schön waren, um zu riskieren, dass sie durch aufgrund überlangen Stehens entstandenen und erstandenen Krampfadern verunstaltet werden würden, sodass er geschmückt als philanthropische Geste einen Sitzplan anböte, den ein nicht existenter Freund mangels Kenntnis des Termins unglücklicher Weise nicht wahrnehmen konnte. Es war ein Weg, der ihn auch durch das östliche Nebenstiegenhaus, dessen Decke durch hellviolette Kassetten mit Goldrahmung geschmückt war, führte, wo er allerdings durch eine der vielen Stufen, der er nicht die notwendige Aufmerksamkeit entgegengebracht hatte, da er in Gedanken schon mit einer französischen Balletttänzerin, die dank ihrer lilienweißen Haut und ihrer rubinroten Lippen auf dem Gipfel ihrer jugendlichen Schönheit stand, deren Name, der vielleicht Babette oder Charlotte lautete, nichts zur Sache tat, da er sich doch nur ma cheri oder mon amour nennen würde, kokettiert hatte, zu Fall gebracht wurde. Mephistopheles stolzierte trotzt dieses Missgeschicks durch die ersten zwei von drei Schwingtüren, die den Stehplatzbereich vom Stiegenhaus trennten und war im Begriff auch die dritte zu durchschreiten, um dahinter eine zauberische Beauté zu finden, deren naives Liebesgestammel das hinreißende Postludium von Don Juans Höllenfahrt sein würde, als sich ein Flügel scheinbar von selbst öffnete und Augenblicke später eine alte Frau vor dem Schriftsteller stand. Sie war von kleinem Wuchs, ja geradezu winzig; zumindest ihre Höhe, denn im Vergleich zu dieser war ihr Umfang enorm, monströs, gigantös. Unglaubliche Massen an Fett, die jede Mastsau vor Neid hätten erblassen lassen, drückten gegen den wehrlosen und mitleidswürdigen Baumwollstoff des ehemals weißen Oberteils, formten Ringe, die keine Schwimmreifen, sondern ganze Rettungsbote waren, ließen keine Zweifel daran, dass ein erwachsener Mann in diesen Taschen des Grauens, die unterstützt durch die Schwerkraft und ohne Zwang der Kleidung so stark gegen die geliebte Schwester Erde strebten, dass sie wohl die Scham verdecken würden, ohne Mühe den grausamsten Erstickungstod finden könnte, fall dem Richter ein Rudel tollwütiger Hunde nicht brutal genug erschiene. Im Gesicht fang sich an Stelle einer Nase ein tumoröses, tuberkulöses, knollengewächsartiges Gesichtserkergeschwür, das durch eine schmale Hasenscharte mit dem ridikül kleinen Mund verbunden war, der durch farb- und leblose , an Leichenfinger erinnernde Lippen, begrenzt wurde, wobei dies nur teilweise auf die Unterlippe zutraf, welche ständig Gefahr lief, endgültig vom Überbiss verschlungen zu werden. Die alte Frau öffnete ihr Maul, zeigte ein Dutzend leopardenfellgleicher Zahnstümpfe und hob an zu reden: „Verzeihen Sie, werter Herr, aber darf ich Sie um-“ „Io non parlo tedesco, Enio!“ stieß Des Esseintes entsetzt hervor, tief getroffen durch die schrille Stimme, die dem Kratzen von Kreise nicht einfach ähnelte, sondern geradezu glich, dann wandte er sich ohne eine Erwiderung abzuwarten ab, ergriff die Flucht, stürmte durch die Schwingtür in den sicheren Garderobenbereich, wo er unwillkürlich nach seinen Cigarren tastete, um sich Augenblicke später wieder des liederlichen Rauchverbots Gewahr zu werden, als er Schritte auf der nahen Stiege zur Galerie vernahm. Hektisch wandte sich der Schriftsteller um, sah wie eine blondgelockte, alabasterverkleidete Beauté von leggierezza e brio die Stufen nahm, an ihm vorbeihuschte und Sekunden später seiner Sicht entkam. Irritiert blickte er der jungen Dame nach, roch das süß-schwere Odeur ihres Parfums, versuchte sich der zarten Liebkosung des Lufthauchs, der ihr Geleit gegen hatte, zu erinnern, als die Tür, die ihm die Flucht vor Enyo ermöglicht hatte, sich öffnete und die unbekannte Schönheit hindurchtrat. Mephistopheles stellte sich ihr in den Weg, blockierte den Pad, um zu verhindern, dass sie ihm auskam, für immer und für diesen Abend verschwand, dann begann er sein Maskenspiel: „Wünscht Mademoiselle vielleicht Hilfe?“ Während er seine Frage mit leiser, aber fester Stimme sprach, bedacht höflich, aber nicht anbiedernd, interessiert, aber nicht fokussiert zu wirken, musterte er die junge Dame, die ihm lässig gegenüberstand, schätzte den Nutzer der Ware, prüfte, ob sie die bevorstehenden Mühen wert war. Die liebreizende Beauté war von durchschnittlicher Größe, aber zarter, ja fast kindlicher Statur; die Arme dürr, fast vollständig vom dunklen Nerzmantel bedeckt, gingen in kleine, feste Hände über, die sich wiederum in weißrosa Stumpen mit Elfenbeinnägel Puppenfingern gleich zergliederten. Das kurze, weiße Kleid mit blassblauen Tupfen, das man in einem Bekleidungsgeschäft wohl als Negligee ausgeschrieben hätte, fiel wenig schmeichelnd über die hagere Brust, formte wohlwollend die ausladende Hüfte und setzte die langen, glatten Beine, die in liebreizenden, Ballerina geschützten Füßchen endeten, in Szene, doch vor allem die großen, weißen Augen, die in der Mitte des breiten, mondförmigen Gesichts, welches durch hellblondes, keck frisiertes Haar umrahmt und durch ein kleines Kinn abgeschlossen wurde, saßen, mit ihrer blauen, wie aus Saphir geschliffenen Iris, die von zahlreichen metallisch schimmernden, grauen Sprenkel durchzogen war, erregten die Aufmerksamkeit des Schriftstellers, flankierten die Wurzel des süßen Stupsnäschens, das durch ein unscheinbares Philtrum mit dem großen Mund verbunden war, der die klare helle Stimme der jungen Dame zu folgender, eloquenter Antwort formte: „Was?“ „Verzeihen Sie, falls ich zu forsch war, aber mich dünkt, dass Sie etwas verloren sind.“ „Was?“ „Es scheint, dass Sie sich verlaufen haben.“ „Ach so, ja das stimmt irgendwie. Ich habe nachgesehen, ob es auf der Galerie bessere Stehplätze gibt und jetzt weiß ich nicht mehr, wie ich ins Erdgeschoss komme.“ „Dann darf ich mich wohl glücklich schätzen, Ihnen helfen zu könne.“ „Sie sagen mir also wie ich ins Erdgeschoss komme?“ „Nicht direkt. Ich weise Ihnen den Weg in die Mittelloge.“ „Was?