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Diverses:Der Deal

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Ein steinaltes Bildnis meiner Wenigkeit

Wir schreiben das Jahr 1964. Marilyn Monroe ist vor 2 Jahren nach ihrem tödlichen Mix aus Pentobarital und Chloralhydrat in ewigen Tiefschlaf verfallen. Unser Land steht noch unter Schock aufgrund der Ermordung John Fitzgerald Kennedys, dessen mutmaßlicher Mörder Lee Harvey Oswald ironischerweise den selben Tod gestorben ist wie sein scheinbares Opfer. Der Gestank von Selbstjustiz ist es, der die Luft unserer kleinen Stadt zu verpesten vermag. Den Verschwörungstheoretikern verbleiben noch 5 Jahre, um zu behaupten, dass die Oberfläche des Mondes ähnlich dem uns bekannten Treibsand sei und eine Landung unmöglich mache. Die Stones schreiben ihre ersten kleinen Hits, stoßen auch schon auf positive Reaktionen der Musikfans, doch ihre Zeit auf dem Zenit steht noch bevor. Ein junger Regisseur mit dem Namen Stanley Kubrick revolutioniert das amerikanische Kino, in einem Jahrzehnt, in dem Hollywood drauf und dran ist, seine cineastische Vormachtstellung zu verlieren. Vom ganzen Hippie-Schwachsinn ist weit und breit noch keine Sicht, Woodstock ist nur ein Hirngespinst derer, die den Lebensstil der Hipster der 50er Jahre auch im neuen Jahrzehnt nicht ablegen können. Der Vietnamkrieg steht bevor, der klischeehafte kleine Mann aus dem typischen amerikanischen Red-Neck-Dorf bereitet sich auf die Schlacht vor und erwartet den großen Sieg, ohne zu wissen, wo Vietnam denn eigentlich liegt. Und ich distanziere mich von der Gesellschaft. Ich weiß, dass ich kein gern gesehener Gast bin, und mir ist bewusst, dass Leichen meinen Weg pflastern, doch ich mache nur meinen Job. Und das seit 15 Jahren. Nur ändern sich die Zeiten. Und somit auch der Job.

Der Treffpunkt

Alles gab es in diesem beschissenen Park. Alles, außer Bäume

Mein verfilzter Borsalino war klatschnass und vollgesogen wie ein Tafelschwamm unter der scheinbaren Sintflut, die sich aus dem Himmel ergoss. Es schien, als ob Gott seine prallvolle Vesica urinaria lustvoll über seinen Untertanen und Gefolgsleuten entleerte. Ganz zum Leidwesen meinerseits. Davon abgesehen, dass meine Kopfbedeckung durch ihre Saugfähigkeit geschätzte 4 Kilo an Masse zunahm und mein Trenchcoat sich anfühlte wie eine dieser bleigefüllten Westen, die man sich beim Zahnröntgen über die Schultern warf, hatte ich aus purer Dummheit die dunklen Gewitterwolken über mir bis vor zwei Minuten ignoriert und mir in der Eisdiele ein Zitroneneis mit Mandelsplittern in einer Tüte gekauft. Wie sich herausstellte, sollte der apokalyptische Regen genau in dem Moment beginnen, als es sich mein Prachtexemplar eines Gluteus auf der Parkbank gemütlich machte. Offenbar bestand der Regen neben seiner wässrigen Herkunft zum Teil auch aus Salpetersäure, sprich, ein saurer Regen ertränkte mich und ätzte sich durch mein schmackhaftes Zitroneneis und ließ lediglich ein paar Mandelsplitter und eine eingeweichte Waffel zurück. Die Gelatiera lachte mich aus, wissend, dass ich für heute ihr letzter Kunde war, und machte ihren Eissalon dicht. Mit dem Finger zeigte sie auf mich mit einem hämischen Grinsen, einem Lachen, das dem Grunzen eines Hängebauchschweins gefährlich nahe kam. Klar, ich hätte sie erschießen können, das wäre nur legitim gewesen, kein Gericht der Welt hätte mich dafür verurteilt, so hinterlistig war sie und hässlich obendrein, doch rückblickend war das nicht ihre Schuld. Sie war nicht die Ursache, warum ich seit etwa 40 Minuten in diesem Park herumeierte, in Erwartung des wichtigen Kunden, dessen Pünktlichkeit wahrlich zu wünschen übrig ließ.