“ „Wenn ich mich erklären dürfte: Ein guter Freund meinerseits, der mich zur heutigen Vorstellungen begleiten sollte, musste leider absagen, da seine berückende Buhle im Sinn hatte, mit dem beneidenswerten Bastard Zeit zu verbringen. Nicht, dass ich mich um ihn gräme – wenn ich in der glücklichen Position wäre, geliebt zu werden, würde ich genauso handeln, aber manchmal schmerzt es, der eigenen; nicht so wichtig. Auf jeden Fall bin ich in der Lage einen Sitzplatz – Mittelloge, erste Reihe – anbieten zu können, selbstverständlich kostenlos.“ „Danke, das ist voll nett. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ „Der Lippen Rot. Der Wangen Licht. Stehen soll die Dame nicht.“ „Was?“ frage die junge Frau, legte ihren Kopf schief und spielte gedankenverloren mit einer Strähne ihres goldblonden Haars, während ihre Augen, ein blaues Meer der Versuchung, in dem sich silbern schimmernd die Sonne des Liebreiz‘ zu spiegeln schien, erwartungsvoll den Schriftsteller fixierten. Mephistopheles beugte sich vor, sog beiläufig aber gierig das süße, schwere Parfum ein, dessen Duft vom fruchtig-erdigen Odeur des Haars und dem modrigen Geruch des Mantels begleitet wurde, während er seine rechte Hand knapp oberhalb des Steißbeins an den Rücken der unbekannten Beauté schmiegte und durch sanften Druck signalisierte, dass man ihm nun folgen solle. „Ich kam nicht umhin festzustellen, dass Ihre Sprechweise dem Wiener Ohr, und damit zwangsläufig auch meinem, fremd erscheint. Darf man fragen, wo Mademoiselle ihre Wurzeln hat?“ „Was?“ „Man mag es bitte meinen beschränkten Geographiekenntnissen zuschreiben, aber ich kenne kein Land, das Was heißt.“ „Ach so. Ich bin aus Dresden, Deutschland, wohne aber momentan in Hernals.“ „Sie sind also ein Mädchen aus der Vorstadt, von dessen Liebreiz man ihn Wien traditionsgemäß schwärmt.“ „Danke, das ist nett. Ich kann sogar schon Wienerisch: Schlagobers, Jänner, Urleinwand.“ „Ausgezeichnet. Diese Diktion, diese Artikulation, einfach einzigartig, quasi nie gehört, aber wo bleiben bloß meine Manieren? Sie sprechen über sich, zeigen Ihre Talente und ich stelle mich gar nicht vor. Mein Name lautet Johann Rax-Weißkugel, also eigentlich Johann von Rax-Weißkugel“ „Eigentlich?“ „Ich entstamme einer alten Adelsfamilie. Meine Urgroßmutter war die Großmamsell seiner Majestät Kaiser Franz Josef, aber das Adelsaufhebungsgesetz verbietet leider die Verwendung von Adelszusätzen.“ „Ein echter Graf! Und dann auch noch verwandt mit der Großmamsell von Kaiser Franz Josef. Wenn ich meinen Freundinnen erzähle, dass ich einen echten Wiener Gentleman kennengelernt habe, der sogar ein Graf ist.“ Nur zu, berichte von deinem Glück, erzähle vom Erscheinen des weißen Ritters, von seinen vollendeten Manieren, von seiner außergewöhnlichen Bildung, von seinem berauschenden Charme, dachte Mephistopheles Des Esseintes, der keine Ahnung hatte, was man in Dresden unter einer Urleinwand verstand und wie sich diese Bedeutung des Begriff, der ihm völlig unbekannt war, von der Wiener Bedeutung, die es nicht gab, unterschied; außer durch Ihre mögliche Existenz, dann entgegnete er: „Bitte, ich bin nur einfacher Mann. Das Leben im Schloss, die teuren Automobile, die ausgiebigen Reisen gehen sicherlich nicht spurlos an einem vorbei, aber dennoch sehe ich mich als nichts Besonderes. Ich bin ein Mann wie jeder andere auch, selbst wenn es Ihnen naiv erscheinen mag. Sie schulden mir übrigens noch Ihren Namen.“ „Ach so. Ich bin Maria Else. Maria Else aus Dresden.“ „Nein, wenn Sie so gut Wienerisch können, sind Sie die Mitzi aus Hernals, “ beteuerte der Schriftsteller und bot eine kurze Führung durch die Publikumsräume der Wiener Staatsoper an, um die neue Bekanntschaft zum Schweigen zu bringen, ihren blasphemischen Antworten ein Ende zu setzen, die jämmerlich daran scheiterten, die Illusion einer interessanten, liebenswerten Person zu erzeugen, obwohl die Versuche schon so ridiküle Ausmaße angenommen hatten, dass der Schriftsteller fürchtete, die Dame könnte sich noch als Jüdin bezeichnen, weil sie einmal koscher gegessen hatte. Es handelte sich um einem Plan, dem kein großer Erflog beschieden war, denn Maria zeigte Interesse daran, brav und andächtig den Ausführung Des Esseintes` zu lauschen, sprich stumm und dumm wie ein Karpfen im stickigen Teich den Vortrag über sich ergehen zu lassen, sondern entwickelte, ganz im Gegenteil, offenbar Freude daran, die gehörten Informationen mit trivialsten Ereignissen und Tatsachen aus ihrem Leben zu verknüpfen, und, wie Mephistopheles fand, dadurch abzuwerten. So gab sie zum Besten, als Des Esseintes über die sieben in Marmor geschlagenen Allegorien der Künste des Musiktheaters, die sich im reichgeschmückten Stiegenhaus fanden, sprach, dass ihr Onkel ebenfalls eine Statue besäße, wenngleich diese aus Gips gefertigt war, offenbarte freimütig, anscheinend angeregt durch den Umstand, dass das Gebäude im Laufe des zweiten Weltkriegs fast vollständig zerstört worden war, dass ihr Cousin beim Versuch eine Dose ungeöffnete Dose Bohnen zu kochen seine Wohnung in Brand gesteckt hätte, und schreckte selbst vor der Lüge nicht zurück, denn als Mephistopheles in seine Ausführungen über die von Moritz von Schwind gemalten Szene aus der Oper Fidelio die Frage einband, ob das gnädige Fräulein jene schon gesehen habe, erwiderte Maria ungeniert und ohne rot zu werden, dass sie zwar nicht diese, aber dafür zwei andere von Ludwig van Beethoven komponierte Musikdramen gehört habe. Es war diese unscheinbare Lüge, diese unbedachte Protzerei mit dem Unmöglichen, diese enttäuschende Täuschung, die verhinderte, dass Marias törichtes Gestammel – Ein Kind von gehegtem und gepflegtem Ignorantentum – dem Gemälde ihrer Schönheit hässliche Kratzer der Realität zufügte, zeigte diese simple Unwahrheit doch, dass der neuen Bekanntschaft daran lag, die Gunst des Schriftstellers zu erwerben. Dieser nahm jedoch an, dass es sich bei der Quelle dieser Affektion nicht um unschuldige, blinde Liebe, die allzu bereit tiefstes Vertrauen auf Kredit offerierte, handelte, sondern hatte den Verdacht, dass etwas in den Augen vieler Adorableres, nämlich Reichtum, die Motivation des Wohlwollens darstellte, so waren die Gesten, die man normalerweise vollführte, um sein über den amicalen Rahmen hinausgehendes Interesse zu expressieren, während der Führung durch Schwindfoyer und Marmorsaal nicht im weichen Samt warmer Lieber gewandet, sondern trugen die Zeichen kalten Kalküls aus linkischen Motiven, so offenbarte sich in den trivialen Antworten vor dem Hintergrund einer seichten Persönlichkeit ein primitiver Hedonismus, der keinen Genuss, sondern nur Excess und Protzerei kannte, zeigte sich durch den feingearbeiteten Pelzmantel, durch das teure Kleid, durch Schuhe, deren einziger Zierrat der Name der herstellenden Marke war, ein vulgärer Materialismus, zu dessen Befriedigung Maria eine Posse aufzog, die das publikumstauglichste Sujet, nämlich die Romanze, auf die Bühne brachte, denn wenngleich die Dresdnerin in Des Esseintes Augen den Wert der Dinge nicht kannte, hielt er sich für mehr als fähig den Preis zu wissen, zu erkennen, dass teurer Zwirn und gute Plätze jemandem gehörten, der in der Lage war zu kaufen, zu akkumulieren, zu verschwenden. Mephistopheles nahm mit Freuden an dieser Posse Teil, hatte jedoch im Sinn seine Rolle darin zu modifizieren, durch eine köstliche Pointe der Handlung neuen Schwung zu verleihen, damit sich der Vorhang vor einer greinenden Mamsell schloss, deren selbstmitleidgeschwängerte Lamentation im Jubel des begeisterten Publikums unterging. Um sein Ziel zu erreichen, sprich seiner Rolle als galanter, aber auch naiver Bonvivant, für den ihn seine neue Bekanntschaft hielt, gerecht zu werden, führte er sie nach dem Rundgang durch die Publikumsräume der Wiener Staatsoper, der im Eingangsfoyer sein Ende gefunden hatte, die Feststiege entlang, wobei er seine Hand an ihren Rücken, knapp oberhalb des Gesäß‘ legte, um seine Intentionen nochmals zu verdeutlichen, hinauf in den ersten Rang, wo er von einem kleingewachsenen Mann mit vollem, braunen Haar und dominanten Kinn angesprochen wurde: „Der Teesalon ist fertig. Es ist alles bereit. Ich möchte mich noch einmal für die Unannehmlichkeiten, die Ihnen entstanden sind, entschuldigen.“ „Nehmen Sie meiner Begleitung den Mantel ab,“ forderte der Schriftsteller und als der Billeteur seinen Worten keine Folge leistete, sondern ihn erwartungsvoll anstarrte, ergänzte er: „oder haben Sie wieder im Sinn, fünf Minuten zu verschwenden, bis Sie Ihre Arbeit erledigen?“ „Verzeihung,“ presste dieser zwischen den Zähnen hervor und nahm den Mantel von Maria entgegen, welche fragte: „Was ist bereit?“ „Ich möchte der Überraschung nicht vorgreifen, Mitzi,“ antwortete Mephistopheles und öffnete die hohe, massive Holztür des Teesalons, die durch türkise Mäander gegliedert wurde. Der Teesalon selbst war ein länglicher Raum, der zwischen Mittelloge und Feststiege, die durch drei schmale Fenster, vor denen ein indischer Kandelaber stand, zu sehen war, lag, dessen teppichbedeckter Boden in kräftigen Karminrot strahlte, umrandet von einem blaugelben Fleuron. Golddurchwirkte Tapisserien, geschmückt mit dem Monogramm des Kaiser Franz Josef, umrahmt von grünen Ornamenten auf orangebraunen Leisten, ornierten die Wände. Durch vergoldete Festons geformte, mit dem Zierrat feinster Stuckatur verschönerte Kassetten gliederten die Decke, in deren Mitte ein historistisches Gemälde, die Blicke des interessierten Besuchers auf sich zog. Kurzum, es war ein prunkvoller, üppig verzierter Raum, der Marias Gefallen fand: „Ist das schön hier. Allein die Tapete mit den kleinen Bildern drauf ist wunderbar. Wie heißt dieser Raum?“ „Das ist der Teesalon. Früher verbrachte hier die kaiserliche Familie die Pausen.“ „Ich mag keinen Tee. Der schmeckt nach Staub, aber was hätte man sonst trinken sollen. Damals gab es noch keinen Wodka,“ sinnierte die Dresdnerin volks- und in gewisser Weise auch suchtetymologisch über den Namen des Pausenraums, wobei sie federnden Schrittes durch den Salon schlenderte und dabei die goldenen Tapisserien anschaute. Mephistopheles betrachtete wiederum kopfschüttelnd sein hübsches Opfer, das nichtsahnend mit seinem goldenen Haar spielte, dessen Kleidersaum verlockend über die jungen Beine strich, seufzte, um seinem Ärger ein Ventil zu schenken, dann erwiderte er: „Aber ein 98er Dom Pérignon findet sich Mademoiselles Zustimmung.“ „Ja! Ich liebe Champagner. Er prickelt so schön auf meiner Zunge und an anderen Stellen. Ich habe einmal eine Flasche umgestoßen und es hat dann an meinen Füßen gekitzelt, als würden die sich auflösen.“ „ Aber vorher überprüfen wir die Temperatur, Mitzi. Man trinkt nie einen Dom Perignon, wenn er warm ist. Das wäre genauso als höre man Wagner ohne Ohrenschutz,“ erläuterte Des Esseintes, der keinerlei Interesse daran hatte, dass Maria beim Versuch das Glas zu füllen, den teuren Champagner über den kostbaren Teppichboden des denkmalgeschützten Teesalons leerte, nahm die Flasche aus dem mit Eiswasser gefüllten Aluminiumkübel und goss etwas Champagner in den Schaumweinkelch, dann bot er Maria Glas und Sessel an, bevor er selbst Platz nahm. Diese folgte dem Angebot, griff das Glas und setzte sich, wobei der Schriftsteller, der unter das Kleid lugte, einen Blick auf ihre rosa Baumwollunterwäsche erhaschen konnte, dann schenkte er sich Rum ein, Zacapa 23 añejo um genau zu sein, und begann: „Ich persönlich konnte nie sonderlich viel mit Schaumwein anfangen. Er ist für mich genauso schal, blass und nichtssagend wie das Vergnügen, das er begleitet. Es prickelt an der Lippe, moussiert auf der Zunge, aber der Geist bleibt unberührt. Deshalb haben stattdessen Spirituosen meine Gunst erobert. Ein Schluck tröpfelt direkt in mein Herz.