Meine Kindheit ... Damals liefen die Jobs wenigstens nicht so beschissen

Ich knabberte genervt an der aufgeweichten Waffel meines Zitroneneises herum und versuchte mich ein wenig abzulenken. Ursprünglich wollte ich mich irgendwo unter ein Vordach stellen, oder unter das schützende Geäst eines Baumes, doch weit und breit war nichts Derartiges zu sehen. Was war das nur für ein beschissener Park, nicht mal ein Baum war zu sehen, einzig eine Tankstelle und Eisdielen, so weit das Auge reichte. Die Wege waren asphaltiert und machten es dem Regenwasser unmöglich zu versickern, wodurch angrenzende Blumenbeete knöcheltief im Morast versanken. Wahrlich ein Meisterwerk eines Parks, das die Stadt hier aus dem Hut gezaubert hatte. Doch mein Koffer bedankte sich vielmals. Ich hatte ihn unter die Bank gestellt, um ihn vor dem Regen etwas zu schützen, und das unfreiwillige Abflusssystem der Risse im Asphalt erledigten den Rest, sodass mein Koffer trocken blieb. Die Ware war also nicht betroffen. Ich vermisste die guten alten Zeiten, als man als Dealer noch Erfolge verzeichnen konnte. Ich stellte die Ware bereit, der Kunde das Geld. Wir trafen uns pünktlich am vereinbarten Treffpunkt. Dort erschoss ich den Kunden, sackte sein Geld ein und behielt die Ware für mich. So lief das damals. Aber wie mein Vater schon zu mir sagte, als ich vier war: "Mein Junge, wenn du einmal ein weltbekannter Dealer bist, wirst du merken, dass das Risiko einen Deal furchtbar zu verscheißen mit dem Wert der Ware steigt. Sie sind also direkt proportional." Ich konnte mir nie zusammenreimen, woher mein Vater wusste, was einmal aus mir werden würde. Es war kein familiäres Ding - im Gegenteil. Mein Vater war Imker gewesen - ein sauschlechter noch dazu. Und ich stieg im Alter von 12 in mein Gewerbe ein, als ich in ein Haus nahe dem Bahngelände einbrach und die Möbel des Hauses verscheuerte. Eine schöne Zeit war das. Was feststand, war, dass mein Dad rechtbehalten hatte, denn die neue Ware, die ich frisch aus Malta importiert hatte, war der Knaller. Ein Renner unter Friseuren und Comic-Autoren, doch mein Kunde - mit dem passenden Namen "John Ass-Cramp" schien sich nicht blicken zu lassen. Ich warf einen flüchtigen Blick auf meine bronzene Taschenuhr - vor fast einer Stunde hätten wir uns treffen sollen. Daraus wurde wohl nichts. Ich entschied mich durch den strömenden Niederschlag in die Stadt zu kämpfen, um mich dort zu trocknen und zu entscheiden, was ich tun sollte.

Phillies

Der Regen rann über meine Stirn wie das Blut, das aus einer klaffenden Platzwunde trieft. Die Stadt war düster, still, unheimlich. Ein Auto fuhr an mir vorbei, wobei seine Nebelscheinwerfer den Hydranten vor mir beschienen und einen grotesk-verzerrten Schatten an die dahinterliegende Wand der chinesischen Wäscherei warf. Er sah aus wie ein überdimensionierter Phallus, der lotrecht aus dem Gehweg ragte und auf eine willige Jungfrau wartete, um ihr seine Manneskraft zu beweisen. Aber letzten Endes war es doch nur ein Hydrant, der verrostet am Gehsteig verweilte und auf den nächsten Großbrand hoffte. Die Innenstadt war dunkel wie die Kloake eines Andenkondors, akustisch ließ sich lediglich das Plätschern in den Regenrohren vernehmen, die unter dem Druck des Wassers ächzend um Entlastung baten. Mir ging es ganz ähnlich, ich wünschte mir ein trockenes Plätzchen, doch unser Provinzstädtchen schlief schon, und ließ mich in der klatschnassen Dunkelheit alleine.