“ „Also ich finde Rumkugel ganz gut. Ab und zu trinke ich auch einen Cuba Libre, wenn kein Wodka da ist,“ erwiderte Maria. Mephistopheles nippte am Rum, genoss das schwache Brennen auf seiner Zunge, dann legte er das Glas zur Seite, beugte sich nach vor und umfasste mit seiner linken Hand das Kinn der Dresdnerin, sodass er jene durch sanften Druck zwang, ihn mit ihren großen, blauen Augen anzuschauen: „Weißt du, Mitzi, es ist fürwahr eine olympische Wonne mit dir zu konversieren.“ „Was?“ „Ich rede gerne mit dir. Du verstehst mich. Ich verstehe dich. Wir verstehen uns. Ich würde mich glücklich schätzen, ständig in solch liebreizender Begleitung zu sein. Mache mich glücklich und verrate mir deine Telephonnummer. Schreibe sie einfach auf die Rückseite der Eintrittskarte,“ forderte Des Esseintes, nahm eine abgegriffene, goldschwarze Füllfeder, sowie das Billett aus der Innentasche seines Smokings und legte beides auf den schmalen Glastisch. Mit Freuden beobachtete er, wie sich Marias weißrosa Finger um die Feder schlangen und in verschnörkelter Schönmädchenschrift eine Reihe von Ziffern mit violetter Tinte auf das weiße Papier bannten. Mit voluptuösen Entzücken sog er auf, wie sich die zarten, rosa Lippen zu einem Lächeln verzogen, das große, weiße Zähne bloßlegte. Er erwiderte dieses, steckte die Eintrittskarte wieder in seinen Smoking und beteuerte: „Du wirst es nicht bereuen. Ich bin ein Mann mit redlichen Absichten.“ „Dann ging der Schriftsteller dazu über von einem fiktiven Schloss zu erzählen, dass er angeblich bewohnte und wurde von Zeit zu Zeit durch Maria unterbrochen, die es für angemessen hielt dieses Märchen durch allerlei Trivialitäten aus ihrem Leben wie zum Beispiel einem Puppenhaus aus ihrer Kindheit zu ergänzen. Nach dem Läuten der Glocke, die an den Beginn der Vorstellung gemahnte, verlagerte sich das Gespräch in die Mittelloge, wo es durch den Beginn Mozarts meisterhaften Don Juan ein Ende fand und zwar sehr zu Mephistopheles Freude, der sich danach nicht nur an der Divinität der Musik berauschte, sondern sich auch in den kurzen Pausen, die sich durch den Szenenwechsel ergaben, zu seiner Bekanntschaft beugte, um ihr süßes Odeur einzusaugen und zufällig ihre glatte, straffe Haut zu fühlen.

Circe

Ein erstauntes Quieken, das dem zierlichen Frauenhalse als Reaktion auf Des Esseinte’s wandernde Hand entkam, beendete den ungestümen Kuss, der mit großem Begehren, aber ohne besonderes Zutrauen ausgeführt worden war. Maria wich – die Wangen leicht gerötet – einen Schritt zurück, legte den Kopf schief, wobei sie eine Strähne des blonden Haares zwischen den Fingern zwirbelte, und erklärte gespielt schmollend: »Du willst mich gar nicht. Du gehst auf deinen blöden Maskenball und lässt mich zu Hause warten.« »Geh bitte, Mitzi. Ich habe dir ja schon erklärt, dass ich einem Freund versprochen habe, auf die Redoute zu gehen; und mitnehmen kann ich dich nicht, weil du keine Maske trägst. Aber ich werde mit niemandem tanzen und nur an dich denken.« »Versprochen, Johann?« Die Beauté beugte sich vor zum Kuss. »Versprochen,« erwiderte Mephistopheles kalmierend. Nun waren Marias Befürchtungen nicht gänzlich grundlos, obschon keineswegs Gefahr bestand, dass Silbersprenkelaugen und Porzellanpuppennaserl über Nacht vergessen werden würden. Vielmehr wurde der Schriftsteller des Menschen überdrüssig, der hinter jenem Gesicht hauste und die schöne Fassade tatsächlich bloß Fassade sein ließ. Gerade im Kontraste zur größten Kunst, deren dankbarer Zeuge er abermals wie glücksbeseelt geworden war, nahm sich der Charakter der Dresdnerin schlicht niedrig aus. Jedes ihrer Worte stank nach Lifestylehedonismus, dünstete faulige Kleingeisterei aus, die wie billig-süßes Parfüme, dessen obszöne Penetranz die anregende Odeurmelange durch plumpe Einheitsdufttyrannei verdrängt, jeden Ansatz von Liebreiz in Vulgarität erstickte. Kein Geständnis, keine Anekdote, keine Mitteilung, die nicht girrte: »Schau, was für ein toller Mensch ich bin!« Unbekümmert band die Dreiste den ersten Akt dieses Götterwerks aus Menschenhand an die Banalität ihres verlebten Alltags, spotte in der Pause schamlos über die allerliebreizendste Zerlina, als hätte sie nicht die Apotheose der herzigen Lebensfreude, sondern eine ungelenke Vorstadtvarietétänzerin erfahren, sah in Elviras Liebespein nur eine Überleitung zur Geschichte einer einfältigen Freundin, die dem unerreichbaren Liebeswunsch in Gestalt eines untreuen, daher auch gewesenen Ehemannes nachhetzte. Und doch, als wollte sich der Körper für den Geist entschuldigen, gewann jeder Schritt, jeder Blick an Reiz. Während aus dem großen, leicht schiefen Munde ungeklärter Unrat tropfte, bewegten sich Hände, Füße, Beine, Arme und das einnehmende Gesicht mit solche Finesse, dass man gar nicht glauben wollte, dieser Leib gehöre jener Person. Daher hatte Mephistopheles rasch den Entschluss gefasst, beides so gut wie möglich zu trennen, den Körper zu genießen, ohne sich am Geist schmutzig zu machen. Der Schriftsteller küsste die junge Frau, wonach er, um das süßschwere Odeur noch länger atmen zu können, einige Augenblicke beim Gesichte verweilte und, das Versprechen auf den Lippen sowie die Absicht im Herzen, beteuerte zu ihr zurückzukehren, selbstverständlich ohne zu verraten, dass er zwar mit Maria, aber eigentlich von ihrem Körper sprach. Des Esseintes warf einen letzten Blick auf das hübsche Gesicht, dann nickte er der rothaarigen Billeteuse zu, welche lächelnd beim Ausgang stand, und trat hinaus in die Nacht. Dicht und schwer fiel der Regen aus schwarzen Gewitterwolken, legte einen feinen Schleier über die Dinge, sodass das Licht der Stadt dumpf wirkte, seinen grellen Schein verlor, aber an Wärme gewann. Schon der reizlose Opernringhof, welcher auf der anderen Straßenseite lag, wirkte fern; jenseits des verkleinerten Horizonts, den das Wetter erzwang. Von Menschen umflossen wie ein Stein vom Fluss stand der Schriftsteller unter der Loggia, starrte unentschlossen durch die Arkaden auf den dicken Tropfenvorhang, überlegte wie er denn zum Palais Lichstenstein käme, nachdem das unvorhergesehene Gewitter das geplante Schlendern durch die im Laternenschein leuchtenden Gassen ins Wasser fallen hat lassen. Erst als der Blitz durch den Regen brach, ein mächtiger Donner das Tropfenprasselkontinuum springen ließ, überwand Des Esseintes seine Abneigung gegen Taxifahrer, die er allesamt für Schlächter des Feingefühls hielt, welche entweder mit schleimiger Jovialität die schönste Art des Gesprächs, nämlich des Gesprächs um seiner selbst willen, schändeten oder – des bereichernden Schweigens unfähig – Musik abspielten, die nur deshalb im Radio lief, weil niemand diese freiwillig wählen würde, und stieg in einen schwarzen Alfa Romeo. Noch bevor Mephistopheles die Wagentür geschlossen hatte, begann das Gespräch: »Bei dem Sauwetter würde man nicht einmal einen Hund vor die Tür jagen.« Er warf einen Blick auf die dunkelblauen Augen der jungen Fahrerin, welche sich im Rückspiegel zeigten, nahm sich einen Moment, um das Parfüme – ein frischer Duft mit Thymian- und Rosmarinnote – zu fassen, erst dann antwortete er: »Es schüttet wirklich wie aus Kübeln. Und ohne Regenschirm, den ich natürlich daheim gelassen habe, steht man wie ein begossener Pudel im Regen.« Die bleiche Wange, nur schwach vom schmutzigen Licht der Straße erhellt, verzog sich leicht im Lächeln. Die Lieder schlossen sich kurz, als der Kopf zustimmend nickte. »Dann schauen wir besser, dass wir Sie trocken ans Ziel bekommen. Wohin darf ich Sie bringen?« Des Esseintes ärgerte sich über die stupide Formulierung der Frage, als ob die Fahrt ein Gnadenakt seiner Person und keine aus Not in Anspruch genommen Dienstleistung wäre, lächelte aber schelmisch, durch die Präsenz der Chauffeurin angenehm entschädigt, und tat so, als würde er bedauern: »Leider, leider ist es gar nicht weit. Bei einer so reizenden Fahrerin möchte man weiter als bis zum Stadtpalais Lichtenstein.« Sie legte eine Strähne des kastanienbraunen Haares hinter das kleine Ohr, löste ihren Fuß von der Kupplung und der Wagen fuhr los. Erst auf Höhe der Neuen Burg – also etwa der Hälfte des zurückzulegenden Weges – endete das Schweigen, welches sich nach Mephistos Vorstoß sanft, aber dennoch deutlich wahrnehmbar über beide gelegt hatte. »Ins Stadtpalais also?« »Genau.« »Darf man fragen, was Sie dort hinführt. Ich meine, bei dem Wetter wäre ich lieber daheim und spät ist es auch schon.« »Ohne Zweifel wäre es jetzt auch im Bett sehr schön.« Er unterbrach, lächelte verschmitzt, setzte aber nach kaum merklicher Pause, die einerseits lang genug war, um den ersten Teil der Antwort zu betonen, andererseits zu kurz, als dass dieser vom Rest gänzlich unabhängig aufgefasst werden würde, fort: »Eine Redoute findet statt. Und die interessanten Leute lernt man erst zu später Stunde kennen.« Die junge Frau lachte zustimmend. »Da haben Sie Recht. Aber wo ist Ihre Maske? Ohne Maske können Sie nicht auf den Ball gehen.« »Selbstverständlich habe ich eine bei mir. Ich gehe nicht ohne Maske aus dem Haus. Schauen Sie her, oder besser nicht. Wir wollen ja, dass kein Malheur passiert.« Der Schriftsteller beugte sich zu seiner Aktentasche hinab, öffnete diese und nahm seine Pulcinellamaske heraus. Der schwache Glanz des glatten, schwarzen Lacks sowie das feine, ockergelbe Band, welche den Rand umspannte, standen im Kontrast zur groben Physiognomie, zur langen Nase, die aus dem Gesicht wuchs, zur kräftigen Brauenschwulst, die wie ein missplatzierter Sims über den Augenfenstern lag . Des Esseintes setzte die Maske auf, band

Laura

Die Sonne hob sich über die Dächer der erwachenden Stadt, deren Straßen und Gärten feucht waren vom Tau, warf ihre hellen Strahlen in die Zimmer derer, die es – gleich ob aus Trunkenheit oder bei vollem Verstand – unterlassen hatten, die Vorhänge zuzuziehen, schmückte den Horizont mit einem roten Streifen, der sich wie Rubincollier des Himmels Busen schmiegte. Die Luft trug noch die Frische der Nacht und es war zweifelhaft, dass sie diese gänzlich verlieren würde, denn der Herbst hatte – wenngleich mit einiger Verspätung – Einzug gehalten, trotzdem versprach der wolkenlose Himmel einen angenehmen, liebreizenden Tag, frei von der Schwüle und der Last des Sommers. Mephistopheles Des Esseintes sog die kühle Luft des Morgens, die schwach auf seinem Gesicht kribbelte und seinen Händen eine süße Taubheit schenkte, in seine Lungen, blickte über das grüne Dach des Parlamentsgebäudes, vorbei an Burgtheater und Volksgarten, wo er schon die ersten bunten Blätter entdeckt zu haben glaubte, zur Hofburg über deren Kuppel die aufsteigende Sonne stand, genoss das zarte Ziehen der Müdigkeit in seinen Gliedern, dann senkte sich seine Brust, die verbrauchte Luft wurde ausgestoßen und der Schriftsteller setzte sich auf einen hässlichen sowie unbequemen und damit doppelt misslungenen Stuhl, der sich auf der Terrasse des Justizcafés am Dach des Wiener Justizpalastes befand. Nachdem er Platz genommen hatte, fischte er Circes Notiz, die nach einer eifersüchtigen Raserei Marias nun in zwei Teilen vorlag, aus der Tasche seines Smokings, legte beide Hälften auf eine trockene Stelle der grauen Kunststofftischplatte, die er vorher abgewischt hatte, und betrachtete ohne den Text zu lesen die mit schwarzes Tinte aufs Papier gebannte Schrift, deren kunstvolle und verspielte Serifen ihn zum Schwärmen brachten, rief sich das leidenschaftliche Klavierspiel der entschwundenen Pianistin ins Gedächtnis, wurde dabei jedoch von einer hellen, klaren Stimme unterbrochen, die mit Enthusiasmus fragte: „Was darf ich Ihnen bringen?“ Der Schriftsteller sah auf, blickte in ein Paar jadegrüner Augen, das freundlich aber keck zurückschaute, betrachtete die zierliche Nase, die durch einen kleinen Höcker verunstaltet wurde, glitt mit seinem Blick von deren Spitze über das ausgeprägte Philtrum zur lieblichen Ausbuchtung des Kupidobogens, dem Ansatz schmaler Lippen von berückendem Kolorit, die einen großen, lächelnden Mund umschlossen. Er ließ sich Zeit, wartete einige Augenblicke, als ob er, der im Regelfall zu wissen glaubte, was er wollte, sich nicht sicher sei, was er ordern sollte, musterte dreist die Kellnerin, dann, bevor er fürchtete, dass es auffällig werden könnte, bestellte er: „ Eine Menage sowie eine Sachertorte mit Schlagobers.