Doch siehe da, hinter der Ecke bahnte sich ein diffuses Strahlenbündel den Weg bis zur Hauptstraße, wo es in seiner milchigen Helligkeit verendete. Ich watete fort, durch knietiefe Pfützen, die sowohl mein Schuhwerk als auch meinen Trenchcoat in feuchtem Dreck tränkten, um zu sehen was hinter der Ecke lag. Ich fühlte mich wie ein Soldat im Vietkong, der vorsichtig versucht sich seinen Weg durch ein schlammiges Sumpfgebiet des Urwalds zu bahnen, ohne dabei große Aufmerksamkeit erregen zu wollen. Genau an der Kreuzung der Hauptstraße und der Sunset Avenue lag es, ein Diner; Phillies. Es bestand aus einem mannshohen Seitenfenster, das an die Krümmung der Kreuzung anpasst war und das Herz eines jeden Spanners höher schlagen ließ. Dahinter befand sich eine Bar aus Ebenholz gezimmert, die nur vereinzelt Schimmelflecken oder Rückstände von Erbrochenem aufwies. Der Barkeeper sah aus wie ein schrecklich missratenes Experiment eines Dr. Seth Brundle. Wahrlich, sein Kopf wies nur vereinzelte Stellen auf, an denen Haarbüschel wuchsen. Doch an diesen spärlich gesäten Stellen wuchs es unbändig, wucherte wie Unkraut zahlreiches Ungeziefer hortend. Ein Mann meiner Gestalt ähnlich saß am Schanktisch und baggerte eine junge Frau an, die sichtlich angewidert vom erschütternden Mundgeruch ihres Anbeters den Kopf abwendete. Ich stand noch vor dem Schaufenster, überlegend, ob ich wirklich am Gasthausgetuschel der anderen verlorenen Seelen der späten Nacht teilhaben wollte, doch die Nacht und das Wetter waren mir noch eines schuldig: Ein Zitroneneis mit Mandelsplittern.

An der Bar

Diese beschissenen Diners...

Ich trat ein, nahm an der Theke Platz und spuckte zweimal auf den Boden, um den Barkeeper auf mich aufmerksam zu machen. Kurzerhand blickte er zu mir und kratzte sich am Ansatz eines Haarbüschels.

Barkeeper: Was darf's denn sein?

Seine Stimme klang hoch, wie das Fiepen eines Rehs, und ließ mich eine Gänsehaut bekommen. Ich hätte ihn gerne geschlagen. Einmal. Ganz kurz. Eine Ohrfeige. Doch ich war zu nass und zu müde, um meinen Plan durchzuführen. Ich fühlte mich in Phillies ein wenig an Edward Hoppers Malereien erinnert. Die düstere Atmosphäre, diese Einsamkeit, und doch das heimelige Gefühl, das in ihnen steckt.

Ich: Zitroneneis. Mit Mandelsplittern.

Barkeeper: Schlagsahne?

Ich: Klar, warum nicht?

Barkeeper: Sonst noch was?

Ich: 'nen Johannisbeersaft. Klein. Gespritzt.

Barkeeper: Soda oder Leitungswasser?

Ich: Leitung.

Barkeeper: Kommt sofort.

Die Frau an der Bar musterte mich mit strengem Blick, als ob ich ihr ins Gesicht gerülpst hätte. Sie wunderte sich wohl über meine delikate Bestellung. Dachte wohl, dass ich so ein weintrinkendes Arschloch sei, das Frauen schlagen und Hunde vergewaltigen würde. Nein, das war ich nicht. Aber ich mochte sie trotzdem nicht. Sie war blöd. Um dem bösen Blick der seltsamen Dame zu entfliehen, wollte ich den Barbereich verlassen und in den hinteren Teil des Diners wechseln, doch vorerst hielt ich Stellung und wartete auf meine Beorderung. Spät nachts in den hinteren Teil einer Bar zu fliehen ist meist tödlich, wie jeder weiß, denn dort sitzen für gewöhnlich nur missratene Gestalten, wie unser Barkeeper eine war. Dorthin verziehen sich in der Regel nur die Spinner, Spanner und die Verstoßenen der Gesellschaft, die sich den Blicken der Menge zu entziehen versuchen, um unter Ihresgleichen zu weilen, und um Pläne zur Übernahme der Weltherrschaft zu schmieden. Ich hasste Diners. Ich hasste Bars. Und besonders hasste ich die Menschen, die pflegten dort abzusteigen.