“ „Tut mit leid, wir haben leider keine Sachertorte. Darf ich Ihnen etwas anderes bringen?“ entgegnete die junge Frau und Mephistopheles ergötzte sich am schwachen Moment der Verlegenheit, dass sich in ihrem Lächeln, in ihrer Haltung zeigte, dann hob er beschwichtigend die Hand und sagte: „So nehme ich Buchteln mit Vanillesauce, aber nur wenn sie mit Marillenmarmelade gefüllt sind.“ „Haben wir leider auch nicht.“ „Ich nehme sie auch Powidlfüllung, wenn es sein muss.“ „Es tut mir leid, wir haben keine Buchteln im Angebot, weder mit Marillen- noch mit Powidlfüllung.“ „Also keine Buchteln?“ „Keine Buchteln. Leider.“ „O tempora, o mores! Dann soll es halt ein Kaiserschmarren werden.“ „Haben wir leider auch nicht.“ „Nusspalatschinken?“ fragte Mephistopheles, der, falls die Bedienung keine hübsche junge Frau, sondern ein älterer Herr oder einfach nur hässlich gewesen wäre, verkündet hätte, gedacht zu haben, sich in einem Café in Wien und nicht in einer Schabrake in Addis Abeba zu befinden, doch da er am Aussehen der Kellnerin Gefallen gefunden hatte, lächelte er verschmitzt als diese in einer Mischung aus Erheiterung und Verlegenheit übertrieben theatralisch den Kopf schüttelte und heiter anbot: „Aber ich kann Ihnen einen Nussstrudel bringen.“ „Bevor ich noch ins Gras beißen muss, beiße ich liebe in den Nussstrudel,“ antwortete der Schriftsteller, der keineswegs angetan davon war, mit einem Nussstrudel Vorlieb nehmen zu müssen, doch die Verheißung der Lust, über das hohe Jochbein und die zarten Wangen der Kellnerin zu streichen, ihre helle, blaße Haut an seinen Lippen zu spüren, stach die lustfeindliche Wirkung mangelnder Mehlspeisenauswahl aus, sodass er nicht aufstand und ins Café Central ging, wo er seine Sachertorte bekommen und unter Umständen Evira getroffen hätte, die ihre zweite Chance zum Tellerwurf wohl besser nutzen würde, sondern sitzen blieb und der Kellnerin nachblickte, deren dichtes, dunkelblondes Haar durch ein schlichtes, schwarzes Gummiband zu einem Pferdeschwand gebändigt wurde, bis diese im schmucklosen Innenraum des Cafés verschwand. Einige Augenblicke gab sich Mephistopheles der träumerischen Überlegung hin, welch wundervolles Odeur das dichte, gesunde, dunkelblonde Haar verbreiten würde, wenn es ohne Zwang des Gummibandes, ohne Zopfgeflecht, ohne Klammer und Nadeln, kurzum frei wie ein Vorhand aus feinsten Bernsteinfäden über die Schultern fiel, welch Freude es bereiten würde, mit seinen Händen durch den dunkelblonden Schopf zu wühlen, die großen, langen Finger durch ein Heer zartestes Taue gebändigt und geborgen wissen, während ihm der köstliche Geruch ehrlicher Weiblichkeit in die Nase stieg, dann besann er sich wieder frugalen Realität, schenkte Circes Rätsel seine Aufmerksamkeit, dessen Lösung er noch keinen Schritt näher gekommen war, denn seine Überlegungen waren fruchtlos wie die Sahelzone geblieben und Marias Ausführungen, vorn denen sich Mephistopheles sowieso nicht viel erwartet hatte, geschweige denn einen brauchbaren Hinweis, betrafen vor allem Circes Persönlichkeit, boten die wildesten Spekulationen auf, dass Circe wahlweise eine Schlampe oder eine Hure sei, die mehr sexuelle Kontakte als eine tschechische Dirne in einem Laufhaus an der österreichischen Grenze habe, sprich, die es mit jedem treibe, vermutlich sogar mit ihrem eigenen Hund, und deren Geschlechtsorgan nicht nur nach Fisch stänke, sondern auch durch die verschiedensten Geschlechtskrankheiten entstellt an eine nekrotisierte Axtwunde erinnere, weshalb sie im versifftesten und dreckigsten Bordell diesseits von Bogota arbeiten müsse, um ihre acht Bankerte zu ernähren. Kurzum, die polemischen Antworten der Dresdnerin brachten keinerlei Erkenntniszuwachs über den Treffpunkt, veranlassten den Schriftsteller jedoch das Angebot des gemeinsamen Frühstücks, das mangels vernünftiger Mehlspeisenauswahl aus Müsli und schrecklichem Löskafee bestanden hätte, endgültig auszuschlagen, denn wenngleich er sich als Mann des Theater in der Regel für weibliche Eifersucht begeistern konnte, vor allem, wenn sich darin die Sorge manifestierte, ihn verlieren zu können, war Marias uninspirierte, wenngleich eloquente Inszenierung dieser Schmierenkomödie, die man angesichts ihres ins Ridiküle gesteigerten Furors nur als solche bezeichnen konnte, vor dem Hintergrund des weißen Bühnenbildes, das ihre farblose Persönlichkeit geschaffen hatte, nur ein weinerliches Hohngeschrei wider die echten, die großartigen Darbietungen dieser feurigen Emotion, war nur das possessive Geklammere einer philiströsen Narzisstin, das jegliche Liebe vermissen ließ, das höchstens eine Gefahr für die Notiz der unbekannten Pianistin darstellte. Also war der Schriftsteller unter Vorgabe eines Termins gegangen und zum Wiener Justizcafé mit seinen zahlreichen Parkmöglichkeiten gefahren, wo er nun saß und seinen Blick über die Dächer der Stadt schweifen ließ, während er sich die Frage stellte, wie man den größten Schöpfer – insofern kein gigantischer Suppenlöffel gemeint war, eine Person mit prägnanter Prädikation – vergessen konnte und wie man ihn wiederfinden sollte, wenn er einem doch entfallen ist. Fruchtlose Überlegungen, die ein jähes Ende fangen, als die Kellnerin mit leichten Schritten und liebreizenden Lächeln an seinen Tisch trat, eine Melange und einen Nussstrudel brachte: „ So, Ihre Melange und die gewünschte Mehlspeise aus unserer hauseigenen Konditorei.