Mit seinen zittrigen, unstrukturiert behaarten Händen stellte der Barkeeper mein Eis und meinen Saft vor meine verschränkten Arme, die sich auch dem Tresen breit machten, um meinen recht fülligen Oberkörper noch zusätzlich zu stützen.

Barkeeper: Hier, Bitteschön!

Seine Stimme bohrte sich abermals wie ein Akkubohrer in mein Telencephalon. Einem Tinitus gleich, den man selbst mit dem saugkräftigsten Wattestäbchen nicht mehr aus dem Kopf bekam. Quasi ein ständiger Begleiter. Ähnlich der Gurke im Cheeseburger: Keiner will sie, und doch ist sie immer dabei. Ich konnte die Stimme nicht mehr länger hören, zu schmerzhaft waren die Laute, die seine vibrierenden Stimmbänder produzierten. Es war ein Wunder, dass das Diner überhaupt einen Profit abwarf, bei dem Barkeeper und seiner beschissenen Stimme. Hing wohl mit der Lage des Diners zusammen. Immerhin lag es direkt an der Sunset Avenue, der Straße der edelsten Prostituierten der Stadt, und wie jede wusste, waren ihre Kunden fett, reich und hungrig. Die Zielgruppe eines jeden Diners. Ich fragte mich für eine Sekunde, ob die reichen Fettsäcke auch taub waren, um den haarsträubenden Klang des Barkeepers zu erdulden, doch ein seltsamer Ton unterbrach meinen Gedanken. Es klang nach einer rostigen Säge. Ein bekanntes Geräusch, dennoch wirkte es fremd, hier, an diesem Ort, spät nachts. Oder wollten mir meine beiden Ohren etwa nur einen Streich spielen, und das Geräusch war in Wirklichkeit nur eine perverse akustische Modifizierung des Klangs des strömenden Niederschlags? Ich musste mich vergewissern.

Im Seitentrakt

Man denkt, man hätte in seinem Leben alles gesehen, bis man einen beschissenen Clown findet, der spät nachts mit einem Piraten Rommé spielt

Ich ergriff meine eingetroffene Bestellung und drehte meinen Barhocker vorsichtig weg vom Barkeeper, erleichtert, dass ich diesem Monstrum nicht mehr in seine ungewollt diabolische Fratze blicken musste, während sich mein Antlitz in seinen überdimensionalen Schneidezähnen spiegelte. Ja, er machte mich wütend. Alleine seine Präsenz ließ mich innerlich brodeln, doch an so einen Tag kann sich sogar ein cholerischer Geist wie ich nur schwer aufraffen, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Vielleicht lag es auch daran, dass ich nicht allzu sehr auffallen wollte, oder auch an der Tatsache, dass ich seit längerem keinen erfolgreichen Deal mehr über die Bühne führen konnte. Ich war stets ein pünktlicher Mensch gewesen, die Deals liefen immer glatt, mir mangelte an nichts. Bis vor kurzem. Ein alter Freund hatte mir empfohlen an der Börse in eine kleine Firma namens "happy-T" zu investieren, die sich scheinbar im ökonomischen Aufwind befunden hatte. Ich hatte ihm vertraut und Anteile gekauft, doch innerhalb von Stunden war sie bankrott gegangen. Natürlich wollte meine Neugier gestillt, und meine Entrüstung und Wut beseitigt werden, indem ich einen plausiblen Grund für all das zu finden gehofft hatte. Der Grund war, wie sich herausstellen sollte, jener, dass "happy-T" eine zurecht kleine Firma gewesen war, die sich auf die Konstruktion und das Einbauen von Plumpsklos spezialisiert hatte, jedoch von der Welle des aufstrebenden Klosetts ertränkt wurde. Ich verlor mein Geld. Einen Arsch voll Geld. Als Strafe sperrte ich meinen Freund für ein paar Tage in die Sickergrube eines Plumpsklos, das Teil eines alten Bauernhofes am Rande meiner Heimatstadt gewesen war. Ich vergaß ihn dort und zog ihn vier Wochen später wieder heraus. Überlebt hatte er es nicht. Doch Unfälle passieren...