“ Des Esseintes blickte ihr fröhliches Lächeln, suchte nach einer charmanten Antwort, die das Gesicht der jungen Dame nicht mehr einfach aus Freude am Leben, sondern wegen seiner strahlen ließ, die es schaffte, dass der zierliche Busen, der sich unter dem Stoff der schmucklosen, weißen Bluse barg, sich hob und senkte, während sie im Angedenken seiner sehnsuchtsvoll ihre Seufzer ausstieß, doch seine Gedanken verwehrten ihm den Dienst, waren eingenommen vom Rätsel, gebändigt durch den seelenvollen Tastenanschlag Circes, paralysiert durch den lockenden Blick dunkler Augen, sodass Mephistopheles nur stumpf lächelte und höflich, aber kühl dankte, um sich sofort wider der Notiz der Pianist zu wenden zu können. Gedankenverloren griff er den Nussstrudel, biss ab, dass es nur so staubte und bröselte, ignorierte, dass die Mehlspeise, die durch die stundenlange Tortur im Backrohr jeden Tropfen Flüssigkeit verloren hatte, gierig wie ein Schweizer Bänker jeden Tropfen Speichel aufsog, ohne dabei auch nur im geringsten feuchter zu werden, sodass sich der Strudel, als der Schriftsteller diesen mit Mühe schluckte, einer überbackenen Diestel gleich in seinen Rachen krallte. Rasch aber darauf bedacht zu verheimlichen, dass er innerhalb der nächsten Minuten an einem Strudel trockener als die Atacamawüste ersticken könnte, nahm er die Kaffeetasse in die Hand und führte sie an seine Lippen, doch die Melange war nicht nur mäßig im Geschmack, sondern auch frisch zu bereitet, also brühheiß, sodass der Kaffee wie flüssiges Eisen im Mundraum brannte, ohne jedoch den anscheinen feuerfesten und immer noch staubtrockenen Nussstrudel in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Vielmehr bedingte der Schmerz, dass Mephistopheles seinen Hustenreflex nicht mehr unterdrücken konnte, ächzte und bellte wie ein Kettenrauchen in seinen letzten Zügen; nur war er statt Blut Mehlspeisenreste aus, von denen einige in seinem Kaffee landeten. Die Bedienung, die an einem nahen Tisch Platz genommen hatte, da wenig los warn, denn kein Beamter käme auf die Idee schon so früh zur Arbeit zu erscheinen, die man sowieso größtenteils plaudernd in der eigenen Kaffeeküche verbrachte, sprang auf, eilte zum Schriftsteller, fragte in Sorge, ob alles in Ordnung sei. Des Esseintes hatte im Sinn zu klagen: Darüber, dass er fast an einem Nussstrudel erstickt wäre, darüber, dass die Melange zu wässrig sei, darüber, dass es an einen Skandal grenze, dass es in einem Wiener Kaffeehaus weder Buchteln noch Sachertorte gäbe, doch dann blickte er in die jadegrünen Augen der Kellnerin, roch das erfrischend juvenile Odeur ihres Parfums, schaffte es seine Begierden von Circe zu lösen und auf diese junge Dame, die neben ihm stand, die sich um ihn sorgte, zu projizieren, zu wünschen, dass diese Beauté in seinen Armen lag und seinetwegen schmachtete, sodass er sich aufraffte und ein charmantes Lächeln auf seine Lippen zwang, um Augenblicke später zu erwidern: „Danke, es ist alles bestens. Ich habe halt den Hals vollgekriegt. Ich weiß, kaum zu glauben bei diesen mirakulösen Mehlspeien.“ Die Kellnerin lachte, neigte ihren Kopf und blickte Des Esseintes noch einige Augenblicke an, dann erwiderte sie: „Wir sind zwar nicht das Sacher, aber dafür muss man keinen Kredit aufnehmen, um bei uns einen Kaffee trinken zu können.“ Dafür braucht man einen Todeswunsch, um hier einen Nussstrudel zu ordern, kommentierte der Schriftsteller in Gedanken und erwiderte nicht minder spöttisch: „Aber es bedarf eines göttlichen Wunders, um hier eine Sachertorte zu bekommen.“ „Es tut mir leid, dass unsere Auswahl begrenzt ist, aber wenn Sie möchten, kann ich Ihnen etwas anderes bringen. Etwas, das nicht so trocken ist.“ „Das ist sehr nett, aber es braucht mehr als einen Bissen vom Nussstrudel, um mir den Holzpyjama anzuziehen. Wer weiß, vielleicht schafft es der zweite?“ „Hoffentlich nicht. Haben Sie sonst noch einen Wunsch?“ fragte die junge Dame. Des Esseintes spielte mit dem Gedanken ihre Hand zu nehmen, in ihre grünen Augen zu blicken und girren, dass er sich nur sie, nur ihre Liebe wünscht, doch er verwarf diese Idee rasch, schien die Kellnerin nicht die Person zu sein, die mangels parentaler Liebe sehnsüchtig auf den Traumprinzen wartete, der ihr schon im ersten Augenblick der gemeinsamen, glückseligen Zukunft quasi gottgegeben amouröse Empfindungen entgegenbringt und ihr die Geborgenheit schenkt, nach der sie sich immer gesehnt hatte. Selbst die Frage nach der Telephonnummer erschien zu forsch, zu verwegen, hatte er die Beauté doch nur in ein belangloses Gespräch verwickelt, Trivialitäten ausgetaucht, um zu zeigen, dass er es ihr nicht übel nahm, fast an einem Nussstrudel erstickt zu sein, den sie gebracht hatte. Der Schriftsteller war im Begriff, weitere Plattitüden zu äußern, zu sagen, dass es angesichts der beglückenden Präsenz der Kellnerin dumm, ja nahezu närrisch wäre, zu sterben, in diesen heiteren Momenten aus dem Leben zu scheiden, doch dann fiel sein Blick auf Circes Notiz und glitt von dort zum Busen der Bedienung, wo ein kleinen Täfelchen befestigt war, auf dem der Name Laura Grimaud stand, um gleich darauf zu ihren Augen zu wandern. So begann der österreichische Schriftsteller Mephistopheles Des Esseintes – entschlossen zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen – seine Bitte: „Tatsächlich gibt es etwas, womit sie mir helfen können, Laura. Die Buhle meines guten Freundes Johann – eine ganz und gar liebreizende Frau – hat ein verspieltes Wesen, sprich sie hat Spaß an Scherz und Rätselei. Zum Leidwesen meines Freundes ist sie auch dem Jeu nicht abgeneigt, wobei ich das nicht als Makel, sondern eher als liebenswerte Eigenart sehe. Nun hat besagte Dame meinem Freund Johann ein Rätsel gestellt, doch leider ist dieser zwar ein lieber Kerl, aber kein Mann von strahlender Intelligenz und hat mich somit gebeten, ihm bei der Lösung zu helfen. Ich dachte mir, auf dem Weg dorthin, kann es nicht schaden, eine Frau zu fragen.“ „Ich helfe Ihnen gerne, aber wenn Sie wirklich meine Hilfe benötigen, würde ich an Ihrer Stelle nicht dem Finger auf Ihren Freund zeigen,“ erwiderte Laura schnippisch. Des Esseintes konterte: „Er kann sich glücklich schätzen, die Liebe einer Frau genießen zu dürfen. Dieses besondere Band sollte ihn wohl dazu befähigen, das Rätsel zu lösen.