Das Geräusch wurde lauter, als ich mich vorsichtig in den hinteren Trakt des Lokals begab. Nur vereinzelte Gestalten beehrten mich dort mit ihrer Anwesenheit, doch diese handvoll Gäste waren einzigartig. Ein Mann hielt sich scheinbar für einen Piraten spielte nebenher mit einem Zirkusclown Rommé, eine Frau gab Töne von sich, die den Paarungslauten eines Delphins gefährlich nahe kamen, während ein gigantischer Berner Sennenhund vor ihr auf dem Tisch sein Nickerchen verrichtete. Dort, ganz hinten im Eck saß sie, die Quelle des ominösen Geräusches. Um es für den Laien, der nachts nicht durch amerikanische Diners streift, einfach zu erklären: Selbst die ganzen Spinner, die dort hinten saßen, blickten die Dame verdutzt an, die das skurrile Geräusch erzeugte. Mit der Minisäge eines Schweizer Taschenmessers hatte sie das Bein eines Sessels zersägt und jedes Stück abermals zerkleinert, um es nun vor sich auf dem Tisch mit einem Streichholz zu entfachen.

Dame: Mir ist kalt.

Ich: Madam, Sie sitzen unmittelbar vor einem Radiatoren. Und vor Ihnen lodert ein Lagerfeuer.

Dame: Mir ist trotzdem kalt.

In der Sickergrube eines Plumpsklos zu ersticken... wahrlich ein beschissener Tod

Die seltsame Frau nervte mich. Doch gleichzeitig war sie mir auch sympathisch. Es war ein seltsamer Eindruck. Wie damals, als ich zum ersten Mal Silberfischchen bei mir im Badezimmer entdeckt hatte. Einerseits waren sie uneingeladene Gäste gewesen, die sich in den Silikon-Fugen meines vielseitig verwendbaren Waschbeckens paarten, doch andererseits hatte ich sofort ein Herz für die Tiere gehabt. Auch heute noch fand ich sie süß, mit ihren sechs kleinen Beinen, den herzigen Fühlern und ihren angenehm weichen Schuppen. Damals entschied ich mich dazu, sie zu behalten, zu beherbergen, ja, sogar zu züchten um eine dem Menschen überlegene Rasse zu kreieren. So ganz ging mein Plan nie auf, doch als Haustiere blieben mir meine Lepisme saccharine stets treu.

Ich: Darf ich mich zu Ihnen setzen?

Dame: Natürlich. Ich hab ohnehin zu viele Marshmallows eingepackt.

In diesem Moment spießte sie ein Marshmallow mit ihrem Mittelfinger auf und hob es über ihr Tisch-Lagerfeuer. Mit dem Kopf nickte sie wiederholte Male in Richtung ihres Marshmallow-Depots, mich bittend, am Lagerfeuerbetrieb teilzuhaben. Ihren Restbestand hatte sie unter dem Tisch versteckt, um, wie sie mir erklärte, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ja, als ob das Feuer, das nicht schon für sie erledigt gehabt hätte.

Ich: Haben sie zufällig einen Stock? Oder eine Stricknadel?

Dame: Wofür?

Ich: Zum Aufspießen.

Dame: Ach, wir sind hier unter uns, nehmen Sie nur den Finger. Auf gute Manieren müssen Sie hier nicht achten.

Ja, die Sitten waren es, die mich hinderten, nicht etwa der stechende Schmerz einer Brandblase, die womöglich noch aufgeplatzt wäre, genässt, geblutet und letzten Endes als periodisch eiterndes Furunkel meinen Finger geziert hätte, mich wie ein Stalker auf Schritt und Tritt begleitend. Aber ich wollte nicht das Weichei markieren, denn ich musste gestehen, die Frau gefiel mir, auch wenn sie etwas schrullig war. Doch es bestand für mich kein Zweifel, ich musste ihr imponieren.

Ich nahm also ein Marshmallow und spießte es tollpatschig mit dem rechten Zeigefinger auf und hielt es für einen Moment ins Feuer. Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon erwähnt habe, dass ich eine ausgeprägte Feuer-Allergie habe. Als ich sechs war, musste ich bei den Pfadfindern einmal das Lagerfeuer entfachen, nicht wissend, dass eine Allergie wie diese existierte. Ich näherte mich der Flamme auf wenige Zentimeter und bekam einen Ganzkörperausschlag, dessen Geruch stark an Mottenkugeln erinnerte. Jedenfalls kratzte ich mich als Reaktion auf den Ausschlag so gut, wie es mir möglich war, doch es wollte nicht aufhören, bis ich in Ohnmacht fiel. Die Symptome erschlafften im Laufe der Zeit, so war später nur noch das flammennächste Körperteil von meiner allergischen Reaktion betroffen, und das nur in Form einer temporären Starre und Unbeweglichkeit.

Der Schaumzucker schmolz also auf meinem rechten Zeigefinger, der in Windeseile rot anlief, anschwoll und wie eine Leiche in der Totenstarre versteifte. Ich versuchte die Qual zu unterdrücken, mein Gesicht nicht schmerzverzerrt zu verziehen, was mir schon schwer genug fiel, doch gleichzeitig die Konversation, befreit von jedem Sinn oder Gesprächsthema, fortzuführen, stellte sich als ein Ding der Unmöglichkeit heraus. Rasch probierte ich gekonnt unseren Dialog in eine andere Richtung zu lenken. Naja, ich will ehrlich sein, es war im Grunde ein Trialog, denn neben der mir gegenübersitzenden Dame sprach ich nebenbei auch mit einem 84-jährigen Mann, einem leidenschaftlichen Schuster, der kurioserweise in selben Körper zu stecken vermochte, wie die reizende junge Frau.

Ich: Möchten Sie... ich meine... Sie beide - oder auch nur ... Sie...

Ich war mir nicht sicher mit wem ich sprach.

Ich: Naja, brauchen Sie nicht auch einen Tapetenwechsel? Möchten Sie eventuell die Nacht bei mir verbringen?

Wenn Sie eines nachts in einem Diner auf eine Dame treffen, die am einem beschissenen Lagerfeuer Marshmallows verspeist, tun Sie sich einen Gefallen. Gehen Sie nach Hause!

Ich war so charmant, wie es mir unter derart diabolischen Umständen nur möglich war. Mein Finger tat weh, der Deal war geplatzt, mein Mantel wollte nicht trocknen, die Stimme des Barkeepers erhellte auch den hintersten Winkel des Seitentrakts noch in ihrer vollen Kraft und selbst unter den wirren Gestalten um mich herum, war ich noch eine seltsame Erscheinung, die spät nachts auf seinem Finger aufgespießte Marshmallows über einem provisorischen Lagerfeuer schmolz. Und das Schlimmste von allem: Mein Zitroneneis war kein Zitroneneis sondern Bananeneis, die Schlagsahne war lediglich ein Stück Butter, das ich zuerst unter den Haselnussplittern, die die Mandelsplitter ersetzen sollten, nicht entdeckt hatte. Ich mochte nicht mehr. Ich hatte genug. Im Grunde hatte ich gehofft, für die Nacht noch eine Begleiterin an meiner Seite zu haben. Eine Prostituierte stand nicht zur Wahl, bei dem Regen blieben selbst die Regenwürmer zu Hause, so fiel die Wahl eben auf die seltsame Frau am Lagerfeuer, die, wie sich herausstellen sollte, schizophren war, und sich ihren zierlichen Körper mit einem Schuster teilte. Einem 84-jährigen Schuster namens Anthony. Aber das war mir mittlerweile scheißegal, ich wollte nur noch nach Hause und wenn möglich mit einer Frau an meiner Seite einnicken.

Ich: Ich meine... H-hätten Sie Lust? Mein Name ist übrigens ...