“ Liebe macht blind, nicht schlau.“ „Deshalb ist sie auch so wundervoll. Am besten lese ich Ihnen das Rätsel einfach vor: Dort wo selbst der größte aller Schöpfer dem Vergessen anheim fiel, soll morgen unser Erinnern beginnen.“ „Das ist ein sehr ungewöhnliches Rätsel für ein verliebtes Paar.“ „Es geht um ihren Jahrestag“ „Verstehe,“ murmelte die Kellnerin und führte ihre zarte Hand an das schmale Kinn. Die ehemals glatte Stirn war Falten; Täler des Grübbelns. Die schmalen Lippen pressten sich aufeinander, formten so ein dünnes Band von wundervollem Kolorit. Nach einigen Augenblicken des Nachdenkens antwortete Laura: „Ich kenne Ihre Freundin zwar nicht, aber beim größten Schöpfer muss ich an Gott denken. Den kann man zwar nicht vergessen, weil er einem sonst Plagen an den Hals hetzt, aber seinen Sohn hat er vergessen und zwar am Kreuz. Vielleicht wollen sie Ihre Freunde in einer Kirche treffen, oder in Jerusalem, oder am Friedhof. Was weiß ich! Immerhin hat man den ja auch ins Grab geschmissen und auf ihn vergessen, sodass er auferstehen konnte.“ Mephistopheles griff sich an den Kopf, entsetzt über den Irrsinn, den diese wundervollen Lippen formten, hatte im Sinn aufzuzeigen, welchen Schmarren sie von sich gaben, dass, wenn auch nur einer so vernünftig gewesen wäre, auf Jesus zu vergessen, das Christentum der Welt erspart geblieben wäre, dass die Auferstehung niemand mitbekommen hätte, wenn man sich der Erinnerung an den Wanderprediger entledigt hätte, sobald dieser vom Kreuz genommen war, doch glomm das Wort Friedhof, das Laura als möglichen Treffpunkt genannt hatte in seinen Gedanken auf, zwang ihn dazu, seine Meinung über Lauras Antwort zu ändern, sodass er erwiderte: „Mozart! Wie konnte ich nur so blind sein? Natürlich Mozart!“ „Mozart?“ „Ja, Mozart. Es liegt doch auf der Hand.“ „Zumindest nicht auf meiner.“ „Mozart wurde nach seinem viel zu frühen Tod am Sankt Marxer Friedhof beerdigt und zwar in einem Massengrab. Seine Frau hat aber erst im Zuge des wachsenden Ruhms, sprich einige Jahre nach Mozarts Tod für den genauen Ort interessiert, doch der Totengräber konnte ihr diesen nicht mehr nennen, sodass der größte aller Schöpfer in Vergessenheit geriert.“ „Das scheint mir etwas weit hergeholt zu sein.“ „Nein, es passt. Es passt perfekt. Es ist so geistreich, so poetisch, so literarisch. Es ist einfach zu schön, um falsch zu sein.“ „Wohl zu schön, um wahr zu sein. Sie wollten die Meinung einer Frau und meine Meinung sagt mir, dass ein Friedhof – wurscht ob aufgelassen oder nicht – ein ganz beschissener Ort für ein romantisches Stelldichein ist. Ich kenne die Frau, die das Rätsel gestellt hat, nicht, aber wenn es wirklich der Friedhof ist, muss ich sie auch nicht wirklich kennen lernen,“ erwiderte die Kellnerin, machte deutlich, dass sie Zweifel an der Lösung des Schriftstellers hatte. Dieser war es leid, sich weitere Ausflüchte ausdenken zu müssen, zu erfinden, dass sich das Paar auf einem Friedhof kennen gelernt habe oder er beziehungsweise sie – vielleicht auch beide – als Totengräber arbeite, nur um seine Fehler zu kaschieren, um die Konsequenzen seiner Ungeduld zu verwischen, wusste er doch, dass er der Bedienung nicht von Circe erzählen konnte, wenn er wollte, dass sie schmachten in seinen Armen lag, um am nächsten Morgen peinsame Tränen unerfüllter Liebe zu vergießen. Dies war das Dilemma des Mephistopheles Des Esseintes: Er begehrte Laura Grimaud, begehrte ihren Körper, ihr Haar, ihren Busen, ihr Gesicht; doch viel stärker verzehrte es ihn nach Circe, brannte es in seiner Brust, tobte es in seinem Geist die mysteriöse Beauté mit dem seelenvollen Tastenanschlag wiederzusehen, sich an ihrer wundervollen Präsenz zu berauschen, seinen Kopf in ihre Arme zu legen, sodass der Schriftsteller getrieben von bohrender Ungeduld jegliche Vorsicht fahren ließ und auf Risiko spielte, alles auf eine Karte setzte: „Laura, ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet. Ohne Sie hätte ich das Rätsel vermutlich nicht so schnell gelöst. Gestatten Sie, dass ich mich mit einem Abendessen bei Ihnen revanchiere.“ „Das ist sehr nett, aber nicht notwendig. Sie wissen nicht einmal, ob ich richtig liege,“ entgegnete die Kellnerin höflich, aber kühl. Mit Bedauern sah Mephistopheles wie sie einen Schritt zurückwich, ihre rechte öffnete, sodass deren Handfläche wider den Schriftsteller zeigte, das Gewicht quasi fluchtbereit auf das linke Bein lagerte. Es war vorbei, das Spiel verloren. Des Esseintes‘ Blatt hatte nicht gestochen, doch er hatte nicht die Muße, nicht die Lust die Karten neu zu mischen, ihm fehlte die Geduld, der Spaß am Spiel, zu verlockend war die Aussicht, Circe zu treffen, zu fordern das blind wütende Begehren in seiner Brust, sodass er ohne Witz, Charme oder List, sondern nur dumpf und halbherzig einen letzten Sturm wagte, als er begann: „Ich insistiere. Das gnädige Fräulein hat mir und natürlich auch meinem Freund Johann einen großen Dienst erwiese. Das muss honoriert und selbstverständlich auch entlohnt werden. Ein Abendessen ist da das Mindeste.“ „Ich tat meine Pflicht als Mensch. Dadurch habe ich vielleicht Anrecht auf Achtung, aber sicherlich nicht auf Entlohnung.“ So formulierte Laura Grimaud ihre Absage, nickte knapp, aber deutlich und verschwand. Mephistopheles sah ihr nach, seufzte und stand auf. Einen letzten Blick verschwendete er an die Kellnerin, die die Blumendekoration auf die Tische stellte, dann ging er zum Lift, wobei seine Gedanken schon bei Circe waren, trat im Erdgeschoss aus der Kabine des Fahrstuhls, verbeugte sich zum Abschied spöttisch vor der Statue der Iustitia, die sich in der Eingangshalle des Justizpalastes befand, dann verließ das Gebäude und schritt zu seinem schwarzen Maserati 3500 GT. Während er zu seinem Wagen schlenderte, pfiff er die Melodie des Duetts ‚La ci darem la mano‘ aus Mozarts Oper ‚Don Giovanni‘.

Aletheia


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