Ich konnte meinen Satz nicht vollenden. Sie unterbrach mich empört.

Dame: Soll das eine Anmache sein?! Was erlauben Sie sich?! Um diese Stunde, und das auch noch vor meinem Ehemann? Schatz, kannst du das glauben? - Unfassbar, so etwas! Komm, Mindy, gehen wir nach Hause. Ich hab dir schon von Anfang an gesagt, in diesen Diners steigen nur Spinner und Perverse ab.

Ja, sie beantwortete ihr Fragen selbst, verstellte lediglich ihre Stimme und passte ihre Mimik an die jeweilige Persönlichkeit an. Ohne das Lagerfeuer zu löschen stand sie auf, warf mir einen finalen verächtlichen Blick zu, und schritt flotten Fußes Richtung Ausgang. Sie war also mit sich selbst verheiratet. Klar, was sonst?! Es war genug. Soviel Scheiße in einer Nacht hatte nicht einmal ich verdient. Der Bogen war überspannt, das Fass war beim Überlaufen. Ich sprang vom Sessel, warf den Tisch gegen die Scheibe, löschte so auf genialste Weise die lodernde Flamme, während ich meinen .44er-Colt dynamisch aus meinem Gürtel zog, die Dame anvisierend. In dem Moment, als sie sich aufgrund des Lärms wieder mir zuwendete, zielte ihr direkt ins Gesicht, beinhart, kompromisslos, doch eines war mir entfallen. Mein Finger. Er war steif wie ein Eiszapfen. Ich konnte den Abzug nicht betätigen. Es löste sich kein Schuss. Kurzerhand wollte ich ihr den Colt in ihre erschrockene Fratze werfen, traf jedoch nur den Zirkusclown, der am Tisch neben ihr saß. Aus beiden Ohren blutend sackte seine obere Körperhälfte auf den Tisch, und rührte sich nicht mehr. Ich verdrehte kurz die Augen, verärgert, die falsche Person getroffen zu haben, doch in meinem Moment der Unachtsamkeit verschwand sie. Für immer. Ich sollte sie nie wieder sehen.

Mindy. Das war ihr Name. Ein Lächeln huschte mir übers Gesicht. Die bunte Leiche, die sich nun unfreiwillig mit dem Gesicht auf dem Tisch abstützte, erregte erstaunlich wenig Aufmerksamkeit. Der Pirat spielte weiterhin mit ihm Rommé, mit dem Unterschied, dass er seinem Gegenüber nun etwas leichter in die Karten blicken konnte, selbst mit seiner Augenklappe. Die Delphin-Lady blickte mich kurz verärgert an, und beschoss mich mit dem wohl boshaftesten Delphin-Lauten, die die Welt je gehört hatte, wandte sich jedoch wieder ihren Berner Sennenhund zu, der in unveränderter Position auf der Tischplatte vor ihr schlief.

Ich hob den leeren Eisbecher und das Glas, das vor meinem Attentat auf den Lagerfeuer-Tisch noch randvoll mit Johnnisbeersaft war, vom Boden auf, und schlenderte zurück zur Bar. Meine Stimmung war keinen Deut besser. Ich erhoffte mir nichts mehr als ein Ende zu dieser beschissenen Nacht. »Nur noch einen kleinen Schluck. Dann auf nach Hause.«, dachte ich mir.

Zurück an der Bar

Ich setzte mich wieder auf den selben Platz, in der selben Position, nur noch erschöpfter und wütender, als beim ersten Mal. Einmal mehr spuckte ich schmatzend auf den Boden, worauf sich der Barkeeper mir zudrehte.

Ich: Noch mal auffüllen.

Ich zeigte mit meinem rechten Zeigefinger, in dem ich endlich wieder ein wenig Gefühl verspürte, auf das leere Glas.

Barkeeper: Das Eis auch?

Ich: Nein.

Diesmal beeilte er sich mit der Bestellung. Blitzschnell stand mein gespritzter Johannisbeersaft vor mir.

Barkeeper: Hören Sie, wir schließen in zwei Minuten, ich wäre Ihnen sehr verbunden wenn sie schnell austrinken und dann gehen könnten?

Ich: Wie bitte?! Ich dachte, das hier wäre ein Diner. 24/7 geöffnet.

Barkeeper: Ist es auch, ist es auch. in zwei Minuten fängt nur meine Pause an. Fünf Minuten später können Sie wieder herein.

Ich: Sie verarschen mich doch?! Für fünf Minuten sperren Sie ab?! Da draußen regnet es in Strömen!

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich wollte ohnehin nach Hause, doch dieser Arsch von Barkeeper mit seiner schrillen Eunuchen-Stimme trieb mich abermals zur Weißglut. Er hatte weder Manieren noch gutes Aussehen, ein scheußlicher Mensch.

Barkeeper: Es ist ja nur für fünf Minuten. Achja, bitte bezahlen Sie auch gleich, damit wir das geregelt hätten.

Ich musste an das Geld denken, dass ich durch meine Ware hätte verdienen können. Die Ware... Ich blickte kurz um mich. Wo war mein Koffer? Wo war meine Ware? Hatte ich sie bei mir, als ich das Diner betreten hatte? Falls nein, lag sie noch am Ort des Treffpunktes? Oder hatte ich sie mit, und ein anderer Phillies-Gast hatte sie eingesackt? Fest stand: Mein verdammter Koffer war weg. Ein paar Äderchen in meinen Augen drohten zu platzen vor Wut. Ich hätte schreien können.

Ich: Haben Sie zufällig meinen...

Der Barkeeper fuhr mich an.

Barkeeper: Können sie überhaupt bezahlen?! JA ODER NEIN?!

Ich: Entschuldigen Sie mich kurz.

Stinksauer rannte ich in den Seitentrakt, nahm meinen Colt an mich, der die letzten Minuten am Boden neben dem Stuhl des toten Clowns immobil die Stellung gehalten hatte. Mein Finger hatte sich nun vollständig aus seiner Starre befreit. Ich schritt rasch zurück zur Bar, drückte die Mündung des Laufs an die grässliche Stirn der Barkeepers und schoss. Einmal. Zweimal. Leblos sank sein Körper zu Boden, nur seine Haarbüschel wehten noch in der leichten Zugluft-Brise des Diners. Ein letztes Mal warf ich einen Blick in den Seitentrakt, um zu sehen, ob dort vielleicht doch mein Koffer lag, doch dort war nichts. Nichts, außer einem toten Clown, einem Piraten und einer Delphin-Lady, die sich mit ihrem soeben erwachten Hund küsste. Mit Zunge. Es stand nun fest: Es war Zeit für mich zu gehen.

Meine Zukunft war ungewiss, doch ich sollte meinen Weg nach beschreiten, bis ich sein Ende erreichte

Zurück im Park

Ich lief zurück, nein, ich sprintete zurück, schnell wie ein Gepard auf der Pirsch, in der Hoffnung, dass er noch da sein würde, mein Koffer. Ich bettelte, ich flehte. Er war alles, was ich noch hatte und nun war er fort. Ich wusste, dass ich ihn nicht mehr finden würde. Im Park angekommen, blickte ich unter jede Bank, stapfte durch jede Pfütze, öffnete jeden Kanaldeckel, nur um später sagen zu können, dass ich überall nachgesehen hatte. Er war fort. Mein Koffer war fort.

Der Regen gab nach, verringerte sich, bis das Plätschern der Tropfen in den Pfützen verstummte. Es wurde auch wieder etwas wärmer, was mich dazu bewegte, mich hinzusetzen, um kurz zu pausieren. Mit meinem ohnehin schon klatschnassen Mantel trocknete ich die Parkbank vor dem Eissalon partiell ab und nahm auf ihr Platz. Anschließend zog ich meine bronzene Taschenuhr aus meiner tiefen Manteltasche und warf einen Blick auf ihr glänzendes Ziffernblatt. Es war eine Viertelstunde nach fünf Uhr. Der Eissalon würde in einer Dreiviertelstunde wieder aufmachen. In meiner linken Manteltasche fand ich noch etwas Kleingeld, also beschloss ich zu warten. Denn eines war mir diese beschissene Nacht noch schuldig: Ein Zitroneneis mit Mandelsplittern.

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